Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Das Bremische Moor
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Das Bremische Moor.
Das weite Flachland, welches die Herzogthümer Bremen und Verden bildet, scheint zwar sehr einförmig zu sein, bietet aber doch die auffallendsten und merkwürdigsten Contraste dar, welche sich kurz zusammen fassen lassen in den Namen: Geest, Marsch und Moor. Die Geest ist der älteste Theil des Bodens, nämlich ein Hochland, aus Lehm und Sand gemischt; dergestalt daß wo der Lehm vorherrscht, die fruchtbare Geest sich findet, die Haide hingegen, wo der Boden mehr sandig ist. Von der Haide sagt man im Lüneburgschen scherzend: „sie schämt sich, daß sie keine Ernte bringt; darum wird sie roth.“ Die Marsch verdankt ihren Ursprung den Ueberschwemmungen der Elbe und Weser und besteht aus fettem Thonboden, in welchem fast kein Steinchen zu finden ist. Zwischen beiden dehnt sich das Moor aus, ein Sumpfland mit ungeheuren Lagern verkohlter Pflanzentheile. Diese drei Landstriche geben nun auch den Bewohnern desselben einen eigenthümlichen Charakter; dem Lande wie den Leuten nach, könnte man der Geest ein sanguinisches Temperament zuschreiben, der Marsch ein phlegmatisches und dem Moor ein melancholisches. Wir wollen uns hier das Moor näher betrachten.
Man unterscheidet Hochmoore auf der hohen Geest, Wiesenmoore, welche den Uebergang von der Geest zur Marsch bilden und Marschmoore, welche sich, wiewohl seltener, mitten in der Marsch finden.
Ein Moor bildet sich in Niederungen, in welchen Wasser versumpft, und zwar besonders, wenn es durch Quarzsand, Granit und andere Urgebirgsarten sickert, [28] äußerst wenig, wenn durch Mergel, Kalk und Lehm. Seine Entstehung geschieht in folgendem Stufengange. Zuerst zeigen sich schleimige Wasserfäden (Conferven), welche nach Jahren den ganzen Sumpf in eine dicke grüne Masse verwandeln. In diesen wurzelt dann das Torfmoos, die bedeutendste aller Moorpflanzen, welches alle Winter zusammen sinkt, alle Frühlinge neu empor quillt, und allmählich dichte Polster bildet, in welchen dann andere, mehr holzige Pflanzen Boden finden können. Das Wollgras stellt sich ein, die Sumpfhaide u. s. w. und zuletzt der stark riechende Gagelstrauch, welche fortwuchernd zuletzt die ganze Niederung ansfüllen. Aber wie viele Jahrhunderte waren erforderlich, um die vorhandenen, aus vermoderten Pflanzengeschlechtern bestehenden, Torflager von 30, 50, ja 80 Fuß Tiefe hervorzubringen!
Tief im Grunde der ältesten Moore findet man häufig Ueberreste von zahlreichen einheimischen Waldbäumen, wild durch einander liegend, und zum Theil verkohlt oder mit Erdöl durchzogen, so daß sie den Bewohnern des Moores als Lichtfackeln dienen. Daß sie an Ort und Stelle gewachsen, ist nach der Boden-Beschaffenheit nicht glaublich: wahrscheinlich sind sie durch mächtige Wasserfluthen hergeschwemmt.
Die Wiesenmoore treten wie ein Keil hervor, je nachdem entweder die Marsch oder die Geest in eine Spitze ausläuft. So bei Stotel, Wulsdorf und Geestendorf. Mitten in denselben finden sich hie und da höchst seltsame Wasserbecken, sehr tief, und meist gefüllt mit klarbraunem, eisigkalten Wasser, oder auch mit einem dünnen schwarzen Schlamme. Hier treten dann Schilfgräser an die Stelle des Torfmooses, und überziehen das Ganze mit einem engverfilzten Gewebe, so daß zuletzt runde schwimmende Wiesen entstehen, Dobben genannt. Gefährlich ist’s, diese Dobben zu betreten, wenn sie noch nicht ganz zugewachsen sind; und auch späterhin zittert der zähe Boden, wenn er mit Pferden und Wagen befahren wird. Diese Eigenschaft hat der Moorboden überhaupt; ja nicht selten bildet er ein schwimmendes Land, wovon das Dorf Waakhausen im Amte Osterholz das berühmteste Beispiel ist.
[29] Die Marsch-Moore sind ebenfalls mit der Fluth herangeschwommen und bei der Ebbe auf der Marsch liegen geblieben; daher sie denn auch nicht fortwachsen können, weil das Marschwasser kein Moor erzeugt. So das große Kehdinger Moor zwischen dem Lande Kehdingen und Osten.
Die oberen Moor-Schichten liefern den weißen leichten Torf, welcher hell brennt, aber wenig hitzt; der mit Sand oder Thon vermischte ist schwer, brennt aber schlecht. Tiefer sitzt der gute Ofentorf, schwarzbraun von Farbe, eine schwere Masse von verkohlten Vegetabilien. Ganz zu unterst findet sich ein schwarzer Brei, welcher an der Sonne getrocknet und in Soden zerschnitten, fast der Steinkohle an Hitzkraft gleichkommt, der s. g. Backtorf.
Zur Verschiffung des Torfs, wie zur Entwässerung der Moore sind Kanäle erforderlich, und die Zahl derselben hat in neueren Zeiten ausnehmend zugenommen. Dadurch haben denn auch die Moore viel von ihrer frühern Einöde verloren; hin und wieder nämlich sind nach dem völligen Abstechen der Torflager fruchtbare Wiesen entstanden, und anderwärts wird durch das s. g. Moorbrennen eine Rocken- und Buchweizen-Ernte gewonnen. Man bricht dabei den Moorboden leicht um und zündet die Oberfläche an, wodurch dieselbe milder und von der wenigen Asche gedüngt wird. So in Gnarrenburg, Grasberg und Worpswede.
Das eigentlich wilde Moor aber gewährt noch immer einen tief melancholischen Anblick durch seine schwarzbraunen Flächen, welche nur von schwarzen Torfhaufen und elenden Hütten unterbrochen werden. Hierzu kommt, daß die Stille daselbst nur von wenigen Thierarten belebt wird, als dem Birkhuhne, der Moorschnepfe, dem Rohrdommel, und der gespenstischen Sumpfeule: selbst Insecten sind selten, und nur die Kreuzotter, Eidechsen und Frösche finden sich häufig. Der Grund hievon liegt wohl in der eigenthümlichen Kälte des Moorbodens, welcher das Wintereis lange bewahrt, so daß die Torfgräber oft noch in der Mitte des Juni auf Eisschichten stoßen.
Auch die Flora der Moore ist zwar nicht sehr manchfaltig, bietet aber doch viel Interessantes dar. Der Gagelstrauch, die nordische Myrthe genannt, hat graugrüne [30] schmale Blätter, und zeichnet sich durch einen betäubenden Duft aus. Zierlich ist die Moosbeere, welche mit ihren feuerrothen Beeren sich über das feuchte Moos ausbreitet. Die fußhohe Parnassia hat eine schneeweiße Blüthe: ihre Staubfäden bewegen sich von selbst nach einer gewissen Reihenfolge. Und dieselbe Reizbarkeit an den hellgrünen Blättern hat auch der niedliche Sonnenthau, mit cristallklaren Tropfen bedeckt. Besonders merkwürdig aber ist der Wasserschlauch: er bildet nämlich kleine runde Blasen mit einem Deckel, welche regelmäßig den Winter über mit Wasser gefüllt sind, im Juni aber sich desselben entleeren. Wildwachsende Bäume fehlen gänzlich; angepflanzt aber wird vornehmlich die Birke, deren weiße Schale gespenstisch gegen den dunkeln Boden absticht.
Die Bremischen Moore durchkreuzen von Lesum ab die ganze Landdrostei Stade, fast vier Quadratmeilen groß zwischen der Wümme, Wörpe und Hamme: ihre wüsteste Gegend ist, wie schon der Name andeutet, das Teufels-Moor. Nur an zwei Punkten bieten sie bequeme Pässe, bei Gnarrenburg, wo die Tilly’schen Schaaren abgewehrt wurden, und bei Bremervörde. Hier spalten sie sich in drei breite Arme: der südöstliche läuft als „Hohes Moor“ nach Stade zu, und zieht sich von da ab als „Großes oder Königsmoor“ nach Nordwesten das Land Kehdingen entlang bis Oederquart, von den anliegenden Ortschaften besondere Namen führend (Bützflether, Drochterser Moor u. s. w.). Der mittlere folgt der Oste, bis dahin, wo der Fluß östlich ausbiegend eine Halbinsel bildet: dies ist das „Große Moor“, welches bei Basbeck endet. Der dritte und mächtigste Zweig, das „Lange Moor“ wendet sich bei Bederkesa wieder nach Westen: die Wasserfluthen, womit es bisher das Hadeler Sietland bedrohete, sind jetzt durch den großen Neuhaus-Bülkauer Kanal beseitigt. Schauerlich sind die nur im hohen Sommer zugänglichen „fünf Seen“ in der großen Moor-Wüstenei zwischen Wester-Ihlienworth und Neuenwalde.
Die Bewohner der Moore, welche Kanäle in der Nähe haben, sind längst zu einigem Wohlstande gelangt. Diejenigen aber, welche noch ohne Kanäle im Sumpfe sitzen, [31] bleiben im Winter fast von allem Weltverkehr, selbst von ihren Nachbaren, abgeschlossen, und haben oft mit der bittersten Armuth zu kämpfen. Die Colonien, welche die Regierung in solchen Gegenden angelegt hat (z. B. bei Gnarrenburg und Worpswede und in Hymendorf) kommen derselben meist theuer zu stehen. Die Lage der Schullehrer unter diesen Torfbauern ist neuerlich verbessert worden; aber noch immer müssen sie im Sommer, um nicht Noth zu leiden, an der schweren Arbeit des Torfstechens Theil nehmen.
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