Textdaten
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Autor: Friedrich Schleiermacher
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Titel: Ein Brief Schleiermacher’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 119
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[119] Ein Brief Schleiermachter’s. Nachstehender Brief, welcher – leider ohne Datum – durch die Güte einer entfernten Verwandten des großen Theologen in unsere Hände gelangte, stammt nachweislich aus der zweiten Hälfte des zweiten oder aus der ersten des dritten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts und wurde von Schleiermacher an einen ihm verschwägerten jungen Theologen gerichtet. Zum Verständnisse des Briefes schicken wir voran, daß der Adressat, welcher sich später um das praktische Schulwesen Preußens ein hervorragendes Verdienst erworben hat, gerade glücklicher Bräutigam geworden war. Zum Abdrucke des bisher noch nicht veröffentlichten Briefes veranlaßte uns der in demselben enthaltene schöne und echt männliche Anspruch Schleiermacher’s über die Berufserfüllung des Mannes und seine davon auch innerlich abhängige Stellung zum weiblichen Herzen. Der Brief lautet:

„Schon lange habe ich Ihnen danken wollen für das Vertrauen, das Sie mir bewiesen, und für die Art, wie Sie mich in Ihr Leben hineinschauen lassen. Nur weil ich gern ausführlich schreiben wollte, ist es immer unterblieben, und nun werde ich auch heute nur in wenige Worte zusammendrängen müssen, was ich Ihnen sagen möchte.

Die Art, wie sich Manches schon in Ihrem früheren Leben auf das Glück, dessen Sie sich jetzt erfreuen, bezieht, und wie Sie sich im Vergleich mit früheren Zuständen beruhigt fühlen, das muß Ihnen noch eine höhere Bürgschaft geben von der Wahrheit und Sicherheit desselben. Mir ist nun bei Ihrer Darstellung Etwas eingefallen, das ich nicht umhin kann, Ihnen mitzutheilen; daß nämlich doch nicht Alles, was früher in Ihnen unstät und unruhig war, sich auf dieses Bedürfniß des Herzens bezogen hat, und daß Sie sich leicht in ein tiefes Mißverständniß verwickeln können, wenn Sie sich ganz gestillt glauben. – Den Mann treibt in seinem Innern noch etwas Anderes; er muß einen Beruf haben, einen sichern Antheil am gemeinsamen Leben und Wirken, den er nicht nur betreibt um des Lebens willen, oder weil es so sein muß, oder untergeordnet neben und hinter einer andern Liebe her, sondern so ganz aus voller Seele, daß dieser Beruf sich nichts Anderem unterordnet, sondern alles Andere nur verschmilzt und aufnimmt. Ohne dies können auch die treuesten und reinsten Verhältnisse der Freundschaft und Liebe uns nicht ganz zufrieden stellen, ja, sie können nicht einmal bestehen; die Gefühle stumpfen sich ab oder nehmen einen weichlichen Charakter an, bei dem wir dann auch des weiblichen Herzens nicht recht werth sind, welches immer diesen Enthusiasmus des Berufes an uns über alles Andere schätzt, weil es nur so durch uns unmittelbar mit der ganzen Welt zusammenhängt. Ich wollte, Sie hätten mir darüber ein Wort gesagt, welches Ziel Sie sich in dieser Hinsicht für Ihr Leben gesteckt haben, und welches der Gegenstand Ihrer Bestrebungen und Ihres Eifers ist – oder wenn Ihnen darin die volle Klarheit und Wahrheit noch fehlt, so möchte ich Ihnen durch meine Worte einen Stachel einsetzen können, der Ihnen nicht Ruhe ließ, bis Sie auch Das gefunden hätten. – Sehen Sie darin nur die thätige und lebendige Hinneigung meines Herzens, und lassen Sie uns schon immer vorläufig näher bekannt werden bis eine günstige Zeit uns zusammenführt.“