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sie ein wenig näher zu beleuchten. Sie sehen, wie diese Umstände uns zur Lehre dienen und uns zeigen können, wie vorsichtig man mit seinen Schlüssen sein muß.

Bisher haben wir nur von der Mechanik gesprochen, und damit kamen wir gut vorwärts. Leider umfaßt nun aber die Mechanik nicht die ganze Physik; es wird jetzt nötig sein, z. B. auch die Elektrizität, zunächst aber die Optik in den Bereich unserer Betrachtungen zu ziehen. Hier beginnt die Schwierigkeit. Das Licht pflanzt sich mit einer Geschwindigkeit fort, die uns bekannt ist; sie ist sehr groß, das läßt sich nicht bestreiten, nämlich 300000 km in der Sekunde. Daraus ergibt sich nun anscheinend ein Mittel, um zu entscheiden, ob wir uns in Ruhe oder in Bewegung befinden, kurz ein Mittel, die absolute Bewegung kennen zu lernen. Ich will sogleich einen extremen Fall betrachten. Hier ist eine Lichtquelle S und dort ein Beobachter O; sie entfernen sich voneinander mit einer Geschwindigkeit von 400000 km, also mit einer Geschwindigkeit, die größer als die des Lichts ist. Wie ist es nun? Ist der Beobachter in Ruhe, während die Lichtquelle sich zur linken Hand hin mit einer Geschwindigkeit von 400000 km bewegt, oder ruht die Lichtquelle, während der Beobachter sich von ihr zur rechten Hand hin mit derselben Geschwindigkeit entfernt, oder bewegen sich beide nach entgegengesetzter Richtung, jeder mit einer Geschwindigkeit von 200000 km? Die Beobachtung der mechanischen Phänomene gibt uns kein Mittel an die Hand, darüber etwas zu erfahren. Wie wird sich die Sache aber nun stellen, wenn wir auf die optischen Phänomene Rücksicht nehmen?

Hierauf hat bereits Flammarion in einer amüsanten Phantasie eine Antwort gegeben. Der Beobachter, den er „Lumen“ nennt, wird die Phänomene in umgekehrter Reihenfolge sehen. Ist er z. B. Zeuge der Schlacht bei Waterloo, so sieht er zuerst das Schlachtfeld mit Toten bedeckt; nach und nach werden sich die Toten erheben, um ihren Kampfplatz einzunehmen, und schließlich werden sie sich in Bataillone ordnen, die völlig intakt und kampfbereit dastehen. In der Tat, so wird sich die Sache abspielen, wenn die Lichtquelle unbeweglich ist, dagegen Lumen sich bewegt; denn Lumen bewegt sich ja viel schneller als die Lichtwellen, und wenn z. B. dieser Herr Lumen von der Erde in dem Augenblick abgereist ist, in dem die Schlacht ihr Ende hat, wird er nach Ablauf einer gewissen Zeit das Licht einholen, welches zu Beginn des Kampfes von der Erde ausging, so daß er, der bei der Erde den letzten Kämpfen zugeschaut hat, von der Ferne aus das erste Geschützfeuer sehen wird.

So, wie ich es soeben schilderte, wird sich aber der Vorgang keineswegs abspielen, wenn die Lichtquelle sich entfernt und der Herr Lumen in Ruhe bleibt. Dieser würde dann die Schlacht an Ort und Stelle beobachten, wobei sie sich allerdings mit einer majestätischen Ruhe entwickeln würde. Das Entgegengesetzte würde der Fall sein, wenn sich die Lichtquelle ihm mit einer Geschwindigkeit von 400000 km nähert; er wird dann die Schlacht in umgekehrter Reihenfolge sehen, weil die zu Ende der Schlacht ausgesandten Lichtwellen aus größerer Nähe kommen würden, also einen kürzeren Weg zurückzulegen haben und somit schließlich

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Die neue Mechanik. B.G. Teubner, Leipzig 1911, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMechanik.djvu/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)