Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der Eunuch
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Achtes Bändchen, Seite 911–918
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Εὐνοῦχος
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[911]
Der Eunuch.
Pamphilus. Lycinus.

1. Pamphilus. Woher Lycinus? warum so lustig? Du siehest zwar auch sonst immer sehr aufgeräumt aus; aber dießmal muß es etwas ganz Besonderes seyn: du lachst ja unaufhörlich.

Lycinus. Ich komme eben vom Markte: du sollst mir aber bald mitlachen, wenn ich dir erzählen werde, was für einen schnakischen Rechtshandel zwischen zwei Philosophen ich mit angehört habe.

Pamphilus. Eine saubere Geschichte, zwei Philosophen mit einander im Prozesse! anstatt daß sie, auch wenn die Sache noch so wichtig wäre, ihre Beschwerde hübsch friedlich mit einander beseitigen sollten.

2. Lycinus. O mein lieber Pamphilus, wie kämen doch Die zu einem friedlichen Verfahren! Sie sind so hitzig an einander gerathen, daß sie sich heiser schrieen, und mit ganzen Ladungen von Schimpfwörtern sich überschütteten.

Pamphilus. Was war denn der Gegenstand ihres Zankes? Wohl der gewöhnliche, die Verschiedenheit ihrer Lehrsätze?

Lycinus. Nichts weniger! dießmal war es etwas ganz anders. Sie sind Beide Eines Glaubens und von einer [912] und derselben Sekte. Es war gleichwohl ein förmlicher Prozeß, wobei die angesehensten, ältesten und verständigsten Männer der Stadt zu Gericht saßen, Männer, vor welchen sich jeder Andere schämen würde, auch nur ein ungeschicktes Wort zu sprechen, geschweige es zu solchen niederträchtigen Gemeinheiten kommen zu lassen.

Pamphilus. Nun so sage mir doch, um was es sich denn handelte; ich möchte gar zu gerne wissen, was dich so gewaltig lachen machte.

3. Lycinus. Der Kaiser [Marc-Aurel] hat, wie du weißt, für eine Anzahl öffentlicher Lehrer aus den Schulen der Stoiker, Platoniker, Epikuräer und Peripatetiker, ziemlich ansehnliche, und zwar durchaus gleiche Besoldungen ausgesetzt. Nun ist Einer dieser Lehrer gestorben, und es sollte ein Anderer, den ein Collegium der Vornehmsten[1] als den Würdigsten erproben würde, an seine Stelle kommen. Also nicht wie der Dichter[2] sagt,

– – – nicht um ein Weihvieh oder ein Stierfell
Strebten sie;

es galt die jährlichen zehntausend Drachmen[3], für den Unterricht junger Leute in der Philosophie.

Pamphilus. Ich weiß das; man sagte mir, es wäre neulich durch den Tod eines jener öffentlichen Lehrer, wenn ich nicht irre, die Stelle des zweiten Peripatetikers erledigt worden.

Lycinus. Ganz recht, Pamphilus; dieß ist die Helena, um deren Besitz nun gekämpft ward. So weit ist nun [913] freilich die Sache nichts weniger als lächerlich, daß Leute, die sich für Weise ausgeben und die Verachtung des Geldes predigen, um eine Besoldung sich mit nicht minderer Hitze streiten, als ob Vaterland, Religion und der Ahnen Gräber gefährdet wären.

Pamphilus. Doch haben ja die Peripatetiker den Lehrsatz, daß das Geld nicht so ganz zu verachten sey, sondern einen der drei Factoren der Glückseligkeit ausmache.

4. Lycinus. Du hast Recht: das ist ihre Ansicht. So waren es denn angestammte Vorstellungen, welche diesen Krieg veranlaßten. Allein nun höre, wie es weiter ging. Unter den Vielen, welche die Todtenfeier des Verstorbenen mit diesem Wettkampfe begingen, waren besonders zwei hitzige Streiter, die sich die Wage hielten, der alte Diocles (du kennst ja den Zänker) und Bagóas[4], der insgemein für einen Eunuchen gilt. Bereits hatten Beide ihre Gelehrsamkeit um die Wette ausgekramt, und ihre Bekanntschaft mit den Lehrsätzen ihrer Schule und ihre Anhänglichkeit an Aristoteles und seine Meinungen an den Tag zu legen gesucht, wobei sich gezeigt hat, daß der Eine in der That um kein Haar besser war als der Andere.

5. Nun nahm endlich der Handel folgende Wendung. Diocles, statt seine Verdienste weiter in’s Licht zu stellen, ging seinem Gegner Bagóas zu Leibe und bemühte sich, Vorwürfe auf seinen Lebenswandel zu laden. Gegentheils fing nun auch Bagóas an, die Sitten des Diocles zu recensiren.

[914] Pamphilus. Das finde ich so uneben nicht, Lycinus: sie hatten Recht, sich bei diesem Punkte hauptsächlich aufzuhalten. Wäre ich Richter, ich würde hierauf gleichfalls am meisten sehen, indem ich der Ueberzeugung bin, daß ein tugendhafter Wandel einen nähern Anspruch auf den Sieg gibt, als bloße Fertigkeit im Räsonniren.

6. Lycinus. Sehr wohl gesprochen: ich stimme dir hierin ganz bei. Wie sie sich aber in Vorwürfen und Verläumdungen gegen einander erschöpft hatten, sagte endlich noch Diocles: es sey nicht einmal zu verantworten, daß Bagóas mit der Philosophie sich abgebe und Anspruch auf ihre Würden mache, da er ja ein Verschnittener sey; solche Geschöpfe müßten nicht blos von so ehrwürdigen Studien, sondern sogar von der Teilnahme an Opferfeierlichkeiten und Reinigungen, wie überhaupt von allen öffentlichen Versammlungen und Gesellschaften ausgeschlossen seyn; man müsse es ja für ein fatales Zeichen halten, wenn Einem, der Morgens früh aus dem Hause gehe, so ein Ding über den Weg laufe. Und in diesem Tone ging’s noch lange fort am Ende behauptete er sogar, eine solche ominöse Mißgeburt, die weder Mann, noch Weib, sondern aus beiden zusammengesetzt sey, könne man nicht einmal für einen Menschen gelten lassen.

Pamphilus. Nun, Das heiße ich doch eine neue Manier, seinen Gegner zu verklagen. Wirklich, mein Freund, das ist ein lustiger Handel. – Und der Andere? Schwieg er still dazu? Oder hatte er das Herz, Etwas darauf zu erwiedern?

7. Lycinus. Anfänglich schwieg er freilich eine gute Weile; wie denn feige Zwitternaturen leicht einzuschüchtern [915] sind: er ward blutroth vor Scham, und der Schweiß brach ihm aus in seiner Verlegenheit. Endlich ließ er oder doch sein zartes und weibisches Stimmchen wieder ertönen: und meinte, und Diocles hätte sehr Unrecht, ihn, da er Eunuch sey, von der Philosophie ausschließen zu wollen, da ja auch Frauen Theil an ihrem Studium nähmen: er berief sich hiebei auf Aspasia, Diotíma, Thargelia, deren Vorgang allerdings für ihn sprach; auch führte er das Beispiel eines Philosophen der Akademie aus Gallien an[5], der noch kurz vor unserer Zeit ein großes Ansehen in Griechenland genoß. Allein Diocles entgegnete, er würde auch gegen diesen Eunuchen, vorausgesetzt, daß er wirklich einer war, eben so sehr, wenn er dieselben Ansprüche wie Bagóas gemacht hatte, protestirt haben, ohne sich dabei vor seinem Ansehen bei dem großen Haufen zu scheuen. Zugleich erzählte er einige lustige Einfälle von Stoischen und Cynischen Philosophen, welche eben die physische Unvollständigkeit jenes Galliers zum Gegenstande hatten.

8. Der Hauptpunkt der Untersuchung, bei welchem sich jetzt die Richter zu verweilen hatten, war also: ob ein Eunuch für bestätigt erklärt werden könne, einen philosophischen Lehrstuhl zu besteigen, und ob ihm die Vorsteherschaft über eine studierende Jugend übertragen werden dürfe? Sein Gegner behauptete, zu einem Philosophen sey durchaus eine ansehnliche Haltung, körperliche Vollständigkeit und vor allen Dingen ein tüchtiger Bart erforderlich, der den Meister bei seinen Lehrlingen in Respekt setze und den zehntausend Drachmen Ehre mache, mit denen er jährlich vom Kaiser bezahlt [916] werden solle; so ein Zwitter aber sey noch erbärmlicher als ein Castrat; denn Dieser habe doch einmal gewußt, was Mannheit sey, Jener hingegen sey von seinem Beginn an ein verhunztes, zweideutiges Geschöpf, ungefähr wie die Krähen, von denen man nicht wisse, ob man sie zu den Tauben oder zu den Raben zu zählen habe.

9. Bagóas wandte dagegen ein, nicht das körperliche, sondern das geistige Vermögen komme hier in Betracht, und es frage sich blos, Wer dem Andern an Einsicht und philosophischen Kenntnissen überlegen sey: zugleich berief er sich auf Aristoteles, der den gleichfalls geschlechtlosen Hermías, Fürsten von Atarnea, in einem so hohen Grade verehrt, daß er ihm sogar wie einem Gotte geopfert habe. Ja Bagóas getraute sich, noch hinzuzusetzen, ein Eunuch eigne sich noch weit mehr, als jeder Andere, zu einem Lehrer der Jugend, weil die Beschuldigung, schöne Jünglinge zu verführen, von welcher sogar Socrates nicht frei geblieben, nie auf ihn fallen könne. Und da einige Spöttereien über sein glattes Kinn gefallen waren, so warf er den, wie er wenigstens glaubte, witzigen Einfall hin: Wenn die Philosophen nach dem Barte zu beurtheilen wären, so verdiente Keiner mehr, als ein Ziegenbock, den Preis davon zu tragen.

10. Während sie nun so haderten, legte sich ein Dritter (seinen Namen laß mich verschweigen) in die Sache und sprach: „Wolltet Ihr den Befehl geben, ihr Herrn Richter, daß dieser Mensch da mit seinem glatten Kinne, der Weiberstimme und dem zwitterhaften Aussehen, sich entkleide, so würdet ihr die Entdeckung machen, daß an seiner Mannheit nicht das Mindeste auszusetzen ist. Denn wenn man [917] glauben darf, was die Leute sagen, so ist der Mann einmal bei der Frau eines Andern ganz in jener unzweideutigen Lage betroffen worden, die nach dem Gesetze den Ehebruch constatirt. Damals nahm er seine Zuflucht zu dem Vorgeben, er wäre nicht complet, und wurde wirklich losgesprochen, indem die Richter selbst, durch sein weibische Aeußere getäuscht, der Beschuldigung keinen Glauben beigemessen hatten. Jetzt aber, da ein Preis von jährlichen Zehntausenden zu gewinnen ist, möchte er wohl gerne ein anderes Lied anstimmen.“

11. Du kannst dir denken, Freund, mit welchem allgemeinen Gelächter diese Mittheilung aufgenommen ward. Bagóas, noch verlegener als zuvor, wechselte die Farbe einmal um das andere; der kalte Schweiß lief ihm von der Stirne: er hielt es nicht für gerathen, die Beschuldigung des Ehebruchs auf sich sitzen zu lassen; und auf der andern Seite sah er wohl, wie gut sie ihm in seinem gegenwärtigen Handel zu Statten käme.

Pamphilus. Wahrhaftig ein possierlicher Auftritt! Wie das für Euch Anwesende ergötzlich gewesen seyn muß, kann ich mir vorstellen. Aber wie ging denn nun die Sache aus? Was erkannten die Richter?

12. Lycinus. Sie konnten nicht Eins werden. Ein Theil verlangte, man solle ihn, wie die Sclaven auf dem Markte, entkleiden und besichtigen, ob er philosophiren könne, nämlich was die Hoden betrifft. Andere hatten den noch lustigeren Einfall, man solle ein Paar Dirnen aus dem nächsten H.…quartier holen lassen und ihm befehlen, sein Probestück zu machen: einer der ältesten und zuverläßigsten Richter aber mußte dabei stehen und zusehen, ob er [918] wirklich philosophiere. Endlich, da Allen der Bauch wehe that von dem unmäßigen Gelächter, ward beschlossen, die ganze Sache zur Entscheidung nach Rom abgehen zu lassen.

13. Und nun heißt es, bereite sich der Eine von Beiden recht ernstlich auf die Proben vor, die er von seinem Lehrvortrage werde ablegen müssen, und studiere nebenbei an einer Klageschrift, worin er die Sache wegen des Ehebruches wieder in Anregung bringe; ein Bemühen, womit er, nach Art ungeschickter Sachwalter, seinem eigenen Zwecke geradezu entgegenarbeitet, indem er eben dadurch die Mannheit seines Gegners zugesteht. Bagóas hingegen, sagt man, hat seinerseits nichts Angelegentlicheres zu thun, als allenthalben recht mannhaft aufzutreten: und wirklich gibt er sich alle Mühe, der Sache einiges Ansehen zu geben; denn seiner Meinung nach kann ihm der Sieg nicht fehlen, wenn er darthun kann, daß er darin dem besten Esel nichts nachgiebt. Und er hat in der That Recht, mein lieber Freund Pamphilus; dort sucht man ja nunmehr, wie es scheint, das Hauptkennzeichen eines ächten Philosophen; und Wer sich dießfalls gehörig ausweisen kann, dem darf hinfort jener Charakter nicht streitig gemacht werden. Und so habe ich auch für mein kleines Söhnchen keinen andern Wunsch, als daß ihn die Götter, nicht mit Verstand und Rednertalent, sondern mit jener wichtigen Qualität reichlich genug bedenken möchten, um dereinst für einen Philosophen zu passiren.



  1. Welchem ohne Zweifel der berühmte Herodes Atticus präsidirte.
  2. Iliades XXII, 159. Voß.
  3. 4343 fl. 20 kr.
  4. Erdichtete Namen: der letztere ward gewöhnlich Eunuchen gegeben.
  5. Des Favorinus ohne Zweifel.