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Titel: Aus dem Tagebuche eines hypochondrischen Laien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 458-460
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[458]
Aus dem Tagebuche eines hypochondrischen Laien.
I.

Die Gartenlaube, diese Hausfreundin aller Stände und Lehrerin in allen Fächern, hat, in anerkennungswerther Fürsorge für Leib und Geist ihrer Leser, so oft schon Medicinisches und Diätetisches in ihren Spalten gebracht, daß sie auch die Erfahrung eines Laien zur Heilung eines Uebels nicht verschmähen wird, das von Aerzten, als lediglich solchen, selten richtig beurtheilt und darum selten auch geheilt wird; – ich meine das sehr verbreitete, in seinen Folgen so gefährliche und doch so wenig gewürdigte Uebel der Hypochondrie.

Ja, die Hypochondrie ist eine Krankheit, nicht eine eingebildete, wofür sie selbst von Aerzten oft irrthümlich erkannt wird, sondern eine wirkliche, eine meist traurig wirkliche.

Während aber die meisten andern Kranken einer dreifachen Wohlthat genießen: des ärztlichen Beistandes, einer rücksichtsvollen Behandlung und Pflege und der Wahrnehmung aufrichtigen Mitleids, theilt der an Schwermuth Leidende meist keine dieser Wohlthaten: er sucht ärztlichen Rath nicht, weil er sein Leiden nicht für ein körperliches hält; es wird nicht die nöthige Rücksicht auf seinen Zustand genommen, weil die Nothwendigkeit solcher Rücksicht nicht klar genug erkannt wird; er genießt endlich auch der wohlthuenden Theilnahme nicht, weil sich sein Schmerz nicht sichtbar genug äußert, weil Niemand die Größe desselben auch nur entfernt ahnt, – weil der an Schwermuth Leidende nicht, wie andere Kranke, jammert und stöhnt, über seinen Zustand mehr verschlossen als mittheilsam ist.

Und wie die Hypochondrie eine Krankheit ist, so giebt es für diese Krankheit auch Heilmittel, die in Nachstehendem mitgetheilt werden sollen, nachdem zuvor die Begriffsbestimmung der Hypochondrie festgestellt, die Quellen derselben aufgesucht und die Folgen gezeigt sein werden.




Wie der Arzt einen Kranken nicht mit gutem Erfolg zu behandeln vermag, wenn er nicht die Krankheit, die er verbannen soll, an ihren Merkmalen deutlich erkannt hat, so ist auch keinerlei Selbstheilung möglich, wenn der Leidende sich nicht über seinen Zustand klar ist, wenn er sein Uebel nicht mit dem rechten Namen zu benennen weiß. Die Begriffsbestimmung ist daher auch bei einem Rathgeber gegen Hypochondrie wesentlich, damit man das Eintreten des Krankheit schon an ihren Symptomen erkenne und vorbeuge, oder die Krankheit selbst an ihrem bereits ausgebildeten Charakter und die zweckdienlichsten Heilmittel anwende.

Hypochondrie ist, nach der Ansicht eines hypochondrischen Laien, derjenige Zustand eines Menschen, in welchem die Thätigkeit des Nervensystems in den Unterleibsorganen, bald durch äußere Veranlassung, bald ohne dieselbe, herabgestimmt, dagegen dieselbe Thätigkeit nach andern Richtungen hin erhöht wird, wodurch daher das an diesem Uebel leidende Individuum empfindlicher und reizbarer ist, als es vor diesem Zustande zu sein pflegte, so daß das Bewußtsein, welches der Hypochondrist von äußeren oder von inneren Eindrücken erhält, meistens ein krankhaft gesteigertes ist.

Nur durch den Grad und die Dauer des Uebels unterscheidet sich die Hypochondrie von der Melancholie; denn auch unter dieser verstehen Psychologen eine vorherrschende Neigung zur Traurigkeit bei vollkommenem Bewußtsein und ohne wirkliche Störung der Geistesthätigkeiten, oder diejenige Art des gestörten Gefühlsvermögens, welche in einem fortwährenden Festhalten irgend einer trüben Idee besteht, wobei sich die Geistesthätigkeiten von der Außenwelt meistens ab und fast ausschließlich auf eben diese Idee richten.

Beide Uebel gleichen sich also darin, daß derjenige, welcher daran leidet, durch seine innere Beschaffenheit geneigt ist, immer irgend Etwas zu fürchten, während sie sich dadurch unterscheiden, daß der Hypochondrist zeitweilig durch vernünftige Vorstellungen seine trübe Idee fahren läßt, ja selbst, ohne daß seine Lage und seine Verhältnisse sich irgendwie günstiger gestaltet hätten, durch einen oft nur höchst geringfügigen äußeren Umstand zur ausgelassensten Heiterkeit sich gestimmt fühlt, bei dem hingegen, welcher an Melancholie leidet, nichts den von falschen Grundbegriffen entspringenden Ideengang, der sich immer innerhalb eines angenommenen Kreises bewegt, zu hemmen im Stande ist. Schwermuth also haben beide Zustände gemein, nur steigert sich derselbe bei der Melancholie zu einem steten, starken Trübsinn. Der Weg der Hypochondrie führt zur Melancholie, nicht umgekehrt.

Die Hypochondrie hat entweder einen physischen oder einen psychischen Grund.

[459]
1. Der physische Grund der Hypochondrie.

Nur in einem ganz gesunden Körper kann ein ganz gesunder Geist wohnen, und da die Gemüthsstimmung eine Wirkung des Geistes ist, so muß diese natürlich auch durch den Zustand des Körpers bedingt sein. Aeußerst selten gewiß sind die Fälle, daß Menschen sich bei dem schmerzhaftesten Körperzustande gleichwohl ihr heiteres Gemüth bewahren. Nicht Jeder hat die starke Willenskraft, sein körperliches Uebel, wie es Hufeland als Mittel gegen Hypochondrie angiebt, zu objectiviren, es von seinem wahren Ich zu trennen und zum Gegenstand der Außenwelt zu machen. Wie Körper und Geist wunderbar mit einander verknüpft sind, so ist auch der gegenseitige Einfluß beider nicht völlig und nicht leicht aufzuheben, und bei der großen Mehrzahl der Menschen wird daher immer mit einem körperlichen Leiden zugleich eine geistige oder gemüthliche Verstimmung, ein größerer oder geringerer Grad von Schwermuth verbunden sein.

Dieser Art von Schwermuth sind alle Menschen unterworfen, wie alle den Krankheiten unterworfen sind. Es ist nicht der leibliche Schmerz allein, der da die geistige Verstimmung erzeugt, sondern in Verbindung mit demselben die inneren Betrachtungen, die ein gestörter Gesundheitszustand erweckt. Der Eine fürchtet ein langwieriges Krankenlager, oder wähnt, sein Zustand sei lebensgefährlich: der Andere überrechnet die Kosten, womit seine Wiederherstellung verknüpft ist, und den Nachtheil, den er bis dahin außerdem noch in seinem Berufe davon hat. Ein Dritter bedauert ungeduldig die Vergnügungen und Genüsse, auf die er verzichten muß, und einen Vierten peinigt die Unthätigkeit, wozu er durch seinen Zustand verurtheilt ist. Kurz, bei Allen gesellt sich zu dem physischen Uebel zugleich ein Gemüthsleiden, welches als Wirkung jedoch mit der Ursache weicht, so daß wir auf diese Quelle der Schwermuth nur später noch einmal vorübergehend zurückzukommen brauchen.

Eine schlimmere Quelle der Schwermuth als wirkliche Krankheit scheint, bei sonst leidlicher Gesundheit, ein krankhafter Zustand des Blutes oder des Unterleibes zu sein. Ist neben dem Nervensystem das Blut auch das thierische Leben, so ist doch nur das nach Maß und Beschaffenheit natürliche Blut das wahre heitere Leben.

Wie man durch gefärbte Augengläser alle Gegenstände in anderer, als ihrer wirklichen Farbe sieht, so erscheinen dem Menschen auch bei dickem Blute die eigenen Verhältnisse und Erlebnisse anders, und zwar immer trüber, ernster und trauriger, als sie in der Wirklichkeit sind und bei gesundem Blute erscheinen würden. Der erschwerte Lauf des Lebensstoffes, sofern er dick und schlammig,[1] und die übermäßig starke Strömung desselben nach dem Gehirn, sofern er bis zum Austreten angeschwollen ist, erzeugen denjenigen Gemüthszustand, welcher die eigentliche Hypochondrie ausmacht. Der ganze geistige und gemüthliche Gesichtskreis bei einem Blute von solcher Beschaffenheit gleicht einer Gegend, die, mit Ausnahme der Unterbrechungen, welche das starke Mittagslicht bewirkt, stets in dickem Nebel ruht. Wessen Blut dergestalt beschaffen ist, der sieht in der unbedeutendsten Krankheit, die ihn befällt, gleich die Parze nahen, welche seinen Lebensfaden abschneiden will, fürchtet bei andauernder Nässe oder Trockenheit alsbald Hungersnoth, erkennt in jedem neuen Concurrenten sofort den Untergang seines Gewerbes, lebt niemals in zuversichtlicher Hoffnung, ahnt und fürchtet aber stets bevorstehenden Schaden und Unglück.

Und wie das Blut das Leben genannt wird, so hat man treffend den Magen mit einem Regenten verglichen: Magen und Blut wenigstens theilen sich in die Regierung des ganzen Menschen. Ein gesunder Unterleib offenbart sich nicht blos thierisch heilsam, so daß der Körper gedeiht, nein, sein Wirkungskreis erstreckt sich bis zum Lebens-Aequator, dem Herzen, und äußert sich in einem gesunden Fühlen und Empfinden, ja bis zum äußersten Lebenspol, dem Gehirn, und bekundet sein Dasein durch ein gesundes Denken und Urtheilen. Und ein schwacher Unterleib sollte nicht eine physische Quelle der Schwermuth sein? Wie ganz anders fühlt sich selbst der völlig gesunde Mensch, bevor nach der Mahlzeit das Verdauungsgeschäft vollendet ist, als in den Morgenstunden, wenn der Leib noch nicht von Speisen belästigt war! Wie ganz anders ist da seine Stimmung, wie ganz anders sieht er da die Dinge an, wie ganz anders zeigt er sich da im Umgang und Verhalten, nicht blos gegen seine Umgebung, sondern selbst gegen Fremde! Bei dem Unterleibsschwachen tritt dieser Unterschied noch sichtbarer hervor. Die Mittagsmahlzeit, wenn sie nicht höchst mäßig gewesen und aus den leichtesten Speisen bestanden hat, macht ihn oft für den ganzen Nachmittag zu jeder Arbeit unfähig, beraubt ihn mindestens aller Lust zu derselben. Der Leib ist zu aufgebläht, der Kopf, vom Magen aus, zu sehr umdunstet, als daß ein solcher Mensch sich körperlich oder geistig leicht bewegen könnte. Die Augen können dem Schlummer nicht widerstehen, der Mittagsschlaf erschwert die Verdauung und vermehrt die Verstimmung. Die Abendmahlzeit hat keine günstigern Folgen. Wenn der Unterleibsschwache sich nicht die größten Entsagungen auflegt und die vorsichtigste Mäßigkeit beobachtet, so muß er durch Schlaflosigkeit seinen Genuß büßen, oder sein Schlaf ist um so unterbrochener und durch schwere, lebhafte Träume so gestört, daß er weder erquickt, noch stärkt und oft für den ganzen nachfolgenden Vormittag eine Erschlaffung und Verstimmung zurückläßt. Wer dergestalt leidet, ist mit seinem Geschick, mit seinem Beruf, mit seiner Umgebung, mit sich selbst und seinem Thun unzufrieden, schreibt seinen Trübsinn aber selten der natürlichen Ursache zu, läßt sie kaum für eine Mitursache gelten oder vergißt dies eben so oft, wie er von Andern darauf geführt wird, würde sein Leiden aber unter allen Verhältnissen äußeren Dingen beimessen, die mindestens nicht die einzige oder Hauptquelle wären.

2. Der psychische Grund der Hypochondrie.

Wäre der Mensch ganz Thier, so würde bei ihm mit einem gesunden Körper stets auch ein gesunder, heiterer Sinn verbunden sein.[2] Er ist aber nur zur Hälfte Thier, er ist durch seinen Geist ein höheres Wesen, und sein innerer Zustand ist daher das Abstimmungs-Resultat zweier Kammern: eines Hauses der Gemeinen, wo die Körpertheile, und eines Oberhauses, wo Herz und Geist und menschengesellschaftliche Verhältnisse Sitz und Stimme haben.

Als willensfreiem Wesen ist es dem Menschen unbenommen, seine Leidenschaft, wenn auch zum Unglücke Anderer, zu befriedigen, seinen Begierden wenn auch auf Kosten seiner Mitmenschen, zu fröhnen. Sein innerer Frieden geht aber mit diesem Mißbrauch der Willensfreiheit verloren: eine Schwermuth, die sich durch geräuschvolle Lust momentan wohl überschreien, durch kein irdisches Mittel aber für immer wegschaffen läßt, macht sich in vollem Maße für den beleidigten Geist bezahlt. Kein Verbrecher, kein Sünder gegen diejenigen Moralgesetze, welche von der gesunden Vernunft eines jeden Menschen anerkannt werden, er stehe noch so hoch, er genieße des vollkommensten körperlichen Wohlseins, er lebe in den erwünschtesten äußern Verhältnissen, erfreut sich des beseligenden Gemüthszustandes, welcher von der Unschuld unzertrennlich ist. Das strafende Gewissen sucht ihn, wie absichtlich er sich auch verstecken mag, mit Schwermuth heim, wenn nicht immer, doch oft, wenn nicht sichtbar vor aller Welt, doch in Stunden der Zurückgezogenheit und auf nächtlichem Lager, je mehr durch Verstellungskunst vom Aeußern fern gehalten, desto tobender und peinigender im Innern.

Man täuscht sich indeß, wenn man glaubt, daß nur schwere Vergehungen und zwar nur solche gegen die Mitmenschen eine Quelle der Schwermuth werden könnten. Je größer der Bildungsgrad bei einem Menschen ist, desto kleiner braucht die Sündenlast bei ihm zu sein, um dieselbe traurige Wirkung zurückzulassen, wie bei dem geistig Rohen oder dem sittlich Entarteten solche Thaten, vor denen das menschliche Gefühl erbebt. Eine wissentliche kleine Unrechtlichkeit aus Gewinnsucht, eine Verletzung der Wahrheit durch den Drang unvorhergesehener Umstände, eine Ehrenkränkung aus Unbesonnenheit oder Uebermuth, auch solche und ähnliche Vergehungen haben für den zarter fühlenden und gebildeten Menschen, wenn auch nicht wirklichen dauernden Trübsinn, doch eine kleinere Schwester desselben – Mißstimmung zur Folge.

Und nicht blos äußert sich solche Verstimmung bei Vergehungen gegen die Mitmenschen, sondern auch bei Pflichtversäumnissen gegen [460] sich selbst. Wer aus Trägheit seinen Beruf vernachlässigt hat und seine Vermögensumstände nun rückwärts gehen sieht; wer seine geistige Ausbildung verabsäumt und sich nun in der Berührung mit Menschen gleichen Standes und Alters unwissend erkennt; wer endlich ein unsittliches Leben geführt und sich dadurch um Ehre und guten Ruf gebracht hat: alle Diese und Andere, welche an selbstverschuldeten Uebeln leiden, fühlen sich für diese Verabsäumung der Selbstpflichten nicht minder durch Trübsinn, oder Mißstimmung bestraft, als die, welche sich mit Schuld gegen ihre Mitmenschen befleckt haben.

Hat endlich aber die Mißstimmung oder, in gesteigertem Grade, die Schwermuth keinen körperlichen Grund, so daß sie auf falschen Anschauungen und in Folge dessen auf eingebildeten Uebeln beruhen könnte, und ist sie ferner auch nicht in moralischen Gebrechen der angedeuteten oder ähnlicher Art begründet, so ist die Quelle sicher nur in einer Unzufriedenheit mit äußern Verhältnissen zu suchen.

Seitdem die Menschheit sich durch Cultur von ihrem ursprünglichen Naturzustande weit entfernt hat, ist die Zahl der Lebensbedürfnisse zu einer solchen Höhe gestiegen, daß selten Fleiß und Umsicht ausreichen, dieselben allseitig beschaffen zu können. Daneben wird zugleich, vermöge eben dieser Entfernung vom Naturzustande, dem materiellen Besitze ein so hoher Werth in der menschlichen Gesellschaft beigemessen, daß die besitzreiche Classe zugleich die einflußreichste, die regierende ist. Zu dieser Classe zu gehören, ist daher begreiflich das Streben der meisten Menschen, und in der vergeblichen Anstrengung dieses Ziel zu erreichen, oder in dem Bewußtsein, nur scheinbar zu jener beneideten Classe zu zählen, liegt der Grund, weshalb so Viele mit ihren äußern Verhältnissen unzufrieden und in ihrem Innern daher nicht heiterer Stimmung sind. Wenn die natürlichen Kräfte zum Emporkommen nicht ausreichen, wird zu künstlichen Mitteln die Zuflucht genommen; der Schein, das Schattenbild des Ziels, wird dadurch erreicht: der Emporstrebende wird für einen Emporgekommenen gehalten, obschon der Arme unter der Last, welche ihn innerlich drückt, schier zu Boden gezogen wird. Und auf dieser künstlichen Höhe sollte noch so viel Lebenslust sein, daß das Athmen nicht bis zur Unerträglichreit erschwert würde? Neunzig von je hundert unter den beneideten Reichen gehören zu diesen Scheinglücklichen, die von einem günstigen Zufall Rettung hoffen, oder den Einsturz ihres künstlichen, fundamentlosen Gebäudes täglich erwarten müssen, und die daher, wenn auch äußerlich oft bis zum Uebermuth heiter, innerlich stets niedergeschlagen und in der trübsten Stimmung sind.

Und wie Manche so ihren Blick nach den höhern Sphären des Handelsstandes erheben, wo sie vorzugsweise zu dem begehrten materiellen Besitze zu gelangen hoffen, so gelüsten Andere wieder nach dem Stande der Angestellten, um dadurch zu Glanz und Einfluß zu gelangen. Die Ehren und das gesicherte Auskommen, welche mit diesem Stande verbunden sind, sehen aus der Ferne zu lockend aus, als daß sie nicht Manche, die sich für ein Handwerk zu hoch dünken und in dem Handelsberuf, bei ihrer Mittellosigkeit, doch ein zu fern liegendes, zweifelhaftes Ziel erblicken, mächtig anziehen sollten. Ohne Rücksicht auf die nöthige Qualification dazu, stellen Eltern so ihre Söhne auf ein Feld, das der sorgfältigsten Bebauung bedarf, wenn die Ernte allseitig eine befriedigende werden soll. Bei Mangel an natürlicher Anlage und bei ungenügendem Fleiß wird dann oft nur nothdürftig die Befähigung erlangt, die zu dem gewünschten Ziele führt. Das sichere Brod wird endlich gewonnen, aber da die Erfüllung der Berufspflichten nun beängstigend schwer wird und da die Leistungen daher auch hinter den Erwartungen zurückbleiben müssen, so bleibt die Ehre ein unerreichtes Ziel. Ein Vergleich mit Andern, mit begabten Berufsgenossen, führt zur Selbstprüfung und zur Selbsterkenntniß, und wer weder Andere, noch sich selbst befriedigt, verliert die Kraft zu seinem Berufswerk, arbeitet mit Verwirrung und Zerstreutheit, vernachlässigt immer mehr, was ihm doch nicht gelingen will, und geht so seiner inneren Zufriedenheit und heitern Stimmung verlustig, weil sein gewählter Beruf ein verfehlter ist.

Zu den äußeren Verhältnissen, wodurch die Gemüthsstimmung mit bedingt wird, gehört endlich und vorzüglich auch noch das Familienleben.

Aus einem Kreise, den die Natur gebildet, aus dem Bande einer mächtigen Liebe, die sich instinctmäßig erzeugt, tritt der Mensch in ein freiwilliges, neues Band: das eine Geschlecht wählt sich aus dem andern einen Gefährten für das ganze Leben. Beide Theile hoffen durch ihre Vereinigung ihr Glück zu begründen oder zu vollenden. Dazu ist Uebereinstimmung in gemüthlicher und geistiger Beziehung unerläßliche Bedingung. Nicht selten wird aber die Wahl, statt von der Vernunft, von dem Trieb der Sinne oder von äußeren Dingen und Verhältnissen geleitet. Nicht selten auch ist elterlicher Zwang, in vermeintlich wohlbegründeter Fürsorge, an die Stelle der eigenen, auf vernünftiger, höherer Zuneigung gegründeten Wahl getreten. Anmuth und Schönheit haben das äußere Auge geblendet, so daß das innere dadurch seine klare Sehkraft verloren; Familienansehen hat Ehre und Vortheil verheißen, gegen welche alles Andere übersehen wurde; Geld und Gut sollten die engen Räume des Hauses erweitern und das Leben gemächlicher und angenehmer machen; kurz, ein solcher oder ein ähnlicher Nebenzweck hat sich mit dem Hauptzweck vereinigen sollen und ist statt dessen bestimmend und entscheidend in den Vordergrund getreten. Diese Nebenzwecke werden nun oft auch erreicht, aber die Befriedigung eines erlangten bleibt nicht lange die eines zweifelhaft ersehnten Besitzthums. Die Gewohnheit stumpft den Reiz ab und drückt den Werth äußerer Güter eben so tief unter das wahre Maß herab, wie sehnsuchtsvolles Verlangen danach ihn früher hoch über dasselbe setzte. So werden nach dem Genuß der reizenden Frucht die geblendeten Augen geöffnet, die unerläßlichen Bedingungen häuslichen Glückes, innerer Werth und möglichste Uebereinstimmung, werden vermißt oder nicht befriedigend gefunden, unausbleibliche Zerwürfnisse trennen die äußerlich Vereinigten, der Gatte wie die Gattin verlieren die bewegende Federkraft für ihren Beruf, das Wesentlichste des ehelichen Bundes, die gemeinschaftliche Erziehung, kann nicht gelingen, die Kinder erwachsen unter dem steten Hader ihrer Erzeuger, sie neigen sich auf die Seite des milderen Theiles, der darum für sie nicht immer der wahrhaft bessere ist, sie verlieren die Ehrfurcht vor Beiden, machen sich überfrüh selbständig und vermehren durch allerlei Fehltritte den häuslichen Kummer. So schwindet zusehends das eheliche Glück. Beide Gatten, wenn auch nur einer derselben die Schuld tragen sollte, sehen sich bald aus ihrem geträumten Paradiese vertrieben, das zweischneidige Schwert des Haders und die mißrathenen Cherubim, ihre Kinder, versperren ihnen vereinigt den Wiedereintritt, und kein irdisches Gut vermag den Spiegel des Gemüthes klar zu machen, den gegenseitige Abneigung immer auf’s Neue über und über anhaucht.

Hiermit würden die Hauptquellen der Hypochondrie gefunden sein. Einleuchtend ist es übrigens, daß diese Quellen nicht streng gesondert bleiben, sondern daß meistens mehrere sich vereinigen und einen mächtigen Strom bilden, welcher die trübe Farbe mit ihnen gemein hat und sich nur durch seine Tiefe von ihnen unterscheidet.





  1. Was Verfasser von dem dicken schlammigen Blute als physischem Grund der Hypochondrie sagt, dürfte auf ein Blut zu beziehen sein, das innerbalb der Pfortader nicht flott genug durch die Leber floß, also nicht gehörig gereinigt wurde, sich an den Verdauungsorganen staute und schließlich durch die Hämorrhoidaladern in den gesunden Blutstrom (also auch in das Gehirn) gelangte. Ausführlicheres hierüber findet sich Gartenlaube Jahrg. 1854, Nr. 18 und 1857, Nr. 19.
    Bock.
  2. Der Verfasser irrt, wenn er meint, daß nicht auch Thiere bei ihren geistigen und gemüthlichen Eigenschaften hypochondrisch sein könnten.
    Bock.