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Dem Ende gehen folgende Zeichen voraus.

51 Ich flehte und sprach: Glaubst du, daß ich leben werde bis zu jenen Tagen? ’Was‘[1] wird in jenen Tagen geschehen?52 Er antwortete mir und sprach: Die Zeichen, nach denen du fragst[2], kann ich dir zum Teil sagen; über dein Leben aber dir etwas zu sagen, bin ich nicht gesandt[3] und weiß es selber nicht[4]. Die Zeichen aber sind[5]: Siehe, Tage kommen, da werden die Erdenbewohner von gewaltigem Schrecken[6] erfaßt,

’das Gebiet‘[7] der Wahrheit wird verborgen sein,
’und das Land des Glaubens ohne Frucht‘[8].

2 Da wird der Ungerechtigkeit viel sein, mehr noch, als du jetzt selber siehst, und als du von früher gehört hast. 3 Das Land aber, das du jetzt herrschen siehst, wird wegelose Wüste[9] sein; man wird es verlassen sehen: 4 fristet dir der Höchste das Leben, so[10] wirst du es nach dreien Zeiten[11] in Verwirrung sehen.

Da wird plötzlich die Sonne bei Nacht scheinen

und der Mond am Tage.
5 Von Bäumen wird Blut träufeln[12];
Steine werden schreien[13].
Die Völker kommen in Aufruhr,

die ’Ausgänge‘[14] in Verwirrung;

6 und zur Herrschaft kommt, den die Erdenbewohner nicht erwarten[15]. Die Vögel wandern aus[16]; 7 das Meer von Sodom bringt Fische[17] hervor[18] und brüllt des Nachts mit einer Stimme[19], die viele nicht verstehen, aber alle vernehmen[20].


  1. Aeth Ar¹.² quid, Lat Syr quis.
  2. Diese Frage ist in den Worten: „Was wird in jenen Tagen geschehen?“ enthalten; was in jenen Tagen (unmittelbar vor dem Ende) geschieht, ist dem Kundigen ein Zeichen, daß das Ende da ist; vgl. 9,1f.
  3. Das apokalyptische Judentum zeigt sich mehrfach von den beiden entgegenstehenden Interessen bestimmt: 1) von dem Wunsche, die Zeit des Endes möglichst genau zu erkennen, 2) zugleich von dem Eindruck, daß eine allzu genaue Kenntnis ein Eingriff in Gottes Rechte sein würde.
  4. Nichtwissen der Engel, speziell über Eschatologisches Mark. 13,32. 1 Petr. 1,12. Eph. 3,10.
  5. Die folgenden Zeichen sind nicht zeitgeschichtlich zu erklären, d. h. sie sind nicht aus bestimmten politischen Situationen zu verstehen, sondern aus der Geschichte der Religion, die solche Portenta als ersten Akt des großen Dramas erwartet. Nur V. 3 u. 4 betreffen eine geschichtliche Größe, nämlich das gegenwärtige Weltreich.
  6. ἔκστασις. vgl. 13,30, etwa מְהוּמָה.
  7. Aeth (Syr) territorium = ὅριον oder ὅρος, Lat (Ar¹) via = ὁδός v. Wilamowitz.
  8. Syr et sterilis erit terra fidei, vgl. Aeth Ar¹; vgl. Ap. Bar. 59,10 regio fidei.
  9. Lat incomposita vestigio (= στίβος?) wird die wörtl. Übersetzung des Originals sein; Syr et erit instabilis et non calcata glättet. Die griech. Phrase geht auf eine hebr. wie יְשִׁימוֹן־דֶּרֶך Ps. 107,4 zurück.
  10. et videbis, zur Konstr. vgl. 3,12.
  11. Lat post tertiam = μετὰ τὴν τρίτην, ergänze ἡμέραν Blaß; die Ellipse entspricht dem apokalyptischen mysteriösen Stil. Syr (eam quae post tertiam), Aeth (post tertium mensem), Arm (post tertiam visionem), vielleicht auch Ar¹ (post haec tria signa), lesen sämtlich denselben Text, freilich ohne ihn zu verstehen. Die drei „Tage“ sind die apokalyptische Geheimzahl, die dem Weltreich bis zu seiner Zerstörung gegeben wird; nach genauer Angabe sind es dreieinhalb Zeiten (Tage, Jahre); vgl. Gunkel, Schöpfung u. Chaos S. 268, A. 1; S. 269, A. 1. — Nach dieser Auffassung der schwierigen Stelle fügt V. 4 der Verheißung von V. 3 eine Zeitbestimmung hinzu. Gemeint ist das zur Zeit des Apokalyptikers herrschende Rom.
  12. Diese Stelle wird, wie es scheint, citiert Barn. 12,1: ὅταν ἐκ ξύλου αἷμα στάξῃ vgl. Bensly-James, S. XXVIIIf. — Der Gedanke ist auch dem deutschen Volke vertraut, vgl. Tell III, 3 „die Bäume bluten“ und erklärt sich ursprünglich daraus, daß man gewisse heilige Bäume beseelt denkt, nach Analogie menschlicher Leiber.
  13. Hab. 2,11.
  14. Der lat. Ausdruck scheint die wörtl. Übersetzung eines Wortes zu sein, das Syr (Ar²) aeres und Aeth stellae umschreiben; man lese egressus = ἔξοδοι = מוֹצׇאׅים, die „Ausgänge“ nach Ps. 65,9 die Himmelsthore, durch die die Sterne gehen und die Winde wehen, vgl. 6,1. Diese Ordnungen sind ewig fest Ps. Sal. 18,11ff.; gräßlich ist es, wenn sie sich verwirren.
  15. Der furchtbare Tyrann der Endzeit, der Antichrist.
  16. Den Vögeln traut die Antike ein vorausschauendes Feingefühl zu: sie verlassen die Stätte des Verderbens zur rechten Zeit: [360]
  17. [360]
  18. [360]
  19. [360]
  20. [360]
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/29&oldid=- (Version vom 30.6.2018)