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Artikel „Spiegelberg, Otto“ von Franz von Winckel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 159–161, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spiegelberg,_Otto&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 20:07 Uhr UTC)
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Spiegelberg: Otto S., am 9. Jan. 1830 zu Peine im Königreich Hannover geboren, empfing seine classische Bildung auf dem Gymnasium zu Hildesheim und bezog schon im 18. Jahre die Universität Göttingen, wo er auch 1851 promovirte. Im Jahre 1852 machte er, nachdem er in Berlin und Prag seine Studien fortgesetzt hatte, mit seinem Lehrer E. C. J. von Siebold eine Reise nach Wien, welche theils durch die Fülle des dortigen Materials, theils durch die nähere Bekanntschaft mit einer großen Reihe tüchtigster Fachgenossen von nachhaltigem [160] Einflusse für ihn wurde. 1853 habilitirte er sich für Geburtshülfe an der Universität Göttingen, ohne je Assistent an einer Klinik gewesen zu sein. 1855 besuchte er England, Schottland und Irland, worüber er in dem Aufsatze: „Zur Geburtshilfe in London, Edinburgh und Dublin“ berichtete (Monatsschrift f. Geburtskunde VII, 1856). Speciell die Anwendung des Chloroforms bei Kreißenden und des sogenannten Dubliner Handgriffs suchte er bei den deutschen Gynäkologen einzuführen. Nach Göttingen zurückgekehrt verfaßte er, offenbar von der Schauenburg’schen Verlagsbuchhandlung in Lahr, welche damals einen Cyclus von medicinischen Lehrbüchern herausgab, veranlaßt sein erstes „Lehrbuch der Geburtshülfe“, welches nur 376 S. lang war, aber eine vortreffliche, sehr knappe, klare und kritische Darstellung des damaligen Standpunktes der Geburtshülfe gab und in vieler Beziehung anregend und fördernd wirkte, wie Referent aus eigner Erfahrung bezeugen muß. – Zu gleicher Zeit beschäftigte er sich besonders mit physiologischen und anatomischen Arbeiten, von denen namentlich die „Experimentellen Untersuchungen über die Nervencentren und die Bewegungen des Uterus“: Zeitschrift für rationelle Medicin 1858 zu erwähnen sind. 1860 wurde er zum Professor extraordinarius befördert und erhielt bereits 1861 einen Ruf als Ordinarius nach Freiburg i. B. Wie dem Referenten von einem früheren Göttinger Docenten persönlich mitgetheilt wurde, soll er, ehe er diesem Rufe folgte, von Siebold gebeten haben, noch eine Reihe normaler Geburten in seiner Klinik beobachten zu können; ein Verlangen, welches vielleicht durch die Absicht specielle ihn interessirende Beobachtungen zu machen motivirt wurde, aber wie der Berichterstatter des Referenten meinte, durch ein gewisses Gefühl der Unsicherheit veranlaßt worden wäre. Diese Ansicht, die für denjenigen, welcher Spiegelbergs sichere Erfahrungen und positive Kenntnisse kannte, unmöglich richtig erscheinen konnte, ist geeignet zu zeigen, wie man ihn trotz seiner Leistungen in jener Zeit noch sehr unterschätzte, weil – er nicht von der Pique auf gedient hatte. 1862 verheirathete sich S. mit Fräulein de Bary, der Schwester des ausgezeichneten Botanikers. Schon 1864 wurde er als Vertreter der Gynäkologie nach Königsberg berufen; er trat sein Lehramt mit dem Programme: De cervicis uteri in graviditate mutationibus earumque quoad diagnosin aestimatione an, und eröffnete damit die Discussion über eine Frage aufs neue, welche noch jetzt nach fast 30jährigen Debatten nicht völlig entschieden ist. In Königsberg blieb er nur bis zum Herbst 1865, dann wurde er der Nachfolger Betschler’s in Breslau und während er bis dahin sich vorwiegend der Ausbildung der geburtshülflichen Lehren gewidmet hatte, begann er in Breslau zu derselben Zeit, wie Simon in Rostock und M. Sims in Newyork sich mehr und mehr der operativen Gynäkologie zuzuwenden; davon geben seine in rascher Aufeinanderfolge erschienenen Aufsätze über Ovariotomie, über Incisionen des Mutterhalses und der Uterusschleimhaut gegen Blutungen bei submucösen Fibroiden, über Exstirpation von Cysten des Ligamentum latum (1870), über die Diagnose des ersten Stadiums des Carcinoms (1872), über die Diagnose durch Punction bei abdominellen Flüssigkeitsansammlungen (1872), über die Diagnose der cystischen Myome und ihre intraperitonäale Ausschälung (1874) hinreichenden Beweis. 1870 gründete er im Verein mit Credé und einer größeren Reihe deutscher Gynäkologen das Archiv für Gynäkologie. 1878 gab er sein Lehrbuch der Geburtshülfe für Studierende und Aerzte, völlig umgearbeitet neu heraus. Der Absatz desselben war so bedeutend, die Anerkennung der Vorzüge desselben so allseitig, daß bereits 1880 eine neue Auflage nothwendig wurde, welche er aber selbst nicht mehr völlig beenden konnte, da er bald nach Beginn derselben an einem schweren Nierenleiden erkrankte, welchem er bereits am 9. August 1881 erlag. Die Section ergab Herzhypertrophie und Schrumpfniere. –

[161] S. war gleich ausgezeichnet als Forscher, wie als Lehrer, als Arzt und als Operateur. In dem kleinen Körper mit den großen, durchdringenden Augen, steckte ein lebendiger, unermüdlicher, nicht nur für sein Fach sondern für die ganze Medicin, ja für alle Naturwissenschaften lebhaft interessirter Geist. Wo er für seine Ueberzeugung kämpfte, galt ihm das Wort: gut ist Rücksicht, doch zu Zeiten sind besser goldne Rücksichtslosigkeiten. Sein Hauptverdienst für die Gynäkologie bestand darin, daß er, selbst ein tüchtiger Physiologe, den Methoden der physiologischen Forschung in der Gynäkologie dauernde Bahnen brach, und daß er, wie einer der competentesten Kritiker in dieser Beziehung, der englische Gynäkologe J. Matthews Duncan sagte, in seinem Lehrbuch der Geburtshülfe ein Werk schuf, welches Alle andern, bis dahin erschienenen weit überragte. In Bezug auf einzelne gynäkologische Operationen, z. B. die Ovariotomie, wurden seine mit Waldeyer zusammen unternommenen Experimente insofern bahnbrechend, als sie lehrten, daß die Versenkung des Stieles gefahrlos und die rationellste Behandlung sei (Centralbl. f. d. med. Wissenschaften 1867 Nr. 39). Vortreffiich ist besonders auch sein Vortrag über das Wesen des Puerperalfiebers (in der Volkmann’schen Sammlung Nr. 3 v. J. 1871) und der weitere Aufsatz vom Jahre 1877: Ueber die Pathologie des Puerperalfiebers im Archiv für Gynäkologie Bd. XII S. 304. Es würde zu weit führen hier alle seine Schriften zu citiren, dieselben sind im Archiv für Gynäkologie XVIII, 355 von Leopold zeitlich geordnet vom Jahre 1856–1881 fast alle angegeben worden und zeigen, welch eine vielseitige litterarische Thätigkeit derselbe trotz seiner Lehr- und Dirigenten- und praktischen Thätigkeit entwickelte. Nach seinem Tode wurde die zweite Auflage seines Lehrbuchs durch seinen Schüler Dr. Wiener vollendet und im Jahre 1891 eine dritte Auflage desselben herausgegeben. So anregend S. auch in vieler Beziehung wirkte, so hat er doch merkwürdigerweise keine Schule in dem Sinne gegründet, daß hervorragende Assistenten und Schüler desselben an andere Universitäten als Lehrer berufen wurden; denn keiner der jetzigen Ordinarien für Gynäkologie in Deutschland oder im Auslande darf wohl als sein Schüler bezeichnet werden; aber viele werden mit dem Referenten es gerne bekennen, daß sie seinen Arbeiten und Lehren mannigfachste Förderung danken und in vieler Beziehung doch in seine Schule gegangen sind. S. soll sich auch mit der Absicht getragen haben, ein Lehrbuch der Gynäkologie zu schreiben und es ist sehr zu beklagen, daß er durch seinen frühen Tod an der Herausgabe desselben gehindert wurde. Seine Berichte über die Geburtshülfe in den Virchow-Hirsch’schen Jahresberichten gehören zu den besten Arbeiten dieser Art.

Pagel in Gurlt-Hirsch’s Biographischem Lexikon V, 482. – Leopold s. o. – Wiener, Berl. kl. Wochenschrift 1881 S. 493.