Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Kreml
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 509–510
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[509]

Der Kreml.


Der Kreml.


Die Krönungsfeierlichkeiten zu Moskau, der alten heiligen „Stolnitza“ (Hauptstadt) des großen Czarenreiches, ziehen seit Monaten schon die Aufmerksamkeit Europa’s auf sich, und die Correspondenten aller Zeitungen unterhalten uns, wie lange schon, von den gewaltigen Vorbereitungen zu dieser excellenten Haupt- und Staatsaktion. Unseren Lesern wird es daher nicht unerwünscht sein, daß wir eine Abbildung des Kreml bringen, des Schauplatzes jener Weltceremonie, welche dieser Tage vor sich geht.

Der Kreml ist eine große Feste, mitten in der Stadt Moskau und an dem Flusse Moskwa gelegen. Mehr als eine Stunde braucht man, um ihn zu umgehen; englische Gartenanlagen machen neuerer Zeit seine nächste Umgebung zu einer angenehmen Promenade. Aus letzterer hervor ragen nun die furchtbaren Mauern, was sage ich, Mauern, – die Gebirge des Kreml; denn diese weißen, ungleichen, zerrissenen Wände gleichen einer Kette von Bergen. Wenn der Riese, den man das russische Reich nennt, ein Herz hätte, so könnte man den Kreml das Herz dieses Ungethüms nennen. Der Anblick dieses Bauwunders, das eine ganze Stadt, eine Feenstadt zu umfassen scheint, ist mährchenhaft; man glaubt eine Landschaft von Stein zu erblicken. Das Terrain ist außerordentlich hügelig, die monströse Umfassungsmauer mit ihren phantastischen Thürmen, folgt mit außerordentlicher Kühnheit, große Stufen bildend, den Einschnitten des Bodens. Darüber hervor ragt nun ein Labyrinth von Palästen, Museen, Thürmen, Kirchen und Gefängnissen, welche diesen Lieblingsaufenthalt der alten moskowitischen Fürsten zum Kostbarsten des Landes und zum Nationalheiligthum machen.

Diese seltsamen Gebäude, ungeheuren Wälle, diese Menge von Spitzbögen, Gewölben, Thürmen, Zinnen, alle in Gold und den prächtigsten Regenbogenfarben erglänzend, Häuser wie riesige Blumenteppiche verziert, Thürme und Thürmchen, angeputzt wie festliche Figuren. Und nun diese ungeheure Größe aller Dinge, diese Massenhaftigkeit, die Risse in den Mauern! Das Bild gibt eine der originellsten und poetischesten Dekorationen in der Welt. Man vermag aber den Eindruck mit Worten nicht zu schildern.

Der Kreml auf seinem Hügel erscheint von Weitem wie eine Fürstenstadt, die mitten in einer Volksstadt gebaut ist. Dieses absolute Kastell, dieser stolze Steinhaufen überragt die Wohnungen der gemeinen Menschen mit der ganzen Höhe seines Felsens, seiner Mauern und Thürme, und je näher man dieser unzerstörlichen Masse kommt, diesem unvergänglichen Zeugen der erhabensten Wendungen der Weltgeschichte, dieser Endsäule der Siegeslaufbahn eines großen Napoleon, desto höher steigt die Bewunderung. Der Kreml zeugt, wie die Knochen gewisser Riesenthiere, von der Geschichte einer Welt, an der wir unwillkürlich noch zweifeln, selbst wenn wir die Trümmer derselben wiederfinden.

Doch wir dürfen uns nicht mit Schilderung des unvergleichlichen Eindrucks befassen, welchen der Kreml, diese Hinterlassenschaft der Fabelzeit, auf jeden Europäer hervorbringen muß, sondern gedenken den Leser mit der innern Oertlichkeit und den Gebäuden etwas vertraut zu machen, um sich bei Erzählung der Krönungsfeierlichkeiten darnach orientiren zu können.

Drei Haupteingänge führen zum Kreml, heilige Thore; das heiligste darunter ist das des Erlösers (spas worota), die Propyläen der moskowitischen Akropolis! Es führt, wie auch das Nikolaithor vom krassnoi ploschtschad (vom rothen Platze) aus in den Kreml, dessen Mauern ein großes Dreieck bilden. Innerhalb derselben liegen nun alle die interessantesten und historisch wichtigsten Gebäude Moskau’s, die heiligsten Kirchen der Stadt mit den Gräbern der alten Czaren, Patriarchen und Metropoliten, [510] bedeutende Ueberreste des alten Czarenpalastes, neuere Paläste der jetzigen Kaiser, berühmte Klöster, das Arsenal, das Senatsgebäude etc., Baudenkmäler aus allen Zeiten der russischen Geschichte; denn jeder russische Herrscher, von uralten Zeiten bis auf die jetzigen Kaiser, war beflissen, den Kreml mit irgend einem Monument zu schmücken. Uns interessiren in den Tagen der Kaiserkrönung unter den in malerischer Unordnung an unregelmäßigen Plätzen umherliegenden Gebäuden weniger das Arsenal oder das Senatsgebäude, oder die schätzereiche Orusheinaja Palata die Rüstkammer, in welcher sich zugleich eine Art dresdner grünen Gewölbes befindet, mit allen Kronen, Szeptern, Preciosen u. s. f., die jemals ein russischer Herrscher getragen und geführt, auch nicht der Maloi-Dworetz (das kleine Schloß), von Nikolaus I. zu seiner Wohnung erbaut, – weniger diese Gebäude interessiren uns, als die Ueberreste des alten Czarenpalastes, des Kreml: die Terema und die Granowitaja Palata, jenes Gynäceum (Frauenwohnung), dieser den Krönungssaal der Czaren enthaltend. Es sind zwei Flügel des von den Franzosen gänzlich zerstörten Haupttheiles des Palastes, an dessen Stelle jetzt, von Alexander erbaut, der Bolschoi (oder Alexanderski-)Dworetz (das große, oder Alexanders-Schloß) steht. Diesem großen Palaste zur Seite und mit ihm durch Treppen und Galerien in Verbindung gesetzt, liegen nun jene alten beiden Ueberreste. Das Terema ist wunderlich gebaut, terrassenförmig ziehen sich die Etagen nach oben zurück, so daß das oberste Stockwerk nur einen Pavillon bildet und das Ganze aussieht, wie ein aufgezogenes Perspektiv.

Ueberhaupt ist der Styl, in welchem die Gebäude des Kreml errichtet sind, unvergleichbar, namentlich die Kathedralen gleichen nichts Bekanntem. Sie sind nicht maurisch, nicht gothisch, nicht alt-, nicht neu-byzantinisch, sie erinnern nicht an die Alhambra, noch an die Bauwerke Egyptens, noch an die Griechenlands aus irgend einer Zeit, nicht an Indien, nicht an China, nicht an Rom. Ein geistreicher Franzose nennt es: Czaren-Architektur.

Die Granowitaja Palata ist ein kleines ebenfalls sonderbaches Gebäude, das, ganz würfelförmig gebaut, wie ein Kasten dem großen Bolschoi-Dworetz angehängt ist. Es hat seinen Namen, der ungefähr soviel als Eckenpalast bedeutet, von der unbedeutenden Zufälligkeit, daß die Steine der einen, nach dem Kathedralenplatze zugehenden Seite sämmtlich pyramidalisch zugespitzt sind.

Von dem Kathedralenplatze aus führt die sogenannte „rothe Treppe“ (krassnoje kruilzo) zur zweiten Etage diesen Gebäudes hinauf, die nichts weiter enthält als den alten Krönungssaal der Czaren und der jetzigen Kaiser. Diese Treppe, auf welcher der prachtvolle Krönungszug, wenn er aus der Kirche kommt, wo die Salbung vorgenommen wird, hinaufgeht, hat unten einen Thorweg und steigt in drei Hauptabsätzen an. Auf dem Geländer jedes Absatzes liegt ein pudelartiger Löwe, der sein Maul aufsperrt und tausend Zähne furchtbar fletschend zeigt, mehr aber Lachen als Schrecken einflößt. Von der Treppe gelangt man zu einem Vorzimmer, mit vielen Fresken bemalt, und von da aus, durch eine kleine niedrige Thür, die sich in der einen Ecke beinahe verkriecht, in den eigentlichen Thronsaal, der wie gesagt, die ganze obere Etage des kleinen Palastes einnimmt.

Der Saal ist sehr niedrig gewölbt, und die Gewölbe vereinigen sich in der Mitte, wo sie sich auf einen dicken viereckigen Pfeiler stützen, der im Centrum des Saales steht. Um diesen Pfeiler werden am Krönungstage auf mehreren Etageren allerlei silberne und goldene Kroninsignien zur Schau ausgestellt. Die Wände ringsumher waren seit der Krönung des vorigen Kaisers mit rothem Sammet ausgeschlagen und daraus zeigte sich in Goldstickerei abwechselnd ein russischer Adler mit Blitzen und ein N. I. (Nikolaus der Erste). Vergoldete Kandalaber theilten die Felder der Wand ringsum ab. Ueber den niedrigen Fenstern des Saales erblickte man die Wappen der verschiedenen russischen Gouvernements. Zur Linken der Eingangsthüre sind die amphitheatralisch aufgethürmten Sitze der Musikanten, in der diagonal gegenüberliegenden Ecke, unter einem rothsammetnen Baldachin, steht der kaiserliche Thron. Hier pflegt denn der Kaiser, seine Gemahlin zur Seite, zum ersten Male im vollen Ornate, angethan mit allen Insignien der Majestät, Platz zu nehmen und in der Mitte seiner Großen zu tafeln. Nikolaus speiste hier mit seiner Mutter, der Kaiserin Maria, und seiner Gemahlin, der Kaiserin Alexandra. Rechts vom Throne bis zu den Musikanten sitzt die „Duchowenstwo“ (Geistlichkeit) und links bis zur Eingangsthüre die „Dworästwo“ (der Adel), oder wie man in Moskau noch nach dem alten Style sagt: „die Bojaren.“

Dies ist der Schauplatz der Kaiserkrönung von Alters her. Wie ihn die diesmalige Festordnung umgestaltet haben wird, so wie alle Einzelnheiten der großen Feierlichkeit wird unser moskauer Correspondent nicht verfehlen zu Gunsten unserer Leser uns zu berichten. Dann treffen wir uns wieder im Kreml!