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 II

So wie dem Meister manchmal das eilig
nähere Blatt den wirklichen Strich
abnimmt: so nehmen oft Spiegel das heilig
einzige Lächeln der Mädchen in sich,

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wenn sie den Morgen erproben, allein, –

oder im Glanze der dienenden Lichter.
Und in das Atmen der echten Gesichter,
später, fällt nur ein Widerschein.

Was haben Augen einst ins umrußte

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lange Verglühn der Kamine geschaut:

Blicke des Lebens, für immer verlorne.

Ach, der Erde, wer kennt die Verluste?
Nur, wer mit dennoch preisendem Laut
sänge das Herz, das ins Ganze geborne.


Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Die Sonette an Orpheus. Insel-Verlag, Leipzig 1923, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rilke_Die_Sonette_an_Orpheus_1923.djvu/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)