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Artikel „Feige, Johannes“ von Max Lenz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 600–602, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Feige,_Johann&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 09:42 Uhr UTC)
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Feige: Johannes F., geb. 1482 in der hessischen Stadt Lichtenau, gest. am 20. März 1543, der hervorragendste hessische Staatsmann in der Zeit der Reformation, für Hessen von ähnlicher Bedeutung, wie Brück für Kursachsen. Ueber seine Bildungsjahre haben wir nur dürftige Daten. Wir wissen allein, daß er um das J. 1503 in Erfurt studirt und wahrscheinlich auch dort sich den juristischen Doctorhut erworben hat. Welcher Richtung er hier gefolgt, ob er vielleicht den Erfurter Poeten befreundet gewesen sei, die gerade damals ihre ersten Triumphe feierten, und deren Häupter, Mutianus Rufus, Euricius Cordus, Eobanus Hessus und danach Ulrich v. Hutten, seine Landsleute waren, das zu vermuthen wird uns kaum der Umstand verstatten, daß er später allerdings zu zweien von ihnen, Euricius Cordus und Eobanus, in die engsten Beziehungen getreten ist. Seinen Bemühungen gelang es nämlich, jenen gleich zu Anfang, [601] diesen einige Jahre später für die Marburger Universität zu gewinnen, deren Stiftung vorzüglich sein Werk war und um deren Organisation er sich als erster Kanzler bis zum J. 1536 und noch später, besonders durch die Erwerbung der kaiserl. Privilegien 1541, hervorragende Verdienste erwarb. Das Jahr seines Eintritts in den Staatsdienst ist noch unbekannt. 1513 übernahm er als Hofkanzler das Amt, das er bis an seinen Tod verwaltet hat. Es gibt kaum eine Staatsaction in der Regierung Philipps des Großmüthigen, bei der sein Name nicht genannt wird. Schon während der Minderjährigkeit des Fürsten stand er dessen Mutter Anna, der Regentin des Landes, zur Seite. Gleich nach dem Regierungsantritt des Fürsten vertrat er dessen Interessen auf dem Reichstage 1518 zu Augsburg: hier und in den folgenden Jahren hat er vor allen die hessischen Staatsinteressen gegenüber Sickingen’s Raubzügen und den anarchischen Gelüsten des mit dem pfälzischen Ritter verbundenen hessischen Adels gewahrt. Denn er hat mit religiöser Ueberzeugung und treuer Hingebung an die Interessen seines Herrn für die reformatorische Politik Hessens bis an seinen Tod gearbeitet. 1526 eröffnete er die Synode von Homberg mit einer Rede, die uns im Auszuge durch Lauze[WS 1], den Biographen Philipps, erhalten ist. Auf dem Reichstage zu Augsburg war er schon vor seinem Herrn erschienen und vertrat ihn noch mehrere Wochen nach seiner Abreise. Im folgenden Jahre führte er die Verhandlungen mit Baiern, die zu dem antihabsburgischen Vertrage von Saalfeld (24. Octbr. 1531) führten. In der vorsichtigen Haltung, die Philipp in diesen Jahren gegenüber Habsburg im Gegensatz zu Sachsen einnahm, ward er besonders durch seinen Kanzler bestärkt. Dieser gab in Nürnberg im Juli 1532 die den Frieden ablehnende Erklärung Hessens ab. Danach leitete er wieder die Aussöhnung zwischen Philipp und König Ferdinand ein, indem er jenem 1534 nach Wien vorausreiste. Während der Irrungen, die der Gesandte Karls V, Matthias Held, durch sein intrigantes und brüskes Auftreten unter den deutschen Ständen erregte, finden wir F. 1537 in Koburg, im nächsten Jahre in Eisenach, auf dem Convent, der die den Protestanten so verhängnißvolle Aussöhnung mit dem Kaiser einleitete. Eine unermüdliche und sehr einflußreiche Thätigkeit entwickelte er bei den Vergleichsverhandlungen zwischen der protestantischen und der katholischen Partei. Schon an ihrem Vorspiel, dem Colloquium, mit den herzogl. sächsischen Räthen in Leipzig (Januar 1539), nahm er Theil. Später vertrat er seinen Herrn auf dem Gesprächstage zu Worms und war mit ihm in Regensburg. In der conciliatorischen Politik, die Philipp damals verfolgte, waren bekanntlich neben allgemeinen sehr persönliche Motive wirksam. Mit dem Frieden der Parteien wollte er zugleich die eigene Aussöhnung mit dem Kaiser, um Sicherung und Straflosigkeit für seine Doppelehe zu erlangen. F. vertrat hier die Interessen seines Herrn bis zur Vernachlässigung von denen der Partei und der Religion. Er war es, der in Worms mit Granvella die geheimen Verhandlungen führte, die ihren Abschluß in Regensburg fanden, als Philipp die dem Protestantismus und ihm selbst so verderbliche Verzeihung des Kaisers persönlich erwarb. Vergebens versuchte Martin Luther in Worms den Kanzler und den Landgrafen zurückzuhalten. Wie gut F. auch die egoistischen Absichten des Kaisers bei seinen Anträgen an Philipp erkannte und wie oft ihm die zweideutige Haltung seines Ministers auffiel, so glaubte er dennoch an den Ernst ihrer conciliatorischen Absichten und an die Nützlichkeit einer persönlichen Verzeihungsurkunde für seinen Herrn. Aus der zahlreichen und an charakteristischem Detail überaus reichen, in dem Marburger Archiv aufbewahrten Correspondenz, die er von Worms aus mit dem Landgrafen führte, erkennen wir, was er war: ein aufrichtiger Anhänger der neuen Lehre, ein ehrenhafter Mann, ein unermüdlicher Arbeiter, ein treuer Diener seines Herrn. Aber einen weiten politischen Horizont [602] besaß er nicht. Er führte eben nur eifrig und voll Hingebung die Absichten seines Herrn aus. Dieser aber wurde von klar erkannten und standhaft, oft heldenmüthig erstrebten Zielen fortwährend abgelenkt durch kleinliche, unwürdige und unreine Interessen, wie sie die an idealen Zügen reiche Geschichte der reformatorischen Fürsten Deutschlands, sehr im Gegensatz zu der Consequenz ihres großen Gegners, so häufig entstellen.

Strieder, Hess. Gelehrtenlexikon IV. 92. – Rommel, Phil. d. G. II. 103. – Hassenkamp, Hess. Kirchengesch. I, 80. – Das Marburger Staatsarchiv ist erfüllt von Schriftsätzen Feige’s.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Leuze