Textdaten
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Autor: Gustav Schubert
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Titel: Aus dem Aquarium
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 99–102
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[99]
Aus dem Aquarium

Hätte es zu den Zeiten Schiller’s bereits Seewasser-Aquarien gegeben, so hätte er seinem „Taucher“ gewiß nicht die Worte in den Mund gelegt:

„Da unten aber ist’s fürchterlich.“

Die mit Schaudern gesehenen „Salamander, Molche und Drachen“ sind für uns ebenso reizende wie unschuldige Wesen; Niemand fürchtet sich vor „stachligen Rochen“, ja die Nachkommenschaft, welche der „entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne“, liefert, wird von zarten Damenhänden gepflegt, wie ehedem Mops- und andere Schooßhündlein.

Wir haben eben, besonders seit Einrichtung des Berliner Aquariums, immer besser gelernt, den Kindern der salzigen Fluth auch in kleinerem Maßstabe bei uns Wohnung zu bereiten und ihnen die richtigen Lebensbedingungen zu schaffen. Für die größeren Provinzialstädte ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie ihr eigenes See-Aquarium besitzen werden, dessen gar nicht so beträchtliche Anlagekosten sicher sehr bald ein dankbares Publicum ersetzen wird. Wer Gelegenheit findet, Leipzig aufzusuchen, der kann im Garten des vielgenannten „Schützenhauses“ sich überzeugen, wie reizvoll auch eine in geringeren Dimensionen geschaffene Anlage dieser Art wirkt, wie reichhaltig sie sich ausstatten läßt, wie bedeutsam sie für die Bereicherung unserer Anschauungen von der Natur, namentlich aber für die Zwecke des zoologischen Unterrichts einer Universitätsstadt sein muß. Und daß sich selbst dem Wunsche des Privatmanns Gelegenheit [100] bietet, Besitzer eines kleinen See-Aquariums innerhalb seiner Häuslichkeit zu werden, hat Karl Vogt im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“ (S. 38) entwickelt. Auf der beigegebenen Illustration sind mit künstlerischem Geschick einige Thiergruppen aus einem Seewasser-Aquarium zusammengestellt, deren Vertreter zu den beliebtesten und interessantesten Meeresbewohnern gehören und bei naturgemäßer Behandlung mit Leichtigkeit in kleineren Becken zu erhalten sind.

„Da kroch's heran,
Regte hundert Gelenke zugleich“

würde der Edelknecht des Dichters beim Anblick des fleckigen Polypen, der links im Vordergrunde des Bildes seine Arme nach uns ausstreckt, ausgerufen haben. Es ist die unschädliche Moschus-Eledone (Eledone Moschata), ein dem bekannten Tintenfisch (Sepia officinalis), dem gemeinen Vielfuß (Seepolyp, Octopus vulgaris) und dem Papiernautilus (Argonauta Argo) nahe verwandter Kopffüßler aus dem Mittelmeer, der trotz seines zähen und nach Moschus duftenden Fleisches doch von der ärmeren italienischen Bevölkerung gern gegessen wird.

Bemerkenswerth sind die an den „hundert Gelenken“, das heißt Fangarmen, befindlichen zahlreichen Saugnäpfe, mit denen das Thier seine Beute festhält und zugleich die Kriechbewegungen (durch Ansaugen an feste Körper) zu vermitteln weiß. Jene allen thierischen Wesen, vom Menschen bis hinab zu den Infusorien, so bedeutungsvollen Momente, Hunger und Liebe, kommen auch bei unserm Polypen zur vollen Geltung. Mit bewundernswerther Schnelligkeit stürzt er aus der selbstgeschaffenen Steinhöhle auf den vorüberziehenden Kruster oder Fisch; mit großer Gier umschlingen die Arme das fette Muschelthier, um es kunstgerecht auszuweiden und aufzufressen. Das Liebesgekose unter diesen Polypen kann dem Kosen der Tauben dreist zur Seite gestellt werden. Mit einiger Berechtigung darf man bei der Eledone von „Seelenstimmungen“ sprechen. Innere Erregung, Furcht und Zorn kommen durch wüthende Blicke und plötzliche braunrothe Verfärbung zum Ausdruck, die nach eingetretener Beruhigung dem gewöhnlichen Grau weicht. In höchster Gefahr, etwa beim Betasten durch Menschenhand, wird das Thier sogar „borstig“, indem plötzlich auf der Haut dunkle spitze Erhebungen entstehen, die ihm wahrscheinlich in den Augen des Feindes ein furchtbares Ansehen verleihen sollen.

Neben der Eledone bemerken wir im Vordergrunde unseres Bildes zwei Exemplare jener prachtvollen Actinien, von denen ein Dichter sagt:

„Da kein Blumenschmuck entsproßt der Tiefe des Meeres,
Gab die güt’ge Natur Thieren die Blumengestalt.“

Es ist eine bekannte Erfahrung, daß Personen, welche zum erste Male eine Flora dieser Seerose und See-Anemonen vor sich haben, nur schwer überzeugt werden können, daß all die rothen und grünen Gewächse wirklich Thiere und nicht Pflanzen sind. Fast klingt es wie Verleumdung, wenn wir diese träumerischen, sanften Wesen, die, wie die echten Kinder der Blumenwelt, sich sehnsüchtig nach dem Lichte wenden, mit dem Namen „Raubthiere“ bezeichnen, und dennoch trifft der Ausdruck zu. Wehe der Beute, die in die Nähe der Actinie kommt! Aus ihren Armen (Tentakeln) giebt es kein Entrinnen. Kaum berührt der Wurm eine Spitze der scheinbaren Staubfäden, so ist er auch schon von allen Seiten umwunden und gepackt, um im nächsten Augenblicke hinabgewürgt zu werden. Wie sich manche Blüthen zu gewissen Zeiten schließen, so auch die Actinie, wenn sie ihre Beute erhascht hat; sie hat ihre Schönheit eingebüßt; sämmtliche Arme verschwinden in der Tiefe des häutigen Stieles, und an Stelle der strahlenden Blume erblicken wir ein zusammengeballtes schlingendes Thier, ein merkwürdiges Gegenstück zu den „fleischfressenden Pflanzen“. Wie viel und wie oft die im Meere lebenden Actinien Nahrung zu sich nehmen, entzieht sich der Controlle; im Aquarium werden sie aus Gesundheits-Rücksichten zur Genügsamkeit erzogen und erhalten nur wöchentlich ihre Ration Regenwürmer oder gehacktes Fleisch. – Einige Seerosen wie z. B. die Actinia mesembrianthemum der Nordsee, sind mit Schutz- und Trutzmitteln ausgerüstet, die in der „Thierwaffenkunde“ kaum ihres Gleichen finden. Es sind Nesselkapseln, mikroskopische Organe, die in Thätigkeit gesetzt werden, sobald sich etwas Verdächtiges naht. Schon in der Entfernung von 2 bis 3 Cm. schleudert die Actinie dem Feind aus jenen Kapseln lange weiße Fäden entgegen, die ihn zurückschrecken oder umspinnen und festhalten. An ein „Verschießen“ der Munition ist dabei kaum zu denken, da in einem einzigen Arme mehr als vier Millionen „geladene“ Patronen liegen; die Anthea cereus besitzt im Ganzen 6450 Millionen Geschosse, welche überdies für den Fall ernster Kriegsgefahr schnell ersetzt werden können.

Recht dankbare und anmuthige Bewohner des Aquariums sind die auf unserm Bilde im Hintergrunde schwebenden glockenförmigen Ohrenquallen (Medusa aurita), die wegen der brennenden Nesselfäden, mit denen sie gleich den Actinien versehen sind, auch Meernesseln genannt und als solche von Badenden mit Recht gefürchtet werden. Schleiden wendet auf die Medusen das Heine'sche Wort an:

„Glatte Herren, glatte Frauen,
Ach, wenn sie nur Herzen hätten!“

Sie haben ein solches weder im anatomischen, noch im figürlichen Sinne; sie sind nur wandernde Mägen, die zu Tausenden gesellig die Meeresfluthen durchziehen. Und doch webt sich um das zarte Geschöpf ein poetischer Nimbus. In regelmäßigen Rhythmen zieht sich der bläulich schimmernde, völlig durchsichtige Körper zusammen und steigt in sanften Linien nach oben; es scheint, als wolle sich die Qualle unter einem feingewebten Schleier verbergen, dessen Rand mit vielen zierlichen Quasten und Anhängseln geschmückt ist. Mit Vorliebe bewegen sich die Medusen auf der Grenze zwischen Wasser und Luft; ja es ist, als wollten sie ihren lautlosen Flug über das Element hinaus fortsetzen, denn oft hüpfen sie vermittelt einer kräftigen Zusammenziehung aus der Salzfluth empor. So sanft das Leben der Qualle, so poetisch ist ihr Tod. Leise und ohne die herzschlagähnlichen Bewegungen sinkt das sterbende Thier zu Boden und ist in kurzer Zeit im wahren Sinne des Wortes aufgelöst. Niemand kann sich rühmen, die Leiche gefunden zu haben. Selbst die durch den Zufall an den Strand geworfene Qualle ist unter dem Einfluß der Sonne bald verdunstet, nicht ohne die zarten Umrisse ihrer regelmäßigen Gestalt in Form einer Rosette im Sande zurückgelassen zu haben.

Die merkwürdigen Geschöpfe im Hintergrunde unserer Abbildung sind zwei Pfeilschwanz- oder Molukkenkrebse (Limulus polyphemus), welche des eigenthümlichen Körperbaues und des stielartigen Schwanzes wegen von den Franzosen la casserole genannt werden. Die Oberseite des Thieres besteht aus zwei an einander liegenden glatten gewölbten Schilden, auf welchen die nur schwer aufzufindenden Augen liegen. An Waffen fehlt es auch diesem Geschöpf nicht. Mit sechs Paar Scheeren ausgerüstet, weiß es dieselbe in ernsten Kämpfen und beim Spielen mit anderen Bewohnern des Beckens energisch in Anwendung zu bringen. Die höchst interessanten Turniere zwischen der Eledone und dem Limulus enden indeß meist mit einer kläglichen Niederlage des letzteren; denn auf den Rücken geworfen, vermag er sich nur selten wieder aufzurichten; um den in den Sand gestreckten Streiter vor einem sicheren Tode zu bewahren, ist es deshalb eine tägliche Aufgabe der Wärter, die zappelnden Casserolen zu neuem Leben – umzuwenden.

Das palmenähnliche Gebilde rechts oben in der Abbildung ist ein Röhrenwurm, die gebänderte Schraubensabelle (Spirographis Spallanzanii). In dem durch ausgeschwitzte Kalktheilchen oder angesetzte Sandkörnchen gebildeten „Stamm“ wohnt das furchtsame Thier und streckt seine Kiemenfäden in Form einer spiralförmig gewundenen Blätterkrone nach oben. Letztere ist außerordentlich empfindlich, denn schon bei der leisesten Berührung der Wasseroberfläche oder der Glasscheibe vor ihrem Behältniß verschwinden alle Sabellen in der Röhre.

Wenn es für jeden Naturfreund eine unerschöpfliche Quelle sinniger Freuden ist, den Lebensäußerungen der Meeresgeschöpfe zu folgen und sie verstehen zu lernen, so ist es nicht minder anziehend, das Entstehen einzelner derselben zu beobachten. Wir finden hierzu eine ebenso bequeme wie dankbare Gelegenheit in den Eiern des Katzenhaies (Scyllium catulus), die an den Küsten als „Seemäuse“ oder unter anderen populären Namen bekannt sind. Wie die Abbildung zeigt, hängen die hornartigen durchsichtigen Kapseln an vielfach gewundenen, raukenartigen Anhängseln, die von den vier Ecken des seltsam geformten Eies ausgehen.

Es liegt ein eigener Reiz darin, das neugeborene Wesen, bei dem, wie bei allen Embryonen, Kopf und Auge sich zuerst entwickeln, wochenlang in seinem zierlichen Gefängniß sich regelmäßig

[101]

Actinien-Fütterung im Aquarium.
Nach der Natur gezeichnet von Conrad Siemenroth.

[102] winden und zucken zu sehen. Es schwimmt, dehnt und reckt sich Tag und Nacht, bis nach eingetretener Reife sich die Kapsel öffnet und den wohlgebildeten, noch blaß gefärbten Katzenhai seinem Element übergiebt. Die jungen Thiere fallen regungslos auf den Grund und verharren dort einige Zeit auf ein und derselben Stelle, ohne etwas von der späteren Raublust zu verrathen. Erst bei der Fütterung werden sie lebendig, denn auch auf sie findet das Horazische Wort Anwendung:

„Nur zum Fressen geboren.“
Gustav Schubert.