Der König des Humbug und der nordamerikanischen Republiken

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Titel: Der König des Humbug und der nordamerikanischen Republiken
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 110–112
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Phineas Taylor Barnum
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Der König des Humbug und der nordamerikanischen Republiken.

Barnum! Phineas Taylor Barnum, der ehemalige Kuhjunge und Schweinetreiber-Gehülfe, jetzt Millionär in Dollars, nicht gemeinen Thalern, hat seine glorreichste Heldenthat gethan, nämlich für ein Honorar von 100,000 Dollars ein Buch von 246 Seiten geschrieben, und zwar sein Leben, auf deutsch seine „Selbstbiographie“ unter dem anspruchslosen Titel: „Leben des P. T. Barnum. Geschrieben von ihm selbst.“ Das Büchlein ist schon als buchhändlerische Erscheinung das unerhörteste Ereigniß. Drei Tage nach der ersten Ankündigung, daß es erscheinen werde, waren in und der nächsten Nähe New-Yorks über 60,000 Exemplare bestellt worden. In England erschienen an einem Tage bei einem Verleger (Sampson Low, Sohn und Comp.) drei verschiedene Ausgaben, eine elegante, mittlere und wohlfeile (1 Schilling) und in einer Woche noch eine Menge Winkelausgaben, die alle weggingen, wie nichts vorher, so daß man nicht sagen kann, wie warme Semmel. Das Buch ist in den beiden freiesten Staaten der Welt das eigentliche literarische Ereigniß des Jahres. Wie wird uns gemüthlichen, soliden, gesinnungstüchtigen Deutschen bei diesem Triumphe des größten aller Schwindler zu Muthe? Können wir uns nicht auf den Markt stellen und beten: Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, wie dieser Amerikaner und Engländer, die den Schwindelkönig und sein Buch vergöttern, während die edelsten deutschen Dichter, Novellisten und Romanschreiber ihre schönsten Manuscripte nicht umsonst gedruckt bekommen können? Gemach, ich bin auch ein gemüthlicher Deutscher und ganz ohne Talent und Passion für Schwindel, und gönne dem amerikanischen König doch seine ganze Krone und die 100,000 Dollars Honorar für sein Buch und seine Million und seinen Palast Iranistan (Zransitan) und allen seien Ruhm. Barnum ist nicht blos ein großer, nicht blos der größte Schwindler, sondern auch der größte Betrüger. Nun ist aber das Sprüchwort bekannt, daß die Welt betrogen sein will. Eine gewisse Sorte von Betrug gehört zu dem Willen, d. h. zum Himmelreiche der Menschheit. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, seine Freiheit; Betrug ist Freiheit.

Das Geheimniß der ganzen Million Barnum’s liegt in seinem herrlichen Talente, die Welt so zu betrügen, wie sie betrogen sein wollte. Dieser Beweis ist auch ein Schwindel, aber ein anständiger, ein nobler, für welchen uns keine Polizei etwas anhaben kann, ein Schwindel, für den man kein besonderes Wort hat, das unübersetzbare englische Humbug. Humbug ist Schwindel, wie man ihn will, Betrug, der als komischer Selbstbetrug Trommelwirbel auf unserm eigenen Zwerchfell schlägt, wenn wir dahinter kommen, wie dumm wir waren, als wir uns selbst betrogen, und wie genial der Mann, der mit uns diesen „Humbug“ trieb. Der Mann rüttelt uns auf, er macht uns zu lachen, er macht uns frei. Humbug, gut, es sei Humbug, aber etwas muß man doch sagen, um sich die 100,000 Dollars für ein gewöhnliches Octavbändchen, um sich die Hunderttausende abgesetzter Exemplare, um sich die Million Barnum’s, um sich das Drängen der ehrlichsten, hochgestelltesten, solidesten Herrschaften um ihn zu erklären. Warum steckt man ihn nicht lieber ein? O, ihr sagt, weil er eine Million hat. Nun, er hatte bis hoch in seine Zwanziger gar nichts, und doch schon von Kindesbeinen an immer geschwindelt. Warum steckte man ihn nicht früher ein? Weil Niemand jemals umhin konnte, ihn lieber auf die Schulter zu klopfen und unser heller Lache auszurufen: ein prächtiger Junge! Ein allerliebster Vocativus! Unter seinen Jugendfreunden zeichnete sich besonders John Haight aus, der einmal für hundert Dollar Ochsenhörner für einen Kammmacher stahl. Als der Dieb ertappt war, klopfte ihm selbst der Richter ganz glücklich auf die Backe und sagte:

„Famoser Junge!“

Der Kammmacher hatte ihn nämlich bei Seite genommen und gesagt:

„John, du bist ein Genie, stiehl mir aus dem großen Ochsenhörnerwaarenlager Hörner, daß ich Kämme daraus mache. Ich bezahle Dir für jedes einen Schilling.“

„Gut,“ sagte John, „danke für den geehrten Auftrag: woll’n wir besorgen.“

Und so stahl er für den Kammmacher jede Nacht eine hübsche Portion Hörner, für hundert Dollars Hörner à Stück einen Schilling, also eine gehörige Portion, stahl so lange, ohne sich fassen zu lassen, bis der Kammmacher endlich merkte, daß John die Hörner immer aus dessen eigenem Waarenlager hinten geholt und sie vorn ihm verkauft hatte. Als solider Bürger muß man sagen, das war ein niederträchtiger Betrug, aber dem Kammmacher schon ganz recht, setzen wir mit amerikanischem Leichtsinn hinzu, warum wollte er den Jungen zum Diebe machen? Solchen Betrug lieben wir, so solid wir auch sonst denken mögen. Das ist Barnum aus der Freundschaft. Barnum selbst ward in einer Schenke ungemein oft gequält, er solle doch einmal auf etwas wetten. Der Quäler war ein Kerl, der sich, wie diese in Amerika förmlich feiner Ton ist, ungemein viel darauf einbildete, die Leute am Besten „humbugen“ zu können. Barnum sucht ihm lange auszuweichen, da er den Meister in ihm erkenne. Ach was, sagt der Meister, es ist nur Geiz oder Feigheit. Und dabei geht er immer so fein, der Barnum, und, ich möchte fünf Flaschen Champagner darauf wetten, daß er kein ganzes Hemde auf dem Rücken hat. Da ist nichts zu wetten, sagt Barnum, denn ich weiß, daß mein Hemd ganz ist. Und ich wette fünf, nein, ich wette zehn Flaschen Champagner, daß Sie kein ganzes Hemd auf dem Rücken haben. Barnum versichert, daß seine Leibwäsche ganz gut im Stande sei. Zerrissen! Fetzen! Schein! Renommisterei, schreit der Meister. Barnum ärgerlich, nimmt endlich die Wette an und fängt an, die Weste aufzuknöpfen (Bitte um Entschuldigung, meine Damen, aber Sie können getrost hier bleiben). Nun bemühen Sie sich nur weiter nicht, schreit der Meister triumphirend, denn Jeder weiß, daß Sie nicht ein ganzes Hemd blos auf dem Rücken haben. Die ganze Gesellschaft überschüttet den gehumbugten Barnum mit Hohngelächter, während er langsam und bedächtig ein ganzes, fein-geglättetes und sauber zusammengelegtes Hemd just von seinem Rücken hervorzieht.

Ich bin ein großer Verehrer des schlechten Witzes, wenn er nämlich gut ist, und so gestehe ich offen, daß ich dem Barnum wegen dieses einzigen Hemdes die Hälfte seiner Million gönne. Für die andere Hälte steht in dem Buche so viel blühender Humbug, daß ihm anständiger Weise Niemand etwas abhandeln kann. Es ist Alles höherer, liebenswürdiger Humbug, Humbug für den das Volk noch Entree bezahlt, um zu erfahren, wie es gehumbugt ward und dann in ein dreimaliges Hoch! ausjubelt.

Barnum ist das freie, in seiner Freiheit übermüthig und lebenslustig-schalkhaft sprudelnde Amerika, das wahrhafte Volksleben Amerikas, wo nichts über einen „praktische Jok“ (practical joke) geht. Es ist Spiritus, Wein, Bier und Branntwein der wassertrinkenden Amerikaner. Wo man hinsieht, Alles foppt, neckt, humbugt sich gegenseitig, und in dem Augenblicke, wenn der Blitz der Einsicht durch den Gefoppten zuckt, lacht Alles gesund auf und der Gefoppte macht dem Meister, sich über sich selbst herauslachend, freudig sein Compliment. Es sind Alles „gesunde Jungen,“ lauter Schwindel, nichts als Humbug, aber frische, flüssige, stets frisch zugreifende und so ehrliche Leute, daß Barnum ein gutes Geschäft machte, als der endlich einmal einen auf dem Jahrmarkte ertappten Taschendieb (einen gebornen Engländer) hinter einen Vorhang stellt und für Geld sehen ließ. Ausstellen, für Geld zeigen, war das eigentliche Pathos, die Profession des Genius Barnum. Er hat in seinem Leben alle Curiositäten der Erde ausgestellt, und was nicht Curiosität war war, machte der dazu als großer Dichter und Künstler. Zuletzt hat er sich bekanntlich für 100,000 Dollars selbst als die größte seiner Curiositäten ausgestellt und zwar mit seltener Ehrlichkeit und Meisterschaft, freilich auch mit „Humbug,“ aber so, daß ich das Buch, wenn ich Arzt wäre, gegen die hartnäckigsten Fälle der Hypochondrie verschreiben würde.

Der Humbug-König wird uns Deutschen noch lange unübersetzbar bleiben, wie der Humbug selbst. Er ist eine allerliebste Schmarotzerpflanze der Freiheit. Wo Jeder handthieren, denken und thun kann, was er will, treibt das Leben Blumen und Früchte, die unter der Sonne der Polizei und des Gewerberathes sich niemals nur mit eiem Blatte hervorwagen, so daß die Lebensbäume hübsch rein bleiben. Botaniker wissen aber, daß die wunderbarsten und schönsten Blumenlaunen der Natur, die Orchideen, [111] Schmarotzerpflanzen sind. Unser Humbug, unser Schwindel ist gemein, criminalistisch und reißt aus oder wird eingesteckt, der amerikanische ist Freiheitsübermuth, freie Kunst, Poesie und führt zur Million, auf der Menschheit Höhe, auf welchen bei uns blos Könige stehen. Barnum wurde viel betrogen, auch von einem deutschen Kompagnon, aber nie in seinem buntscheckigen Vagabundenleben kam jemals nur ein Gedanke an Betrug vor, wie ihn die Welt nicht haben will. Sein Leben ist reich an großen, edeln, humanen Zügen, an Generosität, an Beispielen, wie er Tausende von Dollars zur Thür hinauswirft, weil ihm die Annahme derselben gemein erscheint. Bekanntlich hatte er Jenny Lind für Amerika mit 800 Dollars für jedes Concert engagirt. In Havannah wurde Jenny Lind mit Zischen empfangen, weil den spanischen Granden das Entree zu hoch war. Sie endete mit einem südlich-glühenden Triumphe, und die Caballeros baten um mehr Concerte. Barnum wies die Herren ab. Ein Graf bot 25,000 Dollars. „Ganz Cuba hat nicht Geld genug, um meine Einwilligung zu erkaufen,“ sagt Barnum und weist den stolzen Spanier wieder ab. Das erste Concert der Jenny Lind fiel so erstaunlich glänzend aus, daß Barnum den Contract brach und ihr sofort für jedes Concert 1000 Dollars bot, statt der contractlich ausgemachten 800. Es war freilich nicht sein Schade, denn er verdiente dabei immer noch 535,486 Dollars, nachdem er der Sängerin 176,675 Dollars und alle Kosten ihrer glänzenden Unterhaltung und Reisen bezahlt hatte. Ein Wunder! Aber kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die Billets verauctionirt und bis 225 Dollars pro Stück gekauft wurden.

„Ist Niemand hier, der so gefällig sein will, mich tüchtig durchzupeitschen?“ fragte zwar ein Mann, der bei einer solchen Auction auch zu hoch gegangen war, aber was half’s? Gegen Epidemien giebt’s keinen Schutz. Und der von Barnum meisterhaft präparirte Lind-Schwindel war eine Epidemie, welche ganze Städte dahinraffte.

„Da ist das Verdienst eines halben Monats,“ rief ein Fabrikmädchen, als sie das Billet zum Concert hingab.

Jenny Lind erfuhr dies zufällig, und schickte ihr einen goldenen Doppeladler (20 Thaler), wie sie denn überhaupt während ihrer 95 amerikanischen Concerte noch etwa 100,000 Thaler für Arme sang. Rührend ist die Geschichte von dem blinden Knaben, der nur von und für Musik lebte, und Meilen weit hergekommen war, um die Lind zu hören. Sie hörte davon und überschüttete ihn mit Zärtlichkeiten und Belohnungen.

Die Fackelzüge, die Vergötterungen, die Hunderte Equipagen vor ihrer Thür waren ihr zuwider und wies sie nicht selten ab. Aber den armen Vivalla und seinen Hund nahm sie an. Das ist eine rührende Idylle. Er hatte dem als Kunstreiter-Director herumziehenden Barnum früher als berühmter balancirender Teller-Dreher gedient. In der Concertzeit mit Jenny Lind fand er ihn nach vielen Jahren in Havannah wieder, abgerissen, auf der linken Seite vom Schlage gerührt, verstoßen von Allen, nur nicht von seinem Hunde, der noch sein Möglichstes that, ihn durch seine Kunststücke und Spinnen zu ernähren. Jenny Lind schickte ihm 500 Dollars von einem ihrer Wohlthätigkeits-Concerte, von dessen Ertrage 4000 Dollars an zwei Hospitale vertheilt wurden. Die Priester und Kinder derselben kamen dafür den folgenden Morgen mit Bannern und Fahnen in prächtiger Procession, zu danken. Sie ließ die Procession rund abweisen. Kurz darauf klingelt der arme Italiener, mit einem Körbchen gewählter Früchte und Thränen, daß er nun die Seinigen in der Heimath wieder sehen werde. Und wenn sie doch erlauben wollte, ihr seinen einzigen Freund zu zeigen – den Hund. Ach, er kann so wunderschön spinnen. Vielleicht freut sich die gute Dame, und dann habe ich ihr doch auch etwas gegeben.

„O, laßt den Mann kommen,“ ruft sie lebhaft, „er soll den Hund mitbringen. Armer Kerl, es wird ihn so glücklich machen!“

Vivalla wird zu einer bestimmten Stunde bestellt. Eine volle halbe Stunde vorher sitzt Jenny Lind am Fenster und wartet. Wie sie ihn ankommen sah, springt sie hinunter und öffnet ihm die Thüre selbst.

„O, das ist sehr schön von Ihnen, daß Sie kommen und den Hund mitbringen. Folgen Sie mir. Ich will das Spinnrad tragen, und so nimmt sie das Spinnrad und führt den glücklichen invaliden Balancir-Teller-Dreher in ihr Putzzimmer, ruft ihre Umgebung zusammen und läßt den Hund spinnen und Kunststücke machen, die er diesmal mit seltener Präcision ausführt. Jenny kniet nieder, nimmt den vierbeinigen Kollegen auf den Schooß und liebkost ihn mit freudigster Herzlichkeit. Der Hund ist ganz glücklich und versucht ihr alle Augenblicke in’s Gesicht zu lecken. Vivalla steht daneben mit der Mütze in der einen Hand und mit der andern die Freudenthränen abwischend, während er mit dem Munde von einem Ohr bis zum andern lacht. Nun singt sie für ihn und spielt für ihn und fragt nach seinen Lieben in der weiten Heimath und nötigt ihn, Erfrischungen zu nehmen, die er kaum dem Namen nach kennt und trägt ihm dann das Spinnrad wieder hinunter und schickt’s ihm nach mit einem Bedienten und giebt ihm die Hand und dem spinnenden Künstler einen allerliebsten Patsch auf den klugen Kopf.

„Armer Vivalla!“ setzt Barnum hinzu. Wahrscheinlich war er nie in seinem Leben so glücklich gewesen, aber seine Freude war nicht größer, als die von Jenny Lind. Diese Scene allein würde mich für alle meine Mühen während der musikalischen Campagne belohnt haben.

Das ist kein Humbug. Das verstehen wir gemüthlichen Deutschen vollkommen. Es war dem Schwindel-König hier um’s Herz, wie so oft in seinem Buche, und er hat es gefühlt und sehr hübsch in Holz schneiden lassen.

Das Buch Barnum ist nicht arm an treu-menschlichen und humanen Zügen, aber reich an That, Witz und Abenteuer der originellsten Art und als solches schon allein eine der lebenslustigsten Bereicherungen aller komischen Literatur. Als solches ist es ein Schatz, gleichviel ob wir Barnum als unmoralischen Glücksritter über die Achsel ansehen oder in ihm den Menschen und Millionär verehren,

Phineas Taylor Barnum ward gleich nach dem großen amerikanischen Freiheitsfeste, am 5. Juli 1810, dem Capitain, Schneider, Schenkwirth, Dorfrichter und Spaßvogel Ephraim Barnum in Bethel als Enkel und dem Sohne desselben, Philo, als Sohn geboren. Er hatte vierzehn Tanten und Onkels, lauter Spaßvögel. Unter ihnen und listigen, lustigen Jugendgespielen wuchs er auf, Kühe hütend, Holz tragend, pflügend, Heu, aber noch viel lieber Humbug machend. Bald, d. h. schon vor dem zwölften Jahre, handelte er Sonntags mit Näschereien und half im zwölften Jahre Schweine nach New-York treiben. Sein Vater legte auch einen Kramladen an, worin er Bursche und Diener ward. Hier kauften die Leute oft für Waaren. Zucker für ein Paar Felle, Kaffee für Käse, wobei es Grundsatz war, falsche oder zu wenig Waare für falsche und zu wenig zu geben, so daß der gegenseitige Betrug sich aufhob und gleich Ehrlichkeit war. Man hätte von beiden Seiten direkt ehrlich sein können, aber das war zu nüchtern ohne Spaß und Humor im Geschäft. Auf dem Lande in Amerika ziehen große Heerden von „Hausirern“ mit Einspännern herum, die Tauschhandel treiben. So hält auch einmal einer vor Barnum’s Laden an und bietet Streichriemen an.

„Wie viel soll einer kosten?“ fragt Barnum, der Großvater.

„Ein Dollar per Stück,“ antwortet der wandernde Kaufmann.

Großvater: „Ein Dollar? Ich wette, die werden für die Hälfte, 50 Cents, verkauft, ehe das Jahr herum ist.“

Kaufmann: „Wenn das der Fall sein sollte, schenke ich Ihnen einen Streichriemen.“

Großvater: „Gut, unter dieser Bedingung kauf’ ich einen. Die Wette gilt?“

Kaufmann: „Versteht sich, ein Wort, ein Mann!“

Großvater: „Na denn mal her mit ’nen Streichriemen für’n Dollar.“

Er nimmt den Streichriemen, steckt ihn in die Tasche, besinnt sich aber, zieht ihn heraus und sagt zu seinem Nachbar mit dem gottlosesten Angenzwickern:

„Ben, ich brauche eigentlich den Streichriemen gar nicht. Was giebst Du mir dafür?“

„I nu,“ sagt Ben, 50 Cents, weil Sie’s sind.“

„Na denn fort mit Schaden.“ sagt der Großvater und giebt ihn für 50 Cents und guckt den Streichriemen-Trödler so aufgeklärt an, daß diesem sofort ein Seifensieder aufgeht.

„Schon gut,“ sagt der Gehumbugte, „was hab’ ich zu bezahlen?“

„Halt uns frei, mein Junge, und gestehe, daß wir Witz haben.“

„Ich gestehe nichts und halte Niemanden frei, aber hier ist ein Streichriemen für Euern Witz.“

[112] So giebt er den zweiten Streichriemen umsonst und die ganze Gesellschaft lacht laut auf.

„Nicht wahr, scharfe Kerle hier in Bethel?“

„O ja, leidlich,“ sagt der Gefoppte, „aber diesmal sehr leidlich. Ich habe immer noch 75 Cents bei dem Schwindel verdient. Mir kostet jeder Streichriemen 121/2 Cent: einen verkauft’ ich für einen Dollar, den andern für’n Humbug, macht 75 Cents Profit.“

Er hätte zwei Streichriemen à 50 Cents per Stück verkaufen können mit demselben Profite, aber wo blieb dann der Humor und Humbug davon? Die Amerikaner wollen nicht blos handeln, sondern auch ihren Spaß dabei haben, und so bezahlen sie lieber den einen Streichriemen doppelt, um den andern umsonst für einen Spaß zu gewinnen. Das ist ein Beispiel für ein ganzes Museum voll in dem Buche Barnum.

Bald war dem Humbug-König diese kleine Schule zu eng. Er etablirte sich selbst Humbugereien, machte Verloosungen, Lotterien ohne Nieten, wobei außer ihm, Alle verloren, ward Lotterie-Agent für große Geschäfte der Art, Diener in einem Rosinenladen zu New-York, führte dann ein eigenes Kramgeschäft in Bethel, spielte in einem Prozesse den Vertheidiger, gründete und redigirte gegen die damals furchtbar wüthende Sucht der Priester, die Kirche über den Staat zu stellen, eine Zeitung (Herald of Freedom), ward eingesteckt und mit Pauken, Trompeten, Fahnen und Flaggen, Equipagen und Volksversammlungen aus dem Gefängnisse in die Freiheit geführt (12. December 1832), zog 1834 mit Familie nach New-York, nährte sich kümmerlich von Brocken verschiedener Geschäfte, kaufte die angebliche Amme des Befreiers von Amerika, George Washington’s, die angeblich 161 Jahr alte Negersklavin Irice Heth und ließ sie für durchschnittlich 1500 Dollars Entree wöchentlich sehen (eins der besten Barnum-Capitel), ließ den Balancirkünstler Vivalla (den er engagirt, weil er sah, daß „Geld“ in dem Manne stecke), spielen, und zog dann lange mit einer Kunstreitergesellschaft umher, bis er selbst Direktor einer solchen ward. Manchmal war er auch ganz abgebrannt und allein. In solchen Fällen nährte er sich als Taschenspieler. Auch predigte er eines Sonntags, um Abends als gefärbter Negersänger auf dem Theater Lorbeeren zu erwerben (der ungefärbte war davongelaufen und das Publikum auf die Gesänge desselben besonders eingeladen worden). Später machte er in New-York wieder mit einem deutschen Compagnon, Proler, in Eau de Cologne, Bären-Pomade, Stiefelwichse und wasserdichtem Kleister, wurde aber von unserm biedern Landsmanne um all sein Geld betrogen. Er engagierte sich wieder Künstler und vermiethete sie an Theater, sehnte sich aber endlich nach soliderem Einkommen, obgleich er stets seiner Abneigung gegen bestimmte Arbeit mit fixem Gehalt folgte. Er handelte stets als der Genius freier Spekulation. Er schrieb inzwischen für Zeitungen, durch die er seine Ernten so golden zu machen verstand. Das Geheimniß seiner Million liegt hauptsächlich in seiner genialen Benutzung der Macht des Anzeigens in den Zeitungen. Endlich 1841 kaufte er sich – ohne einen Pfenning Geld – das amerikanische Raritäten-Museum in New-York für 12,000 Dollars, alle Concurrenten, die Geld hatten, todt machend. Er bezahlte pünktlich aus dem Ertrages des Museums und vergrößerte es während seiner weltfamosen Direktion auf mehr als 500,000 Sehenswürdigkeiten, unter denen das zusammengeflickte Meerwunder, halb Affe, halb Fisch, als der größte Humbug am Berühmtesten ward. Das Museum hatte in den drei letzten Jahren vor Barnum (1839–41) 33,811, in den ersten drei Jahren Barnum’s (1842–44) 100,429 Dollars eingebracht, 1853 stieg der Ertrag auf 136,250 Dollars, in dem einen Jahre mehr, als vor ihm in sechs Jahren. Nächstdem ist sein General-Tom-Thumb-Humbug die eigentliche Weltberühmtheit, der kosmopolitische Humbug, dem der ganze Adel Englands, die Königin an der Spitze, sich freudig beugte, eben so Louis Philippe, der König von Belgien, der Kaiser Nikolaus und alle Großen der Erde. Barnum’s europäische Tom-Thumb-Tour ist der welthistorisch strahlende Beweis, wie die Welt betrogen sein will. Als er mit dem kleinen gemietheten Jungen ankam, rieth man ihm, ihn für 1 Penny Entree, dem üblichen Preise für Zwerge, sehen zu lassen. Er nahm aber vom 20. März bis 20. Juli 1843 in London durchschnittlich täglich 700 Thaler ein und machte dabei noch Privatvisiten bei allen Großen des Landes, bei der Königin dreimal, für 10 Guineen, 70 Thaler, per Stück. Er wußte dem Penny-Zwerg den nöthigen Schein zu geben, wie ihn die Welt gegen baar einzulösen liebt. Nächstdem ist das Jenny-Lind-Engagement mit mehr als einer Million Thaltern Einnahme das interessanteste Capitel im Buche Barnum.

Er wohnt jetzt in seinem Schlosse Iranistan, Mittelpunkt von unzähligen fixirten und wandernden Ausstellungen und Unternehmungen und schließt sein Werk mit den goldenen Regeln für den Erfolg aller geschäftlichen Unternehmungen:

1) Wähle das Geschäft, das Deinen natürlichen Neigungen und Anlagen am Besten entspricht (kaufe Alles und bleib beim Besten, ist in Amerika Geschäftsstyl, so daß unter völliger Gewerbefreiheit die Leute oft ein halbes Leben lang unglücklich versuchen, um das rechte Geschäft zu finden, und dann plötzlich reich werden).
2) Dein gegebenes Wort sei Dir stes heilig (Barnum ist Muster davon).
3) Alles was Du thust, thue mit ganzer Lust und Kraft.
4) Und zersplittere nie Deine Kraft.
5) Trink keine Art von Spirituosen (Barnum ist beiläufig jetzt leidenschaftlicher Apostel Absoluter Enthaltsamkeit von spirituosen Getränken).
6) Hoffe, ohne Dich Visionen hinzugeben.
7) Strebe nach guten Agenten und Dienern.
8) Zeige an in den Zeitungen (hierin war Barnum das größte Genie).
9) Lebe stets bedeutend unterhalb Deiner Mittel.
10) Verlaß Dich nicht auf Andere. Jeder muß seines Glückes Schmied sein. Halte diese zehn Gebote streng und Du wirst in ältern Tagen mit Familie, Kindern und Kindeskindern glücklich leben und sterben.

Das klingt ganz wie Benjamin Franklin, der in der That auch an Barnum erinnert, nur daß er nie so lustig, wenn auch so listig war.