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wurde, entschloß man sich doch, seinem Wunsche zu willfahren. Die Stiftsherren beauftragten ihren Dechanten mit dem thätigen Kanonikus Vaick, nach Cleve zu reiten und dem Herzog die verlangten näheren „Informationen“ zu geben. Die Abgesandten kamen am 13. Mai zur Audienz, in der sie unterthänigst vorstellten, aus welchen Gründen, in welcher Absicht und in welch reiner Meinung sie den Leib ihres hochheiligen Martyrers durch die Stadt und dann zur Klosterkirche der Cistercienserinnen auf den benachbarten Fürstenberg tragen wollten, wie es auch vordem geschehen sei. Dann luden sie Seine Herrlichkeit (felicissima dominatio) ein, sich zu würdigen, ihre Mitwirkung zuzusagen und den Reliquienschrein eine Zeitlang auf ihren Schultern in der Procession zu tragen, wie es ihre Vorfahren im Jahre 1421 gethan hätten.

     Herzog Johann antwortete: „Die Sache gefällt uns und wir sind bereit, alles zu thun, was zum Lobe eures heiligen Martyrers und zum Ruhme eurer Kirche geschehen kann. Überlegt also mit unsern Räthen, wie ich dabei mitwirken soll, und macht die Sache mit ihnen ab.“

     Wir werden im weitern Verlaufe sehen, daß dieß die gewöhnliche Antwort der Fürsten jener Zeit in jener Gegend war, und daß dieselben regelmäßig mit solchen Worten ähnliche Bitten an ihre Rathgeber zu verweisen pflegten.

     Die geistlichen Herren von Xanten dankten dem Fürsten und begaben sich zum geheimen Kanzler des Herzogs. Diesen Ehrenposten bekleidete damals der Propst des Stiftes von Cleve, Hermann Braix, aus der freien Reichsstadt Aachen gebürtig. Er war nur Subdiakon; denn die Pröpste der Stiftskirche zu Cleve durften die Priesterweihe nicht empfangen, und noch im Jahre 1727 setzte der König von Preußen, als Erbe des Herzogs von Cleve, den letzten Propst, Heinrich Felix Freiherrn von Loe-Wissen, ab, weil er sich die Priesterweihe hatte ertheilen lassen. Der Herzog behielt durch ein solches Verbot die Propstei in seiner Hand, konnte sie an seine Günstlinge vergeben und durch seinen Propst großen Einfluß üben auf die zahlreiche Geistlichkeit seines Gebietes[1].

     Propst Hermann nahm den Dechanten von Xanten gut auf und versprach ihm, die Sache rasch zu erledigen. Er berief sogleich die Mitglieder des Staatsrathes und bat die Abgesandten der Victorkirche, über ihr Anliegen Vortrag zu halten. Heimerich entwickelte seinen Antrag

  1. Scholten, Cleve S. 220, 222, 225.
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Beissel: Die Victortracht des Jahres 1464 In: Die Bauführung des Mittelalters. Studie über die Kirche des hl. Victor zu Xanten. Freiburg im Breisgau: Herder, 1889, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beissel_%E2%80%93_Die_Victortracht_des_Jahres_1464.djvu/05&oldid=- (Version vom 31.7.2018)