Aus der Sprechstunde eines Ohrenarztes

Textdaten
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Autor: Dr. Hassenstein
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Titel: Aus der Sprechstunde eines Ohrenarztes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 682–684
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Behandlung verschiedener Hörstörungen durch Dr. Adam Politzer
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Aus der Sprechstunde eines Ohrenarztes.


Auf die geringen Erfolge, welche die Behandlung Ohrenkranker lange Zeit hindurch aufzuweisen hatte, und auf die große Ausdehnung, welche die Ohrenärzte dem Gebiete der sogenannten nervösen, mit anderen Worten unheilbaren Schwerhörigkeit gaben, gründet sich noch heute ein ziemlich allgemeines Mißtrauen gegen die Ohrenheilkunde unter Laien und selbst unter Aerzten, die der Entwickelung dieses Zweiges der Heilkunst nicht folgen konnten.

Indeß der Fortschritt, welchen die ärztliche Wissenschaft im Allgemeinen dadurch machte, daß sie von der rein philosophischen Speculation befreit und als Theil der Naturwissenschaft behandelt wurde, ist nicht ohne Rückwirkung auf die Ohrenheilkunde geblieben.

Seitdem man die normalen Verhältnisse des Baues und der Verrichtung des Gehörorgans und die krankhaften Veränderungen desselben genauer erforschte und würdigte, seitdem man mit besseren Untersuchungsmitteln auch bessere Untersuchungsmethoden gefunden, wurde man mehr und mehr in den Stand gesetzt, die Gehörsstörungen auf bestimmte, durch zahlreiche Sectionen nachgewiesene Veränderungen der das Ohr bildenden Gewebe zurückzuführen, und in dem Maße, in welchem sich dadurch das Gebiet der nervösen Schwerhörigkeit enger begrenzte, fand man auch Mittel, die erkannten Veränderungen in das Bereich einer wirksamen Behandlung zu ziehen.

Wir können nicht umhin, beim Hinweis auf die bedeutende Fortbildung der Ohrenheilkunde der Männer zu gedenken, welche den neuen Weg gebahnt, und müssen wir so auch als die ersten, welche denselben betraten, Toynbee in London und Wilde in Dublin nennen, so ist es doch ein deutscher Forscher, der durch Gründlichkeit und Originalität seiner Forschungen und Untersuchungsmethoden der Ohrenheilkunde ihre jetzige wissenschaftliche Bedeutung gab – es ist von Tröltsch in Würzburg, dessen Arbeiten sich dann die Politzer’s, Schwarze’s, Voltolini’s und Anderer würdig anreihten.

Ein richtiges Urtheil über die jetzigen Leistungen der Ohrenheilkunde zu gewinnen, wird gewiß auch dem Laien, der Sinn für Fortbildung der Wissenschaft hat, nicht unwichtig, nicht uninteressant erscheinen, und so mögen mich die Leser der Gartenlaube zu einem der beschäftigtsten Ohrenärzte, zu dem in der Forschung durch Exactheit und Ehrlichkeit sich auszeichnenden, in der Praxis durch Umsicht und Vorsicht die schönsten Erfolge erzielenden Dr. Adam Politzer in Wien begleiten.

Schon früh beginnt die Thätigkeit des als Arzt und Forscher gleich rührigen Mannes, und treten wir gegen acht Uhr Morgens in die mit feinem solidem Geschmack und Kunstsinn geschmückten Vorzimmer, so finden wir meist schon ein zahlreiches Publicum aus allen Ländern und Ständen, ein Publicum ganz eigener Art, denn die Ohrenkranken sind zum großen Theil scheu und zurückhaltend, sind mehr als andere Kranke bemüht, ihr Leiden Anderen sorgfältig zu verbergen, und doch charakterisirt Viele der eigenthümliche Gesichtsausdruck, der namentlich nach längerem Bestand von Schwerhörigkeit sich ausprägt.

Mit dem ersteintretenden Patienten folgen wir dem Arzt auf die eigentliche Stätte seiner Thätigkeit. Wohlthuend empfinden wir es sofort, daß hier weder Instrumente, noch Präparate zum Schaugepränge dienen; was von den ersteren für den praktischen Ohrenarzt zum täglichen Gebrauch nothwendig, das finden wir auf dem Schreibtische nahe dem Fenster aufgestellt, an welchem die Patienten untersucht werden, und es fällt uns da zunächst ein großer Hohlspiegel auf, der bei nicht genügendem Tageslicht zur Beleuchtung des äußeren Gehörganges und Trommelfelles mit künstlichem Lichte dient. Neben diesem Spiegel steht ein kugelförmiger Apparat mit Stempel und Ausströmungshahn, an dem ein Gummirohr befestigt ist, zur Verdichtung der Luft, ein wichtiges Instrument für Behandlung chronischer Katarrhe und ihrer Folgen in der sogenannten Eustachischen Trompete und der Paukenhöhle. Dann sehen wir ein Schlaguhrwerk und eine größere Zahl von Stimmgabeln zur Bestimmung der Schallwahrnehmung durch Luft und Kopfknochen. Zum Theil in großer Zahl liegen daneben Ohrtrichter, welche die Beleuchtung des Trommelfells ermöglichen, Tröltsch’sche Reflexspiegel zum Einwerfen von Licht in den äußeren Gehörgang und auf das Trommelfell; Katheter, welche den Weg durch die Nase zur Eustachischen Trompete bahnen und die Eintreibung von Luft, Flüssigkeiten oder Dämpfen in die Trompete oder durch diese in die Trommelhöhle möglich machen; Gummiblasen mit katheterförmigen Ansatzstücken ebenfalls zum Eintreiben von Luft in’s mittlere Ohr ohne Katheter, welches Verfahren wir Politzer verdanken, Spritzen, Pincetten, Häkchen und andere Instrumente zur Entfernung von Polypen oder fremden Körpern aus dem äußeren Ohre.

Der Kranke tritt heran, ein noch junger Mann von einundzwanzig Jahren aus dem russischen Polen; er sieht blaß aus, obgleich er außer Ohrenfluß und Schwerhörigkeit auf beiden Ohren, in den ersten Kinderjahren nach Scharlach aufgetreten, kein körperliches Leiden hat; er athmet durch den geöffneten Mund und hält, wenn man zu ihm spricht, die Hand so an das Ohr, daß er die Ohrmuschel dem Sprechenden entgegendrückt und gewissermaßen durch die Hand vergrößert, um mehr Schallwellen aufzufangen und dem Ohre zuzuleiten. Beide Gehörgänge zeigen sich, beleuchtet mit dem erwähnten Spiegel, mit Eiter gefüllt, nach dessen Entfernung aus beiden Seiten eine umfangreiche Zerstörung des Trommelfells von Dr. Politzer constatirt wurde. Bei Prüfung der Hörweite ergab sich, daß Patient die Uhr rechts nur beim Anlegen an’s Ohr, links auf zwei Fuß Entfernung, die Sprache rechts zwei Fuß, links acht Fuß weit wahrnahm. Die Schallwahrnehmung von den Kopfknochen aus war beiderseits für Uhr und Stimmgabel vorhanden. Zur Prüfung der Durchgängigkeit der Eustachischen Trompete und um die Trommelhöhle möglichst von Eiter zu befreien und so das durch denselben gegebene Schallleitungshinderniß zu beseitigen, wurde nach Politzer’s Verfahren ohne Katheter Luft durch die Trompete in die Trommelhöhle eingetrieben und sofort eine merkliche, wenn auch nicht sehr bedeutende Gehörsverbesserung erzielt.

Da ich in diesem Falle, wie auch in jedem folgenden, die Weiterbehandlung verfolgen konnte, theile ich die Resultate derselben mit, weil ja natürlich der Erfolg eines einmaligen Eingriffs meist nur ein vorübergehender sein kann, die eigentliche Wirksamkeit der jetzigen ohrenärztlichen Behandlung aber nur durch die Totalität derselben veranschaulicht wird. – Zur Beschränkung der Eiterung wurden dem Patienten geeignete Mittel verordnet, die in Verbindung mit Politzer’s Verfahren bald eine wesentliche Besserung und gleichzeitig eine Zunahme der Hörweite erzielen ließen. Da aber bei der ausgedehnten Zerstörung des Trommelfells, bei der langen Dauer der Krankheit und bei der Entstehung des Ohrenleidens aus Scharlach eine völlige Heilung mit Vernarbung nicht zu erzielen war, dem Patienten indeß die erreichte Besserung für Ausübung seines Geschäftes nicht völlig genügte, so wurde in jedes Ohr ein künstliches Trommelfell eingebracht, wie solche Toynbee zuerst angab und weiter verbreitete. Der Erfolg war für den Patienten und den begleitenden Vater ein überraschender; konnte doch jetzt [683] der junge Mann geflüsterte Worte von einem Ende des großen Zimmers zum andern so deutlich verstehen, daß er sie nachsprechen konnte. Wie wesentlich änderte sich nun der Gesichtsausdruck des Patienten! Scheu und gedrückt war er gekommen, jetzt sah man es den freudig erregten Zügen an, daß er dem Verkehr mit der Welt zurückgegeben war.

Ein Ungar war der nächstfolgende Patient, ein schon älterer Herr, der in Folge eines chronischen Katarrhes der Nasen- und Rachenschleimhaut und in Folge der Fortpflanzung dieses Katarrhes auf Trompete und Trommelhöhle an hochgradiger Gehörsschwäche auf beiden Seiten, verbunden mit außerordentlich belästigendem Rauschen und Singen in den Ohren, litt. Die Uhr vernahm Patient rechts selbst beim Anlegen nur schwach, links ebenfalls nur beim Anlegen, aber deutlich, die Sprache wurde rechts auf zwei Fuß, links aus fünf Fuß Entfernung verstanden, Uhr und Stimmgabel wurden von den Kopfknochen aus wahrgenommen. Das Trommelfell zeigte sich, beleuchtet, stark nach Innen gewölbt, eine Veränderung, die in Verbindung mit noch anderen, gleichzeitig vorhandenen Erscheinungen den Katarrh der Trompete und Trommelhöhle als Ursache der Schwerhörigkeit erkennen ließ. Unter gleichzeitiger örtlicher und allgemeiner Behandlung traten zwar nach etwa vierzehn Tagen die katarrhalischen Erscheinungen zurück, die Hörverbesserung aber dauerte immer nur sehr kurze Zeit nach jeder Sitzung, selbst nach eingetretener Besserung des Katarrhs, an, und die Geräusche wurden durch die Behandlung durchaus nicht beeinflußt. Da brachte Politzer ein bis da noch unversuchtes Mittel zur Anwendung, welches ebenso einfach, wie erfolgreich war; die Gehörsverbesserung, die vorher nie länger, als eine halbe bis höchstens zwei Stunden nach der örtlichen Behandlung währte, hielt jetzt Tage lang an und die Geräusche schwächten sich beträchtlich ab. Ein intensiver frischer Katarrh störte zwar plötzlich wieder das gewonnene Resultat; als derselbe aber nach kurzer Zeit abgelaufen war, hörte Patient auf der linken Seite wieder vollständig, auf der rechten ziemlich normal. Die Freude des alten Herrn, der nach vergeblicher Behandlung seines Gehörleidens durch der Ohrenheilkunde unkundige Aerzte ziemlich hoffnungslos nach Wien gekommen war, fand nicht genug Worte des Dankes.

Ein Herr aus Rußland trat jetzt ein; er litt auf beiden Ohren an eitrigem Ausfluß, hörte außerordentlich schwer, empfand im linken Ohre häufig Schmerzen, und öfters war der aus diesem Ohre kommenden Flüssigkeit Blut beigemischt. Die Untersuchung ergab, nach vorausgegangener Reinigung beider Ohren, rechts eine umfangreiche Zerstörung des Trommelfelles, links das Vorhandensein eines bis über die Mitte des äußeren Gehörganges hervorragenden Polypen, der aus der Trommelhöhle hervorwucherte, weich und gefäßreich und die Quelle der Blutung war. Dieser Polyp war wegen ungünstiger räumlicher Verhältnisse schwer zu entfernen, indeß gelang es der geschickten, ruhigen und schonenden Hand Politzer’s doch rasch, ihn mittels Schlinge so weit abzutragen, daß nur ein kleiner Rest zurückblieb, welcher durch Aetzmittel in kurzer Zeit zerstört wurde. Ausfluß und Schwerhörigkeit wurden durch Einspritzungen und Lufteintreibungen in wenigen Wochen so glücklich behandelt, daß Patient, zur Ausübung seines Berufes wieder befähigt, mit freudiger Ungeduld in die Heimath zurückkehrte.

Eine sehr corpulente Dame aus Siebenbürgen kam nun zur Behandlung; sie hörte schwer, litt an starkem Ohrensausen, zeitweise an eingenommenem Kopf, an Schwindel und Uebelkeit. Sie hatte schon mehrere Aerzte consultirt und Verschiedenes, doch erfolglos, gegen ihr Leiden angewendet und zwar nicht, weil dasselbe der Behandlung unzugänglich, sondern nur, weil man sie nicht zu untersuchen verstand. Der erste Blick in die beleuchteten Gehörgänge ließ in beiden eine beträchtliche Anhäufung von Ohrenschmalz erkennen, dessen Entfernung, durch erweichende Mittel vorbereitet, sehr rasch erfolgte, mit sofortiger Wiederherstellung des Gehörs und Beseitigung der erwähnten Krankheitserscheinungen. Nicht immer indeß ist das Resultat der Entfernung ein so günstiges und nicht immer bleiben Ohrenschmalzpfröpfe so ganz ohne nachtheilige Einwirkung auf das Gehörorgan, weshalb es sehr nothwendig ist, sie zu entfernen, noch bevor sie bedeutendere Störungen bedingen.

Ein Mädchen von siebenzehn Jahren trat mit der Klage über äußerst heftige, Ruhe und Schlaf raubende Schmerzen im rechten Ohre, Ohrensausen und Schwerhörigkeit ein; das Trommelfell war sehr stark gleichmäßig geröthet, an einer kleinen Stelle zeigte sich eine grünlich-gelbe Entfärbung. Blutegel und schmerzstillende äußere und innere Mittel brachten Besserung, die sich schon am folgenden Tage nach erfolgter Durchbohrung des Trommelfells und Abfluß des Eiters aus der Trommelhöhle noch wesentlicher gestaltete. Es wurden nun nach Beseitigung der Reizungserscheinungen zusammenziehende Mittel erwärmt in’s kranke Ohr geträufelt und Luft nach Politzer’s Verfahren eingetrieben. Die Vernarbung der am vordern untern Viertel des Trommelfells befindlichen Oeffnung erfolgte rasch, und auch die anfangs noch andauernde Schwerhörigkeit war in vierzehn Tagen vollständig beseitigt.

Die folgende Patientin, eine fünfunddreißigjährige Dame aus Schweden, brachte eines jener Leiden zur Beobachtung, gegen welche auch die Ohrenheilkunde der Neuzeit mit ihren wesentlich reicheren Hülfsmitteln nichts zu erzielen vermag. Die Dame litt seit vier Jahren an fortwährendem Sausen, stetig und ohne jede Schwankung zur Besserung zunehmender Schwerhörigkeit und an Eingenommenheit des Kopfes. Das Trommelfell war beiderseits ganz normal, die Uhr wurde rechts auf drei Zoll, links auf sechs Zoll, die Stimme rechts auf zwei Fuß, links auf fünf Fuß Entfernung wahrgenommen, die Knochenleitung war vorhanden. Aus dem ganzen Verlaufe des Uebels und aus der Gesammtuntersuchung ergab sich, daß ein schleichender Katarrh mit Verdichtung des Gewebes und verminderter Beweglichkeit der Gehörknöchelchen Ursache der Gehörstörung war, und da erfahrungsmäßig solche schleichende Formen eine Besserung von Belang nicht erzielen lassen, sprach das Politzer der Patientin unverhohlen aus, eine Behauptung, die in der Resultatlosigkeit einer mehrtägigen Behandlung, welche Patientin gewünscht hatte, volle Bekräftigung fand.

Von den an diesem Morgen sich noch vorstellenden zahlreichen Patienten will ich nur noch ein fünf Jahre altes, von Katarrhen oft heimgesuchtes, sonst gesundes Kind aus Böhmen erwähnen, das seit zwei Jahren abwechselnd, seit Wochen andauernd an hochgradiger Schwerhörigkeit litt. Die Hörweite für lautgesprochene Worte betrug rechts fünf, links drei Fuß, das Trommelfell war beiderseits stark eingezogen. Dr. Politzer blies der widerstrebenden kleinen Patientin mit dem Munde nach seinem Verfahren Luft in das mittlere Ohr ein und erzielte sofort eine bedeutende Besserung. Auffallend wirkte dieser Erfolg auf das Kind; ruhig und gefügig ließ es von nun an die allerdings nicht schmerzhafte Lufteintreibung geschehen und zeigte dem Arzte bald eine außerordentliche Zuneigung. In ungefähr vierzehn Tagen, durch welche mit Unterbrechungen die Behandlung fortgesetzt ward, wurde das Gehör wieder fast normal, ein um so beachtenswertheres Resultat, als das Kind der früheren Behandlungsweise, der Einführung des Katheters, nicht zugänglich gewesen und mit innern und äußeren Mitteln wahrscheinlich vergeblich behandelt worden wäre.

Die mitgetheilten Fälle werden wohl genügend beweisen, daß die neuere Ohrenheilkunde durch die außerordentliche Rührigkeit der Forscher eine wesentliche Umgestaltung erlitten, wesentliche Fortschritte gemacht hat und, was die Behandlung anlangt, Erfolge aufweist, welche die frühere Ansicht gründlich widerlegen, daß gegen Ohrenleiden absolut nichts zu thun sei. Ist es auch immerhin noch unmöglich, Krankheiten der Gehörnerven oder Verdichtungsprocesse der Schleimhaut des Mittelohrs und Unbeweglichkeit der Gehörknöchelchen mit Erfolg zu behandeln, so sind das doch verhältnißmäßig die bei weitem seltneren Krankheiten des Ohres; die häufigst auftretenden dagegen können durch eine geeignete, vorsichtige Behandlung geheilt oder gebessert werden und selbst in Fällen, in denen weder das Eine, noch das Andere möglich, kann nachweisbar eine Verschlimmerung verhütet oder verlangsamt werden.

Groß ist die Zahl der Gehörleidenden, weit größer, als man nach den Klagen darüber annehmen kann; bemühen sich doch eigenthümlicher Weise die Meisten, ihr Leiden zu verbergen, während Andere es gar oft nicht ahnen, daß sie, wenigstens auf einem Ohre, einem langsam fortschreitenden Krankheitsproceß unterliegen; oft macht das nur der Zufall bemerklich. So Viele aber auch gehörleidend sind, so wenig Beachtung schenkt man immer noch den Ohrleiden, vielleicht wohl, weil man sich daran gewöhnt hat, Ohrenleiden als schwer oder gar nicht heilbar zu betrachten. Wer sich aber vergegenwärtigt, wie wichtig ein normales Gehör für Ausbildung des Geistes und Charakters, wie einflußreich auf den Verkehr in der Welt, auf einen ungestörten Lebensgenuß ist, der wird die jetzt ermöglichte [684] Hülfe gern suchen, und wenn uns sogar in den Eiterungsprocessen im Ohr durch die Beobachtungen von Toynbee, Lebert, Griesinger, von Tröltsch u. A. eine häufige Ursache von Erkrankungen des Gehirns und seiner Blutgefäße nachgewiesen wird, somit eine nicht eben seltene Todesursache, so wird diese Thatsache gewiß den Fortschritten der Ohrenheilkunde noch mehr die verdiente Aufmerksamkeit zuwenden.

Gotha.
Dr. Hassenstein.