Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Kurzer Abriß der Geschichte des k. Consistoriums in den Herzogthümern
Kurzer Abriß der Geschichte des Königlichen Consistoriums in den Herzogthümern Bremen und Verden.
In einem Werke, welches sich die Aufgabe gestellt hat, unseres Landes Art und Eigenthümlichkeit und unserer [146] Väter Sage und Sitte, Glauben und Leben zur Kräftigung des vaterländischen Sinnes zu hüten, findet mit Recht auch die Geschichte der Behörde eine Stelle, welche in den letzten Jahrhunderten in unseren Herzogthümern die Trägerin und Leiterin des kirchlichen Lebens gewesen ist. Volkssitte und Volksglaube empfangen ihre Richtung durch Kirche und Schule; darum soll dasselbe Band, welches die Prediger und ihre Kirchkinder an einander kettet, auch die Gesammtheit der Gemeinden einer Provinz mit ihren Oberhirten verbinden. Dazu aber kann nicht leicht etwas förderlicher sein, als ein Rückblick auf die Geschichte dieser gottgeordneten Verbindung.
Als unser Dr. Luther das helle Licht des Evangeliums wieder auf den Leuchter der Kirche gestellt hatte, da leuchtete es stark in die Lande hinein und der Schein drang auch bis in unsere Gegenden. Es traten hie und da Zeugen der evangelischen Wahrheit auf und sie sind’s wohl werth, daß ihre Namen aufbehalten werden zu bleibendem Gedächtnisse. Schon 1521, als Luther vor Kaiser und Reich in Worms von seinem Glauben Zeugniß gab, predigte Andreas Carding im Lande Hadeln das lautere Wort Gottes, 2 Jahre später trat hier in Stade Joh. Hollmann auf, und in Bremen sammelte der muthige Hinrich von Zütphen eine kleine Gemeinde um sich. Aber als die Macht des Lichtes wuchs, da erhob sich auch die Macht der Finsterniß und wollte jenes unterdrücken. Christoph, der Erzbischof von Bremen und zugleich Bischof von Verden, trug wohl den Bischofshut, aber ein rechter Christusträger war er nicht; sonst hätte er nicht so viel List und Gewalt gebraucht um die römische Kirche zu stärken und das Lutherthum zu unterdrücken. Aber er konnte doch nicht gegen die Wahrheit an, und das Märtyrerblut erwies sich auch hier als die segensreichste Aussaat für die Kirche. Die Ritter, die Bürger in den Städten, die freien Bauern in der Provinz entschieden sich für die Reformation und führten sie in ihren Stadt- und Landgebieten durch. Als Christoph 1558 starb, da war der größere Theil seiner Diöcese dem neuen Glauben, der doch kein neuer war, zugethan. Aber der Kampf der Römisch-Katholischen gegen [147] die Protestanten dauerte noch lange fort bis in den 30jährigen Krieg hinein und erst als der hochherzige Schwedenkönig, Gustav Adolph, mit seinen Truppen unser Land besetzte im Jahre 1630, hatten die Lutheraner Ruhe und Frieden. Nun war es aber ein merkwürdiges Verhältniß. Das Volk war evangelisch geworden, in Bremen und Verden aber residirten noch immerfort Bischöfe, die jedoch nicht mehr dem römisch-katholischen Glauben anhingen, sondern seit 1567 auch lutherisch worden waren. Nichts desto weniger wurden sie mitunter noch vom Pabste bestätigt, lebten auch in Ehelosigkeit. So lange diese evangelischen Bischöfe regierten, gab es noch kein Consistorium. Als aber in dem westphälischen Frieden 1648 die Bisthümer Bremen und Verden unter dem Titel von Herzogthümern an Schweden kamen, da mußten auch die kirchlichen Verhältnisse bei uns geordnet werden, denn während der entsetzlichen Kriegsjahre war ein Heer von Mißbräuchen eingerissen. Ein alter Geschichtschreiber klagt, daß alte Treue, Einfachheit und Ordnung mehr und mehr verschwänden und statt dessen neue Unsitte und fremde Laster sich geltend machten. Um das Verderben gleich bei der Wurzel anzufassen, erklärte die Königin von Schweden, Christina, die Tochter Gustav Adolfs, sie wolle „vom Hause Gottes den Anfang machen und die in kirchlichen Dingen eingerissenen bösen Gebräuche und Aergernisse abschaffen, auch ein geistliches Consistorium in Stade aufrichten.“ Diese neue Behörde hielt am 11. December 1651 ihre erste Sitzung. Sie sollte in der Folge ihre Sitzungen an jedem Donnerstage halten und ihr Hauptaugenmerk darauf richten, daß das hochheilige Kirchen- und Schulwesen recht geordnet, in allen Stücken Gottes Ehre gesucht und befördert und sein Wort in dem rechten Verstande und nach dem ungeänderten Augsburgischen Bekenntnisse recht und rein gelehret werde. Das neue Consistorium wurde besetzt mit einem General-Superintendenten, dreien Theologen und zweien Rechtsgelehrten, von denen einer der Director des Consistoriums sein sollte. Von Allen wurde gefordert, daß sie in Gottes Wort festgegründete, gottesfürchtige und gelehrte Männer seien, damit sie über die Reinheit der Lehre zu wachen und wo es noth thäte, an [148] Priestern und Laien rechte Kirchenzucht zu üben vermöchten. Der General-Superintendent insonderheit sollte die Oberaufsicht führen über alle innern und äußern Angelegenheiten der Kirche und darüber in den Sitzungen Vortrag halten. Er sollte sorgsam darüber wachen, daß der edle theure Schatz des göttlichen Wortes und der heiligen Sacramente nicht verloren gehe und daß dem gottlosen Wesen gesteuert, dagegen Zucht und Ehrbarkeit aufgerichtet werde. Die angehenden Priester sollte er sorgfältig unterweisen, was ihr Amt auf sich habe und sie ermahnen, daß sie der Zuhörer Seligkeit und der Kirchen Wohlstand sich treu eifrig angelegen sein ließen. Die Lehrer, sowohl die an den Gelehrtenschulen in Stade und Verden, als die an den Volksschulen sollte er besonders anhalten, fleißig die Artikel des christlichen Glaubens nach dem Katechismo zu treiben. Um sich aber durch eigenen Augenschein über Alles zu unterrichten, sollte er in 2 bis 3 Jahren sämmtliche Gemeinden visitiren und zur Herstellung des rechten oberhirtlichen Verhältnisses zu den Geistlichen seiner Diöcese jährlich oder alle 2 Jahre eine Generalsynode abhalten. Wer erquickt sich nicht in der Seele an dieser auf gesunden und ächt lutherischen Principien gegründeten Instruction. Wäre man nur auch immer und in allen Stücken derselben nachgekommen! Doch trotz aller Mängel in der Durchführung der so richtigen Grundsätze, die in der Folge verschuldet oder unverschuldet eintraten, ist der Segen der trefflichen Verordnung nicht ausgeblieben. Ruhig und fest ging die Kirche in unserer Provinz ihren Weg und bauete sich, ohne von den Lehrstreitigkeiten, die das übrige Deutschland bis in die Mitte des 18ten Jahrhunderts bewegten, sonderlich berührt zu werden. Ein Nachtheil lag nur darin, daß die Königl. Residenz Stockholm so weit entfernt war und darum die Verwaltung der Provinzen nicht immer so gehandhabt wurde, wie es vielleicht der Wille der Regenten war. Uebrigens dauerte die schwedische Herrschaft auch nicht gar lange. Karl XII. führte durch seine tollkühnen und abenteuerlichen Unternehmungen selbst den Ruin seines Reiches herbei. Die schönsten Provinzen desselben mußte er seinen [149] Gegnern abtreten, unter ihnen auch Bremen und Verden an den Churfürsten von Hannover, Georg I. 1715.
Die Reihe der Generalsuperintendenten ward eröffnet durch Michael Havemann. Er war 1597 zu Bremervörde geboren, hatte in Rostock 8 Jahre lang studirt und selbst Vorlesungen gehalten, wurde dann Lehrer und Rector des Stader Gymnasiums und kurz darnach Hauptpastor an St. Cosmä und Damiani. Lauter in Lehre und Leben, wirkte er in seiner Gemeinde mit großem Segen, mußte aber auch das Kreuz seines Herrn tragen. Die katholischen Truppen besetzten Stade im Jahre 1628 und vertrieben die meisten lutherischen Prediger. Doch schon nach wenigen Jahren durfte Havemann aus seinem Exil in Ostfriesland zurückkehren zu seiner früheren Gemeinde. Es wurden ihm ehrenvolle Berufungen nach Amsterdam und Schleswig zu Theil, er wollte aber von seinem Posten nicht weichen. Bei der Errichtung des Consistoriums ernannte Königin Christina ihn zum Präses desselben, welches Amt er bis 1672 bekleidete. Er that sich als Schriftsteller auf dogmatischem, asketischem und kirchenrechtlichem Gebiete hervor; die Streitigkeiten, welche er führte, scheinen sich theils um bloße Persönlichkeiten gedreht zu haben, theils aber auch in den theologischen Gegensätzen, welche damals die ganze Kirche durchzogen, begründet gewesen zu sein. Havemann neigte sich zu der Herzenstheologie des Pietismus, wie er denn zu Spener selbst in freundlichem Verhältniß stand; der größere Theil der Bremischen Geistlichkeit aber, und unter ihr Havemanns besonderer Gegner Hackmann, der Pastor zu Stade war, hielt es mit der kirchlichen Orthodoxie. Hackmann errang in diesem Kampfe den Sieg, indem er den von Havemann eingeführten Katechismus durch den kleinen lutherischen, mit den Fragen von Sotefleisch, wieder verdrängte. Mit Spener muß er in irgend welcher Verbindung gestanden haben, wenigstens schrieb dieser zu einem Werke von Havemann über die Vereinigung der Christen mit Christo eine Vorrede.
Zu den 3 Theologen, welche Beisitzer im Consistorium sein sollten, gehörten die Superintendenten am Dom zu Verden und zu Bremen; sie waren aber eigentlich nur nominell [150] Consistorial-Räthe, die sich selten an Verhandlungen betheiligten. Die Stelle des 3ten Beiraths wurde meistens einem Stadischen Pastoren, nachmals regelmäßig dem Garnisonprediger übergeben. Einer der ersten Secretaire Diedrich von Staden erwarb sich nicht geringes Verdienst durch Herausgabe eines Kirchenhandbuches, das von den meisten Predigern eingeführt wurde und bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz außer Gebrauch gekommen ist.
Die neugeschaffene Behörde theilte ihren Sprengel zunächst in 10 Präposituren, und setzte denselben Pröbste vor. Dann machte sie sich daran, eine Kirchen-Ordnung auszuarbeiten, aber der Entwurf gelangte nie zu kirchlicher Geltung. Auch die Concordienformel hatte in unserer Provinz formell nie bindende Kraft erhalten und eine Beeidigung auf dieselbe hat niemals stattgefunden. – Die wichtigen Kirchen-Visitationen und Generalsynoden unterblieben leider fast gänzlich oder wurden oberflächlich abgehalten, und unsere Provinzialkirche ging der köstlichen Früchte, die ihr aus dieser Institution hätten erwachsen können, wenn sie im rechten Geiste und mit wahrer Weisheit wäre gehandhabt worden, verlustig. Der Hauptgrund lag wohl in den staatlichen Verhältnissen, die unter den Nachfolgern Gustav Adolfs keineswegs erfreulich waren. Die Kirchengüter wurden von den Herrschaften verschleudert, die schwedischen Beamten ließen sich die härtesten Erpressungen zu Schulden kommen, zur Verbesserung der Pfarrstellen und zur Anlegung von neuen Schulen war kein Geld vorhanden. Doch suchte Havemann Zucht und Sitte wieder herzustellen. Die Heiligung der Sonntage durch Enthaltung von Arbeiten und lärmenden Vergnügungen wurde ernstlich eingeschärft, auf Einfachheit und Mäßigkeit wurde gedrungen, der hohe Werth des heil. Taufsacraments den Gemeinden nachdrücklich an’s Herz gelegt.
Havemann’s Nachfolger wurde Dr. Daniel Lüdemann, der aber das Amt nur 4 Jahre, von 1673–1677, bekleidete. Er konnte in dieser kurzen Zeit um so weniger Bedeutendes wirken, als politische Wirren die Thätigkeit des Consistoriums auf eine Zeitlang ganz unterbrachen. Ihm folgte 1683 Dr. Johann Diekmann, an dessen [151] Antritt sich große Hoffnungen knüpften. Er hatte 8 Jahre auf Universitäten zugebracht. Zuerst bezog er Gießen, dann Jena und zum Abschlusse seiner Studien Wittenberg, wo er die beiden berühmten lutherischen Dogmatiker Calov und Quenstedt hörte. Diekmann wurde nun zunächst Rector des Stader Gymnasii und hob die Schule zu solcher Blüthe, daß viele junge Leute aus entfernten Ländern dahin kamen. Als Lüdemann starb, wurde er an dessen Stelle berufen, damals erst 36 Jahre alt. Er erwarb sich in Kiel die theologische Doctorwürde, ließ sich in Schleswig von dem dortigen Generalsuperintendenten ordiniren und wurde dann in sein Amt eingeführt. Er besaß eine große Belesenheit und seltene Gelehrsamkeit, besonders in der Kirchen-Geschichte und in Alterthümern. In theologischen Streitigkeiten, denn ohne diese ging es damals nicht ab, war er immer für den gelindesten Weg, ohne doch der Wahrheit etwas zu vergeben. Sein College Hackmann zog seine Rechtgläubigkeit in Zweifel, ist jedoch den Beweis für seine Behauptung schuldig geblieben. Ernst in seinem äußerlichen Aussehen, war er doch ein leutseliger und freundlicher Mann. Sein Christenthum stand nicht in äußerlichem Bekenntnisse, sondern in wahrer Frömmigkeit des Herzens. Ohne vorhergegangene Krankheit entschlief er am 4. Juli 1720, nachdem er noch Tags zuvor in Hollern einen Prediger eingeführt hatte.
Was seine amtliche Wirksamkeit anlangt, so war besonders wichtig die Einführung der Candidatenprüfungen. Es wurden 2 Examina angeordnet: das erste mußten die Studiosen der Theologie gleich nach ihrem Abgange von der Universität pro licentia concionandi für die Erlaubniß zum Prediger ablegen; das zweite war das Haupt- und Amtsexamen der Candidaten. Diekmann besaß selbst eine große Gabe im Examiniren und hielt in seinem Amte nicht weniger, als 350 Prüfungen ab. Die Diener der Kirche ermahnte er zu fleißigem Studium der symbolischen Bücher und zu zweckmäßiger Abhaltung der Katechismuslehren; die Confirmation wurde neu eingeführt. Die Heiligung des Sabbathtages schärfte er abermals ein, die Ehesachen regelte er, und warnte vor pietistischen Lehren der Universitäten. [152] Auf Befehl des Königs Carl XI. wurden statt der nie in’s Leben getretenen Generalsynoden kleinere Synoden der einzelnen Präposituren abgehalten. – Eine Aenderung in der Gestalt des Consistoriums trat 1689 ein. Das Präsidium wurde von dem Generalsuperintendenten auf den Director übertragen, der in Zukunft nicht mehr aus der Justiz-Canzlei, sondern aus der Regierung genommen werden sollte. Der Generalsuperintendent aber sollte jederzeit der erste Rath des Consistoriums sein. Von nun an wurden die Kirchen-Verordnungen im Namen der Regierung erlassen.
Als weltliches Mitglied des Consistoriums aus dieser Zeit muß noch des Regierungsraths v. Lissenhaim gedacht werden. Er war aus Lissa in Polen gebürtig und stiftete von seinem Vermögen ein Stipendium, das 500 Rthl.[1] Gold beträgt. Jedes 4te Jahr muß es an einen aus Lissa gebürtigten Studiosus verliehen werden. Die Verwaltung dieser Stiftung haben der Generalsuperintendent und ein Mitglied der Regierung.
Während der Kriegsläufte, die das Ende der schwedischen Herrschaft in unserer Provinz herbeiführten, wurde Stade und die Umgegend von den Dänen besetzt. Diekmann floh nach Bremen, wo er 4 Jahre im Exil lebte. 1715 trat der König von Dänemark die Herzogthümer Bremen und Verden als ein erobertes Land gegen 6 Tonnen Goldes an den Churstürsten von Hannover Georg I. ab. Mit diesem Uebergange von der schwedischen unter die hannoversche Hoheit beginnt die 2te Periode des Stadischen Consistoriums.
Georg I. versprach bei seinem Regierungsantritte bürgerliche und kirchliche Freiheiten, Rechte und Privilegien ungekränkt zu lassen und die Verwaltung auf dem Wege, der sich historisch herausgebildet hätte, weiter zu führen. Das hat denn die hannoversche Regierung auch treulich gehalten, aber bei aller Pietät gegen provinzielle Eigenthümlichkeit hat sie doch den Fortschritt zu nothwendigen Verbesserungen nie aus den Augen verloren. Fehlte es früher noch bisweilen an der nöthigen Energie zur Durchführung heilsamer Maaßregeln, so vermißte man dieselbe nicht mehr, [153] als Hannover mit der Thronbesteigung des kräftigen Ernst August ein selbstständiges Königreich wurde.
Das Consistorium wurde schon 1716 wieder hergestellt und Diekmann aus seinem Exil zurückberufen. Directorium und Präsidium wurden wieder von einander getrennt: das erstere erhielt der Director der Justiz-Canzlei, das letztere der Regierungspräsident. Der Generalsuperintendent hielt von jetzt an jährlich in 2 Präposituren General-Visitationen. Die ersten Verordnungen des Consistoriums bestimmten, daß die Pastoren wegen Feuersgefahr das Duplicat ihrer Kirchenbücher einliefern, ihres Predigens sorgfältig wahrnehmen und sich der Kürze befleißigen sollten. Um den Zorn Gottes, der sich durch schwere Heimsuchungen in den hiesigen Landen offenbart hatte, abzuwenden, wurden jährlich 3 Buß-, Bet- und Fasttage angeordnet.
Als Diekmann gestorben war, trat an seine Stelle Lucas Backmeister, der zuvor Probst in Uelzen gewesen war. Auch er besaß, wie Diekmann, eine umfassende Gelehrsamkeit, besonders in orientalischen Sprachen. Die Heilige Schrift im Grundtexte zu studiren, war seine liebste Beschäftigung, und dazu hielt er auch seine Prediger und Candidaten an. Seine Wißbegierde führte ihn sogar nach Schweden und Holland, wo er die bedeutendsten Gelehrten besuchte, um von ihnen zu lernen. Er lebte still und eingezogen, im Umgange mit wenigen vertrauten Freunden. Von seinem bedeutenden Vermögen unterstützte er ohne alles Aufsehen schlecht besoldete Schullehrer, Wittwen und Waisen und verband mit seinen vielen trefflichen Eigenschaften die liebenswürdigste Bescheidenheit. Wie er selbst aufrichtig und ohne Falsch war, so konnte er auch an Anderen Heuchelei und Schmeichelei nicht leiden. Treue Prediger fanden an ihm einen milden und liebevollen Vorgesetzten, nachlässige aber hatten Ursache, sein Angesicht zu scheuen; denn seine wenigen Worte pflegten zu Spießen und Nägeln zu werden. In seinen Reden wollte er nicht die Ohren der Zuhörer kitzeln, sondern Erkenntniß des Heils, Glauben und Gottseligkeit bei ihnen wirken. In einen Conflict mit der orthodoxen Geistlichkeit seiner Diöcese gerieth er durch die Einführung des Katechismus von Gesenius, welchen [154] viele Pastoren für nicht rein lutherisch in der Lehre hielten. Backmeister mußte in der That seinen Gesenius wieder zurückziehen und der Sötefleisch blieb in alleiniger Geltung. Nach langen und schweren Leiden am Nasenkrebse, die er mit größter Geduld und Ergebung getragen hatte, entschlief er am 2. December 1748.
Es folgte ihm Johann Hinrich Pratje. Er war 1710 in Horneburg geboren, wo sein Vater Brauer war. Seine Studien machte er in Helmstädt, wo der berühmte Mosheim damals lehrte; sie dauerten nur 2 Jahre. Seine erste pfarramtliche Thätigkeit entwickelte Pratje in Horneburg, wo ihm die zweite Stelle übertragen wurde; bald aber berief ihn der Geheime-Rath von Münchhausen, der seine Tüchtigkeit frühzeitig erkannte, als Prediger an die Wilhadikirche nach Stade und in Kurzem beförderte er ihn auch zum Consistorialrathe. Nach Backmeister’s Ableben wirkte Münchhausen bei dem Könige Georg II. so kräftig für seinen Schützling, daß Pratje schon einen Monat nachher seine Bestallung als Generalsuperintendent erhielt. Er war, als er sein wichtiges Amt antrat, erst 39 Jahr alt und hat dasselbe 41 Jahre hindurch mit großer Umsicht und rastlosem Eifer verwaltet. Seine Wirksamkeit steht noch bis auf diesen Tag in großem und verdientem Ansehen, wenn man auch keineswegs alle seine kirchlichen Anordnungen gutheißen kann. Pratje stand an der Grenzscheide der alten kirchlichen Rechtgläubigkeit und der mit Macht hereinbrechenden s. g. Aufklärung. Während er für seine Person noch der kirchlichen Lehre zugethan war, wie seine Predigten zeigen, konnte er doch nicht umhin, der Zeitrichtung manche Zugeständnisse zu machen. Er suchte den alten Lehrgehalt möglichst zu retten, ihn in der Form aber dem neuen Geschlechte mundgerecht zu machen. Leider ging aber mit der Form auch der Inhalt nicht selten verloren. Aus diesem Bestreben Pratje’s entstand das neue Gesangbuch, welches er für unsere Provinz ausarbeitete und aus dem wir noch heute singen. Bei aller Pietät gegen Pratje läßt sich doch von diesem seinem Werke nicht günstig urtheilen; denn die darin enthaltenen Veränderungen der alten Kirchenlieder sind meistens Verschlechterungen.
[155] Nachgeben an den Zeitgeist spricht sich auch in der Verordnung aus, durch welche die meisten kleineren Feste auf den nächstfolgenden Sonntag verlegt, die dritten hohen Festtage aber abgeschafft wurden; dagegen führte man in den sonntäglichen Vormittagsgottesdienst die s. g. Vorlesungen ein. Um die Pastoren zum Fortschreiten in der Theologie anzutreiben, wurde ein neues Examen angeordnet für die Prediger, die eine Beförderung suchten, die s. g. Conferenz. Die Candidaten sollten erst nach vollendetem 24sten Lebensjahre das Amtsexamen bestehen dürfen. Den Studiosen wurde in der Wahl der Universität freie Hand gelassen. Das Schulwesen wurde durch eine treffliche neue Schulordnung geregelt, dagegen die von Pratje neu überarbeitete Havemann’sche Kirchenordnung vom Ministerium abgelehnt. Regelmäßig hielt Pratje jährlich in 2 Kirchenkreisen General-Kirchenvisitationen, die er durch Sendschreiben an die gesammte Geistlichkeit über irgend eine theologische oder historische Materie anzukündigen pflegte. Aber bei der großen Ausdehnung der Amtsgeschäfte fand sein eiserner Fleiß doch noch Muße zu mancherlei schriftstellerischen Arbeiten. Er gab Sammlungen von Predigten der Pastoren seines Bezirks heraus unter dem Titel: Bremische Bemühungen in Predigten. Mit besonderer Vorliebe beschäftigte er sich mit der Geschichte und den Antiquitäten unserer Provinz und lieferte höchst werthvolle Beiträge dazu in den Sammlungen: Altes und Neues aus den Herzogthümern Bremen und Verden. Einer Menge von Zeitschriften sandte er Abhandlungen ein und man muß sich wundern über die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, über die er zu schreiben wußte. Da finden sich nicht bloß theologische Aufsätze, sondern nicht minder naturhistorische (z. B. über die Aale, über Regenwürmer), medicinische (z. B. vom Gebrauche des weißen Pfeffers zur Stärkung des Magens), haushälterische (z. B. wie der widrige Geruch der Betten zu verhüten) u. s. w.
Pratje erfreute sich großer Liebe und hohen Ansehens bei Predigern und Gemeinden. Auch außerhalb der Provinz wurden seine Verdienste anerkannt und mehrere Ehrenbezeugungen ihm zu Theil. Die ihm 3 mal angetragene [156] theologischen Doktorwürde lehnte er wegen der damit verbundenen Kosten ab. 1784 feierte er sein 50jähriges Amtsjubiläum, bei welchem die allgemeine Liebe und Verehrung, die der Greis genoß, sich in manchen schönen Zügen an den Tag legte. Darnach lebte er noch mehrere Jahre, bis er 1791 am Schlagflusse starb.
Zu Pratje’s Nachfolger berief die Regierung den Dr. Johann Caspar Velthusen. Er war 1740 in Wismar geboren und hatte sich in mancherlei Aemtern, zu Hameln, London, Gifhorn, Helmstädt und Rostock versucht. Klein von Statur, aber ehrwürdig im weißen Haar, gewann er die Herzen durch den Ausdruck inniger Frömmigkeit, so wie durch eine unermüdliche Dienstfertigkeit. Als Schriftsteller machte er nicht sonderliches Glück. Er ließ sich sehr angelegen sein, die Provinz Nordcarolina in den Vereinigten Staaten mit deutschen Predigern und Schullehrbüchern zu versorgen. Kräftig unterstützte ihn sein College, der Consistorial-Rath Watermeyer (1778–1809). Das wichtigste Ereigniß während seiner Amtsjahre ist die Einführung des hannoverschen Landeskatechismus.
Die französischen Kriegsunruhen, welche über unser Vaterland hereinbrachen, ließen es zu wichtigen kirchlichen Verbesserungen nicht kommen. Der lutherische Dom zu Bremen, über welchen das Stader Consistorium bis jetzt die Oberaufsicht gehabt hatte, wurde an die Stadt Bremen abgetreten. Schwere Zeiten erlebte Velthusen, als warmer Patriot, während der französischen Besetzung der hannoverschen Churlande 1810 bis 1814. In seinem Amte aber verblieb er; auch ließen die Franzosen das Consistorium nach den hergebrachten Principien schalten, denn man war so von den staatlichen Dingen in Anspruch genommen, daß man zu Gewaltstreichen gegen die Kirche keine Zeit hatte. Velthusen erlebte noch mit hoher Freude die Wiederherstellung des angestammten Regentenhauses, starb aber gleich darauf, erschöpft von den überstandenm Sorgen und Drangsalen, am 13. April 1814.
An seine Stelle trat nun sofort Dr. Georg Alexander Ruperti, der 1758 in Bremervörde geboren und bereits Gymnasialrector und Consistorialrath gewesen war. [157] Obgleich seine Neigung ihn besonders zu philologischen Studien hinzog, lebte er doch seinem Amte mit großer Gewissenhaftigkeit und rief wichtige kirchliche Einrichtungen in’s Leben. Zwar in der Feier der Sonn- und Fest-, Buß- und Bettage wurde viel von der alten Strenge nachgelassen, die noch bestehenden dürftigen Reste der früheren Kirchenbuße wurden aufgehoben. Statt der General- führte man Specialvisitationen ein, die von den Superintendenten abgehalten werden sollten. Die Provinz wurde nämlich 1826 in 16 Inspectionen, statt der 10 Präposituren, eingetheilt, deren geistliche Ephoren den Titel von Superintendenten erhielten. Dagegen verdanken wir Ruperti drei äußerst wohlthätige Institute: das Schullehrer-Seminar, welches 1822 eröffnet wurde und sich unter seinem ersten Inspector, dem jetzigen Superintendenten Baring in Rotenburg, schnell zu erfreulicher Blüthe erhob; ferner die Begründung der allgemeinen Predigerwittwen-Casse, deren Fonds sich bereits auf mehr als 84,000 Rthl. belaufen, und die Errichtung eines Vereins der Prediger zu gegenseitiger Brandentschädigung.
Als nach dem Wiener Congreß 1815 Hannover ein souveraines Königreich wurde, da hörte die Unterordnung des Consistoriums unter die Provinzial-Regierung in Stade auf und dasselbe wurde unmittelbar unter das Königliche Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten gestellt.
Am 4. Juli 1831 wurde das 50jährige Amtsjubiläum Ruperti’s mit herzlicher Theilnahme begangen. Am 14. März 1839 entschlief er. Seine Stelle wurde wieder besetzt mit Dr. Friedrich Burchard Köster. Er wurde 1839 von Kiel, wo er Professor der Theologie und Director des homiletischen Seminars war, als Consistorial-Rath und Garnisonprediger nach Stade berufen. Nach Ruperti s Abscheiden wurde ihm die Generalsuperintendentur Anfangs interimistisch und ein Jahr nachher definitiv übertragen. Zu gleicher Zeit trat auch Christoph Ludwig v. Hanffstengel, der bisher Pastor zu Lesum war, als zweiter geistlicher Rath in das Consistorium ein.
[158] Wichtige kirchliche Veränderungen, welche die neuere Zeit gebracht hat, sind:
1. das Volksschulgesetz vom 26. Mai 1845, 2. die Aufhebung der Consistorial-Gerichtsbarkeit (mit Ausnahme der Ehesachen) durch das Gesetz vom 12. Juli 1848, 3. die Errichtung von Kirchen- und Schulvorständen durch das Gesetz vom 14. October 1848.
Gedacht werde noch der Stiftung der Predigerbibliothek, die bereits auf mehr als 2400 Bände angewachsen ist.
Am 11. December 1851 beging das Consistorium die Feier seines zweihundertjährigen Bestandes, bei welcher Gelegenheit der Consistorial-Rath von Hanffstengel von der theologischen Facultät zu Göttingen zum Dr. theol. ernannt wurde.
Stade.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Reichsthaler.
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