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Artikel „Methfessel, Albert Gottlieb“ von Josef Sittard, Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 511–514, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Methfessel,_Albert&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:14 Uhr UTC)
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Methfessel: Albert Gottlieb M., ist zufolge des Kirchenbuches am 6. Oct. 1785 zu Stadtilm in Schwarzburg-Rudolstadt, als der Sohn des dortigen Schullehrers und Cantors, geboren. Schon in frühester Jugend zeigte er eine ungewöhnliche Begabung für Musik, und erst 12 Jahre alt, versuchte er sich bereits in der Composition von Kirchenwerken, welche von seinem Vater in der Kirche aufgeführt wurden. Es war ein Lieblingswunsch des Vaters, daß Albert Theologe werde, zumal sein ältester Sohn Friedrich, nachdem derselbe sein theologisches Studium absolvirt hatte, die Gottesgelahrtheit an den Nagel hing und sich der Musik zuwandte. Nach der Confirmation wurde daher M. auf das Rudolstädter Gymnasium geschickt; aber hier wurde seine Neigung zur Musik nur noch bestärkt durch die treffliche fürstliche Capelle und den öffentlichen Singchor, welchem er sofort beitrat und später als Präfect auch drei Jahre lang vorstand. Derartige Singchöre bestanden damals noch in vielen Städten namentlich Mitteldeutschlands, und hingen gewöhnlich mit den Gymnasien zusammen; letztere stellten die Tenöre und Bässe, während die Volksschulen den Alt und Discant lieferten. An hohen Feiertagen, bei Thurm- und Kirchenmusiken hatten diese Chöre mitzuwirken; dagegen hatten sie das Recht, zwei Mal wöchentlich auf den Straßen und bei „halben und ganzen Leichen“ um bestimmte Bezahlung zu singen. M. stattete die Singbücher des Rudolstädter Chors in der Zeit, da er demselben später als Präfect vorstand, mit verschiedenen selbstcomponirten Motetten und Cantaten aus. Er war selbst ein sehr guter Sänger, und schon während seiner Gymnasialzeit wußte er sich durch seinen vortrefflichen Charakter und sein liebenswürdiges Benehmen überall beliebt zu machen. Aber seine Studien wurden trotz eifrigster Pflege der Musica nicht vernachlässigt und im J. 1807 bezog er die Universität Leipzig, welche er bis 1809 besuchte und daselbst dem Studium der Theologie und der classischen Litteratur mit großem Fleiße oblag. Aber die Liebe zur Musik überwog jene zur Theologie, und als die Fürstin Karolina Louise von Rudolstadt durch seine schöne Stimme auf ihn aufmerksam wurde und ihm ihre Unterstützung anbot, entschloß er sich, lieber Kammersänger als Hofprediger zu werden. Ein Stipendium verschaffte ihm die Möglichkeit, in Dresden bei dem berühmten Sänger Francesco Ceccarelli aus Foligno Unterricht zu nehmen. Nach zweijährigem Studium trat er in den Dienst des Rudolstädter Hofes und zwar als Hof- und Kammersänger. In dieser Stellung blieb er bis 1822, in welchem Jahre er einem Rufe als Gesanglehrer nach Hamburg folgte, nachdem er einige Jahre vorher die ihm angebotene Stelle eines Operndirectors in Prag abgelehnt hatte. In das Jahr 1825 fällt sein gemeinsames Auftreten mit Deutschlands erstem Improvisator O. L. B. Wolff, auf welches wir unten noch zurückkommen werden. Es folgten alsdann einige Jahre Troubadourlebens, bis M. sich endlich entschloß, sich eine sichere Existenz zu gründen; er fand solche in Braunschweig, wohin er 1832 einem Rufe als Hofcapellmeister folgte. In der jugendlichen Sängerin Louise Emilie Lehmann fand er eine treue Gattin, welche ihm zwei Töchter schenkte. Schon im J. 1842 zwang ihn leider ein schweres Gehörleiden, sein Amt niederzulegen. Nur eine geringe Pension ersetzte seine bisherige Einnahme, aber des Lebens Sorgen vermochten seinen heiteren Lebensgeist nicht zu trüben; da traf ihn der schwere Schlag, daß seine treue [512] Lebensgefährtin am 14. Mai 1854 ihm entrissen wurde. Es folgten freudenlose Jahre; zum Gehörleiden gesellte sich eine bedenkliche Augenschwäche, welche mit der Zeit in grauen Staar überging. Aber all dies vermochte seinen heiteren, lebhaften Geist und seine sonst kräftige Gesundheit nicht zu trüben und zu schwächen. M. führte stets ein regelmäßiges und mäßiges Leben; was er liebte, war ein guter Mittagstisch und fröhliche Gesellschaft. Deshalb zog er es auch vor, im Wiener Hofe zu essen, woselbst er durch seinen sprudelnden Humor und die ihm angeborene Liebenswürdigkeit ein gern gesehener beliebter Gast war. Seine Arbeitskraft blieb so lange sein Augenlicht es gestattete ungeschwächt; er componirte und correspondirte. Einen Lichtblick gewährte ihm das Jubiläum, welches man in Braunschweig dem greisen Sänger zu Ehren anläßlich seines 80. Geburtstages am 6. October 1864 feierte und an welchem die ganze deutsche Sängerwelt durch Ehrengaben und Grüße sich betheiligte. Anläßlich dieser Feier wurde ihm von der Universität Jena das Diplom eines Doctors der Philosophie verliehen. Aber das Alter warf immer dunklere Schatten; dazu gesellten sich häuslicher Kummer und durch pecuniäre Sorgen auferlegte schwere Entbehrungen. All dies bewog den greisen Sänger Braunschweig zu verlassen und zu seiner ältesten Tochter, der Gattin des Pastors zu Heckenbeck bei Gandersheim, im Mai 1868 zu ziehen. Doch schon Anfangs August warf ihn ein Schlaganfall darnieder, welcher den Rest der Hör- und Sehkraft nahm und die Sprache lähmte. M. konnte zwar Mitte September seinen Freunden nochmals mittheilen, daß die Sprache sich wieder gebessert. „Meine Stimme ist gefügiger geworden, wenn auch auf nur eine halbe Octave reducirt, gd. Mit diesen fünf Tönen kann man noch viel dictiren. Also: Non omnis moriar.“ Aber sein irdischer Pilgerlauf war am Ziele, am 23. März 1869, früh 1½ Uhr, war der Sänger auf immer verstummt. Ohne Sang und Klang wurde M., dessen Melodien Tausende erfreut und von Tausenden gesungen wurden, am 25. März auf dem Dorfkirchhof von Heckenbeck begraben. M. war ein vorzüglicher Sänger, Pianist und Guitarrespieler. Unter seinen Compositionen, welche sich sowol durch musikalische Correctheit wie durch eine gesunde Frische auszeichnen, sind namentlich die Balladen, Lieder und Romanzen hervorzuheben. Die kleine anspruchslose Liedform gelang ihm am besten; die Begleitung besitzt keinen selbständigen Charakter und dient nur zur harmonischen Unterstützung der Singstimme. Es war M. hauptsächlich um die Wiedergabe des Totaleindrucks des Gedichtes zu thun, ohne in den poetischen Gehalt desselben tiefer einzudringen, resp. denselben in der Begleitung musikalisch zu illustriren. M. wollte auch keine Kunstlieder schreiben, hierzu fehlte ihm auch die schöpferische Kraft; er lauschte seine Weisen dem Volksmunde ab, aus dessen Gesammtbesitz nahm er seine Melodien, er sang, was Alle innerlich sangen, und das macht seine Lieder werthvoll. Man sang damals wann und wie es einem ums Herz war, und als M. sein auch selbstgedichtetes: „Hinaus in die Ferne mit lautem Hörnerklang“ zum ersten Male sang, da schritt er mit der Guitarre im Arm den Freiwilligen voran, welche aus Rudolstadt in den Befreiungskrieg zogen. So wanderten im Frühling 1818 fünf Männer von honettem Aeußern – so lesen wir in Spohr’s Selbstbiographie – mit dem Ränzel auf dem Rücken die Bergstraße hinauf über Heidelberg zum Mannheimer Musikfest: es war Spohr, Methfessel und drei Freunde aus Thüringen. M. hatte die Guitarre an der Seite hängen und die drei Thüriger trugen ein Waldhorn auf dem Ranzen. Wenn sie in ein Dorf oder Städtchen kamen, so bliesen sie, spielten und sangen, stets gefolgt von einem Schwarme dankbarer Zuhörer, stiegen auch auf die Burgen und ließen sich Essen und Trinken heraufbringen und ihre Gesänge und Hornfanfaren in das weite Land hineintönen. Auf dem Heidelberger Schlosse, wo M. besonders durch seine [513] komischen Lieder ergötzte, die er zur Guitarre sang, wurden sie erkannt und von einer Deputation des Heidelberger Gesangvereins zu einer Neckarfahrt nach Mannheim auf dem festlich geschmückten Schiff des Vereins eingeladen. Da ging dann das Musiciren der fünf „Fahrenden“ erst recht an. In Mannheim wurden sie als Ehrengäste begrüßt. Spohr bot man eine Privatwohnung an, er aber, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand, zog vor, mit seinen Freunden auf der Streu zu schlafen. Derartige Fahrten unternahm M. von Rudolstadt aus öfter, so u. a. eine solche mit dem Clarinettvirtuosen Joh. Sim. Hermstedt aus Langensalza (Bd. XII, S. 201), mit welchem er die von ihm für Clarinette und Guitarre componirten Stücke spielte; ihre Fahrt glich einem wahren Triumphzuge. Wir erwähnten bereits Methfessel’s gemeinschaftliches Auftreten mit Deutschlands erstem Improvisator O. L. B. Wolff. Clasing und M. begleiteten Wolff auf dem Pianoforte und noch der 83jährige Greis flammte in Begeisterung auf, so oft er der mit Wolff verlebten Tage gedachte. „Ich glühe, wenn ich daran denke, wie selig am Pianoforte ich in Hamburg neben ihm saß und wie wir Gedanken, Rhythmen, Strophen, ganze Lieder in ganz consequenter Formbildung einander, er mir von den Tasten und Klängen, ich ihm von den Lippen, ablauschten. Ein einziges Zeichen oder zwei Worte, und ganze Scenen traten in oft wunderbarem Zusammenhange vor dem Zuhörer auf.“ Daß M. die erste Liedertafel Norddeutschlands und zwar 1825 zu Hamburg gegründet habe, ist nicht richtig, d. h. letzteres Factum ist nicht zu bestreiten, aber M. ist nicht der Vater der Liedertafeln. Der eigentliche Begründer derselben ist Zelter in Berlin. Mehrere Freunde, die zum Theil schon auf der Schule in Chore miteinander gesungen, sangen später, als sie sich in der von Fasch gegründeten Singakademie, welcher Zelter nachher 32 Jahre, 1800–1832, vorstand, wieder fanden, häufig miteinander selbstgeschaffene oder eingerichtete Männerquartette. Wir nennen u. a. den Sänger Gern, Geh. Justizrath Hellwig, Otto Grell, den Componist der Horazischen Ode Integer vitae, Flemming, Bornemann u. s. w. Der 28. December 1808 ist als Geburtstag der Zelter’schen Liedertafel anzusehen; 24 Mitglieder der Singakademie traten zusammen, Zelter wurde zum Meister und Bornemann zum Tafelmeister gewählt. Der 24. Januar 1809 wurde als eigentlicher Stiftungstag anberaumt und die erste Festfeier fand im englischen Hause statt. Die Zelter’sche Liedertafel fand Anklang; zunächst folgten Frankfurt a. O., Leipzig, Königsberg, Breslau u. a., und im J. 1825 Hamburg. Seine größte Popularität erwarb sich M. durch sein Commersbuch, welches fünf Auflagen erlebte. Vaterlands- und Freiheitsliebe, Liebeslust, Freundschaft und toller Humor klingt aus diesen Gesängen heraus und in aller Herzen wieder. In seiner jüngeren Form entstammt das Commersbuch dem Jahre 1813. Wenn auch neue Sammlungen das alte Methfessel’sche Commersbuch verdrängt haben, aber, wie Riehl treffend sagt, jener volksliedmäßige Grundton des ächten Bardengesanges, wie er während und nach der Erhebung des Jahres 1813 von Musikern wie Weber, Berner, Methfessel, von componirenden Dichtern wie Arndt und von componirenden Studenten wie Binzer, Follen und Hanitsch völlig naiv angeschlagen wurde, ließ sich später mit aller Kunst nicht mehr nachmachen. Es war selbstverständlich für den Sänger des Commersbuches von großem Werth, daß er das akademische Leben mitgelebt, von noch größerem Werth für ihn als patriotischen Sänger in einer Zeit zu leben, da die Erhebung der Jugend gerade von den Universitäten ausging. Schreibt er doch in der Vorrede zur fünften Auflage seines Commersbuches: „Dieses Buch war eine Frucht der deutschen Burschenschaft in Jena, jenes merkwürdigen, unvergeßlichen Vereins, mit dessen hervorragendsten Führern, einem Wesselhöft, von Binzer, Horn, Riemann und Möller mich innigste Freundschaft verband“. Außer geistlicher [514] Musik hat er auch Symphonien, Orgel- und Clavierwerke geschrieben; dieselben entbehren jedoch eines positiven musikalischen Gehalts und reichen an seine Lieder und Balladen nicht hinan. Sie sind vergessen gleich einer „verklungenen Sage“. Als Musikschriftsteller wußte sich M. ebenfalls einen geachteten Namen zu erwerben.

L. Spohr, Selbstbiographie, 2 Bde. Cassel und Göttingen, 1860/61. Riehl, Musikalische Charakterköpfe, Bd. III, S. 93 ff. Gartenlaube, Jahrgang 1867, S. 808, 1869, S. 373 ff. Sängerhalle, Jahrgang 1861. Dr. O. Elben, Der volksthümliche deutsche Männergesang, Tübingen 1855.

Adolf M., welcher am 17. November 1878 im Alter von 72 Jahren als Musikdirector in Bern starb, war ein Verwandter des Obigen. Er war während langer Zeit Dirigent der Berner Liedertafel, Kapellmeister des dortigen Orchesters, in dem er auch als trefflicher Cellist mitwirkte und Gesanglehrer an der Berner Realschule. In den 60er Jahren gründete der in den musikalischen Kreisen der Schweiz sehr geschätzte Mann in Bern auch eine Musikhandlung.

Vgl. Schweizerisches Sängerblatt vom 23. November 1878, herausgeg. zu Zürich.