Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Schwarzer, Franz
Band: 32 (1876), ab Seite: 328. (Quelle)
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Schwarzer, Ernst (Minister der öffentlichen Arbeiten im Jahre 1848, geb. zu Fulnek in Mähren am 15., n. A. am 18. August 1808, gest. zu Wien am 18. März 1860). Es ist eine der interessantesten und lange noch zu wenig gewürdigten Persönlichkeiten, welche nach den Märztagen des Jahres 1848 auftauchte. Wäre S. damals nicht auf einen Posten gestellt worden, dem er [329] ebenso wenig gewachsen, als eben dieser Posten unter den damaligen Verhältnissen geradezu überflüssig war, er würde vielleicht länger gelebt und Manches geschaffen haben, wozu er mit seinem reichbegabten Geiste gewiß fähig gewesen. Sein Vater war Soldat in einem kaiserlichen Infanterie-Regimente, hatte die Feldzüge gegen Napoleon mitgemacht und war seines tapferen Verhaltens wegen zum Lieutenant befördert und später in den Adelstand mit dem Prädicate von Heldenstamm erhoben worden. Zuletzt erhielt er eine Friedensanstellung in der Festung Olmütz und in dieser verlebte Ernst seine Kinderjahre. Um den Uebermuth des etwas lebhaften Knaben zu zügeln, kam dieser, als er 11 Jahre alt war, in eine kaiserliche Cadetenschule. Dort erhielt er eine sehr dürftige und einseitige Ausbildung, kam dann in das Bombardiercorps, in welchem er zehn Jahre diente, ohne es zum Officier gebracht zu haben. Die damaligen Verhältnisse im Militärstande waren nichts weniger als geeignet, ein aufgewecktes Gemüth, wie jenes Schwarzer’s, zu befriedigen. Inmitten des geistig abstumpfenden Commiß- und Kasernenlebens gründete S. einen Leseverein, wodurch ihm und seinen Kameraden die Lectüre belehrender und anregender Werke ermöglicht wurde, während er selbst dadurch einen nicht geringen Einfluß auf die geistige Ausbildung seiner Umgebung übte. Freilich ließ die Wahl der Bücher Manches zu wünschen übrig, auch war das Durcheinander in der Lectüre weniger bildend, als überbildend. Ueber das Unbehagliche, Beengende seiner Stellung half ihm sein leichter Sinn und die Hoffnung, daß es noch anders kommen werde, hinweg. Seine Hauptaufgabe in diesem mißlichen Verhältnisse war und blieb: Selbstbildung. Er las also nicht nur Alles, dessen er habhaft werden konnte, sondern er lernte auch, zunächst Sprachen, und zwar vor allen die französische, in die er sich so rasch hineingearbeitet hatte, daß er selbst bald Unterricht in derselben ertheilte. Ja, die Kenntniß derselben verhalf ihm zur Kenntniß der alten classischen Sprachen, in denen ihn ein Kapuziner unterrichtete, während er diesen das Französische lehrte. Endlich aber wurde ihm doch das Leben in diesen Verhältnissen auf die Dauer unerträglich. Er sann auf Mittel, sich aus diesen Banden zu befreien, und nach langen Bemühungen, als er von Wien nach Prag versetzt worden, gelang es ihm, durch allerlei Kunstgriffe seine Entlassung zu erhalten. Entlassen, war er – als Real-Invalide – aber was sollte er nun ohne Vermögen und sonstige Hilfsmittel beginnen? Jetzt tritt ein kaleidoskopartiger Wechsel in seinen Verhältnissen ein, er beginnt als Sprachlehrer, wird dann Transparentenzeichner, Schildermaler, Schreib- und Rechenmeister, Torfstecher, Landwirth u. s. w., Alles Beschäftigungen, die kaum ausreichten, ihn die Nothdurft des Lebens bestreiten zu lassen. Eine vorübergehende Verbesserung seiner mißlichen Lage trat ein, als ihn General Hauslab mit dem mathematischen Unterrichte von türkischen Officieren betraute. Nachdem er einige Zeit diesen Unterricht geleitet, gab er ihn auf, um eine Stellung als Secretär oder doch ein ähnliches dienstliches Verhältniß bei General Ramorino anzunehmen und demselben in die Schweiz zu folgen, wo er das Jahr 1834 in Genf verlebte. Uebrigens ist über seinen Schweizer Aufenthalt nichts Genaues bekannt. Im folgenden Jahre ist S. in Tirol und fristet als Schildermaler sein Dasein, dann kehrte er nach Wien zurück, wo er heirathete. [330] Nach kurzem Aufenthalte in Wien begab er sich mit Bäcker Zang, dem nachmaligen Redacteur der „Presse“, nach Paris, um dort demselben bei seiner Einrichtung einer Wiener Bäckerei als Geschäftsleiter zur Seite zu stehen. In Paris lebten in jener Zeit mehrere jungdeutsche Schriftsteller im selbstgewählten Exil, mit denen S. bald Bekanntschaft machte und in deren Kreise zuerst der Gedanke, es auf der literarischen Laufbahn zu versuchen, in ihm aufdämmerte. Als Zang sein Geschäft verkauft hatte, begab sich S. nach London, wo er an einem Brauerei-Unternehmen betheiligt war, das aber mißglückte. Nun, die bisherigen Lebensverhältnisse hatten ihm außer einer tüchtigen Dosis Lebenserfahrung und einer vielseitigen Praxis nichts eingebracht. So oft ein neues Unternehmen in die Brüche gegangen war, befand sich S., wie bevor er dasselbe begann, immer wieder auf sich selbst gestellt. Aber das Alles entmuthigte ihn gar nicht. Sein unternehmender, elastischer Geist fand sich bald zurecht, und immer wieder fand er etwas Neues, was ihn anlockte, es zu versuchen, und so finden wir ihn im Jahre 1840 mit der Leitung eines Torfstiches in Ungarn beschäftigt. Die Unternehmer hatten ihn zuvor auf ihre Kosten nach Holland und Hannover reisen lassen, um dort die darauf bezüglichen Studien zu machen. Das Unternehmen ließ sich, was Ergiebigkeit des Terrains und fachgemäße Behandlung des Stoffes betrifft, ganz gut an, nur stellte es sich bald heraus, daß der gewonnene Torf höher zu stehen kam als Holz, und da war denn doch alle weitere Mühe beim Torfstiche verschwendet. Nun wurde Schwarzer Gutsverwalter bei einem ungarischen Edelmanne; er lernte in dieser Stellung die landwirthschaftlichen Arbeiten, mannigfache Rechtsverhältnisse Ungarns im Detail kennen, aber gerieth in seinem Dienste mit seinen deutschen Rechtsbegriffen oft genug in Conflict und gab endlich, wenig befriedigt, seine Stelle auf. Nun, 1842, trat er in Dienste des Prager Gewerbevereins und lieferte für denselben zahlreiche handelsstatistische Arbeiten. In diese Zeit fällt seine Bearbeitung einer Industriekarte Böhmens, welche, als eine damals noch wenig gekannte Richtung der Chartographie, allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Sie erschien unter dem Titel: „Statistisch-topographische Industriekarte des Königreichs Böhmen. (Mit den Umgebungen von Pilsen, Haida, Karlsbad, Rumburg, Reichenburg, Hohenelbe, Prag und Plan von Prag.) Gest. von Fr. Pluth und illum. Nebst erklärender Uebersicht“, 2 Blätter in Imp.-Fol. (Prag 1842, Borrosch u. André). Eine Episode seiner Bedienstung bei dem Prager Gewerbevereine ist seine Werbung böhmischer Glasschleifer für einen französischen Industriellen. Aber auch beim Gewerbevereine war seines Bleibens nicht lange, schon im Jahre 1843 ist er Oekonomieverwalter eines gräflich Mittrowsky’schen Eisenwerkes in Mähren und im folgenden Jahre – Hauptredacteur des „Oesterreichischen Lloyd“ in Triest. Wie das zu Stande gekommen, wie noch vieles Andere in Schwarzer’s Leben, das als jenes eines Volksmannes und Journalisten quand même ebenso interessant als belehrend wäre, ist nicht bekannt. Jedenfalls fühlte sich S. auf diesem Posten mit seinen in einem wechselvollen Leben steter Mühe und Arbeit gewonnenen Erfahrungen am behaglichsten, wenngleich er seine Stelle, in welcher er weniger mit der Feder wie mit dem Kopfe arbeitete, ernst genug nahm und sich die Interessen des Blattes, wie jene [331] der Gesellschaft, in deren Dienste er thätig war, sehr angelegen sein ließ. Als Lieutenant Waghorn[WS 1] das bekannte großartige Project einer deutsch-ostindischen Ueberlandspost in Anregung brachte und den Versuch mit fast haarsträubender Bravour ausführte, war es Schwarzer, der diesen Gedanken mit Begeisterung aufgriff und in Person drei der bekannten Weltreisen mitmachte, auf deren einer er den Weg von Triest nach London in 93 Stunden zurücklegte. Es ist dabei nicht zu vergessen, daß das heute bestehende Eisenbahnnetz Deutschlands damals erst in seinem Entstehen begriffen war und daß heute noch, trotzdem dasselbe vollendet ist, eine Dampfschnellreise von Triest nach London nicht weniger Stunden betragen dürfte. Unter allen Umständen aber wird diese Fahrt Schwarzer’s culturhistorisches Interesse behalten. Im Auftrage des „Oesterreichischen Lloyd“ befand sich Schwarzer nun fortwährend auf Reisen und machte auf denselben Bekanntschaften mit wissenschaftlichen und politischen Notabilitäten aller Farben in und außerhalb Oesterreichs. Vornehmlich in Berlin schien ihn der Verkehr mit den Jüngern der Hegel’schen Schule, die dort in allen Nuancen vertreten waren, anzuregen. Manchem derselben würde er näher getreten sein, wenn ihn damals nicht andere Ausgaben beschäftigt hätten, die ein tieferes Sichversenken in die philosophischen Aufgaben der Gegenwart, die eben dadurch, daß sie viele waren – statt der einen und einzigen, dem „Streben nach absoluter Wahrheit“ – dem vorherrschend der Lebenspraxis zugekehrten Manne nicht gestatteten. Wichtiger aber für seine künftige Lebensstellung und erklärend seine damals Alles in Erstaunen versetzende Berufung auf einen Ministerposten im Jahre der Freiheit und allgemeinen Verwirrung, war sein Verkehr mit dem Fürsten Metternich, mit Bruck, dem Grafen Stadion und anderen bedeutenden Männern jener Tage, der sich in seiner Stellung als Chefredacteur eines im Vormärz bedeutenden politischen und commerciellen Organs und als Repräsentant einer Geldmacht erster Größe, wie es der „Lloyd“ war, in ganz natürlicher Weise entspann. Kaum war der Rausch der Märztage vorüber und nach dem Schreck die Ernüchterung so stark wieder über die leitenden Kräfte der Staatsmaschine gekommen, daß man an einen „Oesterreichischen Beobachter“, freilich unter einer den neuen Verhältnissen angepaßten Form, zu denken im Stande war, übernahm Schwarzer die Leitung des Pilat’schen Blattes, welches – man sieht, Schwarzer ging systematisch vor – unter dem Namen der „Allgemeinen österreichischen Zeitung“ erschien. Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ war bis dahin durch Dick und Dünn für und mit Oesterreich gegangen; man besorgte, und nicht mit Unrecht, daß unter den veränderten Verhältnissen sich unvermeidlich ein anderer, nicht minder mächtiger Einfluß auf das berühmte Weltblatt werde geltend machen, und da wollte man an Stelle des alten, von allen Parteien bereits mit Achselzucken angesehenen „Beobachters“ ein Blatt für sich allein besitzen, das dem Augsburger ebenbürtig zur Seite stand und, wenn nicht über ihm stehen, doch mit Anstand an seiner Seite gehen konnte. Und wenn es einen Mann gab, der diese an sich keineswegs so leichte Aufgabe zu lösen vermochte, weil er ihr gewachsen schien, so war es Schwarzer. Sein reiches, encyklopädisches Wissen, die bunten, dabei gehaltvollen Erfahrungen, die er in einem vielbewegten, [332] von stetem Wissensdrange beseelten Leben in der mannigfaltigsten Richtung gewonnen, das unleugbare Geschick, womit er die wichtigsten Fragen der Zeit erfaßte und sie auf den für ihre naturgemäße Entwickelung passenden Boden der Journalistik verpflanzte, der Feuereifer, mit dem er sich auf alle neuen Erscheinungen in Kunst und Literatur und überhaupt im Leben stürzte, die Leichtigkeit, mit der er, ohne zudringlich zu erscheinen, mit Persönlichkeiten aller Stände und Fächer sich bekannt zu machen und durch die lebendige Weise seines Verkehrs anzuregen, nicht selten dauernd zu fesseln verstand, sein ausgesprochenes, fast divinatorisches Talent in der Wahl der Personen für seine Zwecke, seine Vorliebe für gefällige Form, Alles das zusammen mit seiner im hohen Grade einnehmenden und trotz ihrer Impetuosität doch nichts weniger als abstoßend wirkenden Persönlichkeit machte ihn, wie ihn einer seiner Freunde treffend nannte, zum Journalisten par excellence. Als im J. 1848 vom deutschen Fünfziger-Ausschuß die Wahlen ausgeschrieben wurden, fiel neben Andrian, Schuselka u. A. auch auf Schwarzer die Wahl zum Mitgliede; aber er ging nicht persönlich nach Frankfurt, sondern ließ sich von dem Statistiker Otto Hübner[WS 2] vertreten. Dann wählte ihn die Vorstadt Gumpendorf zum Abgeordneten in das constituirende österreichische Parlament, an deren Debatten er sich aber kaum bemerkbar betheiligte. Er hatte auf der Linken gleich hinter der Ministerbank in der ersten Bankreihe, zwischenNeuwall und einem galizischen Cameral-Justitiär, Namens Macieszkiewicz, einer ihm nichts weniger als sympathischen Nachbarschaft, seinen Platz. In der (von Adolph Neustadt herausgegebenen) „Reichstags-Gallerie“, deren erstes Heft auch sein geschriebenes Porträt bringt, kommt S. ziemlich schlecht weg, und diese Darstellung ist ganz das Ergebniß jener Stimmung, die sich kundgab, als Schwarzer wider alles Erwarten am 17. Juli 1848 als Minister für die öffentlichen Arbeiten Mitglied des Cabinets Doblhoff-Wessenberg wurde. Schreiber dieses gedenkt noch wie heute der Aufregung, welche bei Lesung der Ministerliste im Café Daum entstand, als S.’s Name genannt wurde, welche sich noch steigerte, als ein paar Tage darnach die als „Oesterreichischer Courier“ travestirte Bäuerle’sche „Theater-Zeitung“ den sarkastischen, in seiner Schlußpointe überraschenden und scharf treffenden Artikel: „Die Fliege in der Melange“ brachte, in welchem das ganze Ministerium mit einer wohlgerathenen Melange verglichen wird, in die mit einem Male eine häßliche Fliege (Schwarzer) gefallen ist. Ueber seine Ernennung zum Minister und über die Dauer seines Portefeuilles äußert sich einer seiner Biographen wie folgt: „Die sich aus jener Zeit an seinen Namen knüpfenden geschäftlichen Erinnerungen sind nicht geeignet, seine Wahl zum Minister als eine glückliche bezeichnen zu lassen. Uebrigens hätte sein Schicksal auch jeden Anderen getroffen. In jenen Tagen der Reizbarkeit eines freiheittrunkenen, seiner Fesseln kaum entledigten Volkes, mußte jede, ob auch noch so gerechte Maßregel zur Quelle des Mißvergnügens werden, sobald sie nach irgend einer Seite der politischen und naturrechtlichen Anschauung der Masse zuwiderlief. Diese nun hatte S., als einen ihrer Meinung nach socialistischen Agitator, in die Höhe gehoben, um ihn bald darauf wieder in selbstverschuldeter Enttäuschung fallen zu lassen. [333] Schwarzer zählte wohl eher zur gemäßigt liberalen Partei und hatte er zeitweilig auch extrem liberale Tendenzen begünstigt, so brachte er durch diesen Widerspruch nur seine Unfertigkeit der politischen Ansicht zum Ausdrucke, ohne die berechtigte Zumuthung einer vorherrschenden Neigung zum Radicalismus aufkommen zu lassen.“ Schwarzer hatte es damals mit den Journalisten verdorben und ihn vornehmlich einer derselben, Dr. Ebeling, der auch aus Berlin nach Wien den Kaiserstaat verbessern gekommen, in hämischer Weise verfolgt. Die Veranlassung war folgende: Der unmittelbare Verkehr der Journalisten mit den Abgeordneten des constituirenden Reichstages, welche von Ersteren, wie ich selbst oft genug Zeuge gewesen, in ganz entschiedener und im Hinblicke auf die Persönlichkeiten, welche das damalige Wiener Journalisten-Gros bildeten, nicht immer entsprechender Weise beeinflußt wurden, sollte durch einen nur von den Journalisten zu benutzenden Zugang in ihre Loge wenigstens für die Dauer der Sitzungen beschränkt werden. Das geschah in den letzten Tagen des September. Darüber trat ein Journalisten-Parlament zusammen, das gegen diese Maßregel protestirte. Da Schwarzer, der schon am 19. September aus dem Cabinete getreten war und die Redaction der „Allgemeinen österreichischen Zeitung“ wieder übernommen hatte, bei dieser Journalisten-Versammlung nicht zugegen gewesen, so begab sich eine Deputation der Journalisten zu ihm, ihn zum Beitritte zu den von ihnen gefaßten Beschlüssen aufzufordern. Schwarzer, dem die Presse bei seiner Ernennung zum Minister hart genug mitgespielt, ja, ihn unwürdig, bubenhaft behandelt, empfing die Journalisten in einer bei der Impetuosität seines Charakters zu erwartenden, deßhalb doch immer nicht zu rechtfertigenden Weise. Nun war aber auch das Kind mit dem Bade verschüttet und Schwarzer hatte es mit der Journalistik gründlich verdorben. Daß er sich später mit ihr wieder auf guten Fuß gestellt und daß sie wieder für ihn ebenso heftig Partei nahm, wie sie einst heftig gegen ihn aufgetreten, zeigt nur für die eigenthümliche, ja geheimnißvolle Wandelbarkeit dieser ganz irrig als öffentliche Meinung bezeichneten Gewalt, wie andererseits für die bedeutenden geistigen Qualitäten S.’s. Zwei Monate, zwei Tage war S. Minister gewesen. Man hat ihn für die blutigen Auftritte am 23. August 1848 verantwortlich gemacht, weil dieselben in Folge einer von ihm sanctionirten Maßregel, die Reduction des Arbeitslohnes nämlich, ausgebrochen waren. Die Reduction aber war in Ansehung der traurigen finanziellen Verhältnisse geboten, die Folgen lagen nicht in seiner Hand. Doch mit einem aus der Zeit seiner Ministerschaft hervorgegangenen großartigen Baudenkmale bleibt Schwarzer’s Name bleibend verknüpft. Schwarzer nämlich hatte die Inangriffnahme der Semmeringbahn decretirt, nachdem er ihren Bau lange vorher schon bevorwortet hatte. Aber, wie es in den späteren Tagen dem Sproßen eines alten Fürstenhauses geschah, den man bei Aufstellung des Monumentes seines glorreichen Vaters einzuladen vergessen oder unterlassen hatte, so hatte man auch Schwarzern nicht geladen, als nach zehn Jahren das gigantische Bauwerk vollendet war und man die Eröffnung desselben auf das Festlichste beging. O, man hatte keinen Lohn dafür, im Jahre 1848 Minister gewesen zu sein! In die Zeit seiner ministeriellen Thätigkeit fallen noch die Freigebung der Telegraphen, [334] die Grundsteinlegung zum neuen Irrenhause an Stelle des bisherigen berüchtigten Narrenthurmes und einiger anderer öffentlicher Bauten. S. mußte wiederholt um seine Entlassung nachsuchen, ehe er sie erhielt. Er hatte, obgleich vermögenlos, nach seinem Austritte auf die Pension, auf die er, so kurze Zeit er Minister war, Anspruch hatte, verzichtet. Von keinem der zahllosen Minister, die nach ihm kamen und gingen, ist Aehnliches bekannt geworden. Auch aus dem constituirenden österreichischen Reichstage war S. kurz vor Sprengung desselben in Kremsier ausgetreten. Die Zeitung, die er redigirte, gab er nicht selbst auf, sondern sie wurde polizeilicherseits eingestellt und der Redacteur der darin enthaltenen, strafbar befundenen Artikel wegen mit zweitägigem Arreste bestraft. Nach einem längeren Aufenthalte in Linz kehrte S. nach Wien zurück, um die Hauptredaction des an die Stelle der „Oesterreichischen Zeitung“ getretenen Journals: „Der Wanderer“ zu übernehmen. Diese führte er bis Mitte 1854. Nun traf er Vorbereitungen zur Herausgabe eines neuen Journals, betitelt: „Die Donau“, womit er alle bisherigen Wiener Blätter in den Schatten stellen wollte. Ein Freund S.’s, ein ehemaliger, damals in Mannheim wohnender Marine-Officier, der über bedeutende Mittel verfügte, hatte ihm die nöthigen Fonds zur Begründung des Blattes unter den leichtesten Bedingungen gegeben. S. war es gelungen, schriftstellerische Notabilitäten, wie Bernhard Cotta, Fallmerayer, Lingg, Tschudi u. A., für dasselbe zu gewinnen, und Wiens jüngere, lebensfrische Kräfte, wie Semlitsch, Stifft, Valdeck u. A., wirkten als ständige Mitarbeiter an dem in der That seltene Lebendigkeit und Frische entfaltenden Blatte mit, welches durch den Saphir-Valdeck-Scandal, der sich im ersten Vierteljahre 1856 abwickelte, literarhistorische Bedeutung erhält. Derselbe gipfelte in einem der schaalesten Witze Saphir’s, dessen wir hier gedenken, um einer in späteren Jahren leicht möglichen bibliographischen Irrung vorzubeugen. Es erschien nämlich die: „Prachtausgabe sämmtlicher Schriften der „Wiener modernen Classiker“. 1) Semlitsch. 2) Ernst von Schwarzer. 3) Rudolph Valdeck. Nach ihren Originalwerken gewissenhaft gesammelt, zusammengestellt und herausgegeben von M. G. Saphir. Kein „Kochbuch“ – also Druck und Verlag nicht bei Carl Gerold“. Worin bestand diese Prachtausgabe? In vier Quartseiten, die als Beilage zum Montagsblatt 1856, Nr. 13 des „Humoristen“ erschienen war, deren erste Seite obigen Titel mit Titelschrift vorwies, deren zweite und dritte Seite unbedruckt waren, und letzte, auch leere Seite am unteren Rande die Anmerkung für den Buchbinder enthält: „Die Herren Buchbinder werden gebeten, auf Ordnen und Heften der Bögen große Aufmerksamkeit zu verwenden, damit kein Classiker aus dem Leim gehe. Der Herausgeber“. Solche Dinge, wie sie nicht schlimmer in der Zeit tiefster Erniedrigung der Sedlnitzky’schen Censur-Plackereien-Aera vorkamen, konnten noch nicht ein Jahrzehend nach dem gepriesenen Freiheitsjahre 1848 sich ereignen! War da nicht Solferino nöthig? Zwei Jahre hielt Schwarzer das Blatt, das schon nach wenigen Monaten fühlbar nachließ, da Einnahmen und Ausgaben desselben in zu schreiendem Mißverhältnisse gegen einander standen. Die „Donau“ hatte während der zweijährigen Dauer 60.000 fl. verschlungen. Zum Ueberflusse war [335] Schwarzer, der kein Mittel unversucht ließ, um sich über dem Wasser zu halten, in die Hände eines Gauners gerathen und sein Ruin war fertig. Die „Schlesische Zeitung“ 1856, Nr. 549, erzählt im Feuilleton die „Affaire Schwarzer-Pollak“ ausführlich. Schwarzer stand nun da ohne Pension, ohne Blatt, ohne Vermögen, ein mit Frau und reich mit Kindern gesegneter Familienvater! Mit der 10.000 fl. großen Caution hatte er seine Gläubiger befriedigt; er war nun auf seine eigene, durch jahrelange Mißerfolge auch nicht mehr ungeschwächte Kraft angewiesen. Seit er sich unfreiwillig von der Journalistik zurückgezogen, lebte er, abgeschieden von aller Welt, mit Arbeiten beschäftigt, mit denen ihn einige leitende Staatsmänner und Privat-Institute, welche seine Fähigkeiten zu würdigen wußten und ihm so unter die Arme griffen, beschäftigten. So lieferte er in diesen Jahren, nach 1856, in den Bureaux des stabilen Katasters arbeitend, statistische Tabellen für die Besteuerung Oesterreichs und allerlei Gründungsvorarbeiten für die Versicherungs-Gesellschaften „Vindobona“ und für die zur Bereicherung seiner Actionäre mit dem Gelde der Versicherten gegründete (Schreiber dieses spricht aus eigener Erfahrung) Versicherungs-Gesellschaft „Anker“. Die letzten zwei Jahre siechte S. an einem schweren, unheilbaren Leiden dahin, von dem ihn im Alter von erst 52 Jahren der Tod erlöste. Seinem Leichenbegängnisse gaben sämmtliche Wiener Journalisten, Dichter und Schriftsteller und sein ehemaliger Minister-College Freiherr von Doblhoff das Geleite. Schwarzer’s schriftstellerische Thätigkeit beschränkt sich außer der bereits erwähnten „Industriekarte“ und einem „Berichte über die österreichische allgemeine Industrie-Ausstellung[WS 3] des Jahres 1852“ noch auf eine Karte und zwei Werke: „Carta del Litorale austriaco, con indicazione di tutti gli uffici politici, ecclesiastici e littorali, degli stabilimenti d’istruzione e d’agricoltura, miniera, cave, pesche, della navigazione a vapore, delle fabbriche ed industrie ecc.“ (Triest 1846, Linassi, ein Folioblatt); – „Oesterreichs Land- und Seehandel mit Hinblick auf Industrie- und Schiffahrt“ (Triest 1846, Favaryer, gr. 8°.), welches auch als 1. Theil eines größeren Werkes über Oesterreichs Industrie, Land- und Seehandel erschien; – „Geld und Gut in Neu-Oesterreich“ (Wien 1857, Wallishausser, gr. 8°.), ein Werk, worin schätzbares statistisches Material mit großer Gewandtheit gruppirt, der an sich trockene Gegenstand in geistvoller, anregender Weise behandelt und volkswirthschaftliche Ideen durch die anziehende Form seiner Schreibweise popularisirt werden. Ein größeres Werk, an dem er Jahre hindurch arbeitete, das aber ungedruckt geblieben, betitelte sich: „Allkunde“. Aus einer zweimaligen Ehe hinterließ er eine zahlreiche Familie. Ein Sohn Guido [s. d. S. 337, Nr. 1] ist an einer Forstschule angestellt. Eine Tochter Clara hatte als Erzieherin den Kampf um’s Dasein aufgenommen. Sie brach unter der Wucht hereinstürmender schwerer Prüfungen, nachdem sie ein letztes Asyl im Krankenhause Bethesda zu Pesth gefunden, unter der liebevollen Pflege barmherziger Schwestern in der Blüthe ihrer Jahre zusammen. Die Tochter eines österreichischen Ministers starb im Krankenhause! Eine andere Tochter ist an den Wiener Journalisten Lecher verheirathet. Schwarzer war eine Persönlichkeit, die ein besseres Loos verdient hatte, als ihr zu Theil geworden. Er besaß ganz das Zeug, um ein „österreichischer [336] Peschel“ zu werden; aber das Ministergewesensein lag wie ein Alp auf ihm. Allem Neuen und Großen brachte er ein stets offenes, empfängliches Gemüth entgegen. Jeden Fortschritt, jedes Talent begrüßte er mit einer beinahe jugendlichen Begeisterung. Er war eine geistig sehr bewegliche und auf allen Gebieten anregende Persönlichkeit, voll Empfindung für die Form und mit einem seltenen Scharfsinne für die Auffindung der verborgenen Quellen des Talents begabt. Die „Pest-Ofener Zeitung“ in einem ihrer Feuilletons erzählt in anziehender Weise (1860, Nr. 71), wie prächtig er es verstand, in seiner Redaction Jeden an seinen rechten Platz zu stellen und seine Aufgabe vom richtigen Gesichtspuncte aufzufassen und dann darzustellen. Ein emancipirter, hell denkender Geist, in der Schule harter Erfahrung großgezogen, frei von den Fesseln des Vorurtheils, hätte Schwarzer ungemein nützlich werden können, wenn es ihm nicht, wie schon so manchem tüchtigen Geiste, an Luft und Sonnenschein gefehlt hätte. Niedrige Sorge, geistaufreibende Arbeit, verbunden mit dem Gefühle, ein besseres Loos verdient zu haben, schnitten vorzeitig den Faden seines bewegten Lebens ab. Bald nach Schwarzer’s Tode meldeten die Blätter („Presse“, 4. März 1860), daß Schwarzer schon vor einigen Jahren dem Dichter Ludwig August Frankl die Daten zu einer Schilderung seines bewegten Lebens übergeben habe. Eine Darstellung desselben wäre, wie bereits bemerkt, nicht blos für angehende Journalisten, sondern überhaupt als Geschichte eines vom Schicksale viel umhergeworfenen, geistbegabten Mannes ungemein lehrreich.

Presse (Wiener polit. Blatt) 1860, Nr. 80: „Ernst von Schwarzer“. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) V. Suppl.-Band. S. 657. – Bohemia (Prager polit. u. belletr. Blatt. 4°.) 1860, Nr. 69, S. 617, in der Rubrik: „Sterbefälle“ [nach dieser gest. am 18. März). – Tagesbote aus Böhmen (Prager polit. Blatt) 1860, Nr. 81, im Feuilleton [nach diesem geb. am 15. August 1808). – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, Fol.) XXXIV. Bd. (1860), Nr. 878, S. 299. – Laube (Heinrich), Das erste deutsche Parlament (Leipzig 1849, Weidmann, 8°.) Bd. I, S. 154. – Reichstags-Gallerie. Geschriebene Porträts der hervorragendsten Deputirten des ersten österreichischen Reichstages (von Adolph Neustadt) (Wien 1848, Jasper, Hügel u. Manz, 8°.) I. Heft. S. 25, Nr. 9: „Schwarzer“. – Ebeling (Friedr. W.), Zahme Geschichten aus wilder Zeit (Leipzig 1851, Kollmann, 8°.) S. 86 u. f. – Porträt. Sehr ähnlicher Holzschnitt nach einer Originalzeichnung, in der Illustrirten Zeitung, Nr. 878, 28. April 1860, S. 300. – Schwarzer’s Grabdenkmal. Als Schwarzer, der vermögenlos, ja noch mehr, in mißlichen ökonomischen Verhältnissen gestorben, wurde er auf dem St. Marxer Friedhofe bestattet, und ein einfacher Denkstein an der westlichen Einfassungsmauer des St. Marxer Friedhofes bezeichnete die Grabstätte des Mannes, dessen rastloses Leben erst im Grabe die Ruhe gefunden. Nach einigen Jahren erhob sich über der Ruhestätte des ehemaligen Ministers eine Votivcapelle, im einfachen, edlen Style, überdieß in kostspieliger Art erbaut. Wer der Erbauer derselben und auf wessen Kosten dieselbe erbaut, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist diese Capelle das schönste Grabdenkmal des St. Marxer Friedhofes. Wie man erzählte, soll eine Dame dieselbe haben aufführen lassen und dafür über 20.000 fl. bezahlt haben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Thomas Fletcher Waghorn (Wikipedia).
  2. ADB:Hübner, Otto (Wikisource).
  3. Vorlage: Austellung