ADB:Wasielewski, Wilhelm Joseph von

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Artikel „Wasielewski, Wilhelm Joseph von“ von A. Münzer. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 1–3, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wasielewski,_Wilhelm_Joseph_von&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 01:55 Uhr UTC)
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Wasielewski: Wilhelm Joseph von W. Der Vater des ausgezeichneten Musikgelehrten stammt aus dem bei Warschau gelegenen Flecken Narielsk (geboren 1785). Er war Landwirth. 1808 heirathete er eine Tochter des Landschaftsrendanten Piwko aus Danzig. Die schweren Zeiten der französischen Occupation lasteten auf Danzig und Umgegend besonders drückend. So waren die Ansiedelungsversuche der Eheleute in jener Gegend nicht vom Glücke begünstigt. 1820–26 wohnten sie in Groß-Lessen. Hier wurde Wilh. Jos. W. am 17. Juni 1822 geboren. 1826 siedelte die Familie nach Danzig über, wo der Vater als Lehrer an der St. Brigittenschule Anstellung gefunden. Diese Schule besuchte auch der Knabe, bevor er mit zehn Jahren auf die höhere Lehranstalt zu St. Petri und Pauli geschickt wurde. Musikalische Eindrücke erhielt W. früh. [2] Die Mutter war sehr musikalisch, sie spielte geläufig Clavier und sang auch sehr hübsch. Der Vater spielte etwas Geige und ertheilte ihm auf diesem Instrument den ersten Unterricht. Zusammen mit seinen beiden Brüdern Julius und Theodor, von denen der erstere Cello, letzterer Clavier spielte, trieb Wilh. Jos. eifrig Kammermusik, wobei er nöthigenfalls auch die Bratsche übernahm. Einen tüchtigen Lehrer im Violinspiel erhielt er durch den als Vorspieler an das Theaterorchester berufenen Geiger Braun, einen Schüler Matthäi’s in Leipzig. Anregung gab auch die Mitwirkung in einem Instrumentalverein, in dessen Orchester er gern die Pauke spielte. Ludwig Granzin, erster Organist von St. Johannis, unterrichtete den angehenden Künstler in der Theorie. Trotz seiner ausgesprochenen Neigung zur Tonkunst sollte aus ihm jedoch – wie aus seinen Brüdern – ein Officier werden. Infolge der Befürwortung seines Talentes durch angesehene Musiker setzte er endlich seinen Wunsch, Musiker zu werden, durch. Die Möglichkeit einer guten Ausbildung war durch die Gründung des Leipziger Conservatoriums (1843) gegeben, das W. als einer der ersten Schüler bezog. Er studirte hier Geige bei F. David, Theorie bei M. Hauptmann, Composition und Ensemblespiel bei Mendelssohn und in dessen Abwesenheit bei F. Hiller. Seine Fortschritte waren sehr gut, so daß sich Mendelssohn in einem Briefe an seinen Vater lobend über ihn aussprach. Die Folge war ein dreijähriges Studienstipendium von Seiten der Westpreußischen Friedensgesellschaft. Mancherlei Beziehungen zu gleichstrebenden Genossen oder Berühmtheiten knüpfte der junge Künstler an, so mit Karl Reinecke. Mit ihm, Otto v. Königslöw und Andreas Grabau schloß er sich zu einem Quartettverein zusammen, in dem Karl Reinecke außer seinem Hauptinstrument auch die Bratsche spielte. Die Eifrigen brachten es bis auf 15 Quartette an einem Tage.

Nach Absolvirung des Conservatoriums blieb W. in Leipzig, um noch privatim bei David und Hauptmann weiter zu studiren. Januar und Februar 1846 veranstaltete die Genossenschaft auf Anregung von Robert Franz in Halle drei Kammermusikabende. Fernere Concertausflüge führten nach Bremen und Hannover, und endlich unternahm Reinecke mit W. eine Tournee nach Danzig und Ostdeutschland. Im Herbst war W. wieder in Leipzig, wo er bei der Primgeige des Gewandhausorchesters engagirt wurde. Mancherlei Beziehungen knüpften sich zu den musikliebenden und -treibenden Kreisen der Stadt. Er verkehrte in den Häusern Raimund Härtel’s, der Sängerin Frau Frege, der Pianistin Voigt u. A.; überhaupt trat er mit allen Musikern in Berührung, die in Leipzig zu längerem oder kürzerem Aufenthalt weilten. Wasielewski’s Obliegenheiten erweiterten sich fernerhin durch Uebernahme des Concertmeisteramtes in Halle unter Robert Franz (1846–50) und an der Euterpe in Leipzig (1848/49). Im J. 1850 wurde W. durch Robert Schumann veranlaßt, zu ihm nach Düsseldorf als Concertmeister zu gehen. Er gehörte dort zu den Intimen des Hauses. 1852 vertauschte er Düsseldorf mit Bonn, wo er eine selbständige Thätigkeit besonders als Dirigent des neu gegründeten Gesangvereins entfalten konnte. In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit dem jungen Brahms, der ihn 1853 auf seiner Rheinpilgerfahrt aufsuchte. Gelegentlich eines Musikfestes in Rotterdam (1853) trat W. in Beziehung zu Liszt und Anton Rubinstein. Ersteren besuchte er 1854 auf der Altenburg in Weimar. Die Weigerung des Bonner Gemeinderathes, W. eine feste Anstellung als städtischer Musikdirector zu gewähren, veranlaßte ihn, die Stadt zu verlassen. Im Sommer 1855 siedelte er nach Dresden über. Hier begann er die Reihe seiner bedeutsamen, großen musikwissenschaftlichen Arbeiten mit der Biographie Robert Schumann’s (1858; 2. Aufl. 1869; [3] 3. 1880). Am öffentlichen Leben betheiligte er sich durch Kammermusik-Aufführungen. Auch ertheilte er Unterricht im Ensemblespiel. Ferner lieferte er Beiträge für die „Allgemeine Zeitung“, für das Sammelwerk „Männer und Frauen der Zeit“ (Leipzig) und vertrat auch den Kritiker Karl Bauck im „Dresdner Journal“. Reisen dienten zur Erholung und zu wissenschaftlichen Zwecken. 1869 erschien die werthvolle Monographie „Die Violine und ihre Meister“ (2. Aufl. 1883; 3. 1893; 4. 1904 von seinem Sohne besorgt). 1869 im Spätsommer wurde W. nach Bonn als städtischer Musidirector zurückberufen. In segensreicher Thätigkeit blieb er daselbst bis 1884, doch unternahm er auch in dieser Zeit größere Reisen. Nach vierzigjähriger reger Arbeit zog sich W. 1884 ins Privatleben zurück. Sein Domicil war – nach kurzem Aufenthalt in Blankenburg i. Harz – Sondershausen, wo er nach reicher schriftstellerischer Thätigkeit am 13. December 1896 starb.

Von seinen Arbeiten, die zum Theil auf unbebaute Gebiete führten, sind noch zu erwähnen: „Die Violine im 17. Jahrhundert und die Anfänge der Instrumentalcomposition“ (1874); „Geschichte der Instrumentalmusik im 16. Jahrhundert“ (1878); „Musikalische Fürsten vom Mittelalter bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ (1879); „Schumanniana“ (1883); „Beethoven“ (2 Bde., 1888); „Das Violoncell und seine Geschichte“ (1889); „Karl Reinecke, ein Künstlerbild“ (1892). Die Quelle für sein Leben endlich ist „Aus siebzig Jahren. Lebenserinnerungen“ (1897), in denen auch vieles Interessante über die Musiker, deren er viele in seinem langen Leben kennen lernte, zu finden ist. Aufsätze von W. finden sich im Musikalischen Centralblatt, der Vierteljahrschrift für Musikwissenschaft, in der Sammlung musikalischer Vorträge von Breitkopf & Härtel (Goethe’s Verhältniß zur Musik).

Als Componist trat W. weniger hervor. Es erschienen: für Violine ein Notturno „Herbstblumen“; ferner für Gesang ein Sedanlied und ein Kaiserlied; Bearbeitungen Tartini’scher und Veracini’scher Geigencompositionen erschienen bei Simrock, Lauff und Heinze. Wasielewski’s Spiel zeichnete sich besonders durch breite gesangliche Tongebung und vornehmen Ausdruck aus. – An mancherlei Ehrungen hat es dem verdienstvollen Gelehrten nicht gefehlt: 1871 meiningsches Verdienstkreuz, 1873 königl. Musikdirector, Ehrenmitglied der Academia Filarmonica zu Bologna u. a. W. war zwei Mal verheirathet.

A. Münzer.