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Aber es gibt noch andere Kräfte wie die Gravitation, und man wird wirklich ängstlich vor all den Hypothesen, die sich da auftürmen, um alle diese Kräfte dem System einzuordnen. Besonders ist es die Reibung, die sich sehr widerspenstig benimmt. Ich frage mich auch, wie man die Gesetze des Stoßes von unvollkommen elastischen Körpern begründen soll; ich meinerseits habe kein Glück gehabt, etwas zu finden, welches sie mit dem Prinzip der Relativität in Einklang bringen könnte.

Die „Neue Mechanik“ ruht also noch auf sehr schwankendem Boden. Man wird ihr deshalb neue Bestätigung wünschen. Sehen wir, was uns in dieser Beziehung die astronomischen Beobachtungen lehren. Ohne Frage sind die Geschwindigkeiten der Planeten relativ sehr klein, indessen besitzen die astronomischen Beobachtungen einen hohen Grad von Genauigkeit und erstrecken sich über lange Zeitläufte. Kleine Wirkungen können sich da derartig häufen, daß sie eine abschätzbare Größe erreichen. Man sieht, daß die einzige merkbare Wirkung, welche man erwarten könnte, eine Störung des Planeten Merkur, als des raschesten aller Planeten, wäre. In der Tat zeigt er Anomalien in seiner Bewegung, welche die Mechanik des Himmels noch nicht erklären konnte. Die Bewegung seines Perihels ist weit größer, als es die Berechnung auf Grund der klassischen Theorie ergibt. Man hat sich viele Mühe gegeben, um diese Anomalie zu erklären; man hat an die störende Wirkung eines Planeten geglaubt, der der Sonne näher ist als Merkur. Aber ein solcher Planet existiert sicher nicht. Man hat dann weiter an einen Ring kosmischer Materie um die Sonne gedacht. Die neue Mechanik gibt nun wohl vollkommene Aufklärung über den Sinn dieser Abweichung zwischen Beobachtung und Rechnung, aber der Betrag, den sie dafür angibt, ist viel zu groß. Er ist 38", während die beobachtete Abweichung selbst nur 5" beträgt. Das ist also eine nur sehr mittelmäßige Bestätigung zugunsten der „Neuen Mechanik“; man müßte immer noch eine spezielle Ursache geltend machen, die die noch fehlenden 33" erklärt. Und wenn diese Ursache die Abweichung von 33" erklärt, so könnte sie auch leicht die ganze von 38" deuten. Man darf also darin kein Argument zugunsten der „Neuen Mechanik“ erblicken, aber noch weniger darf man daraus ein Argument entnehmen, das gegen sie spricht. Die neue Lehre ist nicht gerade im Widerspruch mit den astronomischen Beobachtungen.

Wir wollen hier noch eine Folgerung aus der „Neuen Mechanik“ erwähnen, die zu der Astronomie in Beziehung steht. Die Gestirne verlieren allmählich ihre lebendige Kraft, welche sich in Lichtenergie umsetzt und in den Weltenraum ausgestrahlt wird. Dies trifft für alle die Körper zu, deren Bahn gekrümmt ist. Wenn die in Weißglut befindlichen Körper uns Licht zusenden, so geschieht dies, weil sie in Bewegung befindliche Elektronen enthalten, deren Geschwindigkeit ganz plötzlich ihre Richtung verändert; jedes einigermaßen rasche Umwenden erzeugt eine Lichtemission. Auch die Gestirne können sich diesem Gebot nicht entziehen, weil ihre Bahn nicht geradlinig ist. Da sie aber Kreise von sehr großem Radius beschreiben, so daß man diese Kreisbahnen als nahezu geradlinig ansehen kann, wird ihre lebendige Kraft

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Henri Poincaré: Die neue Mechanik. B.G. Teubner, Leipzig 1911, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMechanik.djvu/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)