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wobei sie ja auch alles hätte verlassen müssen, den zweiten, nicht minder verhängnissvollen folgen zu lassen. Die Frage, ob sie sich nicht bei ruhigem Ueberlegen nach einiger Zeit anders besinnt, lässt der Dichter ja offen, und wenn ichs auch ganz gewiss nicht entschuldigen kann, dass sie ihre Kinder verlässt, ein Scheusal oder eine Geisteskranke ist sie darum noch lange nicht in einer Welt, wo täglich weit schlimmere Pflichtverletzungen vorkommen.

Was nun noch die von Herrn Dr. Möbius nur flüchtig gestreifte wirthschaftliche Seite der Frauenfrage betrifft, so möchte ich nur auf eins aufmerksam machen. Wenn eine Mutter ihre Tochter so erzieht, dass diese eine wahre Perle aller hauswirthschaftlichen Tugenden wird, so hat sie ihr damit noch lange keine Garantie für ein von pekuniären Sorgen freies Leben gegeben, denn wenn die Eltern kein Vermögen besitzen, die Tochter aber nicht zur Ehe gelangt oder gleichfalls einen vermögenslosen Mann heirathet oder bald als Wittwe zurückbleibt, so mag sie von früh bis spät wie eine Magd in ihrer Häuslichkeit arbeiten, ungeachtet des Sprichworts: „jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth“, bleibt ihre Arbeit dennoch ohne Lohn, bei einer Wirthschafterin oder einem Dienstmädchen ist es etwas anderes, nur die Arbeit der Hausfrau und Haustochter bleibt unbesoldet, ja, nicht einmal der moralische Lohn der Anerkennung und Hochachtung wird ihr in den meisten Fällen zu theil. Häusliche Arbeit gilt als untergeordnet und wird nur da bemerkt, wo sie fehlerhaft ausgeführt ist. Als Ernährer der Familie gilt nur der Mann, die Arbeit der Frau zählt nicht, und wenn sie auch das Zehnfache leistete wie er. Würde unter solchen Umständen wohl ein Mann auf die Dauer arbeiten wollen, und wenn er seinen Beruf auch mit glühendster idealster Hingebung liebte? Können daher liebevolle Eltern ein solches Los für ihre Töchter wohl so beneidenswerth finden? Thun sie da nicht besser, wenn sie die Töchter für einen Beruf ausbilden lassen, der sie für alle Fälle auf eigne Füsse stellt? Herr Dr. Möbius meint zwar, das Glück des Weibes beruhe gerade in der Gebundenheit und Abhängigkeit, da er aber unmöglich aus eigner Erfahrung sprechen kann, so ist sein Urtheil hierin wohl nicht kompetent. Sicher ist dagegen, dass es viel, unendlich viel Frauenschicksale giebt, in denen die Abhängigkeit von Eltern oder Verwandten oder einem brutalen Gatten wahrlich keine Quelle des Glückes ist, und dass es auch bei echt weiblich empfindenden Frauen ein Ding giebt, was man Selbstachtung und Ehrgefühl nennt, und welches jeden, auch den schwersten Beruf mit Freuden einer so demüthigenden Abhängigkeit vorziehen würde.

Solche Fälle, heisst es freilich, sind nur Ausnahmen, und solcher Ausnahmen wegen kann man nicht gleich alle Mädchen einen Beruf ergreifen lassen. Ja, ist es denn nicht auch eine Ausnahme, wenn jemandem das Haus abbrennt? Und doch wird kein vernünftiger Mensch es versäumen, sich für diesen Ausnahmefall zu versichern. Und Eltern sollten sich scheuen, ihre Töchter, die ihnen noch werthvoller sind als ihr Mobiliar, in gleicher Weise für alle Wechselfälle des Schicksals sicher zu stellen?

Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/106&oldid=- (Version vom 31.7.2018)