Der Regenwürmer Thun und Treiben

Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Der Regenwürmer Thun und Treiben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 820–823
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Regenwürmer Thun und Treiben.

Nach den Beobachtungen von Charles Darwin.

Wenn ein Redner die Nichtigkeit des irdischen Daseins mit seinem höchsten Pathos kennzeichnen will, so pflegt er den Menschen als Erdenwurm zu bezeichnen, das heißt ihn mit dem niedrigsten und elendesten Thiere seines Gesichtskreises auf eine Linie zu stellen Blind in der Erde wühlend, Staub fressend, und zwar „mit Luft“ - wie es, nebenbei bemerkt, des Mephistopheles Muhme, „die berühmte Schlange“ nicht thut – mag das verachtete Thier dem oberflächlichen Blicke wirklich als eines der erbärmlichsten Glieder in der großen Stufenleiter des Lebens erscheinen. Und doch ist der Regenwurm, wie Charles Darwin in seinem neuesten, vor wenigen Wochen erschienenen Buche[1] gezeigt hat, einer der unermüdlichsten Arbeiter bei der Umgestaltung des Erdballs, einer der erfolgreichsten Culturkämpfer, so weit es sich darum handelt, die Culturfähigkeit des Bodens zu befördern, und endlich noch einer der eindringlichsten Zeugen für die Macht des Kleinen im Weltall.

Schon vor einem halben Jahrhundert hatte der große britische Naturforscher dem Wirken und Schaffen der Regenwürmer seine volle Aufmerksamkeit zugewendet und im Jahre 1887 der Londoner „Geologischen Gesellschaft“ eine kurze Arbeit vorgelegt, in welcher dargelegt wurde, daß die obere Decke des fruchttragenden Bodens, die meist schwärzlich gefärbte Acker- oder Dammerde, welche wegen ihrer Lockerheit auch Ackerkrume genannt wird, im Wesentlichen ein Erzeugniß der Regenwürmer sei. Darwin zeigte schon damals, wie diese Erddecke von diesen unscheinbaren Thieren, deren Körper sie immer von Neuem passirt, von den Steinen befreit und immer neu gemischt, zerrieben und gelockert wird, sodaß der pflügende Landmann in ihnen seit undenklichen Zeiten einen Vorgänger gefunden hat, dem der unbeackerte Boden seine andauernde Fruchtbarkeit verdankt und dem es größtenteils zuzuschreiben sein dürfte, daß die Pflanzenwelt auf unserem Erdball zu einer solchen Ausbreitung und Entwickelung gelangen konnte, wie sie dieselbe heute zum Nutzen und zur Freude der Erdbewohner zeigt. Darwin war bei seinen Studien von der Beobachtung ausgegangen, daß Schichten von gebranntem Mergel oder Kalk, von kleingeschlagenen Holzkohlen oder Ziegelsteinen, die auf einem unbeackerten Weideplatz oder Anger ausgebreitet werden, allmählich, und zwar an Oertlichkeiten, wo es so gut wie gar nicht staubt von einer mit den Jahren wachsenden Decke schwarzer Erde bedeckt werden, sodaß sie immer tiefer sinken und nach einigen Jahrzehnten an den Wänden einer auf diesem Felde ausgehobenen Grube als zusammenhängende Streifen erscheinen, die je nach den obwaltenden Verhältnissen und der inzwischen verflossenen Zeit vier bis sechs und zwölf Zoll tief unter der Oberfläche liegen. Diese gleichmäßige Versenkung der kleineren, auf die Oberfläche verstreuten oder verlorenen Gegenstände ist das Werk der Regenwürmer, welche ihre Auswürfe an die Oberfläche bringen, wo sie kleinere Steine u. dergl. m. bald überdecken, während der von ihnen unterminirte Boden unter denselben allmählich, sobald die alten Gänge verlassen werden, zusammensinkt. Sie bringen also fortwährend neue Erde von unten in die Höhe und erhalten so die Ackerkrume in einer beständigen, den Pflanzen wohltätigen Bewegung und Verjüngung.

Da diese Angaben und die daran geknüpften Betrachtungen über die wichtige Rolle der Regenwürmer im großen Naturhaushalte mehrfach bezweifelt und abfällig beurtheilt wurden, so hat Darwin seit dieser Zeit die Thätigkeit der Regenwürmer beständig im Auge behalten, und auf seinem Landsitze zu Down, unweit London, auf seinem eigenen Grund und Boden eine Reihe von zum Theil Jahrzehnte dauernden Versuchen über jene Versenkungen unternommen, die Menge der von den Regenwürmern aus verschiedenen Gebieten emporgebrachten Erde ermittelt und endlich ihr Leben und Treiben, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten mit jener liebevollen Sorgfalt untersucht, wie sie unter Anderen Sir John Lubbock in London seit Jahren den Ameisen gewidmet hat, wobei auch bei den Regenwürmern sehr überraschende Fähigkeiten wahrgenommen wurden. Die Beobachtung dieser niederen Thiere wurde, wie sich Darwin vor längerer Zeit in einem an den Schreiber dieser Zeiten gerichteten Briefe ausdrückte, geradezu zu seinem Steckenpferde, und wir werden bald sehen, daß sie diese besondere Aufmerksamkeit von Seiten eines der größten Beobachter aller Zeiten vollauf verdienten.

Auch in Deutschland sind in neuerer Zeit einige ausgezeichnete Arbeiten über Fähigkeiten und Wirksamkeit der Regenwürmer erschienen, und es werden besonders die Arbeiten von Hoffmeister (1845) und Hensen (1877) über diesen Gegenstand von Darwin mit Bewunderung erwähnt; ihm blieb, außer der Aufhebung zahlreicher Einzelpunkte, vor Allem die auf vielen Versuchen, Beobachtungen und Rechnungen basirte Würdigung ihrer geologischen Wirksamkeit übrig. Um zunächst ihre Fähigkeiten genauer zu untersuchen, hielt sich Darwin in mit feuchter Erde gefüllten Blumentöpfen eine Anzahl von Regenwürmern in seinem Arbeitszimmer, wo er sie in ihrer nächtlichen Thätigkeit bequem beobachten konnte. Es zeigte sich hierbei bald, daß diese Thiere eine strenge Ordnung in ihre Lebensweise eingeführt haben; denn obwohl die Töpfe zugedeckt waren, sodaß es in ihnen ziemlich dunkel blieb, kamen sie lange Zeit hindurch, als ob sie eine Uhr im Leibe hätten, auch hier, wie im Freien, nur des Nachts aus ihrer Gängen heraus. Draußen ist dies bei der großer Zahl von Feinden, die sogar des Nachts ihr Leben bedrohen, und die sich am Tage stark vervielfältigen würde, jedenfalls eine sehr nützliche Vorsicht.

Sie sind überhaupt sehr vorsichtig, und wenn sie nur die Umgebung ihrer Gangöffnung nach abgefallenen Blättern und dergleichen absuchen wollen, so lassen sie ihr Hinterende in dem Gange stecken, um sich bei drohender Gefahr schleunigst rückwärts hineinziehen zu können. Nur nach stärkerem Regen treten sie weitere nächtliche Wanderungen an, um sich an anderen Stellen einzubohren; man findet dann am Morgen ihre nach allen Richtungen sich kreuzenden Spuren im Schlamme. Des Morgens liegen sie im Frühjahr und Herbst, den Jahreszeiten ihrer Hauptthätigkeit, dicht an der Mündung ihrer Gänge und werden darauf vielfach durch Amseln und Drosseln, welche die Felder absuchen, hervorgezogen.

Obwohl sie keine Spur von Augen besitzen, empfinden sie den Schein eines künstlichen Lichtes ebensowohl, wie den der Morgendämmerung, der sie in ihre Löcher zurückscheucht, jedoch nur, wenn er das Mundende trifft, das heißt denjenigen Körpertheil, in welchem ihre Hauptnervenknoten oder kleinen Gehirne in einem den Schlund umgürtenden Nervenringe liegen. Sie bewegen dann dieses Vorderende tastend hin und her, zum Zeichen, daß ihre Aufmerksamkeit erregt ist, und ziehen sich langsamer oder schneller, bisweilen blitzschnell in ihre Gänge zurück. Bleibt dagegen das Mundende beschattet oder steckt es in einem Loche, so kann der übrige Körper beliebig beleuchtet werden, ohne daß das Thier die Flucht ergreift. Wurde das künstliche Licht mittelst einer Glaslinse auf ihr Vorderende verdichtet, so zogen sie sich [822] meistens eilig zurück, doch nahmen sie unter Umständen auch von einem solchen verstärkten Lichtreize weniger Notiz, wenn sie nämlich gerade damit beschäftigt waren, Blätter zu verzehren oder in ihre Löcher zu ziehen; sie scheinen also, wie Darwin bemerkt, ähnlich wie höhere Thiere, der Aufmerksamkeit oder Vertiefung in eine bestimmte Beschäftigung in dem Maße fähig, daß sie darüber gewisse Störungen – wenn man bei ihnen von solchen reden darf – übersehen.

Der Gehörsinn scheint den Regenwürmern vollständig abzugehen. Weder die hohen Töne einer schrillenden Pfeife noch die tiefen eines Fagotts, weder lautes Sprechen noch Clavierspiel in ihrer Nähe störten sie in ihrer überirdischen Thätigkeit; dagegen zeigten sie sich sehr empfänglich für die Erschütterungen fester Körper, und sobald der Topf, in welchem sie sich befanden, auf den Clavierdeckel gesetzt war, genügte das Anschlagen eines höheren oder tieferen Tones, um sie zum eiligen Verschwinden von der Oberfläche zu veranlassen. Offenbar entgehen sie durch diese Fähigkeit bisweilen den Maulwürfen und Tausendfüßen, die ihnen im Innern der Erde nachstellen, und den äußeren Feinden, die sie von der Mündung ihrer Löcher aus bedrohen. Gegen Gerüche scheinen sie, ausgenommen natürlich gegen diejenigen, welche auf ihre nackte und feuchte Haut ätzend wirken mögen, wie Essig- und Salmiakgeist, wenig empfindlich zu sein, doch wußten sie unter der Oberfläche der Topferde vergrabene Stückchen von allerlei Blättern, rohem und gekochtem Fleisch bald zu finden. Im Geschmacke scheinen sie dagegen wählerischer zu sein, und Stückchen von Mohrrüben- oder Zwiebelblättern wurden stets früher verzehrt als solche von Kohl- und Rübenblättern. Einige Blätter, deren scharfes Aroma ihnen wahrscheinlich antipathisch ist, wie diejenigen von Thymian, Salbei, Beifuß u. dergl. m., blieben unangerührt.

Höchst merkwürdig sind nun die Beobachtungen, welche Darwin über die Behandlung der abgefallenen Blätter und anderer Gegenstände, welche die Regenwürmer in ihre Löcher ziehen, angestellt hat. Wenn wir an einem feuchten Spätherbstmorgen ein Gartenbeet betrachten, auf welchem abgefallenen Blätter lagen, so sehen wir eine Anzahl derselben sowie Blattstiele, Kiefernadeln, Strohhalme etc., noch halb aus den Löchern hervorschauen, in welche sie hinabgezogen wurden. Durch viele Hunderte von Einzelnbeobachtungen hat Darwin festgestellt, daß die Regenwürmer hierbei weitaus in der Mehrzahl der Fälle ganz so verfahren, wie ein Mensch verfahren würde, der solche Gegenstände in eine enge Röhre hineinziehen wollte. Ist nämlich das Blatt gegen das Stielende erheblich verschmälert, so ziehen sie dasselbe, indem sie den Mundtheil zu einer Ober- und Unterlippe gestalten, mit dem schmalen Stielende voran in die Oeffnung, ist dagegen das Stielende breit und das obere Ende, wie z. B. beim Lindenblatt, zugespitzt, so ziehen sie es in der Mehrzahl der Fälle an der Spitze herab. Die Nadeln verschiedener Kieferarten, welche zu Zweien in einer kleinen Scheide stecken, wurden ausnahmslos an dieser Scheide erfaßt und hinabgezogen, und diese im gegebenen Falle offenbar zweckmäßigste Methode wurde auch beibehalten, wenn die Spitzen der Nadeln vorher abgeschnitten oder mit einander verklebt worden waren. Rundliche Blätter, die gar keine Schmalseite darbieten, wurden, wenn sie von Natur oder durch das Absterben weich genug waren, um sich zusammenzufalten, mit dem Munde auf der Mitte der Fläche durch Anfangen ergriffen und so hinabgezogen.

Es gewinnt mit einem Worte den Anschein, als ob die Regenwürmer sich ihren mangelhaften Sinnesorganen und ihrer abgeschiedenen Lebensweise zum Trotze genug Intelligenz erworben hätten, um die Form der Gegenstände und die zweckmäßigste Behandlungsweise derselben beurtheilen zu können. Ganz ebenso wie die Blätter wurden Papierdreiecke behandelt, die, um ihr Aufweichen im Nachtthau zu verhüten, vorher mit Fett eingerieben worden waren. Die schmäleren wurden meist mit einer Spitze voran hinabgezogen, die breiteren meist in der Mitte erfaßt und durch Zusammenfalten in die Oeffnung gezwängt.

Die in die Oeffnungen hineingezogenen Gegenstände dienen den Würmern theils zur Nahrung, theils zum Ausfüttern und Verstopfen der Eingangsthore, um das Eindringen der Kälte und vielleicht auch des Regenwassers in die Gänge zu hindern. Zu demselben Zwecke häufen sie, wenn sie keine Blätter oder Stiele finden, auch kleine Steine, die sie ebenfalls durch Ansaugen herbeiziehen, über ihren Gangmündungen an, oder kleiden die Wandungen, namentlich in den erweiterten tieferen Theilen, wohin sie sich bei starkem Winterfroste, wie auch in der Sommerdürre, zurückziehen, mit denselben aus, wahrscheinlich um ihren Körper vor der unmittelbaren Berührung mit der naßkalten Erde zu schützen. Die Blätter, welche ihnen zur Nahrung dienen, pflegen sie in ihren Gängen mit einer alkalischen Flüssigkeit zu benetzen, welche, wenn sie noch grün sind, ihr Welken befördert und ihre Bestandtheile wahrscheinlich löslicher und verdaulicher macht. Den Regenwürmern fehlen die harte Kiefer, welche viele ihrer Verwandten besitzen; dafür erfreuen sie sich eines mit kräftigen Quermuskeln versehenen Kropfes, der vor dem eigentlichen Magen liegt und in welchem stets eine Anzahl kleinerer Steine enthalten ist, die zur weiteren Zerreibung des zum Theil aus Erde und härteren Substanzen bestehenden Speisebreis dienen. Da der Humus und die verwesenden Blätter, welche die Würmer verzehren, schon an sich sauer sind, so findet eine saure Verdauung, wie im Magen der höheren Thiere, bei den Würmern nicht statt, vielmehr ist ihr Verdauungssaft, wie derjenige der Mund- und Bauchspeicheldrüse bei den Wirbelthieren alkalisch und wird in seiner die Säure des Speisebreis abstumpfenden Eigenschaft nach durch ein paar Drüsen unterstützt, die reichliche Mengen van kohlensaurem Kalk in den Verdaungscanal absondern. In den Zeiten, wo keine Blätter von den Bäumen fallen, verschlingen die Würmer große Mengen von Dammerde, um derselben die in Form von Humusstoffen, Insecteneiern, Pilzsporen etc. in ihr enthaltene Nahrung zu entziehen; sie besorgen dabei die feinere Zerreibung und Vertheilung dieser Erde und befördern sie, mit ihren eigenen thierischen Ausscheidungen innig vermischt, in Form der bekannten, aus zerbrochenen fadenartigen Masse bestehenden Wurmhäuschen über die Mündung ihrer Löcher. Oftmals verschlingen sie aber die erdige Masse auch nur zu dem Zwecke, um sich durch sie hindurch den Weg in die Tiefe zu bahnen. Während sie sich nämlich in die Ackerkrume leicht und schnell hineinwühlen können, indem sie ihren Schlundkopf wie einen Keil wirken lassen, der die lockeren Massen bei Seite schiebt, müsse sie sich durch festeren Boden förmlich hindurchfressen, und dann bestehen, je nach der Bodenart, ihre sonst schwärzlichen Auswürfe fast aus reinem, weißem kohlensaurem Kalke, gelber oder rother Ziegelerde, die gleichwohl dabei fein zerrieben und, wenn auch in geringerem Maße, mit animalischen Flüssigkeiten durchtränkt werden.

Auf diese Weise verwandeln sie selbst einen unfruchtbaren Boden allmählich in einen fruchtbaren, sobald es ihnen nur möglich ist, Blätter hineinzuziehen und darin zu leben. Hensen sah, wie durch die Thätigkeit zweier Regenwürmer die Oberfläche einer Quantität weißen Sandes, die vorher mit Blättern bestreut und in einem Kessel von achtzehn Zoll Durchmesser enthalten war, in Verlauf von sechs Wochen mit einer centimeterdicken Schicht dunkler Ackererde bedeckt wurde. Außerdem führen sie eine Menge auf der Oberfläche verstreuter, abgestorbener, organischer Reste, wie Blätter, Insectenleichen, Schneckenschalen, Knochen etc., dem Boden zu, indem sie dieselben mit ihren Häufchen bedecken, und die Pflanzensamen, welche sonst frei an der Oberfläche verwittern würden werden durch diese Ueberschüttung in günstigere Bedingungen für die Keimung vesetzt. Die Wurzeln gleiten zum Theil in den alten Wurmgängen hernieder, deren Wände mit animalischen Ausscheidungen gedüngt sind, und rings umher finden sie einen von den Würmern wohlvorbereiteten und durchlüfteten Boden.

Die Leistungsfähigkeit der Würmer hinsichtlich der Erdmengen welche sie uns der Tiefe an die Oberfläche bringen, wurde meist unterschätzt, weil sich Niemand die Mühe genommen hatte, das Gewicht ihrer Auswürfe zu bestimmen und für ein gewisses Areal zu berechnen. Hensen schätzte die Anzahl der auf einem Hektar geeigneten Bodens lebende Regenwürmer ans 133,000 Stück, und die über einem einzigen Loche gefundenen Auswürfe wechseln in ihrem Gewichte von einer halben bis zu vier Unzen oder einem Viertelpfunde. Eine wahrscheinlich aus Ostindien stammende und an die Nordküste des mittelländischen Meeres verschleppte Art errichtet dort über ihren Löchern, indem sie das Hinterende hoch emporhebt, zwei bis drei Zoll hohe Thürmchen, die bei einem Zoll Durchmesser ganz aus diesen darmartig gewundenen erdigen Excrementen bestehen und einen merkwürdigen Anblick gewähre. Auf Ceylon giebt es eine zwei Fuß lange und einen halben Zoll dicke Art, deren Auswürfe natürlich reichlicher ausfallen werden. In England berechnet sich die von den Regenwürmern auf geeignetem [823] Terrain emporgebrachte Erdmasse auf im Durchschnitt zehn Tonnen (= 10,516 Kilogramm) für den Acre (=0,4 Hektar). Eine englische Dame, die sich für diese Frage interessirte, scheuete die Mühe nicht, diese Auswürfe von einer verhältnißmäßig wenig von Regenwürmern besuchten Terrasse einzusammeln und erhielt soviel, daß die Menge auf den Acre berechnet 7,56 Tonnen staubtrockener Masse ergeben würde. Aber Darwin beobachtete auch Terrains, bei denen sich dieses Quantum auf achtzehn Tonnen abschätzen ließ.

Für den Archäologen gewährt es ein nicht unbedeutendes Interesse, zu verfolgen, wie unter dieser gleichmäßigen Decke seiner Erde nicht nur die kleineren Steine, sondern auch allerlei verlorene Gegenstände: Münzen, Schmucksachen, Waffen. Werkzeuge aus Stein und Bronze, begraben und, sofern sie nicht zum Rosten neigen, auf diese Weise für die Nachwelt erhalten werden. In der That sind die Archäologen und prähistorischen Forscher in dieser Beziehung ebenso wie die Landwirthe den Würmern zu Dank verpflichtet und nicht weniger die Architekten, die ihnen die Erhaltung manches alten, mit Erde bedeckten Monumentes und namentlich vieler alten kunstvollen Steinfußböden verdanken. Die Regenwürmer durchbohren nicht nur die Erde, sondern selbst den Mörtel alter Bauten, wie wir zuweilen in unsern Kellern wahrnehmen können, und in verlassenen Bauten kommen sie allmählich aus allen Fugen der Böden empor und bedenken dieselben mehr und mehr mit ihren Auswürfen.

Von seinen Söhnen unterstützt, hat Darwin diesen Vorgang in vielen alten Abteien und an den wohlerhaltenen eleganten Steinfußböden neuentdeckter römischer Villen studirt. Die Regenwürmer bringen durch ihre Minirarbeit übrigens auch einzelne Mauern zum Sinken, wenn die Fundamente derselben nicht tief genug hinabgehen, wie man alle Tage an schlechtfundirten Gartenmauern sehen kann. Da die Regenwurmgänge in der Regel nicht über sechs, nur in seltenen Fällen bis auf acht Fuß hinabgehen, so sind gut fundamentirte Mauern vor ihrer Unterwühlung sicher, und darum zeigen Steinfußböden eine ungleiche, meist in der Mitte stärkere Senkung, weil die Regenwürmer den Boden in der Mitte am meisten, in der Nähe der Mauern weniger stark unterminirt haben. Da ihre Gänge meist fast senkrecht oder doch nur wenig schief hinabgehen, so sind größere Steinblöcke und Monumente einigermaßen vor ihrer unterminirenden und versenkenden Thätigkeit geschützt.

Zum Schluß müssen wir noch einen Blick aus die sehr wichtige geologische Wirksamkeit der Regenwürmer werfen, die sich in wenig von einander abweichenden Formen über alle Erdtheile verbreitet haben. Ihre losen Auswürfe bilden nämlich auf mit Vegetation bedeckten Flächen und unter feuchten Himmelsstrichen beinahe die einzige bewegliche Bodensubstanz, die zu kleinen Ballen zerkrümelt, von den herrschenden Winden verweht oder auf geneigten Flächen vom Regen beständig herniedergewaschen werden kann. Wenn auch nur ein kleiner Theil der eine Dicke von 0,2 Zoll erreichenden Schicht seiner Erde, die alljährlich in England diese Würmer an die Oberfläche bringen, von den Winden verweht und vom Regen abwärts gespult wird, so sieht man doch leicht ein, daß diese beständig dem Thale und durch die Wasserläufe dem Meere zugeführten Erdmassen im Laufe der Jahrhunderte sehr beträchtlich anwachsen müssen, und es ist keineswegs übertrieben, wenn Darwin sagt, daß die unser Auge durch ihre Weichheit entzückenden, abgerundeten Formen, welche Berg und Thal in fruchtbaren Landstrecken zeigen, zum guten Theile das Werk der Regenwürmer seien. Zugleich verhüten sie, indem sie die oberste Schicht locker und beweglich erhalten, eine allzugroße Ansammlung von Ackererde über dem natürlichen Felsenboden, und das ist insofern wichtig, als dadurch die Felsoberfläche beständig der Einwirkung der Humussäuren und der Erdwürmer zugänglich erhalten wird. Dadurch werden immer neue Massen des Felsbodens abgenagt und der Ackererde von unten her zugeführt, sodaß der Gehalt derselben an mineralischen Bestandteilen, den die Würmer außerdem durch Zerreiben der Steinfragmente in ihren Kröpfen erhöhen, beständig erneuert wird. So erheben sich diese verachteten Thiere trotz ihrer Kleinheit vor den Blicken des englischen Forschers zum Range höchst nützlicher Geschöpfe.

Carus Sterne.



  1. Die deutsche Ausgabe dieses Werkes, welches den Titel führt: „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer“, erscheint, von Professor Carus in Leipzig bearbeitet, binnen wenigen Wochen im Verlage von E. Koch in Stuttgart.