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Caponia unmöglich in Abrede gestellt werden kann. Man sieht also, daß die Entwicklungsgeschichte hier auf einen toten Punkt gelangt ist, so daß die obige Frage nur durch andre Forschungen der Lösung näher geführt werden kann. Ich stimme Kautzsch bei, daß hier die biologische Betrachtungsweise in ausgedehnterem Maße eintreten muß, mit andern Worten, daß die biocentrische Forschung hier am Platze ist. Eine ausgedehnte physiologisch-ethologische Untersuchung kann ergeben, wie weit unter dem Einfluß der Lebensbedingungen die Selection den Bau eines Tieres zu ändern vermag und wo ein Rest bleibt, der phylogenetisch erklärt werden muß. Eine solche Betrachtungsweise habe ich in einigen Arbeiten über den Bau der Spinnen im allgemeinen eingeleitet[WS 1][1]. Ich bin überzeugt, daß dieselbe unter besonderer Berücksichtigung speziell der Atmungsorgane bei einem möglichst umfangreichen Vergleichsmaterial zu wichtigen Ergebnissen führen würde. Freilich erfordert eine solche Untersuchung die sorgfältige vergleichende Beobachtung der Lebensweise zahlreicher Formen, die bei uns in Deutschland nicht vorkommen. Nach dem, was wir zurzeit über die Lebensweise der Tiere wissen, ergibt sich, unter Berücksichtigung aller bisher vorliegenden Tatsachen, auch der embryologischen, meiner Ansicht nach folgender Schluß: Atmungsorgane sehr einfacher Art befanden sich ursprünglich bei den Spinnentieren an mehreren Segmenten des Vorder- und Hinterkörpers. Einige von diesen segmental angeordneten Organe schwanden, während die andern sich vervollkommneten. Der Schwund trat bei starker Reduktion des Hinterkörpers an diesem, im andern Falle am Vorderkörper ein. Die Vervollkommnung der Atmungsorgane bestand bei lebhaften Tieren in der Entwicklung eines reichen Röhrentracheensystems. Bei trägen Tieren wandelten sich die primären Atmungsorgane in Fächertracheen um. – Es ist dies im wesentlichen die früher allgemein und auch jetzt noch von zahlreichen Zoologen vertretene Ansicht. Nur die Homologie der Atmungsorgane


  1. Zool. Jahrbücher, Abt. Syst. Bd. 25. 1907. S. 339ff. und Nova Acta. Abh. Akad. d. Naturf. Bd. 88. Heft 3. Halle, 1908. S. 218ff. – Einen Angriff den meine Behandlungsweise in einer Lehrerzeitschrift (Monatshefte f. d. naturw. Unterr. Bd. 2. 1909. S. 451ff.) erfuhr, mußte ich, da mein Gegner zweimal meine Ausführungen sinnentstellt wiedergab (das zweitemal, nachdem ich ihn auf die erste Entstellung ausdrücklich hingewiesen hatte), als unwissenschaftlich zurückweisen (ebenda Bd. 3. 1910. S. 74ff und 180). Da die Redaktion der genannten Zeitschrift für den Gegner Partei nimmt, kann ich auch die Zeitschrift selbst als wissenschaftlich nicht anerkennen. – Die weitaus meisten wissenschaftlichen Zoologen stehen, wie ich, auf dem Standpunkt, daß sich aus den Tatsachen der Vererbung, der Veränderlichkeit und der Überproduktion an Keimen die natürliche Zuchtwahl als logisches Postulat ergibt. Die Selectionstheorie aber verlangt eine physiologische Betrachtungsweise. Daß diese mit der Teleologie des Mittelalters nicht das Geringste zu tun hat, ist schon des öftern nachgewiesen worden, und es bedarf deshalb in einer wissenschaftlichen Zeitschrift keiner weiteren Worte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eineingeleitet
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Dahl: Die Hörhaare (Trichobothrien) und das System der Spinnentiere. Wilhelm Engelmann, Leipzig 1911, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dahl_Trichobothrien_und_Systematik.djvu/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)