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dessen Gedanken gar nicht dem jüdischen Boden, sondern einer ärmlichen Zeit der christlichen Kirche entsprungen und in der Kirche selbst überwunden sind. Beide Parteien rühmen freilich, daß die Juden für die Welt und Menschheit Träger der höchsten religiösen und sittlichen Ideen seien, und daß die Mission des Judenthums für jetzt und alle Zukunft darin bestehe, jene Ideen festzuhalten, weiter zu entwickeln und auszubreiten. Die jüdische Presse von rechts und links ist darin ganz einig; der Weihrauch, der darüber aus den Synagogen beider Richtungen aufsteigt, ist geradezu sinnberauschend. Als kürzlich die Säcularfeier des edlen Moses Mendelssohn begangen wurde, stand der vor der festlichen Versammlung das Wort: „Von Moses bis Moses ist Niemand wie Dieser.“ Eben auf diesen liebenswürdigen Geist, der aber doch auf die Entwickelung der Menschheit gewiß keinen durchgreifenden Einfluß geübt hat, beruft man sich in besonderer Weise. Bei der Feier seines Todestages im Jahre 1870 sprach der Landesrabbiner Dr. Adler die begeisterten Worte: „Ist auch der jüdische Staat untergegangen, das Judenthum lebt, seine Mission besteht noch, sein Dasein ist noch ein wichtiger Factor in der Entwickelungsgeschichte des Menschenthums, der fortschreitenden Menschenbildung. Unsere Mission war und ist und bleibt: der Sieg des fortschreitenden Menschengeistes, der Sieg des Menschenthums. Auch der untergegangene jüdische Staat ist für uns kein todter. Das Untergegangene war auch nur die Hülle des unvergänglichen Lebens, eines mit einer großen weltgeschichtlichen Mission betrauten Volksstammes.“ Da sehen Sie zugleich, wie die Menschheit doch eigentlich nur das Postament ist, um den unvergänglichen Volksstamm der Juden darauf zu stellen. So machen es fast Alle, die als Israeliten über ihr Volk Betrachtungen anstellen. Philippson schreibt, indem er in der Ausbreitung des Monotheismus, in der Vermittlung des Weltverkehrs, in dem Erringen der religiösen Gleichheit und Freiheit die große Mission Israels erblickt, Folgendes: „Die Kämpfe auf allen Gebieten sichern dem Judenthum eine bedeutende Zukunft sowohl für seine Bekenner wie für die gesammte ringende

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Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland (Erste Rede). Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)