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einen nachhaltigen Eindruck aus, und das Leben und Empfinden des bäuerlichen Volkes wird noch mehr getroffen als das unsrige. In diesem Einfluß spiegelt sich die umfangreiche Sage von den Naturgeistern aller Art wieder. Regen und Nebel, Wind und Wetter begegnen uns in zahllosen Sagen und neben ihnen noch ganze Reihen anderer Naturerscheinungen und -Gegenstände, Steine, Pflanzen und Tiere. Gewisse Zeiten und Orte, wie Dachtraufe, Kirchhof, Kreuzweg und gewisse atmosphärische Erscheinungen, wie Märzenschnee, Weihnachts- und Maitau besitzen besondere Kraft. Sonne, Mond und Regenbogen werden in das sagenhafte Wesen einbezogen, um Wasser und Feuer sind besondere Sagenkreise gewebt. Noch heute glaubt man vielerorts an die heilende Kraft des Osterwassers.

Wind und Sturm sind zahlreich in der Mythe vertreten. In Hildburghausen hält man den Sturm in der Dreikönigsnacht für segensreich und öffnet ihm als Glück und Segen spendend Tür und Fenster. Als Opfergabe streut man dem Winde in der Gegend von Neukirchen und Etzelwang drei Hände voll Mehl mit den Worten hin: Wind oder Windin, hier geb ich dir das Deine, laß mir das Meine. In der Gegend der Weidaer Papiermühle erscheint der Wind als großes Untier; bei Stolzenhagen warf man ein Messer in den Küselwind und nachher fand man es bei einem Bäcker, der den Küselwind gemacht hatte; in Böhmen wirft man der Windsbraut, Melusina genannt, Äpfel und Nüsse in den Ofen, besonders in den Zwölfnächten, auch knallt man mit Peitschen, um sie zu vertreiben. Die Windin hat es besonders auf Männer abgesehen, sie ist schlimmer als der Wind.

Im deutschen Südwesten heißt der scharfe Nord- und Ostwind des Frühlings noch heute der Roß- oder Geißenschinder, wie in Böotien der Boreas im Februar zu Hesiods Zeiten der Rinderschinder hieß. Bei starkem Sturm sagen die mecklenburgischen Seeleute: nu hebben die Jungens den Sack wedder apen makt! und in Lippe sagt Man: niu es dat Lock do boben oll wier oppen! oder: sö könnt dat Lock nich wier tëu krüigen! Wird man dabei nicht an den Schlauch erinnert, in dem Äolus die Winde gefangen hielt? oder an den Windsack, nach dem der Neuling beim Dreschen in einigen Gegenden geschickt wird?

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Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)