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wenn die Beobachtungen eine beträchtlich größere Geschwindigkeit ergeben sollten, damit das Relativitätsprinzip widerlegt sein würde.

Wie dem nun auch sei, wir dürfen uns bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse den Fall denken, daß das Relativitätsprinzip von allen Beobachtungen bestätigt wird. Vorausgesetzt, daß dies der Fall sei, wie müssen wir das dann auffassen, welche Bedeutung müssen wir dem Relativitätsprinzip beilegen? Dieses ist eine Frage, in die sich der Physiker, streng genommen, nicht allzu sehr zu vertiefen braucht. Er kann damit zufrieden sein, wenn er weiß, daß die Erscheinungen derart sind, daß sie im System x, y, z, t und im System x’, y’, z’, t’ in derselben Weise beschrieben werden können. Inzwischen wird es gut sein, die Frage doch nicht ganz unberührt zu lassen.

Stellen wir uns also vor, daß die schon öfters genannten Beobachter A und B ihre Gedanken austauschen können. Dann wird zwischen ihnen eine Diskussion eintreten können über die Frage, wer von beiden sich bewegt hat und wer nicht. Es ist klar, daß, wenn nichts anderes da ist als sie und ihre Laboratorien, diese Frage sinnlos ist. Gibt es aber einen Äther, der noch so viel Substanzialität besitzt, daß es einen Sinn hat, von Bewegung relativ zu demselben zu reden, so würde die Frage: wer hat sich relativ zum Äther bewegt, wohl einen Sinn haben. Die Frage, wer von beiden sich relativ zum Äther bewegt hätte, oder ob beide sich relativ zum Äther bewegt hätten, könnte aber (das Relativitätsprinzip ist hier immer als allgemeingültig vorausgesetzt) von A und B wieder nicht entschieden werden.

Weiter könnten sie über ihre Messungen debattieren. A könnte zu B sagen: ich habe deutlich gesehen, daß Ihre Maßstäbe kürzer waren als die meinigen. B sagt dann aber dasselbe zu A, und die Diskussion wäre wieder hoffnungslos. Gibt es einen Äther, so könnten sie zu einem befriedigenden Abkommen geraten, indem sie z. B. einen Maßstab, der relativ zum Äther ruht, bevorzugen. Entscheiden, wer von beiden oder daß keiner von beiden einen solchen Maßstab verwendet hat, könnten sie aber wieder nicht.

Ihre Systeme der Zeitmessung könnten zu einer ähnlichen Diskussion Anlaß geben.

In einen heftigen Wortstreit könnten sie geraten wegen der Frage, ob bestimmte Erscheinungen gleichzeitig seien oder nicht. Nicht an derselben Stelle stattfindende Erscheinungen, die für A gleichzeitig sind, sind es für B nicht, und der Fall kann sogar realisiert sein, daß A sagt: die Erscheinung 1 findet statt vor der Erscheinung 2, während B das Umgekehrte behauptet.[1]


  1. Inzwischen werden die beiden Beobachter eine Erscheinung 2, die als Folge einer Erscheinung 1 auftritt, immer nach der letztgenannten Erscheinung sehen, wenn man wenigstens entsprechend der Relativitätstheorie die Möglichkeit ausschließt, daß eine Wirkung sich mit Überlichtgeschwindigkeit fortpflanzt.
Empfohlene Zitierweise:
Hendrik Antoon Lorentz: Das Relativitätsprinzip. B.G. Teubner, Leipzig und Berlin 1914, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Relativitaetsprinzip_(Lorentz).djvu/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)