Textdaten
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Autor: Karl Albert Regnet
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Titel: Im Münchener Hofgarten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 331-334
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Im Münchener Hofgarten.

Von Karl Albert Regnet.

Berlin hat seinen Hofjäger, Dresden sein Café Belvedere, Leipzig sein Café français, Wien seinen Cursalon und München seinen Hofgarten mit den Cafés Tambosi und Lutz.

Im Münchener Hofgarten fehlt allerdings der Blick auf die mächtigen Eichen des Berliner Thiergartens, auf den majestätischen Elbstrom mit seinen Dampf- und Segelbooten und auf dessen volkreiche Brücken und Quais, nicht minder auf die reizenden Rebengelände von Lößnitz, Loschwitz und Pillnitz; da fehlt auch der Blick auf den imposanten, vom Neuen Theater und städtischen Museum begrenzten Leipziger Augustus-Platz; da fehlt endlich die wagenreiche Ringstraße der alten Kaiserstadt an der „blauen“ Donau.

Aber auch der Münchener Hofgarten hat seine eigenthümlichen Schönheiten. Da sind die nach der Schnur gepflanzten Linden und wilden Kastanien, die zum Theil ehrwürdigen Alters sind und an die Tage des Kurfürsten Karl Theodor[WS 1] erinnern, der eine Zeit lang sich mit dem Gedanken trug, durch unentgeltlich zugängige Feste à la Vauxhall die Bewohner seiner neuen Residenz den rauchigen Bierschenken zu entfremden. Da ist die Façade des Festsaalbaues der königlichen Residenz, eine der imponirendsten in ganz Europa, bis man auf einen Theil des Prachtbaues den neuen geheimnißvollen Wintergarten setzte, dessen Reifengewölbe an Häßlichkeit in der weiten Welt ihres Gleichen sucht. Da sind in den Arcaden die Wandgemälde aus der baierischen Geschichte und die Deckengemälde über den weltberühmten Rottmann’schen[WS 2] italienischen Landschaften mit den nicht minder berühmten Distichen weiland König Ludwig’s. Wer das Glück hatte, die stillen Straßen Pompejis zu durchwandern, dem werden diese Wandgemälde Erinnerungen an jene einst so lebensfrohe Stadt des classischen Alterthums erwecken, wobei er freilich schließlich zur Ueberzeugung gelangen wird, daß die Wandgemälde Pompejis heute noch um ein Bedeutendes weniger schadhaft sind, als die bezeichneten historischen und Decorationsmalereien. Und was Rottmann’s wunderherrliche Fresken aus dem schönen Lande Italia betrifft, so kann sich Jedermann stündlich überzeugen, daß ihr völliger Untergang nur eine Frage der (nächsten) Zeit ist.

Leider bringt die Besichtigung der Scenen aus dem griechischen Befreiungskampfe, der mit der Thronbesteigung eines Wittelsbachers endigte, einige Gefahr mit sich. Vordem riskirte der Beschauer der in ungebührlicher Höhe angebrachten Peter von Heß’schen Bilder nur sich den Nacken zu verstauchen; jetzt muß er seinem Gotte danken, wenn er über seinem Kunstsinn nicht einen Fuß oder ein Bein bricht, wozu Hunderte von Löchern im Asphaltpflaster der Arcaden die schönste Gelegenheit bieten.

Und dazu stimmt harmonisch die ehrwürdige Tempelruine in der Mitte des Hofgartens, wenn sie sich auch mit dem Stil des letzteren nicht in Einklang bringen läßt.

Wer sich über Frühlings Anfang aus dem Kalender unterrichten will, ist übel genug daran; die Kalendermacher setzen selben bekanntlich mit der größten Ausdauer auf den 20. oder 21. März und scheeren sich den Teufel drum, wenn es sechs Wochen später noch schneestöbert, daß man die Hand vor der Nase nicht mehr sieht. Da sind wir Münchener besser dran; wir haben zwei ganz untrügliche Zeichen, daß es Frühling geworden.

Das eine ist: wenn Monsieur „Harmlos“ am Eingang in den Englischen Garten, der Bretterhülle entledigt, wieder die schöne Nacktheit seiner Glieder zeigt. Das andere: wenn vor den Cafés Tambosi und Lutz die nach langem Winterschlaf wieder hervorgeholten Tische und Stühle in langen Reihen aufgepflanzt werden.

Ja, dann sind sie in’s Land gekommen, die schönen Tage, von denen der Dichter[WS 3] singt:

„Die linden Lüfte sind erwacht;
Sie säuseln und weben Tag und Nacht
Und schaffen an allen Enden.“

Dann mag ein armer Teufel getrost seinen Paletot in’s Pfandhaus schicken und ein eleganter Kleiderkünstler seine weißen Beinkleider zurecht legen –

„Es muß sich alles, alles wenden.“

Es schwellen und platzen die braunglänzenden Knospen der Roßkastanien, und kleine junge Blätter gucken neugierig daraus hervor und in die Welt hinein. Und ihre Welt ist der Hofgarten mit den schönen und – unschönen Frauen, die sich auf den Stühlen vor den langgestreckten Arcaden niedergelassen haben und für ihre Gatten, Kinder und Kindeskinder unendliche Strümpfe und Söckchen stricken, Bretzchen und Hörnchen in den Kaffee tauchen, Kuchen essen und plaudern.

An Stoff dazu gebricht es selbstverständlich nie. Ist das hochwichtige Capitel vom Haushalte und den Anmaßungen und Ausschreitungen der Mägde glücklich abgethan, auch eine mehr oder minder scharfe Theaterkritik geübt, so bleiben noch immer eingehende Betrachtungen über den lieben Nächsten übrig, welche ein paar Stündchen in Anspruch nehmen.

Allerdings werden Tambosi (Dengler) und Lutz nicht, wie man nach Vorstehendem vielleicht glauben möchte, blos von dem schönen Geschlechte besucht, aber an den gewöhnlichen Wochentagen bleibt das starke daselbst entschieden in der Minderheit. Abgesehen von den Fremden, welche sich zur Sommerszeit, namentlich im ersteren Café, ein Stelldichein zu geben pflegen, fehlt es nicht an Stammgästen, die sich mit der Regelmäßigkeit einer Uhr zur bestimmten Stunde am bestimmten Tische einfinden, wie denn einer der letzteren nach den „bösen Zungen“ genannt zu werden pflegt.

Im Allgemeinen ist die Zusammensetzung der Gesellschaft eine ziemlich bunte. Es liegt das im süddeutschen Volkscharakter, der jeder Exclusivität abgeneigt ist.

Wer sich für Bevölkerungsstatistik interessirt, findet im Hofgarten gute Gelegenheit zu Studien: ein namhafter Theil der jungen Münchener beider Geschlechter wird im Hofgarten in die Welt eingeführt oder richtiger eingetragen und eingefahren, und mancher künftige Don Juan fühlt sich hier schon in hinten offenen Höschen zum ersten Mal von dem Ewig-Weiblichen angezogen.

Die eigentliche Hofgartensaison aber fällt in den Sommer. Dann stecken die Kastanien ihre weißen Blüthenbündel auf und streuen die blühenden Linden ihre berauschenden Düfte in die Luft, sie mit denen des Kaffees und der Cigarren vermischend, und die Herren Dengler und Lutz schauen schmunzelnd über den Plan. Und ist es vollends ein Mittwochnachmittag, dann sind die Tische schon um drei Uhr besetzt, und wer etwas spät eintrifft, der mag zusehen, wie er sich einen Stuhl erobere; denn am Mittwochnachmittag concertiren im Hofgarten dicht an den Cafés

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Im Münchener Hofgarten. Originalzeichnung von W. Grögler.

zwei Militärmusikcapellen unter den Linden und Kastanien, umgeben von Tausenden, welche lustwandelnd den lockenden Tönen lauschen.

Da sind alle Stände und Lebensstellungen vertreten. Hier schlürft die Frau Staatsministerin ihre Tasse Kaffee, wie zwei Schritte davon die Frau Kanzelistin oder Gerichtsschreiberin auch. General und Gemeiner folgen demselben Zuge des Schönen, und ein paar hochwürdige Herren gehen die nämlichen Pfade, wie die schmucke Handschuhnäherin, die heute früher Feierabend macht, oder wie auch das elegante Kindermädchen, das den Aeltesten ihrer Herrschaft an der Hand, den Jüngsten auf dem Arme spazieren führt. Junge Lieutenants verwerthen ihre strategischen Kenntnisse so glücklich, [333] daß sie der Flamme ihres Herzens bei jedem Rundgange um den Kreis der musicirenden Spielleute begegnen, mag auch die vorsichtige Frau Mama bald links, bald rechts abschwenken, und der Bruder Studio mit dem bunten Käppchen auf dem Krauskopfe versteht es, das hübsche Dämchen an seiner Seite so lustig zu unterhalten, daß es gar nicht aus dem Lachen herauskommt.

Zwischen den Tischen aber eilen im Schweiße ihres Angesichts dort schwarzbefrackte Kellner, hier elegant gekleidete junge Mädchen, blanke Kaffeekannen und Kuchenplatten in den Händen, und sind doch kaum im Stande, den stets sich erneuernden Anforderungen der Menge zu genügen.

Blumenmädchen, in nichts an ihre schönen Schwestern in [334] der herrlichen Arnostadt[WS 4] erinnernd, schleichen trübseligen Blickes von Tisch zu Tisch, und es gelingt ihnen nur selten, von ihrer duftenden Waare etwas abzusetzen; denn der Münchener liebt mehr das Substantielle.

Durch das Hofgartenthor aber rasselt, einen Piqueur vorauf, eine vierspännige geschlossene Karosse, aus deren Fenster eine imposante Gestalt dankend grüßt: es ist König Ludwig, der seine Spazierfahrt durch den Englischen Garten macht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Theodor (1724 – 1799), Kurfürst von Bayern
  2. ADB:Rottmann, Carl
  3. Ludwig Uhland: Frühlingsglaube in: Die Gartenlaube 1885/14
  4. Arnostadt: die Stadt am Fluss Arno, gemeint ist Florenz