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alten romanischen Baumeister abstarben und die neuen gotischen die Alleinherrschaft errangen.

     Ob damals die Verbindung Philipps mit Frank­reich den Verkehr zwischen Deutschland und Frank­reich besonders rege gemacht hatte, so dass die deut­schen Baumeister anscheinend sämtlich jenseits der Grenze gelernt haben, mag dahingestellt sein.

     Beide Kirchen Gross S. Martin und S. Aposteln zeigen uns in ihren Schiffen die Kunst um das Jahr 1000, Gross S. Martin 20 Jahre vor demselben, S. Aposteln 20 Jahre nach ihm, beide Kirchen zeigen an ihren Dreiconchenbauten und den Gewölben der Seitenschiffe in derselben Reihenfolge die romanische Kunst zwischen 1150 und 1200; beide Kirchen zeigen in den Gewölben ihrer Hochschiffe die frühgotische Kunst zwischen 1200 und 1220.

     Will man den Formenkanon der rheinisch­romanischen Kunst auf ihrem Höhepunkte, die innere Anordnung und die äussere Erscheinung ihrer Kirchen, kurz bevor man sie in Deutschland verliess, kennen lernen, dann haben wir in diesen beiden Bauten rein und unverfälscht erhaltene Bei­spiele. Dass diese Kunst eine grosse Vollendung erreicht hatte, dass besonders ihre äussere Er­scheinung, wie nicht minder ihre Innenräume jeden mit Bewunderung erfüllen, macht es begreif­lich, dass viele sie nachzuahmen versuchen.

     Warum aber hat man in Deutschland diese Kunst nach 1200 so plötzlich verlassen? Einer­seits mag die Grossartigkeit der französischen Kathedralen, denen die romanische Kunst Deutsch­lands kaum etwas Aehnliches an die Seite zu setzen hatte, die Augen bestochen haben, anderer­seits hat aber sicher die unerbittliche Folge­richtigkeit der Gotik in der Erschaffung ihrer Kunstformen aus der Konstruktion und deren

 

Erfordernissen die Ueberzeugung der deutschen Bau­meister für sich gewonnen. Die Simse der roma­nischen Kunst führten weder den Regen ab — musste man sie doch in gotischer Zeit zumeist nachträglich mit Schrägen versehen — noch entsprangen ihre einzelnen Glieder irgend welchem Erfordernis. Allein das Herkommen heiligte sie. Ebenso verhielt es sich mit dem romanischen Ornament. Woher stammten diese krausen Verschlingungen, warum sollte man solch unbekanntes Blattwerk immer wieder zeichnen? Nur weil man nichts Anderes kannte, war man dabei geblieben. Warum machte man flache Dächer, auf denen weder der Schiefer noch das Ziegelwerk dicht hielten? Auch die Kon­struktion der Gewölbe über den Mittelschiffen wollte nicht gelingen. Was sollte die Deutschen also bei einer Kunst halten, deren Einzelformen nicht zu begreifen waren, deren Konstruktion in vielen Fällen versagte. Ihnen bot sich eine andere Kunst so herrlich und jugendkräftig dar, in unerbitt­licher Folgerichtigkeit Formen und Konstruktionen umschaffend und neu erfindend, die in ungeahnter Pracht und Kühnheit Werke in den Himmel türmte, wie sie bisher keine Phantasie zu erdenken vermocht hatte. Und diese waren der germanischen Phantasie entsprossen, sie nahmen daher die Phantasie aller germanischen Stämme mit Zauberbanden gefangen und es bedurfte später der handwerkmässigen Miss­handlung derselben während zweier Jahrhunderte, um sie den Deutschen wenigstens in ihren Einzel­heiten zu verleiden.

     Aus diesen Gründen erlosch nach 1200 die ro­manische Kunst in Deutschland plötzlich. Die Art, wie man heutzutage diese Kunst wieder aufnimmt, scheint kaum geeignet, ihre Schwächen zu beheben, ihr eine längere Dauer zu bescheren.

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Max Hasak: Die Baukunst, 11. Heft. , 1899, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Baukunst_-_11._Heft_-_16.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)