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ließ. Es kam zu einer Art Waffenstillstand, der jedoch nicht, wie gewöhnlich, auf Grund gegenseitiger Vereinbarung geschlossen wurde. Ich war freilich außerstande, eine Waffe zu erheben, sie aber war von vornherein zur Nachgiebigkeit geneigt, so daß eine Störung des Gleichgewichtes eintrat. Doch nichts verwirrte mich mehr, als daß die gegenseitige Spannung aufgehoben war, und selbst ihr friedliches Wesen mich weder reizte noch entwaffnete. Als es ihr nicht gelang, mich durch Freundlichkeit umzustimmen, geriet sie gleich mir in Verwirrung; aber sie drehte den Spieß nicht um. (Ich schien mich ihr zu versagen, während sie mir in Wahrheit unerreichbar blieb.) Da sie noch leidend war und keine Besuche empfing, gab sie zum Gerede allen Anlaß. Dies fiel ihr zur Last, doch nicht darum, weil ihre Einsamkeit noch nachträglich gestört wurde, vielmehr wollte sie an jene flüchtige Verirrung nicht erinnert sein.

III

Da meine ganze Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war, dachte ich nicht an mich, weil aber auch sie an mich nicht dachte, wurde ich an mein Schicksal erinnert. Ich erkannte sogleich, daß ich meine Angelegenheit zu der ihrigen gemacht hatte, denn hier ging es um niemanden als um mich, während sie sich längst außer Gefahr befand. Ohne Zweifel war ihr der Gedanke, daß eine vergangene und beschlossene Tat selbstherrlich fortwirken könne, fremd. Mir aber schien er fast ein Vorwand zu sein, da er meine eigene Zurückgezogenheit nur ungenügend erklärte. Ich trug ihr keinen Groll nach, weil sie mich zeitweilig vergessen und mir die Treue gebrochen hatte. Auch bemühte ich mich, ihr zu verzeihen, daß ich gezwungen worden war, ihr ein Gleiches zu tun. Ich hatte die Gesetze des Zufalls verspürt und mir ihre Logik nicht entgehen lassen. Dies alles überlegte ich nicht mit klarem Geiste. Ohne noch zur Besinnung gekommen zu sein, forderte ich über mein Verhalten Rechenschaft, in der Hoffnung, es würde sich als ungerechtfertigt erweisen. Dabei hatte ich so sehr die Übersicht verloren, daß ich jene Verstimmung für die Folge meines gestörten Denkens ansah, während es sich gerade umgekehrt verhielt. Daher glaubte ich nur den Fehler in der Rechnung aufdecken zu müssen. Auch zwang ich mich zur Selbstbeherrschung, da sie, die alles überwunden hatte, mich durch ihre Ruhe beschämte. Dadurch kam allerdings mein Irrtum zutage,

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Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)