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Artikel „Lamormaini, Wilhelm Germain“ von Felix Stieve in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 572–573, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lamormaini,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 10:09 Uhr UTC)
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Lamormaini: Wilhelm Germain L., geb. am 29. December 1570 zu La Moire Mennie, einem luxemburgischen Ardennendorfe, † am 22. Februar 1648 zu Wien. Von seinem Geburtsorte erhielt sein Vater Eberhard Germain den Beinamen, welcher gewöhnlich in Lamormain oder gar Lämmermann verdreht wird. Nachdem L. den ersten Unterricht durch den Pfarrer zu Dochau, wohin sein Vater übersiedelte, erhalten und dann das Jesuitengymnasium zu Trier besucht hatte, nahm ihn der spanische Gesandte, Don Guillen de San Clemente, auf Verwendung seines Koches, welcher der Oheim Lamormaini’s war, mit sich nach Prag und gab ihm Unterhalt. Nach dreijährigem Studium promovirte er dort bei den Jesuiten als Doctor der Philosophie und trat am 5. Februar 1590 zu Brünn in das Noviziat der Gesellschaft ein. Nach dessen Beendigung studirte er nahezu vier Jahre in Wien Theologie und wurde am 31. März 1596 in Preßburg zum Priester geweiht. Dann wirkte er zwei Jahre als Lehrer der Syntax zu Sillein in Ungarn und ebenso lange als Lehrer der Humaniora und Rhetorik zu Prag. 1600 wurde er Professor der Philosophie an der neu errichteten Universität zu Graz, legte 1603 die drei feierlichen Gelübde und 1606 das vierte ab und wurde in letzterem Jahre Professor der Theologie. 1614–21 war er Rector des Grazer Collegs, dann wurde er nach Rom berufen, wo er bis in den Herbst 1623 verweilte. Nach seiner Rückkehr wurde er Ende 1623 Rector des Collegs zu Wien und nachdem der Beichtvater Ferdinands II., Becanus, am 24. Januar 1624 gestorben war, erbat sich der Kaiser ihn, der schon in Graz zum Hofe in nahen Beziehungen gestanden hatte, zu dessen Nachfolger. Beide Stellungen bewahrte er bis nach Ferdinands Tode. Entsprechend der Politik Papst Urbans VIII. war er ein Gegner Wallensteins und der Spanier. Letztere bemühten sich seine Entlassung zu bewirken, doch glückte es ihnen nicht. Neben Eggenberg besaß er den größten Einfluß auf Ferdinand. In der öffentlichen Meinung galt er so entschieden als „der Herr des kaiserlichen Willens“ und als der eigentliche Leiter der kaiserlichen Politik, daß der Ordensgeneral selbst ihn deshalb kurz vor dem Tode des Kaisers zur Rede stellte, da sich ja die jesuitischen Beichtväter nicht geradezu in weltliche Angelegenheiten mischen dürften. Ueber das thatsächliche Verhältniß ist in dem Ferdinand II. behandelnden Aufsatze dieses Werkes, berichtet worden. Auf kirchlichem Gebiete benutzte L. seine Macht, um die Restauration und die Ausbreitung und Bereicherung seines Ordens zu fördern. Seiner Einwirkung wird auch die Uebergabe der theologischen und philosophischen Facultäten der Universitäten zu Wien und zu Prag an die Jesuiten zugeschrieben. Nach Ferdinands Tode wurde er Rector des akademischen Collegiums zu Wien und später Provinzial der österreichischen Ordensprovinz, indeß zog ihn auch Ferdinand III. noch häufig zu Rathe. Urban VIII. soll ihm die Cardinalswürde angetragen, er jedoch dieselbe beharrlich abgelehnt haben. In seinen letzten Lebensjahren vereinigte er die vier Bursen armer Studenten an der Wiener Universität zu einem von den Jesuiten geleiteten Seminar. Eine Reihe vornehmer Männer wurde durch [573] ihn dem Katholicismus zugeführt. Unter Ferdinand II. bewirkte er, daß eine bestimmte Anzahl von Wiener Juden jeden Samstag zur Anhörung einer Bekehrungspredigt zusammengetrieben wurden, doch hörte diese Einrichtung wegen ihrer Erfolglosigkeit nach einigen Jahren wieder auf. Der Nuntius Caraffa rühmt ihn als sehr glaubenseifrig und gelehrt; andere preisen seine Klugheit und seinen Scharfblick. Er sprach französisch, deutsch, italienisch, czechisch und lateinisch und hatte sich auch im Griechischen und Hebräischen tüchtige Kenntnisse erworben. Schweigsam und langsam redend, besaß er doch ein gewandtes und verbindliches Wesen. In seiner Jugend schwächlich, wurde er später mehr als mittelgroß, breitschultrig und stämmig; mit dem rechten Fuße hinkte er in Folge einer Verwundung, die er als Knabe empfangen hatte. Sein rundes, lebhaft gefärbtes Gesicht zeichneten eine hohe und breite Stirn, eine lange, an der Spitze gekrümmte und rothe Nase, ein sehr spärlicher, krauser Bart und dünne, etwas borstige Haare aus. – Nach dem Tode Ferdinands II. hatte er beabsichtigt dessen Leben unter dem Titel „Ideal eines christlichen Fürsten“ zu beschreiben, doch erschien 1638 nur der letzte Theil des Werkes „Ferdinandi II. R. J. virtutes“, welches in verschiedene Sprachen übersetzt wurde, eine lobhudelnde Schilderung der Frömmigkeit Ferdinands vom jesuitischen Standpunkte aus. Außerdem ist von ihm eine Leichenrede und die lateinische Uebersetzung einer ascetischen Schrift gedruckt worden.

Speculum christiani hominis et Jesuitae sive vita et virtutes P. Gulielmi Germani Lamormaini … Ex asceticis eius libellus et oculatis testibus fideliter et sincere a domo probationis S. J. collecta Viennae ad S. Annam A. D. 1649 (für die Litterae annuae der Jesuiten bestimmt), im Auszuge bei Dudik, Correspondenz Kaiser Ferdinands II. und seiner erlauchten Familie mit P. Martin Becanus und P. Wilhelm Lamormaini, im Archiv für österreich. Geschichte 54, 228 ff. Vgl. die Quellen zur Geschichte Ferdinands II. und über seine Schriften: Backer, Bibliothèque des écrivains de la compagnie de Jésus II, 601 ss. Alegambe, Scriptores Soc. J. I, 315 und Paquot, Mémoires pour servir à l’histoire des Pays-Bas I, 649.