Seite:Die Sage-Karl Wehrhan-1908.djvu/45

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Äbtissin zu einem Ritter sagt, der seine Braut aus dem Kloster holen will: „Wird dieser Stab erblühen von dürrem Maulbeerholz, dann fruchten eure Mühen um dieses Fräuleins Stolz[1], und endlich ziehe man den bekannten Schwur des Agamemnon in der Ilias[2] zum Vergleich heran.

Auch unsere Hexenwelt findet in Indien eine vollständige Parallele, auch in Indien reiten die Hexen nach dem Volksglauben des Nachts nackt durch die Luft, halten hier ihre wilden Tänze und fahren zu einer Totenstätte, wo sie sich von Menschenblut sättigen oder mit den Toten, die sie wieder beleben, Buhlschaft treiben. –

Die Ausführung und die Motive der Sagen werden meist aus dem lokal oder historisch Naheliegenden genommen, d. h. aus Natur und Geschichte der Heimat, und deshalb variieren sie in den verschiedenen Ländern so sehr, wenn auch ihr inneres Wesen dasselbe ist[3]. In der Erinnerung des norddeutschen Landvolkes an allerhand mythische Bilder der Vergangenheit und an die Zeit des alten Rittertums ist der Hintergrund für die Entstehung der Sage von der Roßtrappe gegeben, nach der eine Prinzessin oder ein Ritterfräulein bei der Verfolgung den kühnen Sprung wagte, von welchem glücklichen Wagnis noch jetzt die Spur zeugen soll. Wenn in der Sage von dem Fußeindruck Buddhas auf dem Adamspick in Ceylon ebenfalls ein Wahrzeichen von einer großen Begebenheit auf unsere Zeit gekommen sein soll, so ist der Ausgangspunkt der Vorstellung hier wie oben derselbe, er liegt im Mythischen, Wunderbaren der Vorzeit, ohne das der Volksglaube nicht fertig werden kann. Beide Sagen sind dann poetisch-menschlich von dem angeblichen historischen Untergrund aus durchgeführt.


Literatur: Über die Verwandtschaft persischer und occidentaler Sagenstoffe und der ostasiatischen und neueuropäischen Volksmuse (Vossische Zeitung 1879 Nr. 37, 38). – M. Gaster, Beiträge zur vergleichenden Sagen- und Märchenkunde [S.-A. aus Grütz’ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 29, 30] Bukarest 1880, 1881. – F. Holthausen, Beiträge


  1. Simrock, Deutsche Sagen. S. 247.
  2. Ilias I, 233.
  3. Wilhelm Schwartz, Volkssage u. Volksglaube (Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen von L. Herrig. Bd. LXXV. 1886. S. 63–68).
Empfohlene Zitierweise:
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)