Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
<<<Vorheriger
Seligmann, Leopold
Nächster>>>
Seligmann, Franz
Band: 34 (1877), ab Seite: 50. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Romeo Seligmann in der Wikipedia
Romeo Seligmann in Wikidata
GND-Eintrag: 11765633X, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Seligmann, Romeo|34|50|}}

Seligmann, Romeo (Arzt und Fachschriftsteller, geb. zu Nikolsburg in Mähren 30. Juni 1808). Bruder des Ober-Stabsarztes Dr. Leopold und des Marine-Stabsarztes Dr. Franz Seligmann (s. d. S. 48 u. 53 in den Quellen). Der Vater, der selbst, wie schon bemerkt, ein geachteter Arzt war, leitete die erste Erziehung des Sohnes persönlich. Später besuchte dieser das Piaristen-Gymnasium seines Geburtsortes, begleitete nicht selten seinen Vater auf dessen Besuchen zu den Kranken oder verbrachte die Mußestunden in der Apotheke, wo er den ersten Unterricht in der Chemie erhielt, und lag jeden Abend bis tief in die Nacht über den Büchern der ziemlich reichen Bibliothek seines Vaters. Während er so naturwissenschaftliche, kunstgeschichtliche und Reisewerke mit allem Eifer las, sein Gedächtniß stärkte und seine Kenntnisse nach dieser Richtung bereicherte, betrieb er zugleich das Studium der Sprachen und war, als er, 17 Jahre alt, die Wiener Hochschule bezog, bereits des Französischen, Italienischen, Englischen und Spanischen mächtig. An der Wiener Hochschule, wo er die medicinischen Studien begann, brachte er die meiste Zeit im Secirsaale und bei den naturhistorischen Sammlungen, und was ihm an Muße noch überblieb, auf der Hofbibliothek zu. Während seines Aufenthaltes im Elternhause hatte S. in einem Werke über die Wiener Hofbibliothek gelesen, daß sich unter ihren Schätzen auch eine persische Handschrift über Medicin befinde, ein Unicum, sowohl der alterthümlichen Sprache und Schrift wegen, als auch weil es an keiner anderen Bibliothek eine [51] Abschrift davon gebe. Schon damals hatte S. den Gedanken gefaßt, persisch zu lernen und ihn nicht mehr aus dem Auge gelassen, jetzt war die Möglichkeit dazu vorhanden und die Absicht wurde zur That. Nach mehreren Monaten unausgesetzten, emsigsten Studiums war S. so weit, daß er sich unmittelbar an die oberwähnte persische Handschrift wagte und als er am 30. August 1830 die medicinische Doctorwürde erlangte, trat er mit seiner Inaugural-Dissertation: „de re medica Persarum“ auf, welche der lateinische Auszug der ersten Hälfte der mehrerwähnten persischen Handschrift war. Der Einbruch der Cholera, deren unheimliches Walten alle Gemüther in nicht geringe Aufregung versetzte, hatte auch in der gesammten medicinischen Wissenschaft große Bewegung hervorgebracht, und S., um den Charakter der furchtbaren Seuche gleichsam an der Quelle zu studiren, stellte der Regierung sich zur Verfügung, welche ihn auch als Choleraarzt in die Provinz schickte, und später zu gleichem Zwecke in einer Vorstadt Wiens verwendete. Nachdem die Seuche ausgetobt und der gesteigerte ärztliche Dienst nicht mehr nöthig war, lebte S. seinen Studien in Wien, wo sich in diesem Jahre, 1832, die Naturforscher und Aerzte versammelten und seine oberwähnte Dissertation die Bekanntschaft mit dem berühmten Berliner Arzte Schönlein vermittelte, indem dieser den Autor persönlich kennen lernen wollte und ihn auch aufsuchte. Indessen trat nach S.’s Rückkehr nach Wien die Frage über seine zukünftige Thätigkeit an ihn heran und da er durch den Orient in das Gesammtstudium der Medicin und Culturgeschichte eingetreten war, eröffnete er, nachdem er die kaiserliche Erlaubniß erhalten, im Jahre 1833 – der Erste wieder seit Eyerel, dem Schüler Stoll’s – Vorlesungen über die Geschichte der Medicin an der Wiener Universität, welch er bis zur Stunde fortsetzt. Indessen arbeitete er an der erwähnten persischen Handschrift weiter und hatte den Auszug des zweiten Theiles derselben veröffentlicht. Beide waren nun unter dem Titel: „Liber Fundamentorum Pharmacologiae Auctore Abu Mansur etc.“ Epitome etc. Pars I et II (Viennae 1830 et 1833) nebst einer deutschen Broschüre unter dem Titel: „Ueber drei höchst seltene persische Handschriften“ (Wien 1833, 8°.) erschienen (alle drei im Buchhandel längst vergriffen). Der Inhalt des deutschen Schriftchens behandelt obige von S. lateinisch bearbeitete persische Handschrift und noch zwei andere persische, in seinem Besitz befindliche Manuscripte, die S. von dem Orientalisten Hammer-Purgstall erhalten hatte, mit dem er bei Ueberreichung der oberwähnten Inaugural-Dissertation sich befreundet. Bei seiner Vertiefung in die erwähnten orientalischen Schriften blieb S. durch seine specifische Richtung so ziemlich auf sich und den ganz kleinen Kreis der in gleicher Weise Thätigen angewiesen, doch hatte er sich, frühe zum Studium der Kunst hingezogen, dem Kreise der Künstler angeschlossen, welcher eben damals in Wien so tüchtige Vertreter zählte. Zu den bisherigen medicinisch-culturgeschichtlichen Studien kamen nun kunstgeschichtliche, an welche sich ergänzend eine Reise nach Oberitalien (Venedig, Verona und Mailand) anschloß. So führten ihn dann Kunststudien, Geschichte und Medicin zu einem Versuche, die Entwicklung der Menschenracen im Verhältnisse zu den Darstellungen der menschlichen Gestalt in den Kunstwerken [52] der Alten nachzuweisen und das Ergebniß davon war die Abhandlung: „Götter, Satyrn und Faune“, welche später in dem von F. Witthauer in Wien 1838 zum Besten der Verunglückten in Pesth und Ofen herausgegebenen „Album“ erschien. Während dieser Zeit war er als Secundararzt in das allgemeine Krankenhaus getreten, wo er nahezu fünf Jahre diente. Nach Ablauf dieser Zeit unternahm er eine Reise nach Paris, um daselbst persische Manuscripte zu studiren. Bei einem Zusammentreffen mit Arago lud ihn dieser ein, das erwähnte Manuscript Abu Mansur’s, wovon S. eine Abschrift mitgenommen, durch die französische Akademie zu publiciren. So verlockend dieses Anerbieten war, erschien S. doch nicht geziemend, diesen Schatz der Wiener Hofbibliothek außerhalb der Heimat zu veröffentlichen. Im Jahre 1845 unternahm S., um seine kunstgeschichtlichen Studien und bibliothekarischen Forschungen fortzusetzen, eine Reise durch ganz Italien zur Naturforscher-Versammlung in Neapel. Im Sturmjahre 1848, als wieder die Cholera drohte, hielt S. öffentliche Vorlesungen über dieselbe, nach den Erfahrungen, die er selbst am Krankenbette gemacht. In Würdigung dessen wurde ihm der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen. Als später die neue Studienordnung es forderte, daß jedes Wintersemester medicinische Hodegetik gelesen werde, übernahm S. neben seinen geschichtlich-medicinischen Vorträgen auch diese und hat dieselben bis zur Stunde fortgesetzt. Am 13. April 1850 hielt S. die Gedächtnißrede auf den 1845 verstorbenen Professor Franz Wilhelm Lippich [Bd. XV, S. 229], als dessen Bild im klinischen Hörsaale des k. k. allgemeinen Krankenhauses feierlich aufgestellt wurde; sie erschien im „Wanderer“ 26. April desselben Jahres abgedruckt, und im nämlichen Jahre gab S. die Schrift: „Die Heilsysteme und die Volkskrankheiten“ heraus. Kurz vorher aber war der berühmte Geschichtschreiber der Medicin, Professor J. F. K. Hecker, in Berlin gestorben und nun kündigte ein charakteristisch einfacher Brief Schönlein’s in seinem und in A. v. Humboldt’s Namen S. die bevorstehende Berufung an Hecker’s Stelle nach Berlin an. Es war S. gestattet, diesen Brief bekannt zu machen und in Folge eines speciellen Vortrages des Unterrichtsministers gegen Ende 1850 an Se. Majestät wurde S. zum besoldeten Extraordinarius seines Faches ernannt, und seitdem hat er die Vorlesungen über Geschichte der Medicin, in Verbindung mit der Geschichte der Volkskrankheiten, vorgetragen. So war denn auch ein Anfang gemacht, denn nun wurden an den meisten Hochschulen in Deutschland und Frankreich solche specielle Lehrkanzeln errichtet. Im Jahre 1857 unternahm S. noch eine Reise nach Berlin und London und schloß mit derselben seine bibliothekarischen Forschungen nach persischen Handschriften ab. Das wissenschaftliche Ergebniß dieser langjährigen Studien und Forschungen war, daß das Manuscript des Abu Mansur, welches die Wiener Hofbibliothek besitzt, wirklich das älteste Document der neupersischen Sprache und auch der einzig existirende Rest derselben sei, wodurch seine Bedeutung für das Räthsel der Entwicklung dieser Sprache aus der alten Form, welches bis jetzt ungelöst und einzig in seiner Art dasteht, immer größer wurde. Mittlerweile waren auch die Schwierigkeiten besiegt, welche sich dem Herausgeber des Textes in Stich, Facsimilirung und Druck entgegenstellten und im Jahre 1860 erschien derselbe in der Wiener k. k. Staatsdruckerei als erster [53] Theil des Werkes: „Codex Vindobonensis sive Medici Abu Mansur etc. etc. liber fundamentorum Pharmacologiae etc.“ mit ausführlichen Prolegomena, welch’ letztere auch in Sonderausgabe ebendaselbst unter dem Titel: „Prolegomena ad Codicem Vindobonensem etc.“ erschienen sind. Im folgenden Jahre gab S. die Schrift: „Adam Chenot und seine Zeit“ (Wien, 4°.) auf Grund einer in der Plenarversammlung des medicinischen Doctoren-Collegiums von S. gehaltenen Rede heraus; von einem anderen Vortrage, den er im März 1864 gehalten: „Ueber Begräbnisse in culturhistorischer Beziehung“, brachten die Journale, wie „Constitutionelle österreichische Zeitschrift“ vom 27. März. Auszüge. Eine Erholungsreise, welche S. im Jahre 1865 unternahm, führte ihn zu Untersuchungen über in Deutschland vorhandene ethnographische und Schädelsammlungen, deren Ergebnisse er in einem in der Akademie der Wissenschaften gehaltenen Vortrage zusammenfaßte, in welchem er die von ihm bei dieser Gelegenheit gemachte Entdeckung des constanten Vorkommens von Knochenauswüchsen im äußeren Gehörgange von bestimmten künstlich verunstalteten Peruanerschädeln erörterte. Im Jahre 1866 übernahm S. die Mitarbeiterschaft des seitdem alle zwei Jahre regelmäßig erscheinenden Behm’schen geographischen Jahrbuches (Gotha, Justus Perthes) für den anthropologischen Theil (Racenlehre), wovon der sechste Band erschienen ist. Im September 1869 wohnte S. der Versammlung der Naturforscher und Aerzte in Innsbruck bei, in welcher er einen Vortrag über die Ursachen der von ihm aufgefundenen Exostosen an Peruanerschädeln hielt. Bald darauf erging an ihn der Antrag, für den von Virchow und A. Hirsch in Berlin herausgegebenen, jährlich erscheinenden „Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin“ die „Geschichte der Medicin und der Krankheiten“ zu bearbeiten, welches er auch bis zur Stunde fortsetzt. Verschiedene kleinere Arbeiten in den oberwähnten Gebieten sind hie und da zerstreut in Wiener Zeitschriften abgedruckt; auf Regierungskosten gedruckt erschien aber seine Schrift: „Die Kochanstalt des Wiener allgemeinen Hilfsvereines.“ Mit 5 Tafeln (Wien 1852, Staatsdruckerei, 4°.), als ein Versuch, die Lehre von den Nahrungsmitteln wissenschaftlich und populär darzustellen, nebst einer Darstellung der Zubereitung der Rumfordsuppe im Großen, mittelst eines von ihm erfundenen Apparates. S., der im Jahre 1869 zum ordentlichen Professor der bereits benannten Fächer ernannt worden, ist Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften und Vereine, darunter der kais. Leopold-Carolinischen Akademie der Naturforscher. Gegenwärtig ist er mit der Veröffentlichung seiner Vorlesungen über die „Geschichte der Medicin und Volkskrankheiten“, sowie des zweiten Theiles des „Abu Mansur“ (vollständige lateinische Uebersetzung des persischen Originals mit Commentar) und mit der Sammlung und vermehrten Herausgabe der publicirten anthropologischen Abhandlungen beschäftigt.

Handschriftliche eigene Notizen. – Ministerial-Acten. –