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mich doch nicht von der Erde wegbringen. Das aber will ich euch sagen, daß dies ein köstliches fruchtbares Jahr sein wird, aber wenig Menschen werden es erleben. Sobald es diese Worte ausgeredet hatte, verschwand es. Die beiden Edelleute legten nebst ihren Dienern ihre Aussage bei dem Rate zu Chur nieder.

In Graubünden erzählt man[1], ein Bauer sei durch die Wiesen gegangen, habe sich der grünen Saat, der schneeblühenden Bäume, der freudeweinenden Reben erfreut, daß das Herz ihm warm worden und endlich unter den Ähren ein kleines hilfloses Kind liegend gesehen, das bittend sein Händchen gegen ihn streckte. Er habe es mitleidig aufheben und mit heim nehmen wollen, aber so schwer gefunden, daß weder er noch die Nachbarn es zu lüpfen imstande waren. Da glänzte es auf einmal wie Gold und sang: „Hast wohl vertrauet, hast wohl gebauet, gebaut auf Gott!“ worauf es gen Himmel schwand. Es war das Kornkind.

Schließlich noch eine Sage dazu aus dem Salzburgischen: „Im Jahre 1847, da auch der dürre Birnbaum auf dem Walserfelde am Untersberge wieder zu grünen begann, kam zu einem Bauersknechte ein Bergmännlein und winkte ihm zu folgen. Der Knecht willfahrte, und so führte ihn das Männlein auf einen Felsen, wo er abwärts schauend das Tal voll Soldaten sah. Sofort stiegen sie auf eine höhere Stelle, und von dort aus sah der Knecht das Tal voll Blut. Und endlich stiegen sie an einen dritten und höheren Ort; was er aber dort gesehen, das wollte er keinem Menschen anvertrauen“.

Zur Erklärung der Sagen sei kurz bemerkt, daß, soweit nachweisbar, im Zeitgeist und in den Zeitverhältnissen die Erklärung für „erneutes“ Auftreten gefunden werden muß. Die Sagen aus Anhalt und Salzburg sind mit dem Jahre 1848 verknüpft – die Salzburger Sage ist sicherlich beim späteren Aufzeichnen unbewußt ein Jahr vordatiert – jenem fruchtbaren Jahre, in dem der März fast schon zum Juni geworden war; es ging bekanntlich in jenem tollen Jahre drunter und drüber, und so treffen wir die Gedanken wieder, welche den roten Faden der Sagen bilden.


  1. Flugi bei Rochholz, Naturmythen I. S. 273.
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Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/48&oldid=- (Version vom 31.7.2018)