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Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

der Fischer schon meinte, einen großen Lachs in den Kahn zu ziehen, aber er hob mit der Angel zu seiner Verwunderung statt eines Fisches einen bräunlichen Vogel mit schwarzem Schnabel in den Kahn, den er ganz erstarrt anredete: „Ei, wie magst du heißen?“ „Wasserstar!“ sagte der Vogel mit Mühe, weil ihm der Angelhaken in der Kehle saß. „Wasserstar?“ sagte der Fischer verwundert, „wo hast du dein Nest?“ – Und der Wasserstar antwortete: „Fischer, wo hast du dein Haus? mein Nest hat die Frau verkauft, da muß ich mich so herumtreiben, hab’ aber allerlei dabei gelernt, und wenn du mir das Leben schenken willst, so tue ich dir alles zulieb, was du wünschen magst.“ Der Fischer sah sich nach seiner Frau um, da diese aber noch ganz fest schlief, so fiel ihm gar nichts ein, was er wünschen sollte, und sprach: „Wasserstar, weil es dir so gegangen ist wie mir, so will ich dir den Haken ganz umsonst aus dem Schnabel ziehn, möchte doch auch keinen drein haben.“ Bei den Worten zog er ihm den Haken aus dem Schnabel und ließ den Vogel fliegen, ehe der aber untertauchte, sagte er ihm: „Fischer, wenn der Vollmond auf den Rhein scheint, da ruf’ mich, und ich werde dir in allem freundlich zu Gefallen leben, was dein Mund wünschen mag.“ – Als er untergetaucht war, wachte die Frau auf, und er erzählte ihr, was sich begeben, da wurde die Frau böse, daß er sich gar nichts gewünscht habe. „Ja, was sollt ich mir wünschen?“ fragte der Fischer. „Haus und Hof,“ sagte die Fischerin ganz zornig. Da lachte der Alte und wartete, bis der Mond recht herrlich am Himmel stand und sich im Rhein spiegelte, da rief er so freundlich, daß sein altes Gesicht sich in tausend Falten legte:

Mondschein, Mondschein überm Rhein,
Mondschein, Mondschein in dem Rhein,
Vogel, Vogel überm Rhein,
Vogel, Vogel in dem Rhein,
Daß mir meine Frau nicht frier’,
Schenke doch ein Häuschen ihr.

Da tauchte der Vogel auf, daß ihm das Wasser von seinem Schnabel lief und sagte: „Laß nur dem Kahn seinen Willen, so kommst du an das Haus gefahren.“ Da verschwand der Vogel, und der Fischer tat, wie er gesagt, kam ans Land, und ein Haus stand da, das war leer, darum gehörte es ihnen, und die Frau

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Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1903, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Umbildung_Fischer_und_siner_Fru.djvu/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)