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Artikel „Stilling, Benedict“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 247–249, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stilling,_Benedict&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 05:58 Uhr UTC)
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Stilling: Benedict St., berühmter Anatom und Wundarzt, wurde am 22. Februar 1810 zu Kirchhain (im Kurfürstenthum Hessen) geboren und starb als königlich preußischer Geheimer Sanitätsrath am 28. Januar 1879 zu Cassel. Er studirte von 1828–32 in Marburg, wo er im letztgenannten Jahre mit der Inauguralabhandlung „De pupilla artificiali in sclerotica conformanda“ (Deutsch, Marburg 1833) die Doctorwürde erlangte und 1833 Assistent an der [248] chirurgischen Klinik von Ullmann wurde. Schon während dieser Zeit veröffentlichte er seine berühmt gewordenen Aufsätze über „Gefäßdurchschlingung“ unter dem Titel: „Die Bildung und Metamorphose des Blutpfropfs oder Thrombus in verletzten Blutgefäßen“ bezw. unter folgendem Titel: „Die natürlichen Processe bei der Heilung durchschlungener Blutgefäße mit besonderer Rücksicht auf den Thrombus“ (Eisenach 1834), sowie: „Die Gefäßdurchschlingung. Eine neue Methode Blutungen aus größeren Gefäßen zu stillen. 1. Abth.: Monographie der Operation“ (Marburg 1835). Ende 1833 zum Landgerichtswundarzt in Cassel ernannt, verblieb er seitdem in dieser Stadt, da ihm aus confessionellen Rücksichten die akademische Laufbahn versagt war. 1840 nach Eiterfeld versetzt weigerte er sich dorthin zu gehen und nahm seine Entlassung als Gerichtsarzt. 1843 machte er eine wissenschaftliche Reise nach Paris, wo er bereits 1836 längere Zeit in befreundetem Verkehr mit Magendie und Amussat verweilt und von letzterem speciell Unterweisungen über die Operationen bei Krankheiten der Harnwege erhalten hatte. Bei seinem diesmaligen zweiten Aufenthalte in Paris unterhielt er regen wissenschaftlichen Umgang mit Claude-Bernard, Brown-Séquard, Rayer, Charcot u. a. Weitere wissenschaftliche Reisen folgten 1858 nach Italien, 1869 nach Paris, London, Edinburg, 1873 nach Wien. Im übrigen verblieb St. bis an sein Lebensende in Cassel hervorragend litterarisch wie praktisch thätig. Er war nicht nur ein bedeutender anatomischer Forscher, sondern auch ein ausgezeichneter Operateur. In letzterer Beziehung ist er namentlich dadurch bemerkenswerth, daß er Jahre lang der einzige in Deutschland war, welcher die Ovariotomie machte. Bereits 1837 hatte er seine erste Operation dieser Art (zur Vermeidung der Gefahren der inneren Blutung extraperitoneal) vollzogen und als wissenschaftliches Ergebniß darüber die „Geschichte einer Exstirpation eines krankhaft vergrößerten Ovariums nebst einigen Bemerkungen über diese Operation. Allgemeine und physiologische und pathogenetische Erörterungen über Erbrechen etc.“ niedergeschrieben (veröffentlicht in Holscher’s Hannöverschen Annalen der gesammten Heilkunde, N. F., Jahrg. I, 1841). Dieser Aufsatz fand leider nicht die gebührende Beachtung, so daß zehn Jahre später der Engländer Duffin diese Methode als eigene Erfindung ausgeben konnte. 1840 folgte Stilling’s berühmte Publication betitelt: „Physiologisch-pathologische und medicinisch-praktische Untersuchungen über die Spinal-Irritation“ (Leipzig), worin zum ersten male die Bezeichnung „vasomotorische Nerven“ gebraucht wird. Von da ab wandte er sich in classischen und ewig denkwürdigen Arbeiten ausschließlich dem Studium des anatomischen Baues des Centralnervensystems zu und publicirte successive als die Resultate fast 40jähriger Forschungen eine große Zahl von Schriften und Abhandlungen, von denen wir nur nennen wollen: „Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks“ (zusammen mit B. F. Wallach, Leipzig 1842; Heft 2: „Ueber die medulla ablongata“, Erlangen 1843 von S. allein bearbeitet); „Untersuchungen über den Bau und die Verrichtungen des Gehirns, I: Ueber den Bau des Hirnknotens oder der Varolischen Brücke“ (nebst 22 Kupfertafeln, auch in lateinischer Sprache, Jena 1840); „Anatomische und mikroscopische Untersuchungen über den feineren Bau der Nerven und Primitivfasern und der Nervenzelle“ (Frankfurt a. M. 1856); „Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks mit einem Atlas mikroscopischer Abbildungen von 30 lithographirten Tafeln nebst einer großen Wandtafel“ (gr. Fol. 5 Lieferungen, Cassel 1857–59); „Untersuchungen über den Bau des kleinen Gehirns des Menschen. I. Band: Untersuchungen über den Bau des Züngelchens und seiner Hemisphären-Theile mit Atlas von 9 Tafeln“ (Ebd. 1864); Band II: „Untersuchungen über den Bau des Centralläppchens und der Flügel mit 5 Tafeln“ (Ebd. 1867); Band III: „Untersuchungen über [249] den Bau des Bergs und der vorderen Oberlappen, sowie über die Organisation der centralen weißen Marksubstanz des Cerebellum und ihrer grauen Kerne und über die centralen Ursprungsstätten und Bahnen der Kleinhirnschenkel, nämlich der Bindearme, der Brückenarme und der strickförmigen Körper“ (Ebd. 1878). Auch zahlreiche Monographieen und kleinere Aufsätze über Themata chirurgischen Inhalts speciell aus den Gebieten der Harnröhren-Operationen (bei Stricturen, Urethrotomieen u. dgl.) und Ovariotomien haben St. zum Verfasser.

Vgl. Biograph. Lexikon hervorr. Aerzte, herausgegeben von Hirsch und Gurlt V, 541 und die daselbst angegebenen Quellenschriften.