Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Friedrich
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Heimgang eines Dichters
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 498–500
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[498]
Der Heimgang eines Dichters.


Fritz Reuter ist todt! In vielen Tausend Herzen haben diese Worte einen schmerzvollen Widerhall gefunden; von Mund zu Mund ging die Trauerbotschaft und manches Auge hat sich mit Thränen gefüllt bei dieser Kunde. Er ist todt der Mann, der dem deutschen Volke ein so reiches Erbe in seinen Werken hinterlassen hat; sein treues, gutes Auge leuchtet seinen Freunden nicht mehr; sein Herz, das so reich an Liebe war, welches für alles Gute und Edle so warm schlug, steht still für immer – er ist heimgegangen, der Dichter, der an Gaben so reich begnadet war.

Ich will in diesen Zeilen nicht Reuter’s Verdienste würdigen, denn sie liegen in seinen Werken unantastbar versiegelt; ich will den Heimgang eines echten deutschen Dichters schildern, der mit jedem Gedanken, mit jedem Pulsschlage seines braven Herzens fest in seinem Volke wurzelte; ich will dem Freunde, dessen Hand so lieb und innig zu drücken verstand, einen letzten Gruß zurufen.

Die Stelle, welche Reuter in der deutschen Literatur einnimmt, ist ihm freudig von allen Denen eingeräumt, welche den Klang seiner Sprache verstehen – seine Werke sind liebe Freunde geworden in Palast und Hütte; der Volkesmund hat aus ihnen geschöpft. Seine Gestalten haben Fleisch und Blut gewonnen; sie leben fort und werden noch oft bald schalkhaft, bald wehmüthig lächelnd, an uns herantreten, als wüßten sie, wie lieb wir sie gewonnen haben.

Fritz Reuter ist todt! Noch vermag ich den Gedanken kaum zu fassen, und es ist mir, als müßte ich zu ihm eilen auf die Terrasse in seinem Garten, wo er, seit Ostern schon an einem Herzübel leidend, den schönen Frühling und die Blumenpracht des Sommers in seinem Rollstuhle begrüßte, da zu gehen ihm nicht mehr gestattet war. Wie warm drückte er die Hand, wie lieb blickte sein Auge, wie durchzuckte mich die ganze Fülle seiner Herzensgüte, wenn seine Hand mir schmeichelnd durch den Bart hinstrich und seine Lippen so freundlich sagten: „Mein lieber alter Fritze!“ Noch hatte sein Geist trotz seines Leidens seine volle Frische bewahrt. Er nahm an Allem das regste Interesse; er scherzte und lachte.

Dort saß er unter den schattenden Zweigen einer Eiche, in einer kleinen Grotte, welche sein treuer Diener und Gärtner Möller in den Felsen gemeißelt, um den Kranken gegen Wind und Zug zu schützen. Frei glitt von dort sein Auge hin in das stille und liebliche Johannisthal, und wenn dann auf der nahen, zur Wartburg hinführenden Chaussee Fremde hinwanderten und dem Dichter durch Schwenken der Hüte und Wehen mit Tüchern einen Gruß zuriefen, dann glänzten seine Augen und mit rührender Bescheidenheit sprach er noch leise: „Die guten Menschen!“

Von der Eiche, die ihm den Schatten gab, waren bei dem Aushauen der Grotte zwei kräftige Wurzeln abgeschnitten und mehr als einmal sagte er: „Die Wurzeln sehen mich wie zwei Augen an. Wenn ich hingehe, wird auch die Eiche hingehen.“ Die Eiche stand noch wenige Tage vor seinem Tode in vollem, frischem Grün, und heute, an dem Tage, an dem er in die Erde gebettet ist, färben sich ihre Blätter, und halb vertrocknet steht sie da, als wollte sie keinem Menschen weiter Schatten geben.

Die Gefahr seines Leidens kannte er nicht, obschon sie seiner treuen und so innig geliebten Gattin nicht verborgen war. Monatelang wechselte sein Zustand. Seine kräftige Natur schien sich immer wieder durchringen zu wollen; die Hoffnung auf Genesung keimte wieder empor, und nur, wenn er die Hand seiner Gattin erfaßte und mit seiner weichen Stimme sagte: „Meine liebe [499] Luising“, dann schimmerte wohl das Gefühl der Bangigkeit aus seinen Augen, daß er von der getrennt werden könne, mit der sein ganzes Leben, sein Denken und Fühlen so innig verbunden war, die ihm in trüben und guten Stunden treu und lieb zur Seite gestanden, die ihn gepflegt und gehütet, wie nur eine Mutter ihr Kind hüten kann. Täglich kam sein treuer und tüchtiger Arzt, Dr. Wedemann zu ihm, und wenn derselbe auch das mehr und mehr dahinschwindende Leben nicht aufzuhalten vermochte, da trotz aller Bemühungen der seit Monaten fehlende Appetit nicht wiederkehren wollte, so brachte er ihm doch jedesmal Beruhigung und neue Hoffnung mit.

Noch war es ihm vergönnt, seine Lieblinge, die auf der Terrasse stehenden schönen Rosen, blühen zu sehen; noch freute er sich über die prachtvoll blühende Glycinia chinensis, die seit Jahren nicht eine so reiche Blüthenfülle gezeigt hatte, und noch sah er die prächtig blaue Blume der Clematis Bachmanni, die an dem Balcon seiner Villa sich emporrankt.

Am Donnerstag Morgen, drei Tage vor seinem Tode, ließ er sich zum letzten Male in seinem Rollstuhle auf die Terrasse fahren, dann legte er sich nieder um auszuruhen – er sollte sein Bett nicht wieder verlassen. Die heißen und schwülen Tage hatten seinen Zustand verschlimmert, aber noch am Freitage und Sonnabend war keine ernstliche Besorgniß für sein Leben vorhanden, denn ähnliche Tage, an denen er während seiner Krankheit an das Bett gefesselt war, waren öfter vorgekommen. In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntage und vor Allem am Sonntage selbst nahm sein Leiden schnell zu, und nur zu bald war die Hoffnung abgeschnitten.

An Pflege fehlte es dem Kranken nicht – was Menschenmacht zu leisten vermochte, ist geschehen; seine Gattin wich nicht von seiner Seite. Die Diaconissin, Schwester Telesphora, unterstützte sie in ihrer stillen und bescheidenen Weise auf das Beste. Dr. Wedemann war fast unablässig bei dem Kranken und Reuter’s langjähriger Freund, der Gerichtsrath Fischer, gab ihm den Freundeszuspruch.

Die Herzensthätigkeit des Kranken wurde schwächer und schwächer. Seine Leiden waren erträglich, nur wenige Male, wenn die Brust nach Athem rang, drängten sich die leisen Klageworte:„Mein Gott!“ über seine Lippen. Sein Geist war noch immer klar und frisch, obschon das Gefühl des nahen Todes ihn erfaßt hatte. Als er seine Gattin fragte, wohin sie ihn nach seinem Tode bringen lassen werde, und sie ihm erwiderte, in ihr Zimmer, welches wie ein Heiligthum geschmückt und mit Andenken von ihm und an ihn erfüllt ist, da ergriff er tiefbewegt ihre Hand und rief: „meine Luising, das wolltest Du thun!“

Allmählich ging sein Geist in einen halbträumenden Zustand über, aus dem er dann und wann wieder zu voller Klarheit erwachte. Die beste und unvergeßliche Gestalt seiner Werke, der Inspector Bräsig, schien wie zum Abschiede vor ihm aufzutauchen, denn mit geschlossenen Augen daliegend sprach er leise: „Da bin ich Dich über!“ dieselben Worte, welche Bräsig zu Habermann spricht. Und als er dann nach einiger Zeit leise, halb fragend rief: „Gedenken, gedenken?“ und seine Lebensgefährtin schluchzend seine Hand küßte und rief: „Ja, immer in Liebe und mit Dank!“ da öffneten sich seine Augen und ruhten still auf der Gefährtin.

Der Abend nahte. Das Herz wurde schwächer und schwächer. Als der Arzt wieder zu ihm in’s Zimmer trat, sprach er: „Herr Doctor, ein schwerer, schwerer Kranker!“ Er fühlte das Nahen des Todes. „Friede, Friede, Friede!“ rief er nach einiger Zeit, als wollte er noch einmal der Welt das als Vermächtniß zurufen, was er stets gewünscht, als empfände er, daß auch auf ihn der Friede sich herabsenkte nach einem Leben, das so reich an Kampf, an Schmerzen und auch an Freuden gewesen war.

Schwerer und schwerer athmete seine Brust; die Müdigkeit des ewigen Schlafes legte sich auf seine Augen. Den Kopf etwas zur Seite wendend, sprach er: „Luising, lulle mich in Schlaf!“ Es waren seine letzten Worte. Nach kurzer Frist hatte sein Herz zu schlagen aufgehört – am Sonntag den 12. Juli, Nachmittags fünf und ein halb Uhr.

So war der Heimgang eines Dichters, der in den Herzen von vielen Tausenden für immer leben wird. Draußen im Garten dufteten die Rosen und weißen Lilien, und die Clematis an dem Balcon ließ wie zur Trauer ihre Hunderte von Blüthen niederhängen. Die Stille des Todes war eingekehrt in das Haus, welches der Geschiedene sich vor noch nicht zehn Jahren so schön erbaut, in welchem sein Mund so manches heitere Wort gesprochen, in dem er so manchem Freunde die Hand gedrückt.

Um acht Uhr trugen wir den Todten aus seinem Schlafzimmer, in welchem er geschieden war, in das Zimmer seiner Gattin, um ihn dort niederzulegen, wie sie ihm versprochen hatte. Keine fremde Hand rührte ihn an. Dr. Wedemann, der Gärtner, die Schwester Telesphora und ich, wir trugen ihn, und als wir ihn dort halb zwischen Blattpflanzen und Blumen auf das letzte Lager gebettet, drängte sich uns unwillkürlich die Frage auf: ist er wirklich todt oder schläft er nur? So still und friedlich lag er da, der Tod hatte keinen seiner Züge verzerrt; kein starrer Ausdruck lag auf dem Gesichte – ein Hauch der Verklärung und der Poesie war über das liebe Gesicht ausgegossen.

Fritz Reuter ist todt! Diese Trauerkunde trug der Telegraph noch an demselben Abende fast durch ganz Deutschland hin, und schon am folgenden Morgen brachte er von allen Seiten die Beweise zurück, wie viel Liebe und Verehrung der Geschiedene genossen. Der Großherzog von Weimar, sowie die Großherzogin und deren Töchter, welche Reuter so manchen Beweis ihrer Liebe gegeben, gehörten mit zu den Ersten, welche durch den Telegraphen ihren Schmerz und ihre Theilnahme aussprachen. Und so ging es fort, Stunde um Stunde, während wir mit der tiefgebeugten Gattin des Todten zum neuen Friedhofe der Stadt Eisenach hinausfuhren, um für den Geschiedenen einen stillen und ruhigen Fleck Erde zur letzten Wohnung auszusuchen. Und wir fanden ihn. Nicht in Reihe und Glied mit den übrigen Todten, denn auch im Leben war er nicht in Reihe und Glied mit den Menschen gegangen, sondern er hatte zu ihren Geistesführern gehört im besten und edelsten Sinne. Er war stets einer der Ersten gewesen, wenn es ein gutes Werk auszuführen galt, und bescheiden war er dann zur Seite getreten. In einer stillen, friedlichen Ecke, wo zwei Wege des Friedhofs sich treffen, in dem Schatten von jetzt noch jungen Bäumen, die aber in wenigen Jahren ihre Zweige schützend und schirmend über das Dichtergrab ausbreiten werden, in einem traulichen Winkel, wie Reuter ihn so sehr geliebt, wurde der Begräbnißplatz erworben.

Wenn es für die Lebensgefährtin des Todten, die noch immer nicht fassen konnte, daß ihr Fritz nicht mehr lebte, daß sie nicht mehr zu ihm eilen konnte, um seine Hand zu erfassen, in diesen schweren, bitteren Stunden einen Trost geben konnte, so war es der, daß die Beweise der Liebe und Anerkennung für den Geschiedenen sich mit jeder Stunde häuften. Reicher ist wohl selten ein Dichter mit Lorbeerkränzen und Blumen bedacht worden; sie kamen nicht von Freunden und Bekannten allein, sondern als ferne Grüße von Vielen, die er durch seine Werke erfreut. Nannten doch Manche nicht einmal ihren Namen. Sie wollten nur ein Zeichen ihrer Anerkennung und Liebe geben; sandte doch selbst ein Tertianer aus Höxter, der Reuter’s Dichtungen gelesen, dem Todten einen Lorbeerkranz. Und wieder waren der Großherzog von Weimar und dessen Gemahlin nicht die Letzten, die für das Dichtergrab einen Lorbeerkranz und Palmenzweig schickten. Und so viele auch kamen von allen Seiten, ein Jeder, der den Geschiedenen kannte, mußte still sagen: er hat es verdient als Dichter und Mensch, denn ein braveres Herz hat selten geschlagen.

Der letzte schwere Tag, der Mittwoch, der Tag der Beerdigung brach an. Schon am Dienstag war der Todte in den Zinksarg gelegt, der ihn aufnehmen sollte. Am Mittwoch wurde dieser in den einfach schönen Sarg von Eichenholz gestellt, hatte Reuter die Eichen doch stets so gern gehabt. Wie ein Schlafender lag der Todte auf dem weißen Kissen. Mit Cedernzweigen und den Blüthen der weißen Lilie und der Clematis war sein Haupt und Körper umkränzt; aus des Dichters eigenem Garten hatte sein treuer Gärtner sie gepflückt. Noch hatte die entstellende Hand des Todes sich nicht an ihn gewagt; noch war sein Gesicht ebenso friedlich und mild; es schien um Jahre jünger geworden zu sein und glich wieder in auffallender Weise den Bildern seiner noch kräftigen Manneszeit. Aus hohen Cedern und Palmen hatten wir eine Laube um den Sarg gebaut – darinnen ruhte er so still. Schlief er wirklich nur? Wollte sein Mund noch einmal zu einem Gruße sich öffnen? Täuschte dieser Friede des Todes doch selbst seine treue Lebensgefährtin, denn mehr als einmal beugte sie sich über ihn, als ob sie auf seinen Athem [500] lauschen wollte, mehr als einmal fragte sie: „Ist er auch wirklich todt?“ Und doch hatte sie selbst, als er geschieden war, die Augen ihm zugedrückt, weil sie diesen letzten, schweren Liebesdienst keiner fremden Hand überlassen wollte.

Seine Freunde und zahlreiche Fremde kamen, um ihn noch einmal zu sehen, und auch sein Freund Gustav Freytag, der gekommen war, um ihm das letzte Geleit zu geben, der vorher aber durch Krankheit in seiner Familie wieder zurückgerufen wurde, trat noch einmal an den offenen Sarg, um ein Bild des Friedens mit sich zu nehmen. Der Bruder und die Schwester der schwer gebeugten Gattin waren schon vorher aus Mecklenburg gekommen, um ihr beizustehen in ihrer Trauer und den Todten noch einmal zu sehen.

Der schwere Augenblick, in welchem der Sarg für immer geschlossen werden mußte, kam und noch einmal geleiteten wir die fast gebrochene Frau zum letzten Abschiede von ihrem Fritz. Da sah das Auge, wie schwer sich trennt, was so innig und treu in Liebe verbunden gewesen; da zeigte sich, welche unsagbar tiefe Kluft den Tod von dem Leben trennt, wie fest das Band, welches zwei gute Menschen verbunden. Schimmerte doch an dem Finger des Todten noch der Ring, der sie einst zum Glücke vereint und ein treues Symbol desselben geblieben war. Ihr Wunsch war es, daß er ihn mitnehme in die Erde; sie hatte ihm denselben ja einst geschenkt und wollte von dem Todten die Gabe nicht zurückfordern. Noch drängt mir die Erinnerung an diesen letzten Abschied, wie sie sich über ihn beugte, um ihn fest zu halten, obschon sie ihn lassen mußte, wie sie die liebe Hand so innig küßte, die Thräne in das Auge; noch klingt ihr letzter Ruf: „Lebewohl, lebewohl!“ in dem Ohre wieder, wie ein neues Gelöbniß, das sie mit unzertrennbaren Fesseln an den Todten bindet. Fast mit Gewalt mußte ich sie fortführen.

Der Sarg wurde geschlossen; die Lichter auf den Kandelabern, welche zu Haupten und zu Füßen desselben standen, wurden angezündet. Die, welche dem Dichter das letzte Geleit zum Friedhofe geben wollten, kamen. Der Großherzog ließ sich durch den Commandant der Wartburg, von Arnswald, und den Freiherrn von Loën aus Weimar vertreten; Reuter’s Freund und Verleger Hinstorff war von Wismar herbeigeeilt. Die Burschenschaften Jenas, die Germanen, Arminen und Teutonen, hatten Deputirte gesandt, da Reuter selbst einst der Burschenschaft in Jena angehört. Die aufgelöste Burschenschaft Germania in Wien hatte ein Telegramm geschickt. Des Todten Neffe, August Reuter, war aus Mecklenburg gekommen, ebenso der Bürgermeister aus Reuter’s Vaterstadt Stavenhagen, von Bülow, um einen Kranz von Eichenblättern von der Fritz Reuter-Eiche auf dem Sarge niederzulegen; die Stadt Eisenach ließ sich durch ihren Oberbürgermeister und die Ersten ihrer Behörden vertreten; alle Freunde des Verstorbenen fanden sich ein, und die Zahl derselben war groß, denn er hatte wohl keinen Feind.

Reuter’s alter und treuer Freund, der Rath Fischer, geleitete des Dichters Lebensgefährtin aus Reuter’s Arbeitszimmer durch den von Trauernden dichtgefüllten Salon in den kleinen, stillen Tempel, in welchem der Sarg, mit Lorbeerkränzen und Blumen reich geschmückt, inmitten des frischen Grün stand. Dorthin traten auch Die, welche dem Geschiedenen am nächsten gestanden. Reuter’s alter Freund, der Generalsuperintendent Petersen aus Gotha, war gekommen, um die Rede am Sarge zu halten, und mit Thränen im Auge, auf’s Tiefste erschüttert durch des Freundes Heimgang, sprach er feiernde, erhebende und tröstende Worte.

Als er geendet und im stillen Gebete die Anwesenden sich gesammelt, erfaßten wir nahestehenden Schriftsteller August Becker aus Eisenach, Hermann Oelschläger aus Leipzig, Schuldirector Kreyenberg aus Iserlohn und ich, von Bürgern Eisenachs unterstützt, den Sarg, um den geschiedenen Dichter hinauszutragen. Und als wir mit ihm aus dem Hause auf die Terrasse traten, die sein Lieblingsplatz gewesen war, stimmte der Sängerchor Mendelssohn’s Lied „Es ist bestimmt in Gottes Rath“, welches der Geschiedene im Leben so gern gehört, an, und wir trugen ihn bis an den Rand der Terrasse, um ihn hier den Trägern zu übergeben.

Vor der Villa hatte sich das ganze Officiercorps der Garnison Eisenachs mit der Militärmusik aufgestellt, um sich dem Zuge anzuschließen; dort standen zu gleichem Zwecke die Schüler der beiden Gymnasien und viele Bekannte des Geschiedenen, welche in dem Hause nicht mehr Platz gefunden hatten.

Vor der Gartenpforte harrte der offene, mit schwarzem Zeuge ausgeschlagene und von vier mit schwarzen Decken überhängten Pferden gezogene Leichenwagen, der den Sarg zum Friedhofe fahren sollte. Reuter hatte früher den Wunsch ausgesprochen, nach gut mecklenburgischer Sitte beerdigt zu werden, und so wurde der Sarg von keinem Tuche bedeckt, sondern stand unverhüllt in seinem reichen Blumenschmucke da.

Wohl hatte sich die Frage aufgedrängt, ob die Orden, mit denen der Geschiedene von mehreren Fürsten geehrt war – es möge nur der prächtige bairische Maximiliansorden, mit dem zugleich der Adel verknüpft war, und die große goldene Medaille, welche der Großherzog von Mecklenburg ihm verliehen, hier erwähnt werden –, auf den Sarg gelegt werden sollten. Im Geiste Reuter’s hatten wir es unterlassen, da sein bescheidener Sinn nie eine Zurschaustellung geliebt. So sehr er sich auch über die Beweise der Anerkennung gefreut, die Orden selbst haben nie seine Brust bedeckt. Und konnte der Sarg einen schöneren Schmuck tragen, als den Lorbeerkranz, der dem Dichter gebührte? Er ist sein schönster und höchster Orden.

Um fünf Uhr Nachmittags setzte sich der Trauerzug in Bewegung. Voran schritt die Militärmusik. Dem Sarge folgten des Todten Neffe, gar manche seiner Freunde und Verehrer, die Deputation der Burschenschaften, welche die Lorbeerkränze, die auf dem Sarge und dem Wagen nicht mehr Platz gefunden hatten, in der Hand trugen, die Schüler der Gymnasien. Siebzehn Wagen beschlossen den langen Zug.

Auch die Gattin des Geschiedenen nahm im Wagen, von Freunden geleitet, an diesem letzten schweren Gange Theil. Sie hatte ihrem Fritz einst versprochen, ihn bis zum Grabe zu geleiten, wenn er vor ihr scheiden sollte, und die echte Liebe hält immer Wort. Mit der Kraft einer starken Seele, in dem Bewußtsein, dem Geschiedenen zu jeder Stunde in treuer Liebe zur Seite gestanden zu haben, hielt sie sich zu diesem Gange aufrecht.

Und als der Trauerzug sich langsam durch die Stadt hinbewegte, deren Straßen von Teilnehmenden erfüllt waren, da zog Mancher still den Hut ab, weil er wußte, daß ein echter Dichter und guter Mensch begraben wurde.

Auf dem Friedhofe, den der Zug erst um sechs Uhr[WS 1] erreichte, hielt der Generalsuperintendent Petersen die Grabrede. An den Worten „den Aufrichtigen läßt der Herr es gelingen“ und an Uhland’s Zuruf: „Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm“, entwickelte er in ergreifender Weise, was der Geschiedene gewesen, als Dichter, als Freund, als Gatte und Mensch. Nach ihm gab der Diaconus Hasert aus Eisenach dem Todten den letzten Segen. Der Chor sang das Lied: „Ach, bleib mit Deiner Gnade“. Die Freunde und Bekannten traten noch einmal an das offene Grab, um eine Handvoll Erde hinabzuwerfen und den letzten stillen Gruß ihm nachzusenden – Fritz Reuter ruhte in der Erde. –

Blau und wolkenlos wölbte sich der Himmel über dem Friedhofe; aus der Ferne blickte die alte Wartburg herüber. Der Geschiedene war ja auch ihr Freund gewesen, denn oft war er zu ihr emporgestiegen; zehn Jahre lang hatte er an ihrem Fuße gewohnt. –

So war der Heimgang eines Dichters und braven Mannes. Mehr Liebe als Reuter hat selten ein Mensch mit sich in das Grab genommen. Nun liegt er still und in Ruhe da. Bald wird der Hügel über ihm mit frischem Grün und Blumen geschmückt werden, und seine Gattin, die ihm eine so liebevolle Pflegerin war, die kein anderes Lebensziel gekannt als ihn, wird mit derselben Liebe den Hügel und die Blumen pflegen, und dann wird auch für sie die Blume des Friedens sich öffnen.

In seinen Werken hat Fritz Reuter sich ein Denkmal gesetzt, welches dauernder denn Erz und Stein ist. In den Herzen seiner Freunde wird die Erinnerung an ihn unangetastet bleiben, so lange sie schlagen, und alle, welche ihn kannten, werden noch oft sagen: „er war ein guter Mensch.“ Dem deutschen Volke hat er in seinen Dichtungen ein reiches und schönes Erbe hinterlassen, und sollte ihm dieser Erbe nicht dafür danken? Auf seinem Grabe ist der Ort, um diesen Dank niederzulegen. Möge bald ein Denkmal dort jedem Fremden sagen, daß das deutsche Volk seine Dichter liebt!

Friedrich Friedrich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ubr