Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Boxich, Constantin
Band: 14 (1865), ab Seite: 406. (Quelle)
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Brahms, Johannes (Tonkünstler, geb. zu Hamburg 7. Mai 1834). Sein Vater war Contrabassist am Orchester des Stadttheaters zu Hamburg. Da der Sohn Talent zur Musik besaß, erhielt er frühzeitig Unterricht in derselben, und zwar war O. Cassel sein erster Lehrer in Clavierspiele, den weiteren theoretischen Unterricht ertheilte ihm Ed. Marxsen in Altona. Erst 13 Jahre alt, trat er im Jahre 1847 als Clavierspieler öffentlich auf. Im Jahre 1853 wurde er mit Robert Schumann bekannt, der ihn sehr liebevoll aufnahm und des Jünglings geniale Anlage alsbald erkannte. In einem aus Düsseldorf datirten Briefe jener Zeit schreibt Schumann an einen Freund: „Jetzt ist ein junger Mann hier aus Hamburg, Namens Johannes Brahms, von so genialer Kraft, daß er mir alle jüngeren Künstler bei weitem zu überstrahlen scheint und von dessen wunderbaren Werken (namentlich auch Liedern) gewiß bald auch zu Ihnen etwas dringen wird“. Ein inniges Freundschaftsband umschloß bald beide Künstlerseelen, welches nur der Tod Schumann’s löste. Rührend sind, wie Ludwig von Ulm schreibt, die schlichten Erzählungen aus Brahms’ Munde, wie die beiden Freunde ... in der Irrenheilanstalt zu Endenich bei Bonn zusammensaßen und der gebrochene, wie eine Kerze abtropfende Schumann von schönen vergangenen Zeiten plauderte und den Mendelssohn pries und für Franz Schubert schwärmte und über seinen alten Liebling Jean Paul noch immer außer sich war, wie sie dann wechselweise am Clavier ihre musikalischen Gedanken austauschten, oder sich an kräftigen Weinen und starken Cigarren, die Brahms stets aus Hamburg besorgte, erlabten. Die beiden sich so beisammen denken, ist wie das Schauspiel einer verschleiert untergehenden Sonne, während der mild blinkende Mond schon am Himmel steht. Längere Zeit verweilte Brahms in Düsseldorf an Schumann’s Seite, der seinen geliebten Jünger in einer Weise in die Oeffentlichkeit einführte, wie es wohl wenigen Schülern von ihren Meistern geschehen sein dürfte. Von Düsseldorf aus besuchte B. auch andere Rheinstädte, ging 1834 nach Weimar, wo er mehrere Wochen bei Liszt zubrachte, der gleichfalls den Schützling Schumann’s in seiner bekannten liebenswürdigen Weise aufnahm. Nachdem er von Weimar für kurze Zeit in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, nahm er eine vortheilhafte Stellung bei dem Fürsten von Detmold an, ertheilte am Hofe Unterricht, leitete einen kleinen Singverein und fand sich so behaglich in diesem Verhältnisse, daß er eine ihm angebotene Professur in Cöln ausschlug. Einem Antrage aus Wien aber, zur Uebernahme der Direction der dortigen Singakademie konnte B. nicht widerstehen und seit 1862 gehört B. der Residenz des Kaiserstaates an, wo er in nicht geringem Maße zur Hebung der gesunkenen Musikzustände, vornehmlich aber der seiner Leitung anvertrauten Singakademie, beiträgt. B. auch als Tondichter thätig, hat bereits mehrere Werke veröffentlicht. Unter diesen, deren Zahl sich bisher etwa auf zwanzig erhebt, sind anzuführen: zwei Sonaten (Op. 1 u. 2), mehrere Lieder und Gesänge (Op. 3, 5, [407] 6, 7), Variationen über ein Thema von Schumann (Op. 9), eine Serenade für ein großes, eine zweite in A-dur für ein kleines Orchester (Op. 18), ein Streichsextett in B-dur; 25 Variationen über ein Thema von Händel u. dgl. m. Als Componist nimmt B., so jung er ist, eine hohe Stufe ein [man vergleiche das Nähere in den Quellen].

Das Vaterland (Wiener polit. Parteiblatt) 1864, Nr. 25: „Johannes Brahms und die Wiener Sing-Akademie“. Von Ludwig von Ulm. – Deutsche Musik-Zeitung. Redigirt von Selmar Bagge (Wien, 4°.) I. Jahrgang (1860), Nr. 34: „Johannes Brahms“ [nach dieser geb. 7. Mai 1834]. – Die Presse (Wiener polit. Blatt) 1862, Nr. 331; 1863, Nr. 8 u. 69. – Wiener-Zeitung 1863, Nr. 6 des Abendblattes, S. 23. – Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Dresden 1857, Rob. Schäfer, gr. 8°.) Nachtrag S. 85 [nach diesem ist B. am 7. März 1833 geboren]. – Zu Johannes Brahms’ künstlerischer Charakteristik. Ed. Hanslick schreibt über Brahms den Compositeur: „Er hat sich durch seine bisher erschienenen Compositionen als eine selbstständige, eigenthümliche Individualität, als eine fein organisirte echt musikalische Natur, als einen mit unermüdlichem bewußtem Streben der Meisterschaft entgegenreifenden Künstler documentirt ... In Form und Charakter seiner Musik mahnt er zunächst an Schumann. Allerdings mehr im Sinne einer inneren Verwandtschaft, als formeller Nachbildung ... Mit Schumann theilt Brahms’ Musik vor Allem die Keuschheit, den inneren Adel. Nichts von Gefallsucht oder bespiegelnder Affectation, alles redlich und wahr. Mit Schumann theilt sie aber auch die bis zum Eigensinn souveräne Subjectivität, das Grübeln, die Abkehr von der Außenwelt, das Insichhineinhorchen. An Fülle und Schönheit der melodischen Erfindung von Schumann hoch überragt, erreicht ihn Brahms häufig im Reichthum rein figuralischer Gestaltung. Hier liegt Brahms’ größte Stärke; nur die geistvolle Modernisirung des Canons, die Fuge hat er von Schumann. Die gemeinschaftliche Quelle, an der Beide schöpften, ist Sebastian Bach. Ueber BrahmsClavierspiel aber schreibt Hanslick: „Dasselbe steht in engem Zusammenhange und schönstem Verhältnisse zu seiner künstlerischen Individualität überhaupt. Er will nur dem Geiste der Composition dienen und vermeidet beinahe schüchtern jeden Schein selbstständigen Prunkes. Sein Anschlag ist von zauberischer Weichheit, wenngleich nicht immer von ausreichender Kraft. Brahms verfügt über eine hochausgebildete Technik, welcher nur der letzte glänzende Schliff, das letzte energische Selbstgefühl mangelt, um Virtuosität zu heißen ... Es mag B. immerhin als ein Lob erscheinen, daß er mehr wie ein Componist als wie ein Virtuose spielt, aber ganz unbedenklich ist dieß Lob denn doch nicht. Geleitet von dem Bestreben, nur die Composition für sich selbst sprechen zu lassen, verabsäumt Brahms – namentlich beim Vortrage seiner eigenen Stücke – manches, was der Spieler für den Componisten zu thun verpflichtet ist. Sein Spiel gleicht der herben edlen Cordelia, die ihr bestes Gefühl lieber verschweigt, als den Leuten preisgibt. Gewaltsames, Verzerrtes ist deßhalb rein unmöglich in B.’s Spiel, dessen sinnige Weichheit sich vielmehr nicht einmal gern entschließt, den ganzen vollen Ton aus dem Clavier zu ziehen. Ebenso wenig als diese kleinen Schwächen an dem Concertspieler wollen wir verschweigen, wie gänzlich machtlos sie uns gegen die unwiderstehlichen seelischen Reize dieses Spiels erscheinen.“ Wie ganz anders klingt dieses Urtheil eines dazu Berechtigten, wie es doch Hanslick ist, gegen den befangenen Ausspruch im Nachtrage des „Universal-Lexikons der Tonkunst“, worin ein Herr Z. bemerkt, daß er sich – im Hinblick auf Brahms’ bisherige Compositionen – noch nicht zu dem Glauben an sein von Rob. Schumann verkündetes Messiasthum bekehren könne. – Wer kümmert sich denn darum, ob er sich dazu bekehrt?