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Artikel „Tucher, Linhart“ von T. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 770–772, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tucher,_Linhart&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:21 Uhr UTC)
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Tucher: Linhart (Leonhard) T., Sohn Anton’s (s. o. S. 756) und der Anna Reich, war geboren zu Nürnberg am 10. Februar 1487. Schon als Knabe von 14 Jahren wurde er, wie damals gebräuchlich, nach Lyon geschickt, um „die Sprachen zu erlernen“. Nach drei Jahren trat er in die dortige Zweigniederlassung des Tucherischen Handlungshauses ein, dessen Theilhaber sein Vater und seine Oheime Hans und Martin T. waren, und bereiste sodann Italien, Frankreich und die Niederlande. Am 26. Januar 1512 verheirathete er sich, zu dauerndem Aufenthalt in die Vaterstadt zurückgekehrt, mit Magdalena Stromer und nach deren 1520 erfolgtem Tode in zweiter Ehe mit Katharina Nützel. Unter den 15 Kindern, die ihm aus beiden Ehen erwuchsen, waren 13 Söhne. Zu der Leitung der Handelsgeschäfte, die er seit dem Tode der beiderseitigen Väter mit seinem Vetter Lorenz T., dem Erbauer des kunstgeschichtlich bekannten Hauses in der Hirschelgasse, theilte, trat für T. vom J. 1529 an infolge seiner Wahl in den engeren Rath die Last der öffentlichen Geschäfte. Mit an den langjährigen Erfahrungen des Vaters geschärfter Erkenntniß trat er den ihn auf diesem Gebiete erwartenden Schwierigkeiten entgegen. Im Jahre 1536 zum Losunger erwählt, und 1544 seinem Vater und Großvater in der höchsten Würde der Republik, der des vordersten Losungers, folgend, endlich vom Kaiser zum Reichsschultheiß-Verweser ernannt, stand er in den Reihen und an der Spitze der Regierung des damals wichtigsten städtischen Gemeinwesens im Reiche zu einer Zeit, deren gleich ernste Bedeutung für Beide durch die Uebergabe der Augsburger Confession, den schmalkaldischen Bund und Krieg, das Interim, die Kriegszüge des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg und die Belagerung Nürnbergs durch ihn sich genügend kennzeichnet. Die eingehendere quellenmäßige Würdigung der Haltung Nürnbergs in jenen Zeiten, zumal seiner vielangefochtenen Politik im schmalkaldischen Kriege, steht noch aus; das aber kann, was die letztere anbelangt, schon jetzt als klar erkenntlich festgestellt werden, daß der Rath, getreu dem den Lebensnerv der reichsstädtischen Interessen bildenden Grundsatz des Festhaltens an der Person des Kaisers als dem Oberhaupt des Reichs, gleichwol sorgfältig zwischen dieser Eigenschaft und der eines Beschützers der katholischen Kirche zu unterscheiden wußte, während er nicht minder klar die mit dem Vorgehen der protestantischen Bundesgenossen verbundenen [771] Bestrebungen der Politik fürstlicher Sonderinteressen erkannte. Dieser, bei ihrem erfahrungsgemäß den Bestand der Reichsstädte bedrohenden Charakter, vermochte man sich nicht anzuschließen, andrerseits dachte man auch dem Kaiser gegenüber niemals daran, die Freiheit des evangelischen Bekenntnisses preiszugeben. Bei dem dergestalt in beiden Lagern über Kreuz stehenden Gesichtspunkten der Politik und Religion überwog für die Reichsstadt das Bedürfniß, es nicht mit dem Kaiser zu verderben und wenn sie hierin mehr praktisch als ideal gehandelt hat, so waren die Parteien, zwischen denen sie sich befand, am letzten berechtigt, ihr dies zum Vorwurf zu machen. Ueberdies war man auch in Nürnberg wohlunterrichtet genug, um von vornherein ein richtiges Urtheil über die Momente der Inferiorität zu haben, welche sich für die Kriegführung auf schmalkaldischer Seite gegenüber der gesammelten militärischen Action des Kaisers als so verhängnißvoll erweisen sollten. – In seinem öffentlichen Wirken wie als Familienhaupt und in den verschiedensten Zweigen seiner rastlosen privatwirthschaftlichen Thätigkeit zeigt sich uns Linhart T. am Höhepunkt des Glanzes der Reichsstadt als eine letzte typische Gestalt von der alten Kernhaftigkeit ihres Bürgerthums, als das Muster eines Patriciers von echtem Schrot und Korn. Aus seinem umfänglichen schriftlichen Nachlaß, den das Freiherrlich von Tucher’sche Archiv in Nürnberg verwahrt, vervollständigen wir mit Leichtigkeit das Bild seines Lebens und Charakters bis in die einzelnen Züge: die mit der traditionellen Regentenweisheit des Patriciats verbundene strenge Selbstverleugnung, Ordnung und Gewissenhaftigkeit war erwärmt und belebt durch ein weiches Gemüth, von aufrichtiger Frömmigkeit und einem maßvollen Sinn für Kunst und würdige Pracht. Dem in seiner Familie seit den frühesten Zeiten heimischen Gebrauche getreu hat auch T. memoirenartige Aufzeichnungen über die wichtigsten Ereignisse seines Lebens hinterlassen. Sie weisen gegen die knappe Darstellungsweise der bekannten älteren Nürnberger Werke dieser Art einen bemerkenswerthen Fortschritt auf, insofern der Autor nicht selten persönlicher Empfindung und Kritik Raum gibt; auch flicht er an einzelnen Stellen den familiengeschichtlichen Daten längere Excurse von allgemein historischem Charakter ein, von denen namentlich die Beschreibung des markgräflichen Krieges und der Belagerung der Stadt im J. 1552 wegen der unbedingten Authenticität, die dem Verfasser zukommt, weiterreichendes Interesse beanspruchen darf.

Noch verdient eine besondere Erwähnung die auch während seiner amtlichen Wirksamkeit bis nahe an sein 1568 erfolgtes Lebensende nicht aus der Hand gelassene Thätigkeit Tucher’s als Leiter des Tucherischen Handelshauses. Die Firma, welche zu Lebzeiten des mitbetheiligten Vetters „Linhart und Lorenz Tucher“ hieß, wurde nach dem Tode des Letzteren (1554) in „Linhart Tucher und Mitverwandte“ umgewandelt.

Neben den beiden Geschäftsleitern werden noch als Gesellschafter und Factoren genannt: Hieronymus, Wolff, Anton, Sebald, Gabriel und Paul Tucher, Vincenz Pirckheimer, Linhart Rottengatter, Jakob Reuter u. A. Hauptfactoreien waren Lyon und Antwerpen. An letzterem Platze wurden hauptsächlich Gewürze und Tuch eingekauft, die in Lyon nebst Silber und manchen andern Waaren wieder verkauft wurden. Von Lyon aus entsandte die Firma auch ihre Safraneinkäufer nach Italien, Spanien und besonders nach den südfranzösischen Landschaften, wo diese als Gewürz und Farbstoff wichtige Droge hauptsächlich gewonnen wurde. Es war ein bedeutender und dabei sehr solider Handel. Von reinen Geldgeschäften, wie sie damals bei den Nürnberger und Augsburger Kaufleuten in Aufnahme kamen, hielten sich die Tucher möglichst fern. Waren solche Geschäfte unvermeidlich, weil man in Lyon oder Antwerpen Geld übrig hatte und es nicht zinslos liegen lassen wollte, so wurde es durchaus vertrauenswürdigen [772] Kaufleuten geliehen oder zum Ankauf von Wechseln verwendet; einmal, im J. 1532, wurde auch ein – nicht sehr bedeutendes – Finanzgeschäft mit dem Herzog von Savoyen gemacht; aber davon, den großen Potentaten, dem Kaiser oder dem Könige von Frankreich, Geld zu leihen, wollte T. nichts wissen, eine höchst bemerkenswerthe Ausnahme unter den oberdeutschen Handelsherren dieser Zeit, die sonst immer mehr vom Waarenhandel zum reinen Geldgeschäft übergingen. Als im J. 1545 Hans Kleberg, der „gute Deutsche“, ein bekannter zu Lyon ansässiger Finanzmann aus Nürnberg, den Tucher’schen Factor überreden wollte, sich gleich anderen Oberdeutschen bei einer großen Anleihe des französischen Hofes zu betheiligen, erklärte T., er und sein Vetter hätten nach reiflicher Ueberlegung beschlossen, „mit solchen Häuptern weder für uns selbst, noch durch Vermittelung anderer Personen uns in solche Handlungen einzulassen“. Außer den Tuchern bewahrten damals nur noch die Imhof eine derartige Haltung, die Kleberg für „zu sehr sorgsam“ erklärte. Die Imhof ließen sich später doch auf die abschüssige Bahn der Finanzgeschäfte drängen. T. dagegen empfahl seinen jüngeren Gesellschaftern und den Factoren der Handlung je länger um so eindringlicher die äußerste Vorsicht im Creditgeben, was bei den immer kritischer werdenden Zeitläufen und der allgemeinen Ueberspannung des Credits ein Gebot weiser kaufmännischer Vorsicht war. T. bildet in dieser Haltung einen höchst charakteristischen Gegensatz zu seinem entfernten Vetter Lazarus T., der einer der kühnsten, geschicktesten und bedeutendsten Finanzmänner der Antwerpener Börse war, und dem gegenüber T. im J. 1561 es beklagte, „daß die jungen Leute allein auf den großen Zins sehen und darob die künftige Gefahr nit zu Herzen nehmen“. Damals hatte bereits die sich über ganz Europa erstreckende Creditkrisis begonnen, der die Blüthe des oberdeutschen Handels zum Opfer fiel. Die Tucher blieben aber dank ihrer Vorsicht von erschütternden Verlusten verschont. Dabei war Linhart T., dessen Verdienst dies hauptsächlich gewesen ist, doch ein weitausschauender Geschäftsmann, dem in seiner Jugend das großartige Geschäftstreiben an der damals in raschem Aufstreben begriffenen Antwerpener Weltbörse sehr wohl gefiel, mochte er sich auch von der dort weit verbreiteten „Büberei“ mit Widerwillen abwenden. Noch in vorgerückterem Lebensalter behielt er die Conjuncturen des stark speculativ gefärbten Antwerpener Pfeffermarktes genau im Auge. So ist Linhart T. zu allem Andern auch einer der bedeutendsten Vertreter des tüchtigen deutschen Kaufmannsstandes in einer Zeit gewesen, als dieser sonst die soliden Bahnen zu seinem Unheile verließ.

Tucherisches Geschlechtsbuch von 1590 im freiherrl. Tucherischen Familienarchiv. – Linhart Tucher’s Merkbuch ebenda. – Handels- u. sonstige Correspondenz Linhart Tucher’s ebenda. – Loose, Anton Tuchers Haushaltung (Bibl. des literar. Vereins, Bd. 134), S. 67, 71, 82, 90. – Ehrenberg, Hans Kleberg der „gute Deutsche“. Nürnberg 1893 (Mitth. d. Vereins f. Gesch. d. Stadt Nürnberg, Heft X), S. 24 ff.
T.