Seite:Stoecker Zwei Reden.djvu/27

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Maria Stuarts die schöne kostbare Zeit vergeudet! Ja, das waren Sünden, welche abzubüßen die Pönitenz der persönlichen Gegenwart lange nicht ausgereicht hat.

Nun geht es zu den Unterlassungssünden über, die es lediglich in unterlassenen Vergnügen und Genüssen findet. Es schreibt:

Das Vergeuden der Zeit, ja, darin sind wir allzumal Sünder, die jeglichen Ruhmes ermangeln. Und neben der Vergeudung das Versäumen und Verpassen der Zeit – ein Thema, bei dessen Erwägung dem Nachsinnenden sich eine wahrhaft unendliche Perspective eröffnet. Wie viele herrliche Frühlings- und Sommertage hast Du in der gemeinen Sucht nach Erwerb hinter dumpfen Mauern verbracht! Indessen Du in staubiger Luft Deine Rechnung machtest und Pfennig zu Pfennig legtest, stieg draußen die Lerche hoch, brauste der Strom dahin und rauschte der Wald sein Lied … Du meinst, das könntest Du immer noch haben? O nein, wie in jenen versäumten Tagen singt nimmer wieder die Lerche Dir, rauscht niemals Dir der Wald, denn Du bist seit damals wieder um eine Spanne älter und stumpfer geworden …

Und indem Du so nachsinnst der verlorenen Zeit, tauchen vor Deinem Blicke aus dem Nebel der Erinnerung nicht auch allerlei Sterne auf, dunkle und helle, in sanftem Licht wie in funkelndem Glanz? Augensterne sind es, die einen in schüchterner Bitte auf Dich gerichtet, die anderen wie in trotziger Frage, welche der Antwort gewiß ist … Ach, heute verstehst Du so Bitte und Frage, die Du einst in thörichter Lässigkeit nicht vernommen, und wärest gern zu Antwort und Gewährung bereit, aber Deine Arme, die Du sehnsüchtig ausstreckst, greifen ins Wesenlose. So wenig wir nach den Lehren der Forschung wissen, ob die Sterne, welche vom Himmel zu uns hernieder leuchten, wirklich noch am Firmamente existiren und nicht längst untergegangen sind, so wenig weißt Du, ob und wo jene Sterne noch strahlen, die einst Dir gelächelt, aber durch Monde und Jahre, durch weit entlegene Ferne
Empfohlene Zitierweise:
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland. Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/27&oldid=- (Version vom 18.8.2016)