Bekanntmachung, betreffend Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten ausgeführt werden

Gesetzestext
fertig
Titel: Bekanntmachung, betreffend Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten ausgeführt werden.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1905, Nr. 28, Seite 555–560
Fassung vom: 27. Juni 1905
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 1. Juli 1905
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
aus: {{{HERKUNFT}}}
Quelle: Scans auf Commons
Editionsrichtlinien zum Projekt
Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|200px]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[Index:|Indexseite]]


[555]

(Nr. 3145.) Bekanntmachung, betreffend Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten ausgeführt werden. Vom 27. Juni 1905.

Auf Grund des § 120e der Gewerbeordnung hat der Bundesrat für Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten ausgeführt werden, folgende Vorschriften erlassen:

I. Vorschriften für die Betriebe des Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackierergewerbes.

§ 1.

Bei dem Zerkleinern, dem Mengen, dem Mischen und der sonstigen Verarbeitung von Bleiweiß, anderen Bleifarben oder ihren Gemischen mit anderen Stoffen in trockenem Zustande dürfen die Arbeiter mit den bleihaltigen Farbstoffen nicht in unmittelbare Berührung kommen und müssen vor dem sich entwickelnden Staube ausreichend geschützt sein.

§ 2.

Das Anreiben von Bleiweiß mit Öl oder Firnis darf nicht mit der Hand, sondern nur auf mechanischem Wege in Behältern vorgenommen werden, die so eingerichtet sind, daß auch bei dem Einfüllen des Bleiweißes kein Staub in die Arbeitsräume gelangen kann.
Dasselbe gilt von anderen Bleifarben. Jedoch dürfen diese auch mit der Hand angerieben werden, wenn dabei nur männliche Arbeiter über achtzehn Jahre beschäftigt werden und die von einem Arbeiter an einem Tage anzureibende Menge bei Mennige 1 Kilogramm, bei anderen Bleifarben 100 Gramm nicht übersteigt.

§ 3.

Das Abschleifen und Abbimsen trockener Ölfarbenanstriche oder Spachtel, welche nicht nachweislich bleifrei sind, darf nur nach vorheriger Anfeuchtung ausgeführt werden. [556]
Der Schleifschlamm und die beim Abschleifen und Abbimsen entstehenden Abfälle sind, bevor sie trocken geworden sind, zu entfernen.

§ 4.

Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, daß sich die Arbeiter, welche mit Bleifarben oder ihren Gemischen in Berührung kommen, mit Malerkitteln oder anderen vollständig deckenden Arbeitsanzügen und einer Kopfbedeckung versehen und sie während der Arbeit benutzen.

§ 5.

Allen Arbeitern, die mit Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten beschäftigt werden, bei denen sie Bleifarben oder deren Gemische verwenden, müssen Waschgefäße, Bürsten zum Reinigen der Hände und Nägel, Seife und Handtücher zur Verfügung gestellt werden.
Werden solche Arbeiten auf einem Neubau oder in einer Werkstatt ausgeführt, so muß den Arbeitern Gelegenheit gegeben werden, sich an einem frostfreien Orte zu waschen und ihre Kleidungsstücke sauber aufzubewahren.

§ 6.

Der Arbeitgeber hat die Arbeiter, welche mit Bleifarben oder deren Gemischen in Berührung kommen, auf die ihnen drohenden Gesundheitsgefahren hinzuweisen und ihnen bei Antritt des Arbeitsverhältnisses das nachstehend abgedruckte Merkblatt, sofern sie es noch nicht besitzen, sowie einen Abdruck dieser Bestimmungen auszuhändigen.

II. Vorschriften für Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten im Zusammenhange mit einem anderen Gewerbebetrieb ausgeführt werden.

§ 7.

Für die Beschäftigung von Arbeitern, welche in einem anderen Gewerbebetriebe ständig oder vorwiegend bei Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten verwendet werden und dabei Bleifarben oder deren Gemische – und zwar nicht nur gelegentlich – benutzen, gelten die Bestimmungen der §§ 1 bis 6.
Findet eine solche Beschäftigung in einer Fabrik oder auf einer Werft statt, so gelten außerdem die Bestimmungen der §§ 8 bis 11.

§ 8.

Den Arbeitern muß ein besonderer Raum zum Waschen und Ankleiden zur Verfügung gestellt werden, der sauber zu halten, bei kalter Witterung zu heizen und mit Einrichtungen zur Verwahrung der Kleidungsstücke zu versehen ist. [557]

§ 9.

Der Arbeitgeber hat für die Arbeiter verbindliche Vorschriften zu erlassen, welche folgende Bestimmungen für die mit Bleifarben und deren Gemischen in Berührung kommenden Arbeiter enthalten müssen:
1. die Arbeiter dürfen Branntwein auf der Arbeitsstätte nicht genießen;
2. die Arbeiter dürfen erst dann Speisen und Getränke zu sich nehmen oder die Arbeitsstätte verlassen, wenn sie zuvor die Arbeitskleider abgelegt und die Hände sorgfältig gewaschen haben;
3. die Arbeiter haben die Arbeitskleider bei denjenigen Arbeiten, für welche es von dem Arbeitgeber vorgeschrieben ist, zu benutzen;
4. das Rauchen von Zigarren und Zigaretten während der Arbeit ist verboten.
Außerdem ist in den zu erlassenden Vorschriften vorzusehen, daß Arbeiter, welche trotz wiederholter Warnung den vorstehend bezeichneten Vorschriften zuwiderhandeln, vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung entlassen werden können.
Ist für einen Betrieb eine Arbeitsordnung erlassen (§ 134a der Gewerbeordnung), so sind die vorstehend bezeichneten Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen.

§ 10.

Der Arbeitgeber hat die Überwachung des Gesundheitszustandes der Arbeiter einem von der höheren Verwaltungsbehörde hierzu ermächtigten, dem Gewerbeaufsichtsbeamten (§ 139b der Gewerbeordnung) namhaft zu machenden approbierten Arzte zu übertragen, der mindestens einmal halbjährlich die Arbeiter auf die Anzeichen etwa vorhandener Bleierkrankung zu untersuchen hat.
Der Arbeitgeber darf Arbeiter, die bleikrank oder nach ärztlichem Urteil einer Bleierkrankung verdächtig sind, zu Beschäftigungen, bei welchen sie mit Bleifarben oder deren Gemischen in Berührung kommen, bis zu ihrer völligen Genesung nicht zulassen.

§ 11.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zur Kontrolle über den Wechsel und Bestand sowie über den Gesundheitszustand der Arbeiter ein Buch zu führen oder durch einen Betriebsbeamten führen zu lassen. Er ist für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Eintragungen, soweit sie nicht vom Arzte bewirkt werden, verantwortlich.
Dieses Kontrollbuch muß enthalten:
1. den Namen dessen, welcher das Buch führt,
2. den Namen des mit der Überwachung des Gesundheitszustandes der Arbeiter beauftragten Arztes,
3. Vor- und Zuname, Alter, Wohnort, Tag des Eintritts und des Austritts eines jeden der im Abs. 1 bezeichneten Arbeiter sowie die Art seiner Beschäftigung, [558]
4. den Tag und die Art der Erkrankung eines Arbeiters,
5. den Tag der Genesung,
6. die Tage und Ergebnisse der im § 10 vorgeschriebenen allgemeinen ärztlichen Untersuchungen.
Das Kontrollbuch ist dem Gewerbeaufsichtsbeamten (§ 139b der Gewerbeordnung) sowie dem zuständigen Medizinalbeamten auf Verlangen vorzulegen.

§ 12.

Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1. Januar 1906 in Kraft.

Anlage. Blei-Merkblatt.

Wie schützen sich Maler, Anstreicher, Tüncher, Weißbinder, Lackierer und sonst mit Anstreicherarbeiten beschäftigte Personen vor Bleivergiftung?

Alle Bleifarben (Bleiweiß, Bleichromat, Massikot, Glätte, Mennige, Bleisuperoxyd, Pattisonsches Bleiweiß, Casseler Gelb, Englisches Gelb, Neapelgelb, Jodblei u. a.) sind Gifte.
Maler, Anstreicher, Tüncher, Weißbinder, Lackierer und sonst mit Anstreicherarbeiten beschäftigte Personen, die mit Bleifarben in Berührung kommen, sind der Gefahr der Bleivergiftung ausgesetzt.
Die Bleivergiftung kommt gewöhnlich dadurch zustande, daß Bleifarben, wenn auch nur in geringer Menge, durch Vermittlung der beschmutzten Hände, Barthaare und Kleider beim Essen, Trinken oder beim Rauchen, Schnupfen und Kauen von Tabak in den Mund aufgenommen oder während der Arbeit als Staub eingeatmet werden.
Die Folgen dieser Bleiaufnahme machen sich nicht alsbald bemerkbar; sie treten vielmehr erst nach Wochen, Monaten oder selbst Jahren auf, nachdem die in den Körper gelangten Bleimengen sich so weit angesammelt haben, daß sie Vergiftungserscheinungen hervorzubringen imstande sind.

Worin äußert sich die Bleivergiftung?

Die ersten Zeichen der Bleivergiftung pflegen in einem blaugrauen Saume am Zahnfleische, Bleisaum genannt, und in einer durch Blässe des Gesichts und der Lippen sich kundgebenden Blutarmut zu bestehen. Die weiteren Krankheitserscheinungen [559] sind sehr mannigfaltig. Am häufigsten tritt die Bleikolik auf: Der Kranke empfindet heftige, krampfartige, von der Nabelgegend ausgehende Leibschmerzen (Kolikschmerzen); der Leib ist eingezogen und hart; dabei bestehen häufig Erbrechen und Stuhlverstopfung, selten Durchfall. In anderen Krankheitsfällen zeigen sich Lähmungen; sie betreffen gewöhnlich diejenigen Muskeln, durch welche das Strecken der Finger besorgt wird, und treten meistens an beiden Armen auf; ausnahmsweise werden auch andere Muskeln an den Armen oder Muskeln an den Beinen oder am Kehlkopfe befallen. Mitunter äußert sich die Bleivergiftung in heftigen Gelenkschmerzen; von ihnen werden meist die Kniegelenke, seltener Gelenke an den oberen Gliedmaßen ergriffen. In besonders schweren Fällen treten Erscheinungen einer Erkrankung des Gehirns auf (heftige Kopfschmerzen, allgemeine Krämpfe, tiefe Bewußtlosigkeit oder große Unruhe, Erblindung). Endlich steht die Bleivergiftung mit dem als Schrumpfniere bezeichneten schweren Nierenleiden und mit der Gicht in einem ursächlichen Zusammenhange. – Bei bleikranken Frauen sind Fehl- oder Totgeburten häufig. Lebend zur Welt gebrachte Kinder können infolge von Bleisiechtum einer erhöhten Sterblichkeit in den ersten Jahren unterliegen. Von bleikranken Frauen an der Brust genährte Kinder werden mittels der Milch vergiftet.
Abgesehen von den schweren, mit Gehirnerscheinungen einhergehenden Fällen, welche nicht selten tödlich verlaufen, pflegen die Bleivergiftungen meist zu heilen, wenn die Kranken sich der weiteren schädigenden Einwirkung des Bleies entziehen können. Die Heilung tritt nach mehreren Wochen oder in schweren Fällen auch erst nach Monaten ein.

Verhütung der Bleierkrankung.

Die weit verbreitete Annahme, daß der regelmäßige Gebrauch gewisser Arzneien (Jodkalium, Glaubersalz u. a.) oder Milchtrinken ausreichende Mittel zur Vorbeugung der Bleivergiftung sind, ist nicht zutreffend. Dagegen ist einer kräftigen und fettreichen Ernährung und insofern auch dem Milchtrinken ein gewisser Wert beizulegen.
Den wirksamsten Schutz vor Bleierkrankungen verleihen Sauberkeit und Mäßigkeit. Personen, welche, ohne gerade zu den Trinkern zu gehören, geistige Getränke in reichlichen Mengen zu sich zu nehmen pflegen, sind der Bleivergiftungsgefahr in höherem Maße ausgesetzt als Enthaltsamere. Branntwein sollte, namentlich während der Arbeitszeit, nicht genossen werden. In bezug auf die Sauberkeit müssen die mit Bleifarben in Berührung kommenden Personen ganz besonders peinlich sein und dabei vornehmlich folgendes beachten:
1. Hände und Arbeitskleider sind bei der Arbeit tunlichst vor Verunreinigungen mit Bleifarben zu hüten. Es empfiehlt sich, die Nägel stets möglichst kurz geschnitten zu halten.
2. Da Verunreinigungen der Hände mit Bleifarben nicht gänzlich zu vermeiden sein werden, ist das Rauchen, Schnupfen und Kauen von Tabak während der Arbeit zu unterlassen. [560]
3. Die Arbeiter dürfen erst dann Speisen und Getränke zu sich nehmen oder die Arbeitsstätte verlassen, nachdem sie zuvor die Arbeitskleider abgelegt und die Hände mit Seife, womöglich mit Bimstein- oder Marmorseife, gründlich gewaschen haben. Einer gleichen Reinigung bedürfen das Gesicht und besonders der Bart, wenn sie während der Arbeit beschmutzt worden sind. Läßt sich das Trinken während der Arbeit ausnahmsweise nicht vermeiden, so sollen die Ränder der Trinkgefäße nicht mit den Händen berührt werden.
4. Die Arbeitskleider sind bei denjenigen Arbeiten, für welche es von dem Arbeitgeber vorgeschrieben ist, zu benutzen.
Um die Einatmung bleihaltigen Standes zu vermeiden, sind die in den Bestimmungen hiergegen enthaltenen Vorschriften genau zu befolgen; insbesondere ist das Anreiben von Bleiweiß und dergleichen mit Öl oder Firnis nicht mit der Hand, sondern in staubdichten Behältern vorzunehmen; ferner sollen Bleifarbenanstriche nicht trocken abgebimst oder abgeschliffen werden.
Erkrankt ein Arbeiter, welcher mit Bleifarben in Berührung kommt, trotz aller Vorsichtsmaßregeln unter Erscheinungen, welche den Verdacht einer Bleivergiftung (siehe oben) erwecken, so soll er in seinem und in seiner Familie Interesse die Hilfe eines Arztes sogleich in Anspruch nehmen und diesem gleichzeitig mitteilen, daß er mit Bleifarben zu arbeiten gehabt hat.
Berlin, den 27. Juni 1905.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers.

Graf von Posadowsky.