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Heinrich Schreiber: Das Suggenthal. In: Das Karlsruher Unterhaltungsblatt. 3. Jg. 1830. S. 93-99

diese fuhr auch augenblicklich auseinander, wie eine französische Deputirtenkammer, in eine rechte und in eine linke Seite. Jede wollte schon von Rechts wegen, um ihrer Stellung willen, ihre Meinung geltend machen, und unterstützte sie mit allen möglichen Gründen der Natur und der Kunst (nämlich der Kochkunst), der Oekonomie und sogar der Politik. Denn die äußerste linke Seite konnte es nicht bergen, daß in einem dieser Bad- und Gasthäuser ein gewisser vornehmer und schon darum serviler Ton herrsche, während in dem andern vom Keller bis zum Speicher, und vom Speise- bis zum Tanzsaale, die liberalen Prinzipien bereits Anerkennung und Aufnahme gefunden hätten. Je genauer der streitige Gegenstand erwogen wurde, desto verwickelter zeigte er sich und desto weniger fand eine Parthie sich geneigt der andern nachzugeben. Ohnehin hätte es die größte Schwäche verrathen, von seiner Meinung abzugehen, da das Hauptpanier beiderseits von einem Mädchen geführt wurde, welches zu den lieblichsten seines Geschlechtes gehörte, und nur den einen Fehler hatte, mit seiner Gegnerin von denselben Eltern abzustammen. Ich war in der peinlichsten Lage von der Welt, denn mir war die Einrichtung des Ganzen übertragen worden; ich hatte Frieden und Freude zu bezwecken gesucht, und nun flogen Augen- und Lippenpfeile rechts und links. Zwar war ich selbst noch nicht angegriffen worden, ich konnte nur so Manches nebenbei merken; aber doch mußte ich jetzt meine ganze Mitte zusammennehmen, um mich zwischen den Ultra’s zu behaupten, und begann also wie folgt:

„Die ganze Verhandlung, meine Geehrtesten! wie sie hier gepflogen wird, scheint mit gegen die Galanterie zu verstoßen, welcher wir doch alle huldigen sollen; es handelt sich nämlich hier um zwei Schwestern.“ Kaum hatte ich dieses Wort ausgesprochen so senkten sich plötzlich zwei Lockenköpfchen, die kaum noch so stolz hervorgeragt hatten, und über zwei schon ohnehin erhitzte Gesichtchen flog eine noch etwas dunklere Röthe. Die Augen der übrigen Anwesenden spielten unstät hin und her, und es kam mit vor, als hörte ich ganz im Stillen das beliebte englisch-parlamentische: hört, hört! und ich fuhr also schon etwas ermuthigt fort:

„Unstreitig handelt es sich hier um zwei Schwestern, und zwar um zwei sehr lobenswürdige, welche ganz die Huldigung verdienen, die ihnen von jeder Seite zu Theil wird; ich meyne nämlich das Suggenthal und das Glotterthal. Beide sitzen nämlich recht traulich ihrem guten alten Vater, dem ehrwürdigen Kandel, zu Füßen, und spenden des Segens und der Freude so viel, als ihnen möglich ist. Daß sie nebenbei nach Aussen einander den Rücken zukehren, daß die eine rechts, die andere links schaut, jede eifersüchtig auf ihre Anbeter ist, die ältere auf ihren Besitz, die jüngere auf den Erwerb zählt, soll uns dabei nicht irre machen; vielmehr sollen wir uns dadurch veranlaßt finden, auch gegen diese Schönen die Regeln des Anstandes zu beobachten, und nicht eine vor den Kopf zu stoßen, während wir der andern die Hand küssen. Ich schlage also vor, bei der einen den Kaffee zu nehmen, und uns von der andern mit einem Gläschen Glotterthäler bewirthen zu lassen, so wäre unser Streit ausgeglichen und wir führen unter den Panieren beider Damen weiter.“

Es wäre unpolitisch gewesen, einen lauten Beifall für meinen Vorschlag erwarten zu wollen, ich nahm daher das kurze Stillschweigen für Genehmigung, gab dem Kutscher einen Wink, und hinüber flogen wir, der rauschenden Elz entlang, der Enge und der ersten nämlich der Kaffeeschwester, dem Suggenthale zu. Das ich jedoch einmal das Wort hatte, und jedem ferneren Ausbruche des Kriegs zuvorkommen wollte, machte ich mir den Waffenstillstand zu Nutzen, und gab mein Mährchen zum Besten, das ich mir für einen solchen Fall zur Seite gelegt hatte. Hat, dachte ich, ein Mährchen, welches der große Demosthenes auf der Rednerbühne zu Athen vortrug, einige tausend Griechen zur Ruhe gebracht, warum sollte ich es nicht mit dem meinigen in einer kleinen deutschen Gesellschaft wagen, welche schon von den Ammen her eine besondere Vorliebe für diese Milchkost eingesogen hat. Also muthig mit dem kleinen Friedenstifter heraus.

„In uralter Zeit sah es mit dem Suggenthal ganz anders aus, als heut zu Tage. Mehr als sechzig Erzgruben wurden daselbst betrieben, und wundersam glänzte beim Lampenschimmer das Erz

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Schreiber: Das Suggenthal. In: Das Karlsruher Unterhaltungsblatt. 3. Jg. 1830. S. 93-99. Müller, Karlsruhe 1830, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Suggenthal.djvu/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)