Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Bacchus
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Eilftes Bändchen, Seite 1395–1401
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1830
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Διόνυσος
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Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1395]
Bacchus.

1. Als Bacchus mit seinem Heere in Indien einzog – denn warum soll ich euch nicht auch einmal ein bacchisches Mährchen erzählen? – machten sich die Einwohner anfänglich eine so verächtliche Vorstellung von ihm, daß sie über den Tollkühnen lachten, oder vielmehr ihn bemitleideten, als ob ihre Elephanten ihn in demselben Augenblicke, wo er es wagen würde, sich ihnen entgegenzustellen, zertreten würden. Sie mochten von ihren Kundschaftern die wunderlichsten Dinge von dem anrückenden Heere vernommen haben: „Die Phalanx und der eigentlich Heerhaufe bestehe aus rasenden, mit Epheu bekränzten, und mit Fellen von Hirschkälbern umgürteten Weibern, welche kurze, ebenfalls mit Epheu umwundene Spieße ohne eiserne Spitzen, und leichte Schildchen [1396] trügen, die, wenn man sie nur anrühre, einen brummenden Ton von sich geben (denn die Kesseltrommeln der Mänaden hielten sie für Schilde). Bei diesem Zuge befinde sich noch eine kleinere Anzahl nackter Bursche von bäurischem Aussehen mit Schwänzen am Rücken und kleinen Bockshörnern, welche die muthwilligsten Sprünge machten.“

2. „Der Führer dieses Heeres komme auf einem mit Panthern bespannten Wagen angefahren: er sey ein unbärtiger Jüngling ohne die mindeste Spur von Flaum um das Kinn, trage aber ein Paar Hörnchen auf der Stirn, einen Kranz von Weintrauben um die Schläfe, die Locken mit einer Binde aufgebunden, und sey bekleidet mit einem Purpurmantel und goldenen Sandalen. Ihn begleiten zwei Unterbefehlshaber: der Eine, ein kurzer dicker Alter mit einem Hängebauche, einer Stülpnase, langen emporstehenden Ohren, taumelnden Ganges und gestützt auf einen Nartherstab, jedoch meist reitend auf einem Esel, trage einen weiten Mantel von Safranfarbe, und habe ganz das Ansehen eines Feldherrn für eine solche Armee: der Andere, ein Wunderding von einem Menschen, gleiche vom Unterleib an ganz einem Bocke, mit rauhhaarigen Beinen, Bockshörnern und langem Barte, einer Hirtenpfeife in der linken, einem krummen Stab in der rechten Hand: sein ganzes Benehmen verrathe Hitze und Leidenschaft, und so mache er seine Sprünge um das ganze Heer herum. Die Weiber fürchten ihn, schütteln ihre langen, in der Luft flatternden Haare, so oft er ihnen zu nahe komme, und schreien. Evoe! Evoe!, was vermuthlich der Name des obersten Heerführers sey. Dieses Weibervolk habe schon ganze Heerden ausgeraubt, und junge Lämmer [1397] und Kälber lebendig zerrissen: denn sie fräßen das Fleisch roh auf.“

3. Bei diesen Nachrichten lachten, wie natürlich, der König und das ganze Volk der Indier, und hielten’s nicht für der Mühe werth, ein förmliches Kriegsheer entgegen zu schicken. Höchstens könne man, meinten sie, wenn sie näher heran kämen, die Weiber gegen sie ausrücken lassen: ihnen selbst könne es nur Unehre machen, eine Niederlage anzurichten unter toll gewordenen Dirnen und einem Anführer mit weibischem Kopfputz, einem alten, betrunkenem Kerlchen, einem Halbmenschen und einem Haufen nackter Tänzer von dem lächerlichsten Ansehen. Als aber eine Nachricht um die andere einlief, der Gott verwüste das ganze Land mit Feuer, verbrenne die Städte sammt den Bewohnern und zünde die Waldungen an, und in kurzem werde ganz Indien nur Eine Brandstätte seyn, (denn das Feuer ist ja eine Waffe des Bacchus vom Vater und dessen Blitzstrahl her,) da griffen sie endlich im Ernste zur Wehr, zäumten ihre Elephanten, setzten ihnen Thürme auf die Sättel, und rückten auf denselben dem Feinde entgegen, den sie zwar immer noch verachteten, wobei sie jedoch von Zorn und Begierde brannten, jenen unbärtigen Feldherrn sammt seinem ganzen Heerhaufen zu zermalmen.

4. Wie sie einander im Gesichte waren, ordneten sie ihre Elephanten in’s erste Glied, und rückten nun mit der Phalanx heran. Bacchus befehligt das Centrum, Silen den rechten, Pan den linken Flügel. Als Hauptleute und Zugführer sind die Satyrn aufgestellt, und das allgemeine Feldgeschrei ist Evoe! Auf einmal erschallen die Kesselpauken, [1398] erklingen die kriegerischen Cymbeln, einer der Satyrn bläst auf gellendem Horne den Angriffsmarsch, auch Silens Esel brüllt mörderisch sein Ya, und die Mänaden, mit Schlangen umgürtet, entblößen die eisernen Spitzen ihrer Thyrsusstäbe, und stürzen sich mit Geheul unter den Feind. Auf der Stelle machen die Indier mit ihren Elephanten linksum, und fliehen in größter Verwirrung, nachdem sie nicht einmal auf Schußweite heranzukommen gewagt hatten. Das Ende war, daß sie völlig überwältigt, und von Denen, über welche sie sich lustig gemacht hatten, gefangen davon geführt wurden. So empfingen sie durch eigene Erfahrung die Lehre, daß man auf das bloße Hörensagen einen unbekannten Feind nicht verachten müße.

5. „Aber, in aller Welt,“ höre ich fragen, „was will denn der Mann mit dieser Bacchiade?“ Vorerst bitte ich euch, um aller Grazien willen, glaubt nicht, ich schwärme ebenfalls in trunkener Korybantenwuth, wenn ich mich in diesem Fall mit dem Gotte vergleiche. Es will mich nämlich bedünken, als ob es vielen Leuten mit Aufsätzen neuer Art, insbesondere aber mit den meinigen, gerade so gehe, wie dort den Indiern mit der Bacchantenschaar. Ich weiß nicht, welche sonderbare Vorstellung von mir sie sich in den Kopf gesetzt haben: kurz sie glauben, bei mir seyen weiter nichts als einige gar schnurrige und satyrhafte Possen zu vernehmen. Einige bleiben daher gar weg, und halten es nicht für der Mühe werth, von ihren Elephanten herabzusteigen, um den Bocksprüngen eines Satyr und seinem Mänadischen Muthwillen zuzusehen. Andere kommen gerade, um etwas Lustiges zu hören; wenn sie aber finden, daß der Epheustab gleichwohl [1399] seine eiserne Spitze hat, so können sie sich, zu sehr betroffen von der unerwarteten Entdeckung, nicht entschließen, ihren Beifall zu geben. Allein ich verspreche ihnen zuversichtlich, wenn sie unseren Mysterien auch jetzt, wie früher, öfters beiwohnen, wenn die alten Genossen unserer Vereine in jenen heitern Stunden sich erinnern, und ohne vornehm herabzusehen auf unsere Satyrn und Silene, in vollen Zügen aus dem Becher trinken wollen, den ich ihnen reiche, so werden auch sie von der Kraft des Gottes ergriffen werden, und manches Evoe mit uns ertönen lassen.

6. Doch – mögen sie es damit halten, wie es ihnen beliebt: denn zu hören oder nicht zu hören, steht ja Jedem frei. Aber weil wir nun doch einmal in Indien sind, so will ich euch noch ein anderes Geschichtchen aus diesem Lande erzählen, das hier nicht am unrechten Orte angebracht seyn wird. Bei den Machläern, einem Indischen Volke, welche am linken Ufer des Indusstromes bis an den Ocean hin wohnen, befindet sich ein rings eingehägter Hain von sehr mäßigem Umfang, dicht beschattet von einem Dache der üppigsten Epheu- und Weinranken. In diesem Haine sprudeln drei wunderliebliche, krystallhelle Quellen: die eine gehört dem Satyr, die andere dem Pan, die dritte dem Silen. Jährlich einmal, am Feste des Gottes, besuchen die Indier den Hain und trinken aus diesen Quellen, aber jedes Alter aus seiner eigenen: die Jünglinge aus der des Satyr, die Männer aus der des Pan, und aus der Quelle des Silen die von meinem Alter.

7. Was nun mit den Jünglingen vorgeht, wenn sie getrunken haben, und wie unternehmend die Männer werden, [1400] wenn Pan sich ihrer bemächtigt hat, wäre zu weitläuftig, hier zu erzählen. Hierher gehört nur das Benehmen der Alten, wenn auch sie von diesem Wasser berauscht sind. Sobald nämlich ein Greis getrunken hat und vom Silen ergriffen ist, so bleibt er anfangs eine ziemliche Zeitlang sprachlos, und gleicht ganz einem Menschen, dem von zu reichlichem Naß der Kopf schwer geworden ist. Auf einmal aber wird seine Brust frei, seine Stimme hebt sich hell und kräftig, und so stumm er zuvor gewesen, so geschwätzig wird er jetzt: auch wenn man ihm den Mund zuhalten wollte, würde er doch nicht aufhören zu plaudern. Und wiewohl er, nicht minder als jener homerische Sprecher [Ulysses, Il. III, 222.]

– ein Gedräng der Worte, wie stöbernder Winterflocken,

von sich gibt, so ist dennoch Alles recht geordnet und verständig. Nicht genug, daß diese Greise schon ihres Alters wegen den Schwänen ähnlich sind: ihr fortlaufender Redefluß gleicht vielmehr dem unermüdlichen Schwirren der Cikade bis an den späten Abend. Aber alsdann verläßt sie ihr Rausch: sie schweigen plötzlich und sind wieder wie zuvor. Das Sonderbarste aber habe ich noch gar nicht erwähnt. Wenn ein solcher Alter durch den Untergang der Sonne genöthigt worden war, mitten in seiner Rede abzubrechen, und somit, was er sagen wollte, unausgeführt zu lassen, so fängt er im folgenden Jahre, sobald er an der Quelle getrunken, bei denselben Worten wieder an, bei welchen ihn im vorigen Jahre der Rausch verlassen hat.

8. Doch genug eines Scherzes, der nach des Momus Art mir selbst gilt. Die Moral brauche ich der Fabel nicht beizufügen: ihr seht selbst, in wie weit sie auf mich paßt. [1401] Habe ich also etwas Ungeschicktes geredet, so trägt der Rausch die Schuld: dünkt euch aber, ich hätte klug gesprochen, nun so sey es dem Silen gedankt.