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äußeren Anlaß in mir aufs Neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtniß verloren habe.

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Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem October-Nachmittag – so begann der damalige Erzähler – als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlang ritt. Zur Linken hatte ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee; zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln sehen können; aber ich sah nichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wuthgebrüll an den Deich hinaufschlugen und mitunter mich und das Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten; dahinter wüste Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterscheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe stand, war meist von treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möven, die sich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land

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Theodor Storm:“Der Schimmelreiter“. Berlin: Gebrüder Paetel, 1888, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Storm_Der_Schimmelreiter.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)