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Artikel „Praetorius, Michael“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 530–533, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Praetorius,_Michael&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 20:17 Uhr UTC)
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Band 26 (1888), S. 530–533 (Quelle).
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Praetorius: Michael P., ein gelehrter und sehr fleißiger Musiker, geboren nach Walther am 15. Februar 1571 in Kreuzburg in Thüringen an der Werra. Nach der Leichenpredigt, die in den Monatsheften für Musikgeschichte im 7. Bande S. 177 abgedruckt ist, wäre er erst 1572 geboren. Ueber die ersten dreißig Jahre seines Lebens ist uns keine Nachricht erhalten und erst vom Jahre 1604 erfahren wir (s. Chrysander’s Jahrbücher I, S. 149 u. f.), daß er in diesem Jahre an der Braunschweig-Wolfenbüttler Capelle als Capellmeister angestellt wurde. Walther läßt ihn zwar schon 1596 dort angestellt werden, doch widerspricht dies den in Wolfenbüttel vorhandenen Acten, wo er sich 1604 unter den neuangestellten Mitgliedern der Capelle befindet. Allerdings berichtet Werckmeister in seinem Organum Gruningense von 1704, daß sich unter den Revisoren des 1596 vollendeten Orgelwerkes auch der „Wolfenbüttler Capellmeister Michael Praetorius“ befunden habe, doch ist der Titelzusatz nur zur näheren Bestimmung des Revisors beigefügt, ohne damit sagen zu wollen, daß er bereits 1596 das Amt bekleidete. P. erhielt später noch die Pfründe eines Priors in Ringelsheim und im J. 1612 setzte ihm der Herzog von Braunschweig eine Summe von 2000 Thlr. aus, die er ratenweise ausgezahlt erhalten sollte, durch die Kriegszeiten aber verhindert, nie vollständig empfing. Nach seinem Tode, der am 15. Februar 1621 erfolgte, mußten sogar die Kinder noch um Auszahlung des rückständigen Gehaltes bitten. P. entwickelte in den wenigen Jahren, die wir von seinem Leben überblicken können, eine staunenswerthe Arbeitskraft. Nicht nur, daß er die Wolfenbütteler Capelle leitete: er wurde auch zeitweise vom Erzbischof von Magdeburg ersucht, seine Capelle in Ordnung zu halten und bei großen Festen die Direction zu übernehmen (siehe die beiden Briefe in der Sammlung Musikerbriefe, herausgegeben von La Mara, Leipzig 1886, S. 57), ebenso hatte ihn in gleicher Eigenschaft der Kurfürst von Sachsen engagirt und so befand er sich stets unterwegs, um den vielfachen Pflichten zu genügen. Trotz alledem fand er noch Zeit, umfangreiche theoretische und musikhistorische [531] Werke zu schreiben, zahlreiche Sammlungen älterer und neuerer Meister zu veröffentlichen und selbst in allen Fächern der Composition ganz Bedeutendes zu leisten. Seine sämmtlichen Werke gab er auf eigene Kosten heraus und verschenkte sie größtentheils an Schulen und Kirchen, wie uns die Eingabe seines Sohnes an die Herzogin Sophia Elisabeth[WS 1] lehrt (Chrysander, Jahrbuch I, S. 152). So hat ihm zum Beispiel die Herausgabe der „Polyhymnia“, die 1619 erschien, an 1500 Thlr. gekostet. Der uns vorliegende Leichensermon, vom Prediger Petrus Tuckermann verfaßt, hebt seinen Fleiß in der Musik und die Ehrenbezeugungen, die er von „Königen, Kurfürsten und Herren“ empfangen habe, wohl hervor, doch im Uebrigen ist der geistliche Herr schlecht auf ihn zu sprechen, und weiß nur von seinen Sünden und Gebrechen zu berichten, und daß ihn der Herr dafür mit „Creutz und Unglück geschlagen“ habe. Zum Kirchengehen mag allerdings P. keine Zeit übrig geblieben sein und das wurde damals, wo die Geistlichkeit noch mit souveräner Gewalt ins bürgerliche Leben eingriff, übel vermerkt. – Praetorius’ Verdienst um die Kunst besteht weniger in seinen Compositionen, als in dem immensen Sammeltalente und in der Erkenntniß dessen, was seiner Zeit und der Zukunft Noth thut. Praetorius’ Werke bilden noch heute eine wesentliche Grundlage der historischen Kenntnisse der einstigen musikalischen Kunstausübung und ohne dieselben würde uns Vieles in völliges Dunkel gehüllt sein. In dem Wendepunkt lebend, wo sich die Musik der bisherigen Anschauungen entschlug und ganz neue Bahnen betrat, die zur Ausbildung der modernen Musik führten, war er recht eigentlich berufen, das theoretische, praktische und historische Material der eben vergangenen Zeit zu sammeln und der Nachwelt aufzubewahren. Kein einziger Autor jener und späterer Zeit hat diese Idee in so umfassender Weise erkannt und ausgeführt und es bildet daher sein dreibändiges umfangreiches Werk, das „Syntagma musicum“[WS 2] von 1614–1618 (1619) die Grundlage der historischen Kenntnisse, die uns ein deutliches Bild einstiger Kunstausübung gewährt. Der erste Band, in lateinischer Sprache geschrieben, handelt über die Geschichte der Kirchenmusik, der zweite Band, in deutscher Sprache, erklärt alle Musikinstrumente und fügt einen Theil „Theatrum instrumentorum“ mit Abbildungen der Instrumente bei. Dieser Band wurde im J. 1884 von der Gesellschaft für Musikforschung als 13. Bd. ihrer Publicationen[WS 3] neu herausgegeben. Der dritte Band umfaßt die Erklärungen aller damals gebräuchlichen Musikformen im Gesangs- und Instrumentalfache, nebst Angabe ihrer Ausführung, resp. Besetzung. Einen Auszug des Wichtigsten bringen die Monatshefte für Musikgeschichte in ihrem 10. Bande. P. zeigt im letzten Bande noch das Erscheinen eines vierten an, der über den Contrapunkt handeln sollte, also die eigentliche Musiktheorie umfaßte, doch wurde er durch den Tod an der Ausführung desselben behindert, auch hat sich bisher kein Manuscript aufgefunden, was uns Kunde von einer etwaigen Ausführung desselben giebt. Nur im J. 1872 tauchte ein Manuscript Praetorius’ bei dem Antiquar Em. Mai in Berlin auf, welches über Orgelprüfungen handelte und von Joh. Lorenz Albrecht mit Zusätzen versehen war (s. Monatsh. f. Musikg. Bd. 4. 149). – Vom Jahre 1605 ab erschienen in staunenswerther Schnelligkeit die umfangreichsten Werke mit Compositionen; man muß wohl annehmen, daß er in jüngeren Jahren schon fleißig gesammelt und componirt habe, aber keine Gelegenheit gefunden, seine Werke herauszugeben, denn selbst, wenn es ihm leicht von der Hand gegangen wäre, hätte allein das Copiren mehr Zeit in Anspruch genommen, als ihm seine vielfachen Dienstobliegenheiten und die Correcturen übrig ließen. Obenan steht das neunbändige Sammelwerk „Musae Sioniae“. Der erste Theil erschien 1605 in Regensburg und enthält „Geistliche Concert Gesänge über die fürnembste Herrn Lutheri vnd anderer Teutsche [532] Psalmen mit 8 Stimmen gesetzt“ (21 Nrn.) Der 2., 3. und 4. Theil erschienen 1607 in Jena und Helmstedt und enthalten die Fortsetzung des ersten Theils, bringen aber noch Gesänge bis zu 9 und 12 Stimmen, die theils mit Singstimmen, theils mit Instrumenten zu besetzen sind. Sie umfassen zusammen 95 Gesänge in Motettenart componirt. Der 5. Theil erschien 1607 in Wolfenbüttel und zählt 166 Gesänge, theils von P., theils von Grimm, Gesius, Raselius, Wert und Joh. Walter[WS 4] zu 2–8 Stimmen, geistliche deutsche Lieder (also Choräle) und Psalmen enthaltend. Der 6. und 7. Theil erschien 1609 ebendaselbst, sie enthalten 444 vierstimmige deutsche geistliche Lieder. Der 8. Theil, 1610 in Wolfenbüttel erschienen, umfaßt 302 vierstimmige geistliche Lieder und ist für hymnologische Zwecke der werthvollste, denn er verwendet hier vorzugsweise alte Melodien, die vielfach auf weltlichen Ursprung zurückgeführt sind, also ein Quellenmaterial von großem Werthe bilden. 21 Sätze sind von Erythraeus, Joach. à Burg, Gesius, Meiland und Joh. Walther. Dieser Band ist von den Hymnologen reichlich ausgenützt und fast alle Tonsätze sind bei Tucher und Schöberlein[WS 5] neu gedruckt. Der 9. Theil erschien 1610 ebendort und 1611 bei Hering in Hamburg mit dem veränderten Titel: „Bicinia vnd Tricinia“ etc. Er erhält 216 zwei- und dreistimmige Psalmen und geistliche Lieder. Exemplare finden sich fast in allen öffentlichen Bibliotheken und complet in Berlin und Breslau. Dieses eine Werk enthält schon 1234 Gesänge. Im J. 1607 erschien ferner bei Wagemann in Nürnberg eine Motettensammlung zu 4–16 Stimmen auf lateinische Texte mit 52 Nrn., betitelt: „Musarum Sioniar. Motectae et Psalmi latini“ (Bibl. in Augsburg, Berlin, Breslau, Königsberg u. a.). 1611 erschienen vier Sammlungen: „Hymnodia“, die Hymnen zu 3–8 Stimmen enthaltend, die „Missodia“, die Messentheile zu 2–8 Stimmen componirt, „Megalynodia Sionia“, Magnificat zu 5–8 Stimmen und „Eulogodia Sionia“, die Benedicamus, Salve regina u. a. enthaltend, in 2–8 Stimmen. Die vier Werke enthalten 323 Gesänge. Exemplare befinden sich in Breslau, Berlin, Liegnitz, Brandenburg u. a. O. 1612 erschienen „Kleine und Große Litaney“ zu 5–8 Stimmen, vier Gesänge und „Terpsichore, Musarum Aoniarum Quinta“, allerlei Tänze für 4–6 Instrumente (Exemplar in Liegnitz). Die Bezeichnung mit „Quinta“ läßt vermuthen, daß Prima bis Quarta der Sammlung verloren gegangen ist. Böhme in seiner Geschichte des Tanzes theilt eine Anzahl der Tänze mit. P. sagt in der Vorrede selbst, daß die Melodien nicht von ihm componirt sind, sondern französischen und anderen Werken entlehnt. Er ist also auch hier wieder der Sammler, der mit geschickter Hand die Tanzweisen zum mehrstimmigen Tonsatz umschuf. 1613 erschien die „Urania oder Uranochordia“, mit 28 gebräuchlichen geistlichen deutschen Kirchengesängen zu 2, 3 und 4 Chören (königl. Bibl. in Berlin). 1619 gab er die beiden Werke: „Polyhymnia exercitatrix“ und „Caduceatrix et panegyrica“ von 1–21 Stimmen heraus, wovon die erstere allerlei Kirchengesänge (14 Nrn.) und die andere Gesänge zu Festlichkeiten (40 Nrn.) enthält. Sein letztes Werk erschien 1621 und trägt weder Dedication noch Vorwort, erschien also wahrscheinlich schon nach seinem Tode. Es trägt den Titel: „Puericinium“ und enthält 14 Kirchenlieder und geistliche Concerte zu 3–12 Stimmen mit Instrumenten und einem Bassus continuus (Exemplare der drei Werke in Berlin, Breslau und Liegnitz). Praetorius’ Satzweise ist klar und einfach, ohne große Kunst, aber tief empfunden und zum Herzen sprechend. Sein vierstimmiger Satz ist mustergültig und maßgebend für den Choral geworden. Sein Bestreben ging stets darauf, der Kirche und Schule gute und brauchbare Gesänge zu geben und zugleich das Gute der italienischen Meister in Deutschland einzuführen und der deutschen Kunst nutzbar zu machen. Kein anderer Meister dieser Zeit hat dem protestantischen Gottesdienste [533] so brauchbare und edle Werke hinterlassen; sie bezeugen dies am besten dadurch, daß ihre Lebensdauer sich bis auf die heutige Zeit erstreckt. Ich erinnere nur an das herrliche Lied: „Es ist ein Ros’ entsprungen.“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Elisabeth Sophia von Sachsen-Altenburg
  2. Syntagma musicum
  3. siehe Publikation älterer praktischer und theoretischer Musikwerke.
  4. Johann Walter
  5. Christoph Carl Gottlieb Sigmund Freiherr von Tucher (1798–1877), Sammler alter Kirchenmusik, gab 1848 seinen Schatz des evangelischen Kirchengesangs heraus, 622 Kirchenlieder mit 469 Melodien. Ludwig Friedrich Schöberlein (1813–1881), lutherischer Theologe, gab Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs, 3 Bände, 1865–1872 heraus.