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nur Mühe giebt, so wird es schon gelingen, annähernd einen Canon aufzustellen und die Unsicherheit, wenn nicht zu beseitigen, so doch einzuschränken. Im allgemeinen und auch in Puncto Schwachsinn dürfte der richtige Weg der sein, dass man nicht mehr vom Menschen schlechtweg spricht, sondern von bestimmten Menschenarten, dass man fragt, was kann man verlangen von diesem Alter, diesem Geschlechte, diesem Volke. Das normale Verhalten des Kindes ist bei dem Erwachsenen pathologisch, das des Weibes bei dem Manne, das des Negers bei dem Europäer. Vergleichung verschiedener Gruppen also ist die Hauptsache, denn nur so kann man erfahren, was von einem Gliede einer bestimmten Gruppe zu erwarten sei, nur so wird man verhüten, dass man einen Menschen dumm oder schwachsinnig nennt, weil er nicht das leistet, was irgend ein beliebiger Mensch leisten kann. Mit anderen Worten: Schwachsinn ist eine Relation und Schwachsinn schlechtweg kann nur bedeuten im Vergleiche mit Seinesgleichen. Darf man nicht das Glied der einen Gruppe an dem der anderen messen, so darf man doch die Gruppen selbst einander gegenüberstellen. Ein Eskimo, der nicht bis hundert zählen kann, ist als Eskimo nicht schwachsinnig, aber weil es so ist, ist der Eskimo als solcher schwachsinnig im Vergleiche mit dem Deutschen oder Franzosen. Wie ist es nun mit den Geschlechtern? Das ist wohl von vornherein sicher, dass die männlichen und die weiblichen Geistesfähigkeiten sehr verschieden sind, aber findet ein Ausgleich statt derart, dass die Weiber hier mehr leisten, die Männer dort, oder sind die Weiber im Ganzen genommen schwachsinnig im Vergleiche mit den Männern? Das Sprichwort ist der letzteren Meinung, denn es sagt: lange Haare, kurzer Verstand, die moderne Weisheit aber will nichts davon wissen, ihr steht der weibliche Geist zum mindesten dem männlichen gleich. Ein Meer von Tinte ist wegen dieser Dinge verbraucht worden und doch ist von Uebereinstimmung und Klarheit keine Rede. Die beste Zusammenfassung, die ich kenne, ist der 1. Theil des Buches von Ferrero und Lombroso,[1] der von dem


  1. Das Weib als Verbrecherin und Prostituirte; von O. Lombroso und G. Ferrero. Deutsch von Kurella. Hamburg 1894.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold , Halle a. S. 1903, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)