ADB:Jäschke, Heinrich August

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Artikel „Jäschke, Heinrich August“ von Gustav Theodor Reichelt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 632–633, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:J%C3%A4schke,_Heinrich_August&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 11:24 Uhr UTC)
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Jäschke: Heinrich August J., sprachgelehrter Missionar der Brüdergemeine, geboren am 17. Mai 1817 in Herrnhut, aus einer mährischen unter Zinzendorf eingewanderten Familie stammend, besuchte die Lehranstalten der Brüdergemeine in Herrnhut (Bürgerschule), Niesky (Pädagogium) und Gnadenfeld (theologisches Seminar), war dann in einer Pensionsanstalt in Schleswig und im Nieskyer Pädagogium als Lehrer thätig, und kam 1856 durch seine Berufung in die, an der Westgrenze von Tibet von der Brüdergemeine angefangene Mission, zu einer seinen Fähigkeiten durchaus angemessenen Thätigkeit, nämlich zur gründlichen Erlernung und Bearbeitung der zwar nicht unbekannten, aber doch nicht genügend erforschten tibetischen Sprache. Westeuropäische Sprachen hatte er sich, bei seinem außerordentlichen, durch ein riesiges Gedächtniß, äußerst feines Gehör und geschickte Sprechorgane unterstützten Sprachtalent, schon in ziemlicher Anzahl und in sehr vollkommener Weise angeeignet. So sprach er das Polnische, Dänische, Schwedische und Englische wie ein Eingeborner und mit Beobachtung aller Feinheiten der Aussprache, und auch des Böhmischen und Ungarischen war er ziemlich mächtig. Von orientalischen Sprachen hatte er sich mit dem Arabischen und Persischen und besonders mit der Sanskritsprache eingehend beschäftigt. Letzteres kam ihm nun bei seinen tibetischen Studien sehr zu statten, denn die tibetischen Buchstaben sind ja nur vereinfachte Sanskritzeichen, und die buddhistischen Schriften wimmeln von Sanskrit-Citaten, oder sind Uebersetzungen aus dem Sanskrit. Da nun auch die zwar unvollkommenen, aber doch ein ziemliches Material darbietenden Wörterbücher von Schröter, Csoma de Körös und Schmidt, und die Grammatiken von Csoma und Foucaux schon vorlagen, und da J. während seines 12jährigen Aufenthaltes auf seiner Himalayastation Kyelang nicht nur die tibetische Litteratur, zum Theil mit intelligenten Lamas, eifrig durchforschte, sondern auch viele tibetische Dialekte, besonders auch durch die vielen durchkommenden Pilger aus dem Innern von Tibet gründlich kennen lernte, so gelangte er zu einer bisher noch nicht erreichten umfassenden Kenntniß der Sprache, und legte seine Kenntnisse in einer Reihe von Schriften nieder, welche die schon vorhandenen weit überragen, und die ihm einen ehrenvollen Platz als hervorragendem Sprachforscher sichern. Wir können hier von diesen Schriften nur die wichtigeren nennen, und müssen die vielen in gelehrten Zeitschriften erschienenen Abhandlungen ganz übergehen. In Kyelang wurden von ihm herausgegeben und lithographirt: 1. „A Short Practical Grammar of the Tibetan Language, with special reference to the Spoken Dialects“. 2. „A Romanized Tibetan and English Dictionary“. 3. „An Introduction to the Hindi and Urdu Languages for Tibetans“. Wegen Kränklichkeit 1868 nach Deutschland zurückgekehrt, gab J. das langvorbereitete tibetisch-deutsche große „Handwörterbuch der Tibetischen Sprache“ autographirt heraus, welches auf 700 Quartseiten den ganzen tibetischen Sprachschatz in übersichtlicher Anordnung [633] darlegt, die Bedeutung der Wörter durch eine Menge von Beispielen erläutert, alle Dialekte berücksichtigt und die in den verschiedenen Theilen von Tibet sehr abweichende Aussprache überblicken läßt. Dieses meisterhafte Werk wurde auf Kosten der Indischen Regierung auf tibetisch-englisch, und zwar gedruckt herausgegeben, unter dem Titel: „A Tibetan English Dictionary, with special reference to the prevailing dialects“, London 1881. Die tibetischen Typen für diese schöne Ausgabe wurden in Berlin nach Jäschke’s Vorzeichnung neu geschnitten, und sind die schönsten, die es überhaupt gibt. Sie wurden auch zu einer neuen gedruckten Ausgabe von Jäschke’s Grammatik und zum Druck des von J. übersetzten Neuen Testamentes benützt, welches aber erst nach dem schon am 24. September 1883 erfolgten Tode des unermüdlichen Sprachforschers erscheinen konnte.

Außer diesen die tibetische Sprache behandelnden Werken verfaßte aber J. noch in Kyelang eine Menge von religiösen und Unterrichtsschriften, welche zusammen wol 1500 Seiten umfassen mögen. Wir nennen von diesen: Evangelien-Harmonie, Kirchenlitanei, Katechismus, Kirchengeschichte, Biblische Geschichte, Gesangbuch, Kinderfibel, Lesebuch, Geographiebuch, Fabelbuch. – Man sieht, J. war ein unermüdlicher Arbeiter, und wenn ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen wäre, so hätte er noch mehrere, zum Theil schon vorbereitete, für die Kenntniß der tibetischen Sprache sehr wichtige Schriften veröffentlicht. Seine Verdienste um die Sprachwissenschaft wurden auch von Lepsius, Schiefner und anderen mit ihm correspondirenden Sprachkennern voll gewürdigt, aber keine deutsche Universität verlieh ihm einen Ehrentitel, vielleicht weil auf keiner ein gründlicher Kenner des Tibetischen zu finden war, der im Stande gewesen wäre den Werth seines Wörterbuchs und auch seiner Grammatik recht zu würdigen. Denn auch in seiner Grammatik war er bahnbrechend, indem er die tibetische Sprache aus der ihr angelegten lateinischen Zwangsjacke befreite und sie auf eigne Füße stellte. Verdiente Anerkennung fanden seine Arbeiten nur bei den nicht sehr zahlreichen Kennern der tibetischen Sprache (z. B. Dr. Emil v. Schlagintweit) und vor allem in der Brüdergemeine, bei den mit den Leistungen des sehr bescheidenen und bedürfnißlosen Mannes näher bekannten Freunden und früheren Schülern. Und wer, wie der Schreiber dieses, eines der von J. im Himalaya geführten Tagebücher durchblättern kann, der wird schon deshalb, abgesehen von allen veröffentlichten Schriften, mit Bewunderung zu diesem seltenen Sprachkundigen aufblicken. Seine Tagebücher führte J. nämlich, um nicht früher Gelerntes zu vergessen, in lauter außerdeutschen Sprachen, und so findet man darin alle gewöhnlichen Ereignisse des Lebens und der Reise in musterhaftem Latein und in perfecter altgriechischer Sprache geschildert, und außer diesen beiden kommt am meisten die polnische und schwedische Sprache in Anwendung. – Ueberblickt man aber Jäschke’s ganze Thätigkeit und seinen Lebensgang, so wird man gern mit dem, auf seinem Leichenstein auf dem Herrnhuter Gottesacker in tibetischer Sprache und Schrift eingegrabenen Bibelspruch ihm nachrufen: Ei Du frommer und getreuer Knecht! … Gehe ein zu Deines Herrn Freude!