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umherirrte und scheinbar seine Mutter suchte. Ein Herr ging fortgesetzt vor ihm her. Die gelbe Rosette witterte Gefahr und stellte sich dem sauber gekleideten Mädchen als Mitglied des Vereins zum Schutze allein reisender Mädchen vor, was seitens der reizenden Person mit einem „Olle Missionsunke, kümmern Sie sich um Ihren Dreck; ich rett’ mir alleene“, beantwortet wurde. Sprach’s und verschwand mit dem Herrn.

Meine Tante Berta war die einzige, welche trotz alledem stets mit ganzer Seele bei der Sache war. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, und ihrem Einfluß war es zuzuschreiben, daß sich das an der herrschenden Moral krankende Unternehmen noch nicht aufgelöst hatte.

Ihrem Eifer hatte sie die Krone aufgesetzt, indem sie für die streikenden Mitglieder den Bahnhofsdienst fast täglich versah.

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Zu jener Zeit war ich Referendar am Amtsgericht eines Landstädtchens, etwa anderthalb Stunden Eisenbahnfahrt von meiner Vaterstadt D. entfernt. Ich hatte wieder einmal das Bedürfnis, meine kleine Änne wiederzusehen.

Änne nannte sich euphemistisch Schauspielerin; sie war auch tatsächlich gegen 60 Mark Gage am Stadttheater in K. angestellt. Zwar verdankte sie ihre Karriere weniger ihrem schauspielerischen Talente, als ihren wohlgeformten Beinen. Sämtliche Höschenrollen bis zu dreißig Worten lagen in ihrer Hand.

Sie war ein fesches, kluges Kerlchen, stets im Dalles und mir sehr zugetan.

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Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/117&oldid=- (Version vom 1.8.2018)