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Mark Twain übersetzt von Wilhelm Lange: Zeitungsschreiberei in Tennessee In: Meisterbuch des Humors

„So, das ist das journalistische Rezept – gepfeffert bis zum äußersten. Euer milchsüßer Journalismus verursacht mir Uebelkeit.“

In diesem Augenblick kam ein Ziegelstein durch das Fenster, zertrümmerte unter großem Lärm eine Scheibe und gab mir einen bedeutenden Schlag in den Rücken. Ich entfernte mich aus der Schußlinie – ich begann zu fühlen, daß ich im Wege war.

Der Chef sagte:

„Das war vermutlich der Oberst. Ich erwarte ihn schon seit zwei Tagen. Jetzt wird er gleich hier sein.“

Er hatte wahr gesprochen. Einen Augenblick später erschien der Oberst in der Tür mit einem Dragonerrevolver in der Hand.

Er sagte:

„Mein Herr, habe ich die Ehre mit der Memme zu reden, welche dieses schäbige Blättchen redigiert?“

„Die Ehre haben Sie. Setzen Sie sich, mein Herr. Aber gehen Sie vorsichtig mit dem Stuhl um, er hat nur drei Beine. Ich glaube, ich habe die Ehre, mit dem prahlerischen Halunken, Oberst Blatherskite Tecumseh zu sprechen?“

„Der bin ich. Ich habe mit Ihnen ein Hühnchen zu pflücken. Wenn Sie Zeit haben, wollen wir beginnen.“

„Ich habe einen Artikel über den ‚ermutigenden Fortschritt der moralischen und intellektuellen Entwicklung in Amerika‘ zu beenden, aber es hat keine Eile damit. Beginnen Sie.“

Beide Pistolen ließen in demselben Augenblick ihren wilden Knall hören. Der Chef verlor eine Locke von seinen Haaren, und die Kugel des Obersten beendete ihre Laufbahn in dem fleischigen Teile meiner Lende. Dem Oberst wurde die linke Schulter ein wenig gestutzt. Sie feuerten noch einmal. Beide fehlten diesmal ihren Mann, aber ich bekam mein Teil, nämlich einen Schuß in den Arm. Bei dem dritten Schuß wurden beide Herren leicht verwundet, während mir ein Knöchel gestreift wurde.

Dann sagte ich, ich hielte es für ratsam, hinauszugehen und ein wenig frische Luft zu schöpfen, da dies eine Privatunterredung sei und ich aus Zartgefühl Bedenken trage, mich noch länger daran zu beteiligen. Aber beide Herren ersuchten mich, ruhig sitzen zu bleiben, und gaben mir die Versicherung, ich sei ihnen durchaus nicht im Wege. Ich war anderer Meinung gewesen.

Darauf unterhielten sie sich eine Weile über die Wahlen und die Ernte. Währenddessen beschäftigte ich mich mit dem Verbinden meiner Wunden. Aber bald ward das Feuer großer Lebhaftigkeit wieder eröffnet, und jeder Schuß traf – doch kann ich nicht umhin zu bemerken, daß fünf von den sechs Schüssen auf mein Teil fielen. Durch den sechsten wurde der Oberst tödlich verwundet, welcher mit feinem Humor die Bemerkung machte, daß er jetzt „Guten Morgen“ sagen müsse, da er oben in der Stadt Geschäfte hätte. Dann erkundigte er sich nach dem Wege zum Totengräber und verabschiedete sich.

Empfohlene Zitierweise:
Mark Twain übersetzt von Wilhelm Lange: Zeitungsschreiberei in Tennessee In: Meisterbuch des Humors. Ullstein & Co., Berlin und Wien 1908, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Twain-Zeitungsschreiberei_in_Tennessee-1908.djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)