Die Philosophen aus dem Uranus

Textdaten
Autor: (anonym)
Johann Gottfried Pahl
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Titel: Die Philosophen aus dem Uranus
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Erscheinungsdatum: 1796
Verlag: [Andrä]
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Erscheinungsort: Konstantinopel [i.e. Leipzig]
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Quelle: GDZ Göttingen und Commons
Kurzbeschreibung: Satire über die politischen, literarischen und moralischen Zustände von Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, Außerirdischen in den Mund gelegt
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[1]
Die
Philosophen
aus dem Uranus.


Freymüthige
Bemerkungen über den politischen, moralischen,
und literarischen Zustand von Deutschland.


Si quis extiterit, qui se se laesum clamabit, is aut Conscientiam, prodet suam, aut certe metum.

ERASMUS.     


Konstantinopel.
1796.


[3]
Der Herausgeber an die Leser.

Nachdem Herrschel den neuen Planeten entdeckt, und durch diese Entdekung unter den Astronomen Europens, eine allgemeine Thätigkeit veranlaßt hatte, ihn zu beobachten und durch die tiefsinnigsten Rechnungen, seine Größe, seine Entfernung und seinen Lauf zu bestimmen; so ward von ihnen auch die Behauptung, als ein sichres Resultat ihrer Bemühungen festgesetzt, daß man im Uranus nicht wisse, daß wir Erdbürger, mit allen großscheinenden [4] Armseligkeiten unsers Planetenballs existiren.

Indeß war diese Behauptung offenbar zu gewagt. Hätten sie die Astronomen mit der Einschränkung niedergeschrieben, daß die Existenz der Erde im Uranus unkannt seyn müßte, wenn nämlich seine Bewohner keine vollkommenere Werkzeuge zur Beobachtung entfernter Welt-Körper besizen, als wir; – oder wenn sie eben so fest an ihren Planeten geheftet wären, als die Bürger der Erde an den ihrigen: – nun dann hätte ihre Behauptung die höchste Evidenz gehabt; sie hätte ihrem Scharfsinn und ihrer Bescheidenheit gleich große Ehre gemacht, und sie wäre auch nicht, wie es wirklich geschah, durch den Erfolg widerlegt worden: deßwegen befanden sich diese Herren in einer [5] nicht geringen Verlegenheit, und machten gewaltig grose Augen, als vor ganz kurzer Zeit zween Philosophen aus dem Uranus mitten in Deutschland auftraten, und ihnen dadurch ad oculum demonstrirten, daß auch unser Planet von ihnen beobachtet worden sey, gerade so, wie der ihrige von uns.

In einem Stücke behielten aber die Astronomen unsers Erdballs doch Recht. Die Philosophen aus dem Uranus bekannten ihnen, daß sie unsern Planeten auf dem ihrigen nicht beobachtet hätten, und bewiesen auch die Unmöglichkeit, einen Körper, der so viel mal kleiner ist, als derjenige, der ihnen zum Wohnplatz angewiesen worden, in einer so ungeheuren Entfernung zu bemerken; „aber doch – fuhren sie fort – habt ihr zu oberflächlich und zu flüchtig geurteilt, und [6] die Menschen im ganzen Weltall für so schwach und eingeschränkt angenommen, wie ihr selbst seyd. Wie sehr ihr euch hierinn betrogen habt, lehrt euch nichts deutlicher, als unsre Gegenwart. Eure Erde ist ein unbedeutender Punkt im grosen Schöpfungsreiche, und doch wähnet ihr, daß die Natur den ganzen Reichthum ihrer Gaben, über euch ausgegossen habe, und daß ihr nirgends übertroffen werdet. Gewiß euere Anmasung könnte kaum größer seyn!

Einer der wichtigsten Vorzüge, den der Himmel den Uranusbewohnern vor den Bürgern der Erde gegeben hat, ist das Vermögen, aus ihrem Planeten in andre Welt-Körper zu wandern, die Sprachen ihrer Bewohner zu verstehen, und sich ihnen wieder in denselben mitzuteilen. Von diesem [7] Vorzuge machen besonders ihre Philosophen Gebrauch. Sie durchwandern dann ganze Systeme, und erstatten dann von ihren Bemerkungen ihren Königen, und dem wißbegierigen Theile ihrer Nationen, Bericht. Zween von diesen Philosophen Atabu und Elafu beobachteten während ihres Aufenthalts auf dem Jupiter, unsre Erde, und teilten diese wichtige Entdekung sogleich ihrem Könige mit. Dieser gab ihnen den schleunigen Befehl, sich ungesäumt reisefertig zu machen, und den neuen Planeten, dessen Existenz bisher auf dem Uranus unbekannt gewesen war, zu besuchen. Sie hatten den Auftrag, vorläufig nur eine Gegend der Erde zum Gegenstande ihrer Beobachtungen zu wählen, und dann, nach ihrer Zurükkunft, eine neue Gesandtschaft, die sich über den ganzen [8] Welt-Körper ausbreiten sollte, zu unterrichten.

Atabu und Elafu liesen sich gerade in der Mitte von Deutschland nieder, und fiengen hier an, ihre Beobachtungen über die Erde und ihre Bewohner zu machen. Vor ihrer Rükreise verfaßten sie ihren Bericht an den König, der in ihrer Sprache Kalefa genennt wird; ein Wort, das ein einzelner Ausdruk aus unserer Sprache nicht erschöpft. Denn es bezeichnet einen Mann, der durch Weisheit und Tugend über Andre erhaben ist.

Die Philosophen würdigten den Herausgeber ihres Berichts, während ihres Aufenthalts auf der Erde, ihrer besondern Freundschaft; und Elafu hatte sogar das Zutrauen zu ihm, daß er ihm den ersten [9] Entwurf ihres Aufsatzes als ein Geschenk zu seinem Andenken einhändigte. Zwar machte er sich dabey die Bedingung, daß ihn der Herausgeber sorgfältig in seinen Schrank verschliesen, und ja nicht in die Hände des Publikums kommen lassen sollte: denn er befürchtete, weil die Bewohner der Erde nichts weniger ertragen können, als Wahrheit, die ihre Eigenliebe beleidigt, – die Bekanntmachung desselben dürfte für seine Brüder, die nach ihm unsern Planeten besuchen sollten, unangenehme Folgen haben. Allein ich glaube mein Gewissen nicht zu beschweren, wenn ich das Wort breche, das ich ihm gegeben habe. Denn ich halte dafür, teils, daß sich die Verbindlichkeit der Geseze der Moral, die dem Erdbewohner vorgeschrieben sind, nicht bis auf [10] die Bewohner des Uranus erstrecke, – teils, daß diejenigen, die sich durch die Urteile der Philosophen, beleidigt finden, klug genug seyn werden, ihr Griesgramen so viel möglich in sich zu verschliesen, und sich nicht erst durch die öffentlichen Ausbrüche desselben zu verrathen. –


[11]
An Kalefa, König auf dem Uranus.

Wir haben uns des Auftrags entledigt, den du, groser Kalefa! uns ertheilet hast. Wir legen hier die Beobachtungen, die wir in einem der grösten, volkreichsten, und mächtigsten Länder der neuentdekten Planeten gemacht haben, in tiefster Ehrfurcht vor deinem Throne nieder. Nichts ist uns schmeichelhafter als dein Beifall, und das Zeugniß – wenn es dein Mund ausspräche – [12] daß durch unsre geringen Bemühungen, die Kenntniß des unermeßlichen Reiches der Schöpfung etwas gewonnen habe. Zwar war es uns, bei der Kürze der Zeit, die uns zu dieser Entdekungsreise eingeraumt ward, unmöglich, etwas mehr als blose Bruchstücke zu liefern. Denn tiefe, und umfaßende Blike aufs Ganze, erfordern einen anhaltendern Fleiß, als wir, wenn wir deinem Befehl gehorsam seyn wollten, nicht anwenden konnten. Indeß haben auch fragmentarische Beoachtungen ihren grosen Werth, wenn sie nur richtig sind, und werden nicht selten die Veranlassung zur vollständigen Kenntniß der Sache, auf die sie sich beziehen. – Wir werden übrigens mit all’ der Freymüthigkeit erzählen, die Kalefa so sehr zu schätzen weiß, und die wir uns zur gedoppelten Pflicht machen, einem Fürsten gegen über, der zu weise und zu gerecht ist, als daß sich die Wahrheit vor ihm in einen Schleyer verhüllen dürfte. Zwar kann es an sich keinen Fürsten auf dem Uranus beleidigen, wenn man ihm die Widersprüche, die Inkonsequenzien, und [13] die Thorheiten erzählt, die dem Beobachter so haufenweise auf der Erde aufstoßen. Aber auf dem indirekten Wege, könnte doch der Erzähler für seine Ehrlichkeit und Treue den peinlichsten Lohn erndten, wenn seinen Nachrichten der Stempel der Aehnlichkeit mit den Begebenheiten in seinem eignen Kraise zu deutlich aufgedrukt wäre. Doch dieser Fall mag überall eintreffen, nur in dem Reiche des Kalefa nicht.


I.

Wir kamen gerade im schönsten Monate des Jahres, wo die Natur in ihrem lachendsten Gewande erscheint, und mit aller Schönheit pranget, die ihr der Schöpfer gegeben hat, auf der Erde an. Wir überließen die Richtung unsers Zuges ganz dem Zufall, und dieser führte uns denn in dasjenige Land, dessen Bewohner seit Jahrhunderten immer eine der ersten Rollen auf dem Erdtheater gespielt haben, – nach Deutschland. So ziemlich im Mittelpunkte dieses grosen und schönen Landes mochten wir die Erde berührt haben. Es [14] war ein schöner heitrer Morgen, als wir aus unserm Kahn traten, und eine ziemlich grose Stadt lag vor unsern Augen. Die Gegend umher, war mit allem Reize der Natur und der Kunst geschmückt, und die Straßen waren auf allen Seiten mit Menschen und Thieren besäet. Wir mischten uns unter sie, und zogen mit ihnen durch die Thore ein.

Es wäre unmöglich – und zugleich auch unserm Zwecke zuwider – die mannigfaltigen Eindrücke, die so viele neue Gegenstände auf uns machten, zu beschreiben. Wir befanden uns hier im eigentlichsten Sinn in einer andern Welt, wo beynahe alles mit den Sitten und Gebräuchen unsers Planeten im auffallendsten Kontraste stand. Wir waren kaum zu dem Thore hineingegangen, als sich uns sogleich die angenehme Bemerkung darbot, daß wir uns unter einem thätigen, industriösen und gewerbsamen Volke befinden. Denn alles war in Bewegung und geschäftig; unter dem Menschengewühle begegneten uns sehr viele Leute mit Werkzeugen zur Verfertigung der mannigfaltigsten Kunstprodukte, [15] Lastträger und Verkäufer, und auf allen Straßen tönte das Geräusch der Wägen, auf denen Kaufmannsgüter hin und her geführt wurden. Ueberall fielen uns die Zeichen des Reichthums, des Ueberflusses, und des Luxus auf – stolze Palläste, schöne Brücken, geschmakvolle Karossen, und ein auf dem Uranus ungewöhnlicher Pracht an Kleidern und Schmuck. – Eine Art von Verzierung des Kopfes fiel uns als äuserst sonderbar auf, indem Männer und Weiber die Hare in krause Locken wickeln, und dergestalt mit Meel bestreuen, daß die natürliche Farbe derselben ganz verdeckt wird. Diese Beobachtung veranlaßte zwischen uns beyden einen sehr lebhaften Streit. Denn Elafu hielt diese weise Farbe der Hare für natürlich; Atabu aber für erkünstelt, und letztrer hatte das Vergnügen, von einem Erdbewohner selbst, bei dem wir über diese wichtige Angelegenheit Erkundigung einzogen, den Streit zu seinem Vortheil entschieden zu sehen.

Wir stellten uns auf dem Marktplatze der Stadt, auf die Stufen, die zum Hauptthore [16] eines alten, grosen Tempels führen, und fuhren auf diesem erhabenen Standpunkte fort, das Menschengewühl zu unsern Füsen zu beobachten. Hier erst – und das war in der That sonderbar – fiel uns die kleine Statur der Erdbewohner auf. Zwar sind ihre Körper in Absicht auf die Form, genau so gebaut, wie die unsrigen, aber so schwächlich und zusammen geschrumpft, wie die Körper unsrer Zwerge. So sehr wir ihre Schwäche bewunderten, so sehr bewunderten sie unsre Gröse, und wir hörten sie hie und da zu einander sagen: „sehet, zween Riesen aus einem fremden Lande!“ – Die mannigfaltigsten Gestalten giengen vor dem Standpunkte, den wir gewählt hatten, vorüber. Da kamen Männer in schwarzen Talaren mit weissen Rädern um den Hals, und ungeheuren Harlocken, die bis auf die Hälfte des Rükens hinunter hiengen; – andere mit schwarzen Mänteln und kleinen Schwerdtchen an der Seite, und einem ähnlichen Kopfputz, nur daß die Hare hinten in kleine schwarze Beutelchen zusammen gebunden waren; – junge Herrn mit runden Hütchen, [17] im leichten Gewande, und, in dieser schönen Jahrszeit, mit Handschuhen gegen die Kälte geschützt; – Damen, deren Kopfputz genau die Form und die Gröse eines Bienenkorbes hatte, und die mit ihren langen Röcken, bei jedem Schritte eine Staubwolke hinter sich erhuben; – ja einige Leute wurden gar in kleinen ledernen Häuschen getragen, eine Bequemlichkeit, die so sonderbar läßt, daß wir beide in lautes Lachen darüber ausbrachen. – Ein ganzer Trupp bewaffneter Männer kam über den Platz herangezogen. Sie waren sehr niedlich gekleidet, und schienen nach einem festen Takt einher zu schreiten. Auch ihre Hare waren mit Meel bestreut, und auf ihrem Anzuge herrschte eine Pünktlichkeit und eine Reinigkeit, wie man sie kaum an den Gallatägen der Höfe auf dem Uranus findet. Ein Knabe, eben so gekleidet wie sie, trat stolz vor diesen Männern her, und schien ihr Befehlshaber zu seyn: „Das sind unsre Helden!“ – raunte dem Atabu ein neben ihm stehender Bürger ins Ohr. – Helden? – erwiederte Atabu, und – ließ es gut seyn. Auf dem Markte liefen viele eckelhafte, schmuzige, [18] und ärmlich aussehende Leute mit langen Bärten umher, und zeigten sich in allerhand Arten von Handlungsgeschäften äuserst thätig. Etliche von ihnen kamen zu uns auf die Treppe, und drangen mit der ungestimmsten Unverschämtheit in uns, daß wir ihnen allerhand Kleinigkeiten abkaufen sollten. Wir mochten ihnen sagen, was wir wollten, sie liessen nicht ab; und giengen diese, so kamen immer wieder andere. – Noch zudringlicher als sie, war eine andre Art Menschen in zerlumpten Kleidern, welche schlechterdings Geschenke von uns haben wollten. Auch diese achteten all’ unsrer Demonstrationen nicht, und setzten uns in so grose Verlegenheit, daß wir die Stufen des Tempels verliesen, und uns in das Haus begaben, in dem wir durch die Vermittlung eines der obgenanten Helden, der sich uns – wie sonderbar? – zum Lehnlakay anbot, Herberge gefunden hatten.


II.

Wir erklärten unserm Lehnlakay, wie sehr wir uns dadurch geehrt finden, daß ein [19] Verteidiger des Vaterlandes, – ein Glied des ersten Standes im State, sich die Mühe gäbe, uns Fremdlingen Bekanntschaft und Bequemlichkeit in seinem Wohnorte zu verschaffen. Der gute Mann schien unsre Versicherungen nicht mit dem Ernst aufzunehmen, mit dem wir sie ihm ertheilt hatten. Wir glaubten deßhalb Ursache zu haben, sie zu wiederholen, und sie ihm mit noch verbindlichern Ausdrüken, aufs neue zu erteilen. Erst auf das wies er uns zu rechte, und sagte uns: „Die Herrn scheinen aus einem fremden Lande zu seyn, wo der Stand der Soldaten vielleicht geehrter und reicher ist, als in dem unsrigen. Sie müssen aber wissen, daß in Deutschland die Soldaten gerade die ärmste, gedrükteste, und verachtetste Menschenklasse ausmachen, und daß ich sie gar nicht aus Wohlwollen oder Artigkeit bediene, sondern blos um der kleinen Belohnung willen, die ich von ihrer Güte erwarten zu dürfen glaube.“

[20] – „Was? – fiel ihm hie Elafu ein, die Vertheidiger des Vaterlandes, die Blut und Leben für die Ehre des Fürsten und für die Ruhe des Bürgers wagen, die sollen gerade die ärmsten, gedrücktesten, und verachtetesten Menschen in eurem Lande seyn? – was ich unbegreiflich finde! –“

Nun war der Mann unerschöpflich in der Schilderung des Elends seines Standes. „Es ist, sprach er, unter der ganzen Armee unsres Fürsten nicht ein Mann, der aus Neigung und Leidenschaft dient. Alle wählten eine andre Lebensart, wenn man uns nicht durch den härtesten Zwang in dem Kraise erhielte, in den man uns gröstenteils mit Gewalt hineingerissen hat. Unsre Löhnung ist so gering, daß wir uns bei ihr, wenn wir uns neben ihr nicht andre Nahrungsquellen öffneten, unmöglich des Hungersterbens erwehren könnten. Buben, die kaum erst der Schule entlaufen sind, macht man zu unsern Befehlshabern, weil sie der Zufall entweder mit einer glänzenden Geburt, oder mit grosen Reichthümern begünstigt hat. Diese [21] machen sich’s zum Geschäfte, allen Muthwillen und alle Grausamkeiten, wozu die rohe Jugend am meisten aufgelegt ist, an uns auszuüben. Die Geseze, die uns vorgeschrieben sind, geben unsern Vorgesezten Schuz, bei allen Mißhandlungen, die sie sich gegen uns erlauben, und sagen ausdrüklich, daß wir uns erst dann über sie beschwehren dürfen, wenn wir das Unrecht, das sie uns zufügen wollen, schon erlitten haben. Bei dem geringsten Exzesse werden wir blutrünstig geschlagen, oder gar mit Ruthen auf den blosen Rücken gehauen, bis Haut und Fleisch auf die Erde fallen. Nur mit äuserster Mühe wirken wir die Erlaubniß aus, nach dem Rufe der Natur uns zu verheuraten, und haben wir sie erhalten, so bereiten wir uns gewöhnlich ein noch gröser Unrecht, und unsre Weiber und Töchter werden unsern Vorgesezten preis. – Doch – lassen Sie mich aufhören, meine Herrn! ich hab’ Ihnen genug gesagt, zum Beweise meiner Behauptung, daß in unserm State, kein Stand ärmer, [22] gedrückter, und verachteter sey, als der Stand der Soldaten!“

Schweigend sahen wir uns an, und fanden die Versichrungen des armen Mannes immer unbegreiflicher. Es dünkte uns schlechterdings nothwendig, daß unter einem Herrn, dessen Glieder mit der bittersten Armut ringen, und auf eine so unmenschliche Weise mißhandelt werden, aller Patriotismus und alle feinern Gefühle von Ehre und Tugend erstickt, der Mut am Tage der Schlacht gelähmt, und Treulosigkeit und Haß gegen die Vorgesezten erzeugt werden müsse; – und unsre Vermutung ward zum Theil von ihm bestättigt. Gehts ins Feld – fuhr er fort – so lauft freylich alles davon, was Gelegenheit zum Ausreissen hat, und es ist nichts seltnes, daß die Officiere von ihren eignen Leuten, aus Rache erschossen werden. Demohngeachtet hat unser Heer bisher als eines der tapfersten auf der Erde geglänzt. Denn die ganze Art Krieg zu führen, ist bei uns so beschaffen, daß es bei weitem nicht so wohl auf den persönlichen Muth des gemeinen Mannes, als auf [23] die weise Anordnungen der Vorgesezten ankommt, und man gewinnt Schlachten, während der Hälfte des Heers die Flucht viel lieber wäre, als der Sieg. Da ist eine Schaar gemeiner Streiter weiter nichts, als eine Maschine, die sich ohne Selbstthätigkeit, ganz mechanisch, nach dem Winke ihres Befehlshabers bewegt.

Die lezten Bemerkungen lösten einen grosen Theil unsrer Zweifel. – Wir sagten dem gutmütigen Helden, wie die militärische Verfassung in unserm Lande durch die Weisheit und Milde unsers großen und guten Kalefa, eine ganz andre Einrichtung erhalten habe, und wie durch sie, unser Heer nicht nur stark und tapfer, sondern im eigentlichsten Sinn, unüberwindlich geworden sey. So fest wir ihn auch überzeugt sahen, daß derjenige Staat am besten beschüzt sey, zu dessen Verteidigung jeder waffenfähige Bürger bereit stehe, und wo eine grose Anzahl, gut belohnter und geehrter Männer, die mit dem reinsten Patriotismus noch den unerschütterlichsten Muth und die geprüfteste Erfahrung verbinden, den [24] Gang der Unternehmungen leiten, – so bewies er uns doch mit sehr vielen gewichtigen Gründen, daß diese Einrichtung in Deutschland so bald noch nicht anwendbar seyn dürfte, und erinnerte uns dadurch aufs neue, daß wir unser Glück, Bürger in dem Reiche des Kalefa zu seyn, bei weitem noch nicht genug kennen und schäzen.


III.

Unterdessen war der Besizer des Hauses, in dem wir Herberge genommen hatten, von dem Rathhause der Stadt zurückgekommen, auf dem er eine Stelle bei der Rechenkammer begleitet. Er sagte uns eine Menge angenehmer und verbindlicher Dinge, und wußte uns die Absicht unsrer Reise auf eine sehr feine Art abzulocken. Der Mann schien den wärmsten Patriotismus für sein Vaterland zu fühlen, und machte uns, in dem zuversichtlichsten, selbstgefälligsten Tone, die schönsten Schilderungen von dem Zustande desselben, nur blieb uns einiges in seinen Lobsprüchen dunkel, und manches stellte er als den glänzendsten Vorzug [25] dar, bei dem wir, weil es Vernunft und Recht laut und dringend fordern, auf dem Uranus gleichgültig vorüber gehen würden. Er sprach viel mit Enthusiasmus von der Aufklärung seiner Nation und seines Zeitalters, und rechnete diese Aufklärung den Deutschen zu ihrem grösten Verdienste an, das sie auf eine sehr vortheilhafte Weise vor allen andern Völkern ihres Planeten, auszeichne. Dieser Ausdruk war uns neu, und schien uns desto bemerkenswerter, da der redselige Mann einen so ausserordentlichen Werth auf denselbigen legte. Wir waren daher äusserst gespannt, eine genaue, runde, und deutliche Bestimmung desselben, von ihm zu vernehmen, die er uns aber nicht zu geben vermochte, und aus seinen Reden selbst, konnten wir sie auch nicht ableiten, weil er mit dem besagten Ausdruck keinen festen Begriff verband, und ihn bald für umfassende Erkenntniß, bald für Freiheit von gemeinern Vorurtheilen, bald für Freigeisterei, bald für Empörungssucht, bald gar für sittliche Zügellosigkeit, zu nehmen schien. Eben so verwirrte [26] er uns, als er von Toleranz und Preßfreiheit sprach, – Ausdrücke, die wir auf dem Uranus nicht kennen, weil in der Masse unsrer Ideen, die Begriffe fehlen, die sie bezeichnen. Toleranz heißt nämlich die Duldung eines jeden Bürgers im Stat, ohne Rücksicht auf seine religiösen Ueberzeugungen, – und Preßfreiheit, die Erlaubniß alle Resultate des Forschens über Gegenstände der menschlichen Erkenntniß, laut vor dem Publikum zu sagen; – und dieß, daß man in Deutschland jene Duldung übe, und diese Erlaubniß jedermann gestatte, – rechnete er seiner Nation zur grösten Ehre, und zum sichersten Merkmal ihres hohen Kulturzustandes an. Der Mann konnte sich nicht in unsre Verwunderung über die Sonderbarkeit seiner Lobsprüche finden, und geriet in eine sichtbare Bestürzung, als wir ihm rund und frey erklärten, jene Duldung und diese Freiheit, scheinen uns dieses Posaunentones gar nicht wert zu seyn. Denn, fuhren wir fort, der Schuz des States und der Genuß der bürgerlichen Rechte, sey von den religiösen Ueberzeugungen des Menschen [27] ganz unabhängig, und die Bekanntmachung der Resultate des Forschens der Vernunft, sey ein so natürliches Recht des Menschen, daß es nur der abscheulichste Despotismus oder die finsterste Barbarey wagen können, es anzutasten. – „Ja, sezte Atabu hinzu, einen Stat wegen der darinn herrschenden Toleranz und Preßfreiheit mit Lobsprüchen krönen wollen, kommt mir gerade so vor, als wenn jemand sein Vaterland über das grose Glück priese, daß man darinn frey athmen dürfe. Denn nach Ueberzeugung zu glauben, und seine Ueberzeugungen laut zu sagen, ist ein eben so unveräusserliches Recht der Menschheit, als das Recht frey zu athmen.“ – „Und – bemerkte Elafu, es deucht mir, man habe euch Deutschen diese Rechte etwa schon einmal genommen, weil ihr mit dem Besize derselben so viel Aufhebens macht. Denn gewöhnlich bleiben wir gegen die vortreflichsten Gaben der Natur gleichgültig, und fühlen ihren Werth bei weitem nicht ganz, so lange wir ruhig im Besize derselbigen gelassen werden. Aber haben wir sie einmal verloren, so sehen [28] wir erst ein, wie sehr sie uns beglückt haben, und erhalten wir sie dann wieder, so tritt in die Stelle der vorigen Kälte und Gleichgültigkeit, die höchste Freude und die innigste Werthschäzung des wieder erlangten Gutes.“

Diese kräftigen Widersprüche versenkten den redseligen Mann plözlich in ein tiefes Stillschweigen. „Kommen Sie, unterbrach er es endlich, kommen Sie, meine Herrn! ich will sie zu einem meiner Hausgenossen führen, der ein gelehrter Mann und ein berühmter Schriftsteller ist; mag der die Sache unsrer Nation verteidigen! – Ha – sprach Atabu, – ein Schriftsteller! wir wünschen uns Glük, ihm so nahe zu seyn. Aber merken Sie, ein Schriftsteller, nach den Begriffen unsres Landes, berechtigt zu grosen Erwartungen!“ – „Gewiß, Ihre Erwartungen werden nicht getäuscht,“ fuhr er fort, und hieß uns ihm nachfolgen.


IV.

Es gieng durch eine lange Wendeltreppe hoch hinauf bis unters Dach. Wir traten [29] in ein kleines, dürftiges Stübchen, das auf allen Seiten, statt der Tapeten, mit Büchern ausgeziert war. Ein groses Pult, ein par hölzerne Stühle, und ein zerbrochener Krug verkündigten die eingeschränkten Bedürfniße des Bewohners. Auf dem Kamin lag eine Menge weißer, langer Röhren, am Ende mit runden Köpfchen, die alle mit Asche angefüllt waren, und zu chymischen oder physikalischen Versuchen zu dienen schienen. Ein kleines Männchen, in einem weiten Schlafrok eingehüllt, und mit einer härenen Müze – eine in Deutschland sehr gewöhnliche Art von Kopfpuz – bedeckt, sprang bei unserm Eintritt vom Schreibpulte auf, und versicherte uns mit tausend Bücklingen, wie sehr er sich freue, uns bei sich zu sehen. Der mißliche Eindruk, den die dürftige Dachstube, und die kleine ärmliche Zwergfigur auf uns gemacht hatte, ward noch vergrösert, als uns das Männchen sogleich, ohne Veranlassung, mit seinen schriftstellerischen Geburten und Planen bekannt machte, und von sich selbst in [30] einem Tone sprach, als wenn sein Name im ganzen Reiche der Schöpfung bekannt wäre. Elafu, selbst Schriftsteller, und folglich aus eigner Erfahrung mit den Schwachheiten seiner Zunftgenossen bekannt, und aus eben dieser Erfahrung überzeugt, daß nichts für einen Schriftsteller beleidigender ist, als wenn er hören muß, daß nur ein Mensch auf Gottes Boden irgend eines seiner Produkte nicht kenne, – Elafu – entschuldigte sogleich unsre Unbekanntschaft mit den Schriften unsres Mannes auf eine ziemlich annehmliche Weise, mit der Entfernung unsers Vaterlandes von dem seinigen, und sezte noch das Kompliment hinzu, daß uns, so bald wir die Gränzen Deutschlands betretten haben, der Ruhm seines Namens entgegen gekommen sey, und daß uns dieser grose Ruf seiner Gelehrsamkeit veranlaßt habe, ihn um seinen Rath über die Einrichtung unsrer Wandrungen auf der Erde, zu bitten.

„O wie bedaure ich’s, fiel hier das Männchen ein, in dem er sich zum Zeichen [31] seines Aergers mit geballter Faust vor die Stirne schlug, – wie bedaure ich’s, daß Sie nicht ein par Monate später gekommen sind! Sehen Sie, da hab’ ich eben eine Reisebeschreibung durch Deutschland in der Arbeit, und die wäre für Sie der sicherste Führer auf ihren Wandrungen gewesen. Sie umfaßt in gedrängter Kürze alles Interessante, was unser Vaterland enthält, und stellt die Quintessenz alles dessen dar, was die neusten Reisenden, Geographen, und Statistiker über Deutschland gesagt haben.“

„Sie ist also nicht eigentlich Darstellung Ihrer eignen Beobachtungen?“ – unterbrach ihn Elafu.

„Nichts weniger, fuhr das Männchen fort; – ich habe mich auch in meinem ganzen Leben keine sechs Meilen aus meinem Mittelpunkt bewegt.“

„Also wäre, versezte Elafu, die Reisebeschreibung eine kleine Täuschung?“

„Ja! – sagte das Männchen; – oder wenn Sie lieber wollen, ein frommer Betrug. Sehen Sie, wir Schriftsteller müssen [32] uns nach dem Geschmak unsrer Leser richten, sonst sezen wir unsre Produkte nicht ab, und arbeiten vergeblich. Gegenwärtig sind Reisebeschreibungen die Lieblingslektüre der Lesewelt. Da sammle ich denn die Materialien aus andern Schriften, und ordne sie so an, wie sie etwa einem Reisenden aufstosen würden, und damit ist das Buch fertig. Das Publikum erhält Unterhaltung und Belehrung, – der Schriftsteller seinen Lohn, und beyde Theile sind befriedigt.“

„Es scheint demnach, bemerkte Atabu, daß Schriftstellerey eine Art von Gewerbe auf eurem Planeten ist?“

„Allerdings; erwiederte das Männchen mit der härnen Müze, – nur ist unser Gewerbe das grundehrlichste, und das gemeinnüzigste (beydes, dachten wir, läßt sich noch bezweifeln) das man treiben kann: denn wir vereinigen immer mit unserm Vortheil den Nuzen des Publikums, und sättigen unsern Leib, während wir unsern Lesern Nahrung für den Geist verschaffen. Leyder aber ist unser Gewerbe bei weitem nicht mehr so einträglich, [33] als es vor Zeiten war. Es haben sich zu viele Stümper in unsre Innung geschlichen, und wie es allen Manufakturisten geht, so geht es auch uns; je mehr sich die Menge ihrer Waare vergrösert, je tiefer fällt ihr Preis. Ich kann mich gar wol der schönen Zeit noch erinnern, da mir der gedruckte Bogen mit einem neuen Louisd’or bezahlt wurde; aber nun muß ich alle Triebwerke in Bewegung sezen, bis ich nur einen Thaler von meinem Verleger erbettle. Natürlich müßte man bei diesem Spottgelde hungern, wenn man die Kunst nicht verstünde, mit weniger Mühe viele Bögen zu füllen. Sehr leicht entschädigt sich ein Meister in der Kunst gegen die Niedrigkeit des Preises, durch die Menge der Waare, die er liefert.“

„Ein feiner Zunftgenosse!“ raunte Atabu dem Elafu in der Sprache des Vaterlands ins Ohr. Dieser war aber viel zu sehr entrüstet, als daß er im Stande gewesen wäre, mit dem Einwurf an sich zu halten, daß die Produkte eines Schriftstellers nothwendig in dem Maase an innerm Wert verlieren müssen, in welchem die [34] Zahl derselben vergrösert wird. Es war aber dem kleinen Männchen ein leichtes, diese Bedenklichkeit hinwegzuweisen. „Es ist, bemerkte er lächelnd, um den innern Wert der Bücher so eine eigne Sache. Ich halte dafür, daß man von keinem Buch im Allgemeinen sagen kann; es ist gut, oder schlecht, denn ein jeder Schriftsteller findet für sein Produkt ein gewisses Publikum, von dem es gelesen wird, und bei dem es gefällt. Für dieses ist sein Produkt immer gut, wenn es gleich in einem andern Cirkel mit Gleichgültigkeit hinweggelegt, oder gar als elend in den Kamin geworfen wird, denn es verschaft hier den Lesern Unterhaltung, Vergnügen, und Unterricht, und erreicht folglich die Absicht, die der Verfasser desselben bezielt hat. – Dieser Grundsaz, fuhr er fort, bestimmt alle meine Urtheile über die literarischen Erzeugniße unsres Landes, die ich von Amtswegen in dem kritischen Journale fälle, dessen Redakteur zu seyn, ich die Ehre habe. Sie sehen hier zwölf dicke Bände desselben, und es erhält sich noch [35] immer mit steigendem Beyfall, hauptsächlich durch die milden Grundsäze, nach denen die Recensionen der neuern Schriften gefertiget werden.“

„Ha – fiel ihm hier Atabu ein, Sie erscheinen uns immer von einer wichtigern Seite. Sie sind also nicht blos Schriftsteller; Sie sind auch Richter über die Werke andrer; und dieß ist uns Beweis, daß Ihnen Ihr Vaterland den Rang vor dem grösten Theile ihrer Zunftgenossen angewiesen haben muß.

„Je nun – erwiederte das Männchen – die Herren scheinen selbst von Profession zu seyn; wir dürfen also immer offenherzig mit einander sprechen. Es wird in Ihrem Vaterlande sich verhalten, wie in dem meinigen. Wir werden eigentlich nicht auf den kritischen Richterstuhl erhoben; wir sezen uns selbst darauf. Indeß wenn diese Würde gleich kein sichres Merkmal des hervorragenden Verdienstes ist, so gewährt sie doch mehr Gewinn, als jede andre Art von Schriftstellerey. Man wirbt Mitarbeiter, [36] denen man eine Kleinigkeit bezahlt. Da finden sich überall Leute genug. Denn bei uns wenigstens, juckt einem jeden, der nur ein wenig mit der Feder umzuspringen weiß, der Schriftstellerkizel in den Fingern. Dann kommen die Autoren, und präsentiren dem Kritiker in submissen Briefen ihre Produkte, bitten um ein gnädig Urtheil, und fügen ihren Supliken gewöhnlich einen Küchengrus bei. Sind die Bücher rezensirt, so schlägt man sie im Aufstriche los, und das giebt so alle Jahre wieder ein hübsches Sümmchen. Dabei laufen für das Intelligenzblatt, das dem Journale beigelegt wird, Ankündigungen, Katalogen, Vertheidigungen, Selbstrezensionen, und andre Insertionsstüke ein, und jedes trägt, nach den Umständen seine Frucht.“

Wir hatten nun genug gehört, und vermochtens nicht mehr, unsere immer höher emporsteigende Galle zurükzudrüken. Wir verabschiedeten uns von dem eigennüzigen, dummen, albernen Schuft von Schriftsteller, und bemitleideten eine Nation, die von [37] ihren Lehrern auf eine so schurkenmäsige Weise geprellt wird. Elafu war gar aufs äuserste empört, und zürnte mit der heftigsten Entrüstung, die Treppe hinunter, über diesen Verfall seines Berufs auf der Erde, – über den frommen Betrug – über das Aequivalent für die Geistesnahrung – über den gleichen Wert aller Bücher – und über hie Küchengrüse der Autoren. –

Das kleine Männchen ließ uns nicht Zeit von unserm Unwillen zurückzukommen. Wir hatten uns kaum auf unserm Zimmer ausgekleidet, als sein Junge mit einem ungeheuren Pack Bücher, und mit den Worten – in die Thüre trat: „Hier die sämtlichen Schriften des Herrn Magisters Staupizius!“ – Zugleich überreichte er ein Zettelchen, worauf der Wert derselben auf fünf und zwanzig Reichsthaler berechnet, und die plözliche Berichtigung des Betrags mit den demüthigsten Ausdrücken erbeten ward. Elafu stimmte für die Zurücksendung des Pakets, und glaubte dadurch die Zudringlichkeit des unverschämten Schmierers am empfindlichsten bestrafen [38] zu können. Atabu aber, in der Hofnung, das Paket als eine Beylage zu diesem Berichte nüzen zu können, nahm dem Jungen seine Bürde ab, und zahlte ihm die Forderung, unter dem heftigsten Schimpfen und Toben seines erzürnten Kollegen aus. Wir machten uns den Abend hindurch das Geschäfte, die opera omnia des saubern Autors durchzulaufen. Wir fanden aber darinn einen so unermeßlichen Schwall von Sottisen und Albernheiten, daß wir’s für die frevelhafteste Entweihung deines geheiligten Thrones, groser Kalefa! hielten, uns demselben mit diesen stinkenden Exkrementen des menschlichen Unsinns, zu nahen. Nachdem wir uns die Zwerchfelle ziemlich erschüttert hatten, übergaben wir das ganze, grose Paket unserm Lehnlakay, und stellten es ihm frei, es entweder an den Gewürzhändler zu Pfefferdüten zu verkaufen, oder seinen Kamin damit einzuheizen, oder es zu einem gewissen andern Gebrauche anzuwenden, den uns der Wohlstand, dem mächtigsten Könige des Uranus gegen über, zu nennen, verbeut. Mit den Betrachtungen, [39] die sich uns bei dieser Gelegenheit, über den Zustand der Literatur unter einem Volke, zudrangen, unter dem Schriftstellerey bis zu einem eigentlichen Handwerke herabgesunken ist, und solch unsinniges und extradummes Zeug gedrukt und gelesen wird, wollen wir dich, weiser Kalefa! nicht belästigen, zumal da wir blos berufen sind, Thatsachen zu referiren, und da du überdieß, nach der Weise der meisten Grosen dieser Welt, in den Berichten deiner Diener die Kürze liebst.


V.

Am folgenden Tage feyerten die Bewohner der Stadt ein Fest zu Ehre ihrer Gottheit. Nichts war uns erwünschter, als diese Gelegenheit mit ihren religiösen Meinungen und Gebräuchen bekannt zu werden, weil uns die Religion eines Volkes eines der sichersten Kennzeichen seines Kulturzustandes zu seyn scheint. Wir verfügten uns in den grosen Tempel, auf dessen Schwellen wir den Tag zuvor unsre ersten Beobachtungen [40] über die Bewohner der Erde gemacht hatten. Aber wie betretten waren wir, als wir in das Innere dieses heiligen Gebäudes hineingekommen waren? – Stelle dir, groser Kalefa! das gerade Gegenteil unsrer uranischen Tempel vor, und deine Vorstellung wird demjenigen ziemlich entsprechen, in dem wir der Verehrung der Gottheit nach der Weise der Erdbewohner, beywohnten. In unserm Planeten scheinen längst alle Baumeister und all’ ihre Rathgeber darinn überein zu seyn, daß das Gebäude, in dem man sich versammlet, um dem höchsten Wesen seine Anbetung und Huldigung zu bringen, und sich durch die Betrachtung seiner Eigenschaften zum Guten zu ermuntern, Heiterkeit, Wohlbehagen und Freude in dem Herzen des Beters und des Zuhörers erwecken soll, und in unsern meisten Tempeln ist auch alles angewandt, was die Kunst des Baumeisters, des Bildhauers, und des Mahlers vermag, diese glüklichen Empfindungen hervor zu bringen, die die Seele den Eindrüken der Religion [41] aufschlüsen. Nicht so in der deutschen Stadt, in der wir uns befanden. Der Erbauer dieses Tempels schien sein ganzes Talent aufgeboten zu haben, um alles, was Schauer, Furcht und Schwehrmut erregen kann, darinn zu vereinigen. Das mit der höchsten Kühnheit gesprengte Gewölbe, die ungeheuren Pfeiler, die kolossalischen Statüen, die mit elenden Figuren beklechsten Fensterscheiben, die in den Gemälden dargestellten Scenen aus der Hölle, die graue Farbe der Wände – machen das Ganze so finster, traurig, und schauerlich, daß in dem Herzen dessen der hineintritt, nothwendig solche Empfindungen entstehen müssen, die denjenigen gerade entgegen gesezt sind, die man an diesem Orte am meisten rege zu machen suchen sollte. Ja, um das Schauerliche bis auf den höchsten Grad zu treiben, hatten sie so gar das Bild eines Gekreuzigten, mit allem Ausdruk eines schmerzhaften Todes, im Hintergrunde der Kirche, auf einem Altar aufgestellt.

[42] „Welche Begriffe, bemerkte Elafu, muß sich ein Volk von einer Gottheit machen, die es in einem solchen Tempel anbetet!“ – Die Frage ward bald gelößt.

Die versammlete Gemeinde begann einen mit Musik begleiteten Gesang, der uns in der That innig rührte, und mit frommer Ehrfurcht, und anbetendem Gefühl der Majestät Gottes, erfüllte. Der Gesang schwamm so langsam und feierlich dahin, wie – ein Gesang, der der Gottheit gesungen wird; und die ganze Menge der Anbetenden stand so stille und andachtsvoll, indem sie den Mund zum frohen Preise des höchsten Wesens öffnete! – Nach einer kleinen Weile trat ein Priester, alt an Jahren, in ein schwarzes und weises Gewand gekleidet, und mit einer ungeheuren härenen Müze geziert, deren Locken sich auf dem weisen Rad, das seinen Hals umgab, weit ausbreiteten, in der Mitte des Tempels auf einer Rednerbühne auf. Wir waren sehr gespannt. Wir glaubten nach einem so rührenden Gesange berechtigt zu seyn, eine Rede von gleicher [43] Würde und von dem nämlichen Nachdrucke zu erwarten. Allein wir wurden sehr getäuscht.

Der Redner versprach seinen Zuhörern die Frage zu beantworten: was haben wir zu thun, damit wir selig werden? durch dieses Versprechen spannte er unsre Aufmerksamkeit noch mehr: denn eine Beantwortung dieser Frage, ließ uns eine kurze Darstellung seiner ganzen Religionstheorie erwarten, da ein jeder Religionsunterricht keinen andern Zweck haben kann, als den, den Menschen zur Erreichung wahrer Glükseligkeit anzuweisen. Allein er behandelte die Frage so, daß wir unmöglich etwas Zusammenhängendes aus seinem Vortrage heraus nehmen konnten, und manches schien uns so sinnlos und widersprechend, daß wir’s nicht begreiflich fanden, wie sich in dem Kopfe eines Menschen solche absurde Vorstellungen bilden können, und dieß führte uns auf die Vermutung, daß der Redner von uns mißverstanden werden dürfte. – Auf dem Uranus würde bei dieser Frage, [44] in dem mittelmäsigsten Kopfe, zuerst die Idee von reiner Sittlichkeit als einziger Bedingung aller wahren Vollkommenheit und Glückseligkeit, erwachen; allein diese Idee schien unserm Priester ganz fremde, und er verbreitete sich mit groser Weitläufigkeit über andere, von der Hauptsache zum Teil ganz unabhängige Vorstellungen, während er diese nur mit zweyen Worten flüchtig berührte. Zuweilen schien im Strome der Gedanken jene richtige Idee sich mit einzumischen; aber er sprang jedesmal so gleich wieder von ihr ab, und es hatte das Ansehen, als wenn er sich geflissentlich bestrebte, ihr auszuweichen. Dagegen aber war er unerschöpflich, wenn er auf gewisse rohe, sinnliche Begriffe kam, die er auf alle Seiten wendete und drehte, und mit denen er sich besonders wol zu gefallen schien. So konnte er z. B. nicht häßliche Bilder genug finden, um das moralische Verderben der Menschen so grell als möglich abzumahlen. Er fiel hier in die grösten Uebertreibungen, die einen gänzlichen Mangel psychologischer Kenntniße [45] verrieten, und widersprach sich auch mit unter selbst, in dem er dieses Verderben für natürlich erklärte, und doch zugleich die Schuld desselben, dem freyhandelnden Menschen zurechnete. Eben so lange wälzte er einen andern noch viel rohern Gedanken, der die niedrigsten Begriffe von den moralischen Eigenschaften des höchsten Wesens voraussetzte. Er behauptete nämlich ganz bestimmt und zu wiederholten malen, daß Gott voll Grimmes über die Menschen sey, die sich auf moralische Abwege verirrt haben; daß er sie ewigen, unendlichen Martern in der Hölle übergäbe, und daß sein Zorn nur durch Blut wieder gestillt werden könne; – Vorstellungen, die alles übertreffen, was je falsche Philosophie, oder Mangel des Vernunftgebrauchs – Unsinniges auf unserm Planeten ausgebohren hat. Am Ende seiner Rede ließ er einige bestimmte Worte über die Bedingung der Seligkeit fallen, und sezte sie in den Glauben an gewisse Lehren, ohne die reine Sittlichkeit auch nur von ferne zu berühren.

[46] Durch diesen Vortrag wurden unsre Köpfe mit so vielen sich durchkreuzenden Ideen angefüllt, und so sehr auf dieselben hingehalten, daß wir die weitern gottesdienstlichen Uebungen des Volks, nicht mehr mit Aufmerksamkeit beobachten konnten. „Wir wissen nun so viel als zuvor;“ sagte Elafu, als wir auf unser Zimmer zurükgekommen waren. „Ich kann mich, fuhr er fort, unmöglich überzeugen, daß der Redner mit seinen Ausdrüken die nämlichen Begriffe verbindet, die er durch sie in uns geweckt hat: denn wäre unser Sinn der Seinige, so schien ja seine Religion ganz darauf angelegt, alle moralische Thätigkeit in dem Menschen zu unterdrüken, folglich gerade das Gegentheil von dem zu bewirken, was andre vernünftige Geschöpfe durch die Religion bezielen.“ – Atabu war nicht ganz der Meinung seines Kollegen, und fand es sehr begreiflich, daß sich solche Ideen unter einem Volke, das noch auf einem niedrigen Grade der Kultur stehet, fixiren und eine Zeitlang erhalten; „ja, fuhr er fort, diese Ideen [47] scheinen bei allen Völkern die Elemente der Religionskenntniß zu seyn, aus denen sie, bei dem fortschreitenden Wachsthum der Vernunft, erst allmälich, die reinern Begriffe entwickeln. Elafu beharrte aber noch immer bei seiner Meinung, und glaubte, daß die andern Zeichen von Kultur, die wir schon in Deutschland bemerkt hatten, sichre Beweise seyen, daß die Nation jene reinern Begriffe längst schon entwikelt haben müsse. „Doch – bemerkte er – schießt mir eben ein Gedanke durch den Kopf, der vielleicht das ganze Rätsel löst. Vielleicht teilen sich die Glieder der Religionsparthei des Predigers in zweyerlei Klassen, nämlich in die esaterische und exoterische, von denen die leztere für die reinern Ideen der ersten noch nicht empfänglich ist, und folglich, bis zur grösern Reife ihrer Geistes anlagen, durch sinnliche Begriffe geleitet werden muß!“ – In diesem Gedanken gefiel sich Elafu so wohl, daß er jeden Einwurf darwider zuversichtlich hinwegwies, und seinem Amtsgenossen den Vorschlag machte, heute [48] noch eine gottesdienstliche Versammlung zu besuchen. „Vielleicht, sagte er, führt uns das Glück gerade in einen Tempel der Esoteriker!“


VI.

Elafu hatte in der That das Vergnügen, seine Vermutung auf eine Weile bestättigt zu sehen. Wir giengen in einen Tempel zu nächst an unserm Wohnhause, und fanden hier zwar vieles so, wie in dem, welchen wir Vormittags besucht hatten; aber doch war dieses Gebäude weit freyer und heller, und nicht mit so vielen unnöthigen und geschmaklosen Zierrathen überladen, als das erstre. „Sieh! sagte Elafu, als wir uns ein wenig darinn umgesehen hatten, – gewiß der Tempel der Esoteriker! Je roher der Mensch, je weniger für sanfte Eindrüke empfänglich! Kannst du noch einen Augenblik zweifeln, daß der finstre, trübe Tempel, in den wir Vormittags traten, für die weniger Gebildeten bestimmt ist, auf deren Herzen man nur durch die Gestalten [49] der Furcht und des Schrekens, wirken kann? Hier siehst du nichts von alle dem! Hier ist der Versammlungsplaz der Erleuchteten, die die Wahrheit ohne Hülle ertragen können, und ihre Kraft an sich erfahren, ohne daß sie durch einen Zusaz aus der Sinnenwelt verstärkt wird.“ – Der Redner trat auf, und begann mit einem Gebete voll Würde und Feuer, das die reinsten Begriffe von dem höchsten Wesen atmete, und in der gebildetesten und kraftvollsten Sprache vorgetragen ward. Das Gebet war noch nicht geendigt, als Elafu seinen Kollegen, voll Freude über seine glükliche Vermutung, zu wiederholten malen recht derb, mit dem Elnbogen in die Seite stieß, und ihm triumphirend zuflüsterte: „gelt! – wie ich’s errathen habe!“ –

Die Rede, die wir hier anhörten, war freylich das gerade Gegenteil von derjenigen, die einige Stunden zuvor, einen so zweydeutigen Eindruk auf uns gemacht hatte. Sie enthielt die reinste und erhabenste Philosophie über die Bestimmung des Menschen, in ein [50] schönes und allgemein gefallendes Gewand eingekleidet. Der Redner sprach von dem Streben des Menschen nach stetem Wachsthum am moralischen Werte, so gründlich und richtig, als irgend ein Philosoph unsrer Akademie; in der Gewandtheit aber, mit der er die sublimsten Wahrheiten dem mittelmäsigsten Kopfe anschaulich zu machen, und allgemeines Interesse für sie zu erregen wußte, ließ er sie alle weit hinter sich zurücke. Er widersprach seinem Kollegen gerade zu, und schärfte es seinen Zuhörern dringend ein, daß nur Sittlichkeit den Menschen würdig und glükselig mache, und daß jeder Kräfte habe, in ihr stets zu wachsen und vollkommener zu werden. Er riß uns durch seine Beredsamkeit so dahin, und wir fühlten unsre Herzen so von ihm überwältigt, daß wir’s nicht mehr vermochten, ihm in der kritischen Rüksicht zuzuhören. Wir vergasen Esoteriker und Exoteriker; priesen das Glück einer Nation, unter der solche Religionsvorträge an Versammlungen aus allen Ständen, zum Teil aus dem niedrigsten Pöbel, gehalten werden, und beschlosen, [51] sogleich nach geendigtem Gottesdienst, den weisen Priester zu besuchen.

Wir wurden von ihm mit der herzlichsten und unverstelltesten Gefälligkeit aufgenommen. Atabu erklärte ihm die Absicht unsres Besuches, und bat ihn besonders um Erläutrung über die Frage: wie sein Vortrag mit dem, den wir am Morgen des Tages gehört hatten, vereinbar sey? Dadurch veranlaßten wir den zuvorkommenden Mann, zu einer ausführlichen Darstellung des Religionszustandes in seinem Vaterlande, die uns vielleicht niemand treuer und richtiger hätte geben können, als eben er. Wir werden uns am wenigsten von der Wahrheit entfernen, wenn wir Dir, groser Kalefa! seine Schildrung, so weit uns unser Gedächtniß nicht täuscht, mit seinen eignen Worten wieder zu geben suchen.

„Vor ungefehr achtzehnhundert Jahren, lebte in einem Lande, das in groser Ferne von uns gegen Morgen liegt, ein weiser Mann, mit den deutlichsten Merkmalen eines göttlichen Berufes ausgerüstet, voll uneigennüziger [52] Menschenliebe, und reiner, unbeflekter Güte des Charakters. Jesus Christus war der Name dieses grosen, mit übermenschlichen Fähigkeiten begabten Mannes. Er, begeistert durch den edelsten Enthusiasmus für das Glük seiner Zeitgenossen und der Nachwelt, begann, mit der weisesten und rastlosesten Thätigkeit, auf den Verstand und das Herz der Menschen zu wirken; ihre religiösen Irrtümer und Vorurteile zu bestreiten, und sie zu einer vernünftigern und würdigern Verehrung der Gottheit anzuweisen. Das Volk, unter dem er auftrat, hieng an den schädlichsten, durch Unwissenheit und Eigennuz gebildeten Grundsäzen, von Gott und seinem Dienste; und noch tiefer als dieses, waren andre Völker der Erde, neben ihm in Finsterniß und Sittenlosigkeit, hingesunken. Zwar fühlten sie alle, das in dem Herzen des gebildeten Menschen unvertilgbare Bedürfniß, einer Verehrung der Gottheit. Aber bei der unter ihnen herrschenden Sinnlichkeit, gegen die sich die Vernunft einiger Weisen nur vergeblich auflehnte, sezten [53] sie diese Verehrung in äusre, zwecklose Gebräuche, denen sie sich gewissenhaft unterwarfen, während sie den allein wahren Dienst Gottes, der durch reine Tugend geleistet wird, darüber versäumten. Diesen Irrthümern stemmte sich Christus, voll Eifers für Wahrheit, Sittlichkeit und Menschenwohl entgegen, und lehrte seine Zeitgenossen, die von ihnen verkannten Grundsäze, vom Vatersinn Gottes gegen die Menschen, vom hohen Werte wahrer Tugend, von der Gleichgültigkeit äussrer Gebräuche, und von der stets wachsenden Vervollkommung aller unsrer geistigen Kräfte, die durch reine Sittlichkeit bewerkstelliget wird.

Ob nun gleich Christus von dem grösten Teile seiner Zeitgenossen verkannt, und so gar als ein Uebertretter der Geseze des States und der Religion, hingerichtet wurde; so fand doch seine Lehre bei vielen Menschen, die Sinn für Wahrheit und Tugend hatten, Beyfall, und breitete sich, troz all’ der Verfolgungen, die sich der Fanatismus gegen ihre Bekenner erlaubte, mit einer unglaublichen [54] Geschwindigkeit über einen grosen Teil der Erde aus, und wurde nach einem kurzen Zeitverfluß unter demjenigen Volke öffentliche und autorisirte Religion, dem die meisten andern Nationen unsres Planeten unterwürfig waren. Durch grose, politische Revolutionen geschah es in spätern Zeiten, daß diese Religion ihr Muterland, den Orient, verlies, und sich dagegen desto weiter in den occidentalischen Provinzen der Erde, verbreitete, und fest sezte.

Sehr bald kamen die Anhänger dieses grosen Meisters von der ursprünglichen Reinigkeit seiner Lehre zurück, und mehrere Jahrhunderte hindurch, schritten sie auf dem Pfade, der sie von seinem Sinn und Geist hinwegführte, immer weiter fort. Es traten in den ersten Zeiten des Christenthums, Leute von den mannigfaltigsten Sekten zu seinem Bekenntnisse über. Ein jeder bildete die christliche Religionstheorie in seinem Kopfe, nach dem System von Säzen, das zuvor in demselbigen gelegen war. Die Philosophie gab den religiösen Begriffen ihre Form. Man [55] begnügte sich nicht Jesu Aussprüche willkürlich zu erklären, und durch selbsterfundene Zusäze zu erweitern, sondern man drang diese Erklärungen und Zusäze auch andern als notwendige Glaubenswahrheiten auf, und verfolgte so gar diejenigen mit Feuer und Schwerdt, die sich gegen diese empörende Tyranney auflehnten. Je mehr die Kirche Ruhe vor äusern Feinden erhielt, je mehr nahmen diese Entstellungen ihrer Lehre, überhand. Es vereinigte sich mit der falschen Philosophie des Zeitalters noch das Interesse der Priester, die sich all’, nämlich zu weltlichen Herren aufwarfen, sich die unumschränkteste Obergewalt über Gewissen und Ueberzeugung anmaßten, und sich von dem Muster ihres Meisters so weit entfernten, daß auch nicht mehr ein Schatten desselben unter ihnen übrig blieb. Die von ihnen gebildete Religion, war nichts weniger mehr als Religion Christi, sondern vielmehr ein drükendes Joch für die Menschheit, ein Zaum für die Vernunft, ein Pfuhl für die Lasterhaften, und ein Werkzeug des Eigennuzes. Man fieng [56] an, dieß Verderben zu fühlen, und es erhub sich eine grose Partei in der Christenheit, die sich von ihren Glaubensgenossen los rieß, die Lehren und die Gebräuche verbesserte, und sich bemühte, den Sinn Jesu, so viel möglich, wieder zu erreichen. Diese Partei gieng von dem sehr richtigen Grundsaze aus, daß nur das Religionswahrheit für den Christen sey, was Christus und seine ersten Schüler ausdrücklich gelehrt haben; – und wäre sie diesem Grundsaz getreu geblieben, so hätt es gar nicht fehlen können, sie hätte die ursprüngliche Reinigkeit ihrer Religionslehre, wieder erreicht. Allein es wurden gewisse Erklärungen der Aussprüche Jesu festgesezt, und diese, als die allein richtigen, allen Anhängern der neuen Partei, als entschiedene Religions-Säze, vorgeschrieben. Dadurch verfiel man wieder in den alten Fehler, und stellte einen neuen Richter über Glauben und Ueberzeugung auf, die doch ihrer Natur nach, einem jeden Menschen frey gelassen werden müssen. Noch um so härter war dieses Joch, da jene Erklärungen in einem Zeitalter [57] gegeben wurden, in dem die Gemüter noch vom Streite mit der alten Partey erhizt, und zu nichts weniger als zu einer festen und gründlichen Prüfung aufgelegt waren, und diejenigen Kenntniße, die man zur richtigen Auslegung der Aussprüche Jesu und seiner Schüler, unumgänglich nötig hat, noch in dicke Finsterniß eingehüllt lagen. Man grif daher oft statt eines hinweggeworfnen Irrtums, einen andern auf, und nahm manchen Saz ins System, der der eigentlichen Lehre Jesu ganz unbekannt war. So folgerte man z. B. aus einigen nachdrüklichen[1] Schilderungen des Sittenverfalls unter den Menschen, die sich in unsern heiligen Büchern befinden, eine natürliche Unfähigkeit zum Guten, aus einigen Vergleichungen des Todes Jesu mit dem Tode der Opferthiere, die Notwendigkeit einer blutigen Versöhnung; – aus einigen, nicht mit der genausten Bestimmung ausgedrükten Warnungen vor dem Vorurteil, daß der Zwek der Religion durch äusre Gebräuche erreicht werde, eine gänzliche Unabhängigkeit der [58] Glükseligkeit von der Tugend. – An dieser alten Erklärung hängt der Prediger, den Sie heute Vormittags gehört haben, noch fest und unzertrennlich. Sie haben seinen Sinn ganz richtig aufgefaßt, und ich denke, es wird Ihnen nun begreiflich seyn, daß er Säze vortragen konnte, die der gesunden Vernunft so laut widersprechen, die aber in der That nichts weniger, als Säze aus der Religion Jesu sind.“

„Von diesen finstern, dem Geiste Christi gerade zu entgegen stehenden Vorstellungen haben sich aber die meisten bessern Köpfe neuerer Zeiten, die Talente und Mut hatten, selbst zu prüfen, glüklich losgemacht; und es steht vielleicht so gar sehr lange nicht mehr an, so werden die reinern Begriffe, die so viele Jahrhunderte hindurch, von dem dichtesten Nebel umhüllt waren, eben so allgemein geltend seyn, als es die Theorie meines Herrn Amtsbruders vor hundert Jahren war: denn die Ueberzeugung breitet sich immer weiter aus, daß eine Offenbarung nichts enthalten dürfe, was die Probe [59] der Vernunft nicht aushält; und wir haben durch tieferes Studium der alten Sprachen und der Geschichte, hinreichende Beweise dafür aufgefunden, daß das reine Christentum keinen Saz aufstelle, der der richtig gebildeten Vernunft zum Anstos gereichen könnte. Wir haben das Wesentliche vom Ausserwesentlichen gesondert; wir haben die Freiheit des einzelnen Menschen in Ansehung der Entwicklung seiner religiösen Begriffe gegen alle Antastungen gesichert; wir haben den einzig wahren Zwek aller Gottesverehrung auf gefunden; und unsre Religion ist die reinste Religion der Vernunft, beruhend auf dem gemeinfaßlichen, unerschütterlichen und fruchtbaren Postulat: Strebe aus dankbarer Liebe gegen Gott nach immer grösrer moralischer Vollkommenheit, dann wirst du in dieser und in der künftigen Periode deines Daseyns, an wahrer Glükseligkeit immer wachsen! –“

Wir waren ganz entzükt, über diesen glüklichen Umschwung, den die religiösen Vorstellungen [60] der Menschen auf der Erde, genommen hatten, und fiengen an, die Nation glüklich zu preisen, die eine so hohe Stufe von Kultur erklimmt, und sich von den Ueberbleibseln finstrer und barbarischer Zeitalter beynahe ganz losgemacht zu haben scheint. Der Priester hieß uns aber gleich wieder einlenken, und gestand uns mit einem ehrlichen Lächeln: daß die religiöse Aufklärung – hier fiel uns unser Hauswirt wieder ein, und Elafu schürzte einen Knoten ans Schnuptuch – so ausgebreitet noch nicht sey, als wir etwa glauben, und daß auch die Zeit ihres Triumphes noch viel weiter entfernt liegen dürfe, als wir uns ohne Zweifel aus guter Meinung, träumen. „Denn die alte Partey, fuhr er fort, an deren Spize der Herr Oberprediger steht, den Sie heute gehört haben, ist im Grunde doch noch immer die herrschende, und jeder gute Kopf sezt sich den lästigsten Verdrüßlichkeiten aus, wenn er laut gegen sie anstößt. Deßwegen müssen wir uns aufs künstlichste zu drehen und zu wenden wissen, um keine auffallende [61] Abweichung von ihrem Systeme zu verraten, und uns immer das Ansehen zu geben suchen, als wenn wir bis aufs kleinste hinaus mit demselben harmonirten: denn so bald wir uns in unsern öffentlichen Vorträgen wesentliche Abweichungen erlauben, hören wir auf, Glieder, und folglich auch Lehrer unsrer Partei zu seyn. Wir machen uns ihres Schuzes, und der mit unsern Aemtern verbundnen Vorteile verlustig, und sezen uns dem abscheulichen Namen eines Kezers aus, mit dem gemeiniglich das ganze Glük eines Mannes zu Grunde geht.“

Wie plözlich war uns unsre Freude wieder vereitelt, und wie stuzten wir über diesen dichten Schatten, neben so viel hellem Lichte! Denn was kann unsinniger und empörender seyn, als ein solcher Zwang der Vernunft, der ihr verbeut, die Resultate ihres Forschens bekannt zu machen, – der mit dieser Ueberzeugung positive Vorteile, und mit der andern positive Nachteile verbindet, – und allem Fortschreiten in religiöser Erkenntniß einen unübersteiglichen Damm entgegen [62] sezt. „Sie sagen uns hier etwas, bemerkte Elafu, was uns in verschiedner Hinsicht unbegreiflich scheint: Denn ist es wohl vernünftiger, dem Denken Geseze geben, als wenn einer eurer Fürsten durch ein öffentliches Mandat allen seinen Unterthanen gebieten würde, niemals krank zu seyn? – Seyd ihr denn noch nicht so weit gekommen, daß ihr einsehet, daß man nur freye Handlungen durch Geseze leiten kann? – Wahrlich, eine solche Verirrung hätt’ ich unter einem gebildeten Volke nicht erwartet! Denn die Thorheit derselben springt gleich bei ihrem ersten Anblike so deutlich ins Auge, daß sie nur einem Stockblinden unbemerkbar bleiben kann. Und die Folgen derselben – „Diese sind, fuhr der Prediger fort, doch so gefährlich weit nicht, als sie ihnen vielleicht scheinen. Die Vernunft geht ihren Gang, wenn sie gleich hie und da eine Weile gehemmt und erschwert wird. Und die Resultate unsres Forschens kommen aus ins Publikum, wenn sie gleich auf ihrem Pfade Umwege nehmen müssen. Wir machen es hier wie ein Baumeister, der [63] ein altes, schadhaftes Gebäude nicht gerade zu abzubrechen wagt, sondern es allmälich, Teil für Teil, ausbessert und verschönert; die alten Riegel und Steine herausnimmt, und neue einschiebt, und mit seiner Arbeit so lange fortfährt, bis nur das Gute und Dauerhafte des alten Gebäudes noch übrig ist, und das andre erneuert und verschönert von seiner Hand dasteht.“

„Sehr wichtig, sagte Atabu, indeß sind wir keine Liebhaber von Gleichnißen, und auch gar nicht an sie gewöhnt: denn in unserm Planeten erscheint die Wahrheit immer nakt und blos, und ohne Hülle, und uns ist, gottlob! noch kein Gesez gegeben, das uns hinderte, sie laut zu predigen; sollten wir auch durch sie alle Tempel erschüttern, und alle Kronen wanken machen. Bei uns gilt der Grundsaz: was die Stimme der Wahrheit nicht ertragen kann, gehe zu Trümmern! Bei euch aber scheint man den Grundsaz umzukehren: was unserm Intereße gefährlich wird, werde unterdrückt, wenn auch gleich die heiligsten Rechte der [64] Vernunft und der Menschheit darüber zu Grunde gehen!“ –

Bei diesen Worten fühlte Elafu von ungefehr auf den Knoten seines Schnuptuches, und dieß gab dem Gespräche eine neue Wendung auf die Aufklärung, von der zuvor zwischen uns und unserm Hauswirt die Rede gewesen war.


VII.

„Ich bedaure euch Herrn aus dem Uranus, sagte der Prediger, wenn dieser Begriff auser dem Vorrate eurer Ideen liegt; denn dieß scheint mir zu beweisen, daß ihr auch die Sache entbehren müßt, die er bezeichnet.“ – „Und diese Sache, fragten wir beide, wäre – ? – „Ja – fuhr der Prediger fort – das ist bei dem grosen Mißbrauche, den man auf der Erde mit diesem Worte treibt, so schnell nicht erklärt. Denn bei uns bezeichnet nur ein jeder die Materie und die Form seines Denkens mit diesem Ausdruke, – der Nachbeter wie der Forscher, der Naturalist wie [65] der Supernaturalist, der Sammler wie der Erfinder; – ja in dem Munde vieler Leute heißt Aufklärung so gar eine gänzliche Verachtung der Geseze der Moral, und eine völlige Zügellosigkeit in den Sitten.“

„Nun wenn der lezte Sinn der richtige ist, unterbrach ihn Atabu, so dürfen wir uns Glük wünschen, daß die Sprache, unsres Landes keinen Ausdruk für eure Aufklärung hat!“

Der Prediger nahm bei diesen Worten eine ernsthafte Miene an, und schien nicht zum Scherze aufgelegt. Er machte grose Umschweife, um sich den Weg zur Erklärung des Begriffes, von dem die Rede war, zu bahnen. Nachdem er unsre Gedult lange genug geprüft hatte, erschien er endlich mit dem Resultate: daß Aufklärung, in dem Sinn der bessern Denker der Nation, den eignen Gebrauch der Vernunft über alle Gegenstände der menschlichen Erkenntniß, bezeichne.“

Es erregt eine äuserst widrige Empfindung, wenn ein Erzähler einen sehr verwikelten [66] Knoten schürz, und ihn dann, statt aufzulösen, zerhaut. Diese Empfindung hatten wir beyde unserm Prediger gegen über: denn er hatte erst in dem nämlichen Posaunenton, wie unser Hauswirt, von der Aufklärung gesprochen, und ließ uns Wunderdinge erwarten, die in diesem Begriffe stecken sollten; aber siehe! nichts kam heraus, als das eine, daß in Deutschland einige Menschen anfangen, eine Gabe der Natur, die vorhin teils durch Barbarey, teils durch geschmaklose Erudition, begraben war, zu gebrauchen. „Ist’s nichts als das, sagte Elafu, so dürft ihr euren Ton allerdings ein wenig mäsigen. Ich gestehe, daß ich mehr erwartet habe! Nun aber wird mir’s erst erklärbar, warum in unsrer Sprache ein Ausdruk für diesen Begriff mangelt. Denn eignen Vernunftgebrauch halten wir für etwas so natürliches, und er ist auf unserm Planeten auch so gemein, daß uns noch nie eine Notwendigkeit gedrungen hat, ein eignes Zeichen für denselben zu finden. Hier wäre also der [67] Fall, wo der Mangel eines Zeichens den Besiz der bezeichneten Sache verriete!“ – Der Prediger fand unsre Gleichgültigkeit, und unsre Versichrungen unbegreiflich, und gab uns auf eine ziemlich derbe Weise zu verstehen, daß er uns im Verdacht habe, daß wir unsre Nation auf Kosten der seinigen, über die Gebühr zu erheben suchen. – Dieß sahen wir als ein Zeichen zum Aufbruche an, und nahmen unsern Abschied.


VIII.

Wir kamen unterwegs mit einander überein, auch den alten Exoteriker zu besuchen, der uns am Morgen des Tages, durch seine Predigt so sehr erbaut hatte. Vielleicht, dachten wir, erscheint auf seiner Studierstube ein ganz andrer Mann, als auf seiner Kanzel; oder wenigstens kann er uns von manchem, was er öffentlich sagte, und was sein Amtsgenosse als Ernst aufzunehmen schien, eine mehr genießbare Erläuterung geben, als wir bisher nicht erhalten hatten.

[68] Wir wurden in ein schönes Haus, zunächst an dem grosen Tempel, geführt, und fanden den erbaulichen Prediger auf seiner Studierstube, unter einem grosen Haufen von Folianten und Quartanten begraben. Er empfieng uns nicht mit der holden, freundlichen Gefälligkeit seines Kollegen, sondern mit finsterm, in sich gekehrten Blike, und mit der zurükschrekenden Gebehrde verachtender Selbstgenügsamkeit. Sein ganzer Körper, so dick und rund wie er war, seine knochigte Stirne, seine funkelnden Augen, seine schwammigten hängenden Wangen, und die eigne Art, womit sich die Muskeln seines Mundes falteten – bildeten zusammen ein vollendetes Gemälde desjenigen Stolzes, der jedermann schnöde hinwegwirft, auser sich kein Verdienst anerkennt, und sich selbst für den Mittelpunkt hält, um den sich alles herumdreht.

Als wir dem Mann mit der steinernen Stirne, die Absicht unsres Besuches eröfnet, und zugleich bemerkt hatten, daß uns manches in seiner Predigt bis izt noch dunkel geblieben [69] sey, – so sezte er sich mit der Miene der höchsten Wichtigkeit, in die Mitte des Zimmers auf einen Stuhl, sah mit einem Blike voll verstellter Demut auf die Erde, legte die rechte Hand auf die Brust, und fieng folgender Gestalt an zu orakeln.

„Daß Ihnen, meine Herren! noch mancher Gedanke, den ich in meiner heutigen Predigt vorgetragen habe, nicht im hellsten Lichte erscheint, dünkt mich nichts weniger als sonderbar. Denn was im Geiste ausgesprochen wird, muß auch im Geiste gerichtet seyn. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts, von diesem Geiste. Was er sagt, ist ihm Thorheit, und er kann es nicht erkennen. Denn die Vernunft ist voll Nacht, Finsterniß, und Blindheit, und geht beständig in der Irre, bis sie durch die Gnade erleuchtet wird. Durch die Vernunft gelangen wir keinen Schritt weiter auf dem Pfade des Heils. Sie ist dem blöden Auge eines Greisen gleich, der seinen Blik vermittelst der Brille schärft. So müssen auch wir die Brille des Glaubens [70] zur Hand nehmen, wollen wir anders dasjenige richtig sehen, was uns durch den Geist dargestellt wird. –

Wir stuzten gewaltig über diesen sinnlosen Galimathias, und die Blike eines jeden schienen dem andern zu sagen, daß die Erklärung noch viel dunkler und verworrener sey, als der Text selbst. Elafu konnte sich nicht enthalten, die Demonstrationen[2] des Mannes zu unterbrechen. „Wirklich – sagte er, Sie haben recht! denn unsrer Vernunft scheint auch das Thorheit, was Sie hier im Geiste sprechen. Aber wir sehnen uns nach Erleuchtung, und bitten Sie um bestimmte und deutliche Erklärung Ihrer Begriffe. Sollte denn die Vernunft im Ernst so gar schwach seyn, daß sie schlechterdings nichts sehen könnte, in Sachen der Religion, ohne die Brille des Glaubens?“ –

„Schlechterdings nichts, erwiederte der Prediger, – gar nichts! denn seit dem Sündenfall unsrer ersten Aeltern, ist die Vernunft mit einem dichten Nebel überzogen, und dergestalt [71] verfinstert, daß sie gänzlich unvermögend ist, die Wahrheit, die uns selig macht, zu erkennen, oder auch nur etwas Gutes zu gedenken. Freilich will der natürliche Mensch das nicht glauben, denn er ist voller Stolz und Eitelkeit, und schämt sich seiner Gebrechen. O! ich war selbst einst ein solcher Thor, und wähnte mit meinem blöden Verstandes-Auge, die Tiefen der Gottheit ergründen zu können. Aber wie erschrak ich, als mir meine Finsterniß aufgedekt ward! Gott führte mich in hohe Versuchungen, und gab dem Engel des Satans Gewalt über mich, daß er mich mit Fäusten schlug, und mein ganzes grundloses System zertrümmerte. Dadurch lernte ich einsehen, daß alles, was ich von mir selber wußte, eitel Wahn und Tand war, und daß nichts bestehet, was nicht durch die Gnade in uns gewirket wird. Dieß führte mich zur Demut, und machte mich klein, und lehrte mich, die Vernunft zum Schweigen bringen, und meine ganze Seele dem Einfluße der Gnade aufschließen.“

[72] „Eine grose Wahrheit – bemerkte bei diesen Worten Atabu in der Sprache des Vaterlandes – ist dem Manne unter vielem Unsinn doch in den Wurf gekommen, nämlich die: daß er seine Vernunft zum Schweigen gebracht habe. Doch wäre sie uns auch auf den Fall nicht entgangen, wenn es ihm gefallen hätte, sie uns nicht ausdrüklich mitzuteilen.

„Ist das der Glaube ihrer ganzen Partey? fuhr Elafu fort.

Bei dieser Frage begann der Prediger zu seufzen und tief zu atmen. Ach! – sprach er – das sollte wol der Glaube unsrer ganzen Kirche seyn; aber es haben sich Wölfe unter die Heerde geschlichen, die den unschuldigen Lämmern nachstellen, und sie zerreissen. Das sind die Nealogen – die Höllenbrände, – die Verführer, – welche die Vernunft zur Richterin über die Offenbarung erheben, und durch ihre lose Philosophie, die Aussprüche unsrer göttlichen Lehrer, meistern. Zwar mußten sie erscheinen, sollte anders die Weissagung erfüllt werden, daß [73] in den lezten Zeiten Spötter kommen, und auch, wenn es möglich wäre, die Auserwählten verführen werden. Aber doch bängt es ein glaubiges Herz, wenn es sehen muß, wie sie ihr Gift überall ausgiesen, und wie es überall verschlungen wird. Indeß hoff’ ich zum Himmel, ihr Unwesen wird am längsten gewährt haben, denn die Zeit ist nahe, da der Herr, nach seiner Verheißung, die Schafe von den Böcken sondern, und über seine Feinde das Gericht der Rache halten wird.“ – Bei diesen lezten Worten glühte das Gesicht des Mannes, seine Augen traten weit hervor, sein Mund spizte sich, ein spöttisches Lächeln regte sich um’s Kinn und um die Wangen; – er war das leibhaftige Bild der gehässigsten Schadenfreude.

„So gar schlimm – wandte Elafu ein – scheinen mir die Leute doch nicht, die Sie als Höllengeister, Wölfe, und Verführer zu betitteln belieben. Ihr System beruht doch auf dem Grundsaze, auf den am Ende jede Religion hinauslauft, ich meine auf dem Grundsaze, vom Wert und von der [74] Notwendigkeit der Tugend. Ich denke, derjenige, der diesen Grundsaz fest hält, und ihm in seinen Gesinnungen und in seinem Wandel treu bleibt, ist der beste, der religiöseste, und der gottgefälligste Mann.“

Bei diesen Worten schlug der Prediger die Hände empor, kreuzte und segnete sich, sprang vom Stuhle auf, rief laut, daß uns die Ohren gellten: Gott! – der leibhaftige Indiferentismus! „Sind auch Sie dieser Wölfe einer, – oder sind sie einer der Verführten?“ –

Wir fiengen über diese komische Aeuserung des Mannes, an, zu lachen. „Ich bin weder Wolf noch Verführter, sagte Elafu, ich gehe, besonders in der Religion, gern meinen eignen Weg, ohne jemand blindlings zu folgen, aber auch ohne blinde Nachbeter in mein Gefolg zu ziehen. Doch was heißen Sie Indiferentismus?“

„Indiferentismus?“ – erwiederte der Prediger; – gerade Ihre Meinung; die schädlichste und abscheulichste, die je ausgehekt worden, daß nämlich jede Religion selig mache!“

[75] „Sie thun mir sehr Unrecht, versezte Elafu; – nichts weniger als meine Meinung! – ich behaupte gerade das Gegenteil; ich behaupte, daß gar keine Religion selig mache!“

Der Prediger fuhr mit einem wilden Ungestümm vom Stuhle auf, bestürmte den guten Philosophen mit einer unermeßlichen Menge Kezernamen, und sprach ein Anathema nach dem andern, in seinem heiligen Eifer, über ihn aus. – „Sie mißverstehen mich, fiel ihm Elafu ein – ich bitte Sie, mäsigen Sie sich. Ich behaupte, keine Religion macht selig, sondern allein die Tugend, die durch die Religion gewekt und ausgebildet wird.“ – „Da wären Sie also wieder mit Ihrem indiferentistischen, sozinianischen Gift, – fuhr ihn der schäumende Prediger an; – fort mit Ihnen, (indem er ihn beim Knopfloch faßte, und der Thüre zuzog,) fort mit Ihnen – Sie sind auch einer von der Horde – mit Ihnen bleib ich nicht unter einem Dach – die Schrift sagt: einen kezerischen Menschen meide.“ –

[76] „Wir können noch nicht in den Ton der Erdbewohner stimmen, – sagte Elafu, als wir auf die Strase herabgekommen waren, – der Esoteriker hieß uns ziemlich deutlich den Abschied nehmen, und der Exoteriker führt uns gar zur Thüre hinaus, und das beide aus dem sonderbaren Grunde, weil wir nicht ihrer Meynung waren.“ – „Werden auch wol, sezte Atabu hinzu, noch mehr solche Abenteur erleben; denn es scheint nun schon, daß hienieden sich allenthalben die grösten Widersprüche durchkreuzen, und daß es sich in den Köpfen der Bewohner dieses Planeten, gerade so verhält, wie in der sichtbaren Welt, wo neben jedem Lichte der Schatten liegt.“ – „Aber eine stolze, eigensinnige, rechthaberische Art, bemerkte Elafu, die dem Denken Geseze giebt, und bei der jeder die Meynung des andern über seine eigne Form gedrükt wissen will;“ – „oder wol auch, fuhr Atabu fort, ein kurzsichtiges Völklein, das noch nicht bis zu dem Grundsaze durchgedrungen ist, daß es in Ewigkeit nie möglich wird, daß nur [77] zween Menschen, von dem nämlichen Gegenstande der Erkenntniß, die nämliche Vorstellungsart haben.“ – Je nun, endete Elafu das Gespräch, kennen sie diesen Grundsaz noch nicht, so ist alles Wahn und Täuschung, und Fabel, was sie uns bisher von der Bildung, Aufklärung und Philosophie ihres Zeitalters, vorgeprediget haben.“


IX.

Am folgenden Tage, als wir uns kaum aus den Federn erhoben hatten, entstund ein groses Rennen und Laufen in der Strase, in der wir wohnten. Eine Menge Menschen zu Fuß und in Karossen, drängten sich dicht vor einem grosen Pallaste zusammen, der am Ende der Strase, unsrer Wohnung gegen über, lag. Wir erkundigten uns bei unserm Lehnlakai nach der Ursache dieses Auflaufes, und dieser sagte uns, daß heute das gnädigst privilegirte hochfürstliche Lotto gezogen werde. Wir konnten bei all’ diesen Worten nichts denken, weil der Hauptbegriff, der in denselbigen liegt, [78] glüklicherweise, allen Bewohnern des Uranus ganz fremde ist. Der Lakay gab uns eine bestimmtere Erklärung, an deren Wahrheit wir aber heute noch zweifeln würden, wenn wir nicht durch unsre eigne Augen von ihr überzeugt worden wären. Lotto – also, heißt in Deutschland eine Art von Hazardspiel, das der – Landesherr mit seinen Unterthanen spielet. Erstaune noch nicht, groser und guter Kalefa! bei diesen Worten, die freylich schon empörendes genug enthalten; höre uns nur erst weiter an! – dieses Spiel ist ganz darauf angelegt, daß derjenige, der die Bank desselben hält notwendig gewinnen, und der Mitspielende notwendig verlieren muß; wenigstens ist die Wahrscheinlichkeit eines beträchtlichen Gewinsts für den Mitspielenden, ein Null gegen die Wahrscheinlichkeit des Verlustes. Es finden viererley Spielarten dabei Statt, wobey jeder mit der Gröse des Gewinnstes die Unwahrscheinlichkeit desselben für den Mitspielenden, im gleichen Verhältniße steigt. Bei der ersten Spielart, wo die Gewinnste, gegen [79] den Einsaz betrachtet, sehr unbedeutend sind, gewinnt der Lottodirekteur nach dem Calcul des Wahrscheinlichen, 85 mal, bis der Mitspielende 5 mal gewinnt. Schon ein sehr groses Mißverhältniß, aus dem bei Fortsezung des Spiels ungeheurer Verlust für den Spieler entstehen muß. Aber noch gröser wird dieß Mißverhältniß bei den folgenden Spielarten: Denn da gewinnt in der zweyten Art, der Direkteur 3995 mal, und der Spieler nur 10 mal; in der dritten Art gewinnt dieser eben so oft, während jener 117,470 mal gewinnt; in der vierten Art aber verhalten sich die Gewinnste des Spielers zu den Gewinnsten des Direkteurs, gar wie 5 zu 2,555,185. – Und diese ehrlose, trügerische, ganz auf den Untergang des wagenden Teils hinwirkende Spiel, spielen in Deutschland die Fürsten mit ihren Untertanen! – Eine Bemerkung, die keines Kommentars bedarf! –

„Aber sind denn die Leute so dumm, sagten wir dem Lakay, daß sie sich so abscheulich in einem Spiele prellen lassen, dessen [80] Natur den Verlust gewiß, den Gewinnst aber beynahe unmöglich macht?“ – „Wie? erwiederte der Lakay; da gehen Sie nur hin, und sehen Sie diese Menge Menschen. Und meynen Sie wol, nur diese allein, die hier warten, haben Lose genommen? wol sechs mal mehr als diese, haben drausen auf dem Lande gesezt, wo besondre Collekteurs aufgestellt sind, die die Einlagen der Spieler einziehen. Ein jeder, fuhr er fort, möchte eben gern reich werden, und dieses Streben reich zu werden, betäubt die Leute dergestalt, daß sie nicht einsehen, daß das Lotto gerade der unsicherste Weg zu ihrem Ziele ist. Ich wenigstens, habe noch keinen gesehen, der dadurch reich geworden wäre, wol aber sehr viele, die Hab und Gut ins Comptoir getragen haben. Man fängt gewöhnlich klein an; – man verliert einige Groschen, - man sucht den Verlust wieder einzubringen, - man gewinnt etwa eine lumpichte Ambe – dadurch wird man noch mehr darauf erpicht, – man verliert wieder, – und nun macht man fort, bis man [81] an den Bettelstab geraten ist. Die Pachter des Lotto –

(Also giebt der Fürst um eine gewisse Summe Gelds, einigen Schurken die Erlaubniß, seine Untertanen um tausende zu betrügen?)

und die Collekteurs wenden alles an, daß die Leute gereizt werden, brav zu sezen. Sie sagen weislich nie, was von den Spielern an sie verloren worden ist; aber wenn einer unter tausenden eine Kleinigkeit gewonnen hat, so posaunen sie es in den Zeitungen aus, und machen einen mächtigen Lärm, damit durch die Hoffnung des nämlichen Vorteils, wieder mehrere ehrliche Leute in ihre Schlingen gelockt werden. Sie lassen auch alle Jahre einen Lottokalender drucken, worinn einem das Ding so süs eingegeben wird, daß man meint, es könne platterdings nicht fehlen. Aber so bald man es probiert, so sieht man gleich, daß alles lauter Spiegelfechterey ist, und flugs! geht das Geld zum Henker. – Ja, ehe das Lotto hieher kam, hatten wir noch viele fleisige, haushälterische, [82] brave, redliche Leute hier; aber nun wimmelt es allenthalben von Tagdieben, Betrügern, Schurken, und armen Schlukern.“

„Wer hat denn aber, unterbrach ihn Atabu, dieß verderbliche Spiel hier eingeführt?“

„Bei dem alten Fürsten, den Gott selig haben wolle, fuhr der Lakay fort, wußte man nichts von dergleichen Lumpereien. Aber als der Prinz Adolph zur Regierung kam, da giengs in allem höher weg: Da wurde der Hofstat und das Militair vermehrt; man errichtete das Theater; man baute das neue Lustschloß; man zog eine Menge Gäste an den Hof; alle Tage waren glänzende Feste; man veranstaltete kostbare Jagden und Reisen – und da wollten denn natürlich die Einkünfte nirgends mehr reichen. Der Fürst ließ einen fremden Finanzverständigen kommen, der alles hervorsuchte, um neue Geldkanäle zu eröfnen; und dieser unbarmherzige Blutigel, auf dem so viele tausend Flüche von Offizianten, Soldaten, Geistlichen, Bürgern und Bauern liegen, denen er teils die [83] Besoldungen beschnitt, teils unermeßliche Abgaben aufbürdete, – dieser war es, der auch das leidige Lotto in unserm Lande aufgerichtet[3] hat.“

„Da war man also nicht um guten Rat verlegen; sagte Elafu; plündern wir die Untertanen, so haben wir neues Geld zum Verschwenden! – Welch eine Geisel für ein Volk ist ein solcher Fürst, und ein solcher Finanzminister!“

Wir giengen auf die Strase, und mischten uns unter die harrende Menge vor dem Rathhause. Da waren Leute aus allen Ständen, – Pöbel, Soldaten, Räthe, Höflinge, Priester, Minister – alles durcheinander. Furcht und Hoffnung lag auffallend auf allen Gesichtern ausgedrückt, die uns umgaben. Aber auf eine sehr verschiedene Art äuserten sich diese Empfindungen bei verschiednen Menschen. Einige standen stockstill und sahen düstern Bliks auf die Erde. Andre blickten voll unruhiger Erwartung unablässig auf die Altane, von der die gezognen Lose verkündigt werden sollten. Andre liefen unstät hin und [84] wieder, und krazten sich hinter dem Ohre, oder spielten am Uhrbande. Manche hörten wir sagen: gewinnen wir heute nichts, so hole der Teufel das Lotto!

Die Lose waren gezogen. Die ganze Menge drängte sich dicht an’s Haus. Es entstand eine grose Stille, und der Herold – sprach.

Es war wie wenn die ganze unermeßliche Menschenmasse plözlich von einem elektrischen Schlag gerührt worden wäre. Der vorige Ausdruk der Ungewißheit, wandelte sich plözlich in den Ausdruk entschiedner Ueberzeugung, und ein allgemeines Geräusch tönte über den ganzen Haufen. Einige von den Zuschauern stampften mit den Füsen auf die Erde, – einige schlugen sich mit geballter Faust vor die Stirne, – einige standen starr und todesbleich, – andre zerzausten sich die Hare, – manche schimpften und fluchten, etliche weinten bittere Thränen, – und ein Weib neben uns schlug die Hände über sich zusammen und jammerte: „Das lezte Bettchen hab ich vollends hineingetragen – auch das ist dahin, – nun bleibt mir mit meinen [85] armen Kindern nichts mehr übrig, als der Hungertod!“

Was wir bei diesem Anblik empfanden, bedarf keiner Schildrung. Elafu knirschte mit den Zähnen, und vermocht’ es nicht, seinen Unwillen über dieß häßliche und abscheuliche Spiel, das blos auf die Beraubung des gewinnsüchtigen und leichtsinnigen Volkes abgesehen ist, in sich zurückzuhalten. Atabu hatte grose Mühe, den aufbrausenden Mann zu besänftigen, und eilte mit ihm, so schnell er konnte, auf unser Zimmer zurücke.


X.

Wir speisten in einem Gasthof in Gesellschaft zu Mittag. Während des Essens wurden die Zeitungen gebracht, und unter den Gästen ausgetheilt. Unglüklicher Weise fiel gerade dem Elafu ein Blatt in die Hände, das seinen kaum gestillten Unwillen, aufs neue erregen mußte. Er hatte es kaum flüchtig durchgelaufen, als er anfieng den Kopf zu schütteln, und dann – das Blatt mit Entrüstung auf die Seite warf. „Sie scheinen [86] keine angenehmen Neuigkeiten gefunden zu haben?“ – sagte ihm sein Nachbar lächelnd. „Verzeihen Sie – erwiederte er – in Ihrem Lande geht man keinen Schritt für sich, ohne den Fus an eine neue Sotise zu stosen, und das ist für einen Fremden, der Sinn fürs Gute hat, um desto ärgerlicher, da ihr so viel Aufhebens mit der Kultur und Aufklärung eures Zeitalters macht. Die Gäste stuzten nicht wenig, über diese dreiste Aeuserung des Philosophen, und einigen stieg der Schreken, andern die Indigration sichtbar ins Gesicht. Elafu nahm das Blatt wieder auf, und fieng an zu lesen:

„Demnach man höchster Orten in mißliebige Erfahrung gebracht, welcher gestalten eine kleine Drukschrift, betitelt: Träume eines Patrioten, im Lande herumgetragen und verkauft werde, worinn man sich nicht entblödet, verschiedene Verordnungen Serenissimi auf das frechste zu tadeln, und ohne einigen Beruf, allerhand Vorschläge, die dem [87] Interesse des Landesherrn schnurstraks zuwider laufen, zu machen, wodurch notwendiger Weise, Unzufriedenheit und Ungehorsam unter unsern lieben und getreuen Untertanen angefacht und erregt werden müssen; Als ergehet hiermit an unsre sämtlichen Dikasterien, Magistrate, Ober- und Unterbeamten, wie auch Gerichte und Schöffen, unser so gnädigst als gemessenster Befehl, alle Exemplare dieser fameusen Skarteke aufzusuchen, und zu unserm geheimen Kabinet anhero einzusenden, auch sich alle Mühe zu geben, den Druker und Verfasser derselben zu entdeken, damit beyde zur verdienten Strafe gezogen werden können. Zugleich sollen sie überall öffentlich bekannt machen, und alles Ernstes darob halten, daß derjenige, der sich erfrechen würde, ein Exemplar bemeldter Schrift, zu unterschlagen oder zurückzuhalten, nach bewandten Umständen, entweder mit Cassation, oder mit Leibesstrafe, oder mit einer [88] verhältnißmässigen Poen an Geld, unnachsichtlich belegt werden soll. Hieran geschiehet unser gnädigster Wille und Meinung und wir bleiben euch in Gnaden gewogen. Gegeben in unserer Residenz etc.
Hans, Fürst.     

„Ist das, fuhr Elafu fort, indem er das Blatt mit Heftigkeit auf den Tisch schlug, – ist das eure Preßfreiheit in Deutschland, von der ihr einen so durchdringenden Posaunenton erschallen laßt? – ist das ein Zeichen eurer Aufklärung, daß ihr’s nicht wagen dürft, die Fehler der Regierung zu tadeln, und Vorschläge zur Verbesserung derselben zu machen? - ist das ein Merkmal der Freiheit, daß man euch verbietet, eine Schrift zu lesen, in der ein patriotischer Bürger seine Stimme gegen die Gebräuche des States erhoben hat –

„Nicht so heftig, Freund Elafu – fiel Atabu seinem Kollegen ein; – vielleicht läßt sich doch noch einiges zur Verteidigung dieses Hofbefehles sagen. Es kommt vorerst hauptsächlich [89] darauf an, in welchem Ton diese patriotischen Träume geschrieben sind. So bald der Verfasser die Absicht verrät, Gährung oder Aufruhr zu stiften, so kann der Stat bei seinem Beginnen unmöglich gleichgültig bleiben.

„Aber – versezte Elafu mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit – welch’ ein ungeheurer Zwischenraum liegt zwischen Gleichgültigkeit und einem solchen Hofbefehl, der nichts weniger und nichts mehr bezielt, als einen lächerlichen Despotismus über die Augen der Bürger auszuüben, und ihnen gebeut, was sie sehen und nicht sehen sollen. Entweder, fuhr er fort, hat der Verfasser dieser Broschüre recht oder nicht. Ist sein Tadel ungegründet, und sein Plan unanwendbar oder unnüz, so hätte der Hof am vernünftigsten gehandelt, wenn er ganz geschwiegen hätte. Denn die Bürger des Staates, die den Verfasser lesen, werden es in dem angenommenen Fall selbst einsehen, daß seine Aeussrungen keine Aufmerksamkeit verdienen, und das Buch gleichgültig auf die Seite legen. [90] Sind seine Einwürfe gegen die öfentliche Verwaltung scheinbar oder trügerisch, so wäre es dem Hof ein leichtes gewesen, sich auch auf dem Wege der Publizität zu rechtfertigen, und die Scheingründe des Verfassers ins Licht zu sezen, das den betrüglichen Schimmer desselben verschwinden gemacht hätte. Und dadurch hätt’ er seine gute Sache am sichersten befestigt, und alle gefährlichen Eindrüke der verführerischen Schrift am glüklichsten vertilgt. – Sind aber die Beschuldigungen des Patrioten gegründet, und seine Vorschläge gut und zweckmässig, nun so lohne der Stat den weisen und biedern Mann, seze seine Plane ins Werk, und gebe den Bürgern den erfreulichen Beweis, daß er bereitwillig ist, alles anzunehmen, und auszuführen, was zu ihrem Glüke und zu ihrer Ruhe dienlich ist. Aber gerade das Gegenteil thut dieser Hof. Er tastet die heiligen Rechte der Menschheit an, droht dem Prediger der Wahrheit mit Strafe, sucht Freymütigkeit und Patriotismus zu ersticken, wird selbst der Verräther seiner schlimmen Sache, [91] und erteilt dem ihm gefährlich scheinenden Schriftchen ein sehr groses Interesse, das vielleicht ohne diese inkonsequente Drohung in wenigen Tagen vergessen worden wäre. Habe noch nie Despotismus und Unklugheit mit einem so engen schwesterlichen Bande verknüpft gesehen!“

Während Elafu mit dieser Parrhesie deklamirte, herrschte hohes Stillschweigen unter der ganzen Gesellschaft. Auf einigen Gesichtern lasen wir Mißbilligung, auf andern Unwillen, und auf etlichen wenigen furchtsamen Beyfall. „Nimm dich in Acht, Elafu! sagte ihm sein Amtsgenosse in der Sprache des Vaterlandes; – verrathen es dir diese Gesichter nicht deutlich genug, daß in diesem Lande nicht blos die Freyheit der Preße, sondern auch die Freyheit der Zunge mit den engsten Schranken umzäunt ist?

Gleich als ob er uns verstanden hätte, öffnete einer der Gäste seinen Mund, zur Verteidigung seines Vaterlandes. „Sie sprechen sehr ungerecht über uns ab, sagte er; wir genießen in der That die vollkommenste [92] Preßfreiheit in unserm State. Es darf bei uns alles ohne Censur gedrukt werden, nur muß sich der Schriftsteller gefallen lassen, jedem seiner Produkte, seinen Namen auf die Stirne zu prägen.“ Elafu schlug den guten Mann, der wol etwas sehr gescheutes gesagt zu haben glauben mochte, ehe er noch gar ausgeredet hatte, durch ein lautes Gelächter nieder, und auch Atabu, obgleich weniger für die Eindrüke des Komischen empfänglich, konnt’ sich nicht enthalten, in den Ton seines Kollegen einzustimmen. Ihr Thoren, hätt’ ich bald gesagt, sprach Elafu, kann denn da noch von Freyheit die Rede seyn, wo die Willkühr Schranken gesezt hat? Seyd ihr denn so blöde, daß ihr die Schlange nicht merkt, die hier im Grase verborgen liegt? Glaubt sicher, man hat eure Schriftsteller mit dieser Bedingung blos geäfft. Sie sollen ihre Namen ihren Produkten vorsezen, damit man sie, falls sie etwas mißfälliges sagen, so gleich beim Kopfe nehmen kann. Wahrlich ein feiner Kniff, von Leuten, die bei sehenden Augen blind sind!“ – „Aber [93] doch fein, in einer andern Rüksicht, sezte Atabu hinzu, denn da, wo nichts anonymisches gedrukt werden darf, wird gewiß auch höchst selten gegen die Vorurteile angestosen, denen bald der Stat, bald die Clerisey das Siegel der Heiligkeit und der Unverlezlichkeit aufgedrukt hat.“

Die Gesellschaft schien unsrer Deklamationen müde zu seyn. Alles brach plözlich auf. „Freymütige Leute! – murmelte der eine von den Gästen zur Thüre hinaus; – „unverschämte Pursche!“ – der andre; – „unsinnige Weltreformatoren, der dritte, – die man ins Tollhaus bringen sollte!“ –


XI.

Es waren uns vom ersten Augenblicke unsrer Niederlassung auf die Erde bis hieher, so viele Thorheiten und Sottisen, und eine so tyrannisch herrschende Macht der Vorurteile aufgestosen, daß wir in der That alle Hoffnung, irgend einmal eine Spur von Vernunft und Philosophie aufzufinden, anfiengen, fahren zu lassen. „Ich denke [94] doch nicht, sagte Atabu, daß unter Thoren und Schuften, nicht auch hie und da ein weiser und braver Mann, in der Stille sein Wesen haben sollte. Aber eben diese Stille hindert uns, die Lichter der Welt zu bemerken. Sie müssen in einem Lande, wo die Göttin Unvernunft auf dem Throne zu sizen scheint, notwendig unter einem Scheffel stehen. Würde irgendwo dieser Scheffel hinweggehoben, daß die Strahlen des verdeckten Lichtleins in unsre Augen schimmern könnten, gewiß wir würden befriedigt. Es kann auch seyn, daß uns ein unglüklicher Stern bisher gerade nur in die Zirkel der Thoren und Gecken geführt hat. Vielleicht finden wir auf unsrer Wandrung doch noch ein Provinzchen, in diesem grosen, weiten Lande, wo die Verteidiger des Stats, Menschenrechte genießen; – wo die Exoteriker verstummt sind, – wo der Landesherr nicht mit seinen Untertanen betrügerische Hazardspiele spielt, – wo die Schriftsteller aus Patriotismus für ihre Mitbürger arbeiten, – wo der Denker seine Ueberzeugung sagen [95] darf, – und wo der Nichtdenker Herr über seine Augen ist.“

„Wollen sehen, erwiederte Elafu, ob den gutmeinenden Atabu seine Hoffnungen nicht täuschen, und uns Morgen aus unserm Ruhepunkt erheben. Wollen aber erst noch ein wenig umherschlendern, in der Stadt, und alle Winkel ausspähen, ob wir nicht irgendwo die Strahlen des Lichtleins unter dem Scheffel entdecken.“

Es war schon Abend, als wir die lange Strase, in die sich die Aussicht von unserm Wohnzimmer öffnete, hinabgiengen. Ein groses, in einem edlen Styl aufgeführtes, überall mit den Merkmalen des Reichtums bezeichnetes Gebäude, zog unsre Aufmerksamkeit auf sich. Während wir es betrachteten, kam eine stolze Karosse um die andre vor das Haus gerasselt, und prächtig gekleidete Herren und Damen stiegen unter der Thüre desselben ab. Viele eben so vornehme Leute zeigten sich an den Fenstern des Pallastes, und nickten, und winkten, und komplimentirten zu den Ankommenden [96] auf die Straße herunter. Wir waren begierig, den Besizer oder die Bestimmung dieses Gebäudes zu kennen, in dem sich alles, was reich und glänzend in der Stadt ist, zu versammlen schien. Elafu zog bei einem Bedienten, der unter der Thüre stand, Erkundigung ein. „Hier, antwortete dieser, ist das GesellschaftsHaus des Adels.“ – Durch diese Nachricht wurde unsre Neugierde noch mehr gespannt, weil wir uns, wie sich’s nachher zeigte, unter dem Ausdrucke Adel ganz etwas anderes gedachten, als man sich in Deutschland gewöhnlich unter demselben denkt. „Hier, fragte Elafu weiter, haben also die edlen Menschen dieser Stadt ihre Zusammenkunft?“ – „Ja doch!“ – antwortete der Bediente, und lief dem Schlag einer wieder angekommenen Karosse entgegen.

„Freund! – sagte der Philosoph, voll hastiger Begierde, seinem Kollegen, – deine Vermutung trifft ein. Gewiß, unser Stern hat uns diesmal zu dem grosen Scheffel geführt, unter dem alle Lichter der Stadt [97] ihre erhellenden und erwärmenden Strahlen ausbreiten. Denke – eine Versammlung edler Menschen, die sich durch Kopf und Herz vor ihren Mitbürgern auszeichnen, und unter sich einen besondern Zirkel bilden, natürlich weil ihnen die Albernheiten und Verirrungen ihrer minder edlen Zeitgenossen ungenießbar sind!“ –

Atabu von Natur mißtrauischer als sein Amtsgenoße, und bei allen Empfindungen und bei aller Thätigkeit der Seele, ruhiger und kälter als er, konnte ein beginnendes Lächeln über seine Leichtglaubigkeit nicht unterdrücken. „Gieb acht, Elafu! sagte er ihm, wir werden wieder getäuscht. Der Adel auf der Erde scheint mir etwas ganz anderes zu seyn, als der Adel auf dem Uranus. Ein Wort dieses Bedienten hat dich in Begeistrung gesezt, ohne erst untersucht zu haben, ob den Leuten, die hier zusammenkommen, auch die Zeichen des wahren Adels aufgedrükt seyen. Ich zweifle sehr daran, daß diese stolzen Karossen, diese prächtigen Equipagen, dieser verschwenderische [98] Ueberfluß an Gold und Silber, dieser kühne, oft ins freche fallende, unnatürliche Puz, diese verachtenden stolzen Blike, die aus so manchem Wagen hervorblizten, – ob all’ dieß Merkmale edler Menschen in unserm Sinne, sind. Indeß wollen wir sehen, was an der Sache ist. Gehen wir hinauf.“ –

Auf dem Sale fanden wir einen niedlich gekleideten jungen Mann, der ernst auf und ab gieng, und uns nicht zu bemerken schien. Ein aus kostbaren Steinen zusammen gesezter Stern auf der linken Seite seines Rockes, verkündigte uns seinen hohen Rang. Wir giengen gerade zu auf ihn los, und wurden von ihm mit der feinsten, gebildesten Artigkeit aufgenommen.

„Darf ich fragen, sagte er, wen ich in ihnen zu verehren habe?“

Elafu. Wir sind Philosophen aus dem Uranus, gesandt von unserm Könige, den Zustand des Stats, der Wissenschaften, der Religion und der Sitten in Deutschland zu beobachten.

[99] Er. Und ihre Absicht in diesem Hause wäre? –

Elafu. Die edlen Menschen kennen zu lernen, die, dem Vernehmen nach, hier ihre Zusammenkünfte halten, und uns durch die Beobachtung ihrer Weisheit und Tugend, Freude und Genuß für Geist und Herz zu verschaffen.

Er. (in einiger Verlegenheit.) Sie sind sehr gütig, und hoffen vielleicht zu viel von unserm Adel. Sie treffen gerade auch unsern gnädigsten Landesherrn in unserm Klube an, der sich freuen wird, die Abgesandten seiner uranischen Majestät zu sehen. – Sie sind ohne Zweifel von Geburt? –

Elafu. Bei uns werden alle Menschen von Weibern gebohren. – Auf ihrem Planeten wär’ es also nicht der nämliche Fall? –

Er. Sie scheinen den Sinn meiner Frage nicht richtig gefaßt zu haben, oder vielleicht belieben Sie zu scherzen.

[100] Elafu. Ich vermuthe selbst das erstre. Denn so, wie ich Ihre Frage verstand, kam sie mir äuserst unerwartet.

Er. Sie sind wol beyde auch von Adel? – wollt’ ich fragen.

Elafu. Wir streben wenigstens darnach, es zu seyn, und eine immer höhere Stufe von moralischer Vollkommenheit zu erklimmen.

Er. (In noch größrer Verlegenheit und den Kopf schüttelnd.) Sind Sie von bürgerlichem Herkommen?

Elafu. Unsre Väter waren Bürger im Reiche des grosen Kalefa, und wir sind es auch. Aber wie kommen Sie, auf diese Frage?

Er. Diese Frage, mein Herr! ist hier äuserst wichtig. So lange Sie nicht so gütig sind, mir bestimmte Auskunft darüber zu geben, so lang kann ich auch die Ehre nicht haben, Sie meinem gnädigsten Fürsten und Herrn vorzuführen. Es scheint bisher, daß wir auf beyden Seiten unsre Ausdrüke nicht verstehen. – [101] Also, wenn ich fragen darf, wie viel haben Sie Ahnen?

Elafu. Ahnen? – das weiß ich in der That nicht. Doch wird daran eben sehr viel nicht gelegen seyn: Denn mich dünkt, es dürfte ein Mensch wol so viele Ahnen haben, als der andre.

Er. Noch verstehen wir uns nicht! Doch nun – wer war ihr Vater?

Elafu. Mein Vater hatte die Ehre Leib-Kutscher unsres grosen Kalefa zu seyn.

Er. Und der Ihrige? (zu Atabu.)

Atabu. Ein biedrer, braver Bauer, in den Thälern von Schnipipsi.

Elafu. Aber warum fragen Sie so ängstlich genau nach unsrer Herkunft? Ich dächte im Zirkel der Edlen würde immer zuerst gefragt: wer ist er, in der sittlichen Rüksicht? – und dann hintendrein, etwa beiläufig: wer ist sein Vater?

Er. Das mag vielleicht so Sitte auf dem Uranus seyn, nicht aber auf der Erde. [102] Wer nicht wenigstens acht Ahnen zählt, kann an unsern Assambleen keinen Antheil nehmen, sey er auch in der sittlichen Rücksicht, wer er wolle. – Leben Sie wol, meine Herren Philosophen! Hier kommen Sie mit all’ Ihrer Philosophie nicht an. –

Da standen wir und gafften uns an. „Das war wieder ein feiner Auftritt, sagte Elafu; da weiß ich mir gar nicht, was ich draus machen soll!“ – Wir trollten uns die Treppe hinunter, und Atabu lachte seinen Amtsgenossen über diesen seltsamen Erfolg seiner voreiligen Hoffnungen herzlich aus.

Als wir in den Gasthof zurückgekommen waren, wo wir gewöhnlich speißten, legte Elafu das Räthsel, das wir selbst zu lösen noch nicht im Stande waren, der Tischgesellschaft vor. Ein junger Kaufmann, ein offner und sehr launigter Kopf, der in Handlungsangelegenheiten aus dem nördlichen Teile Deutschlands hieher gereist war, und in sehr vielen Stücken viel weiter und tiefer [103] sah, als all’ seine Landsleute, die wir bisher kennen gelernt hatten, half uns aus dem Traume.

„Sie haben sich, sprach er, meine liebe Herren! durch ein Wort irre führen lassen, das, was Ihnen das nächste beste Wörterbuch der deutschen Sprache hätte sagen können, einen gedoppelten Sinn hat. Sie hiengen sich unglücklicher Weise an den schönern und einleuchtendern, der aber gerade bei uns der ungewöhnlichere ist. Denn nur selten bezeichnet man im gemeinen Leben, mit dem Ausdrucke Adel, den Innbegriff derjenigen Vorzüge des Verstandes und des Herzens, wodurch der gute Mensch über den minder Guten erhaben wird. Ist vom Adel die Rede, so müssen Sie sich beynahe immer eine besondre Klasse von menschen denken, die den ersten Stand im Stat ausmacht, die die Person des Fürsten umgiebt, die die wichtigsten Aemter und Ehrenstellen begleitet, und endlich verschiedene eigentümliche Rechte geniest, deren sich die übrigen Bürger des States nicht erfreuen dürfen. Der Name [104] dieser eminenten Klasse, läßt Sie vielleicht erwarten, daß sie gerade aus den weisesten und besten Menschen zusammengesezt sey, oder daß man sich nur durch ausgezeichnete Tugenden und Verdienste, in dieselbe schwingen könne. Aber damit irren Sie sehr. Blos die Geburt erteilt eigentlich den Adel. Ist mein Vater ein Edelmann gewesen, so bin ich auch einer, ich mag übrigens noch weniger wahren Wert haben, als der verachteteste Schuhflicker der Stadt. Zwar kann der Fürst Leuten, die nicht von Geburt sind, – Sie verstehen nun diesen Ausdruk – den Adel erteilen; aber dieser erworbene Adel, wenn man sich auch gleich desselben durch die glänzendsten Verdienste würdig gemacht hat, hat bei weitem den Wert des ererbten nicht, und schließt vom Genuß vieler Vorteile und Rechte aus, die von unsern Gesezen blos diesem zuerkannt sind. – Diese hervorragende Klasse sucht sich insbesondre dadurch einen blendenden Glanz zu geben, daß sie sich, so weit es möglich ist, von den andern Ständen entfernt, [105] und sich immer in ihrem eignen Kraise bewegt: Deßhalb ist jedem Nichtadelichen der Zutritt in ihre Assambleen verschloßen, und auch Sie wurden heute blos um deßwillen abgewiesen, weil ihre Ahnenprobe so äusserst seicht ausgefallen ist. Der Adel geht hierinn oft so weit, daß er durch seine übertriebene Delikateße nicht so wol schimmert, als vielmehr lächerlich und verächtlich wird. Er nimmt den unbedeutenden Fahnenjunker, der auf keiner Seite keinen Wert und kein Verdienst hat, mit offnen Armen in seinen Versammlungssal auf, wenn ihn nur das Ungefehr der Geburt begünstigt hat, während er dem Nichtadelichen Geheimen Rathe, um den sich die ganze Maschine der Statsverwaltung dreht, und dessen Wirkungskrais hundert tausende in sich schließt, die Thüre vor der Nase zuschlägt. Wären auch Sie einer von den Günstlingen jenes Ungefährs gewesen, man hätte Sie ohne Umstände eingeführt, hätte gleich das ganze Land laut über Ihre Laster und Ungerechtigkeiten geseufzt; hingegen als Nichtadelicher [106] mußten sie sich trollen, und dieß wäre Ihr Los gewesen, wenn ganz Deutschland seine Stimme zum Lobe Ihres Verdienstes erhoben hätte. – Verstehen Sie nun, meine Herren! was hier zu Lande Adel heißt?“

„Dank Ihnen, für Ihre Erklärung, erwiederte Elafu. Nun kann ich, wahrlich! meines Grams über unsre Hinwegweisung aus dem Zirkel der Edlen, gar leicht Meister werden. Wir würden kaum etwas gewonnen haben, wenn uns der Herr mit dem Stern seinen Genossen vorgeführt hätte: Denn wo der ganze Geist einer Verfassung auf die Erstickung des wahren Verdienstes und die Krönung des scheinbaren hinzuzielen scheint, da läßt sich wenig Kraft, wenig Anstrengung und wenig nüzliche Thätigkeit erwarten. Aber in der That, das gröste Paradoxon, das ich je gehört habe: die Geburt adelt den Menschen.“

„Ja wol ein groses Paradoxon, sezte Atabu hinzu, zumal da der Grund des Vorzugs so unzuverläßig ist. Denn es steht Niemanden an seiner Stirne geschrieben, welcher [107] Vater ihm seinen Ursprung gegeben hat. Hätten sie doch ein weniger trügliches Merkmal wählen können, wenn es je aus dem Gebiete des Zufalls hergenommen seyn müßte. Denn wär’ es nicht eben so vernünftig gewesen, den sicherern Grundsaz aufzustellen: Die Kröpfe oder die Höker adlen den Menschen, – als jenen höchst unsichern: die Geburt adelt ihn – ? –“


XII.

„Führ uns hin, wo du willst!“ sagten wir am folgenden Tage, dem Kutscher, den wir gemietet hatten, um uns aus der grosen Stadt hinwegzubringen, in der unsren Augen so viel Schatten und so wenig Licht dargestellet ward. Das dünkte ihn sonderbar und er stuzte. „Nun – murmelte er vor sich hin – wenn’s auf mich ankommt, so führ’ ich sie eben die besten Wege, und schone dadurch meinen Wagen, meine Pferdte und mich selbst.“ – „Und auch uns noch obendrein,“ sagte Elafu; – „also fahre zu!“ –

[108] Es gieng frisch und froh Berg auf, Berg ab, Durch Saten und Wiesen, durch Anger und Wälder, durch Städte und Dörfer, durch lachende Paradiese, und durch öde unfruchtbare Sandwüsten. Wir wurden mit unter von Wirten und Zollbedienten tüchtig geschröpft, und mußten Brükenzoll bezahlen, wo wir durchs helle klare Wasser fuhren, – und Chausse-Geld, wo wir beinahe im Schlamm versanken.

Um ein wenig auszuruhen, stiegen wir in einem grosen Dorfe an der Straße ab. Die ganze Bürgerschaft des Dorfes war im Wirthshause versammlet, in der Absicht einen Schulmeister zu wählen. Der Prediger sas in der Eke des Zimmers am Tische, und schien die Wahl zu dirigiren. Es waren mehrere Kompetenten vorhanden, die dem Prediger zur Seite standen, und voll banger Sehnsucht der Erfüllung ihrer Hoffnungen, entgegen sahen. Vor der Wahl selbst gieng eine kurze Prüfung der Kandidaten voraus. Erst mußte ein jeder eine Probe in der Schreibekunst ablegen, wobei [109] ihnen der Prediger einige, uns unverständliche, Säze in die Feder dicktirte. Ihre Schriftproben giengen dann bei den Gemeindegliedern herum, und kamen auf diese Weise auch in unsre Hände. Einige konnten wir wegen der ganz mißratnen Zeichnung der Buchstaben gar nicht entziffern; die andern aber waren voll der garstigsten Fehler gegen die Ortographie. Das fiel uns, in deren Vaterland sich’s der Stat zu einem so wichtigen Geschäfte macht, die künftigen Erzieher und Lehrer des Volks, durch die zwekmäsigsten Anstalten zu ihrer Bestimmung vorzubereiten, – natürlich äusserst auf. „Sind denn diese Leute hier, fragte Atabu seinen Nachbarn, keine eigentlich studierten Schulmeister? – „Studierte Schulmeister? – erwiederte der Nachbar, indem er hoch auflachte; wenn erst die Schulmeister auch noch studieren müßten! wir haben genug studierte Leute, an unsern Pfarrern, Beamten, und Advokaten. Sehen Sie, fuhr er fort, der dort mit dem krausen Hare und mit der kupfernen Nase ist ein verdorbner [110] Kaufmann aus der Stadt. Der im weißen Rocke mit dem lahmen Arm, ist ein Invalider Unteroffizier, aus unserm Dorfe gebürtig. Der Kahlkopf, der sich eben die Nägel abbeißt, ist Kaffeeschenk in der Stadt gewesen, bei dem’s aber auch die Quere gegangen seyn mag, denn ich wollte doch lieber kaffeeschenken, als schulmeistern. Der junge Mensch, dort neben dem Herrn Pfarrer im grünen Rocke, war bisher Lakay bei dem Herrn Konsistorialpräsidenten, und wird auch wol den Dienst bekommen: Denn er ist von seinem gnädigen Herrn sehr empfolen, und wird diesem auch aus einer gewißen Noth helfen, in der er mit dem Kammermädchen steckt, – wie’s halt geht; eine Hand wäscht die andre!“

Da sind die Sachen gut bestellt, dachten wir; und hatten nun schon deutlich genug bemerkt, daß auf diesem Planeten die Inkonsequenz nicht blos in den Städten, sondern eben so wol auch auf dem Lande wohnet. Elafu fieng mit seiner gewöhnlichen Hize an, den Gemeindegliedern, die an unserm [111] Tische sasen, eine heftige Predigt über das Thema zu halten, daß man da nichts als Unheil und Verderben erwarten dürfe, wo die Erziehung der Jugend verdorbnen Kaufleuten, oder lahmen Invaliden, oder ausgetrockneten Kaffeeschenken, oder ehrlosen Lakayen anvertraut werde. Atabu bewies ihm aber, wie zwecklos seine Demonstrationen an dem gegenwärtigen Orte seyen, und welch’ verdrüßliche Folgen die Verkündigung der Wahrheit vor tauben Ohren, oft nach sich ziehe. Auf das brach er ab, und ergos seinen Unwillen in unverständlichen Tönen in die hole Hand. Bald aber begann sein Murmeln wieder laut und verständlich zu werden, da nämlich der Prediger anfieng die Kandidaten aus der Religion zu examiniren. Es dürfte schwer gewesen seyn zu unterscheiden, wer der unwissendere Theil war, der Examinator oder die zitternden Examinanden; wenigstens schienen die meisten Fragen eben so widersinnig als die Antworten, nur daß die leztern seltner waren, als die erstern. Die Prüfung war bald vorüber. Man stimmte, und der [112] gutwillige Lakay, der dem Herrn Präsidenten aus der Not zu helfen versprochen hatte, trug den Preis davon.

Wir waren beyde sehr entrüstet. Schon genug zum Unwillen gereizt durch die Vernachlässigung der bessern Bildung der Erzieher, durch die Unwissenheit der Kandidaten, und durch die erbärmliche Prüfung des Predigers, kam nun noch das äusserste hinzu, daß gerade der ärgste Schurke die Palme erlangte, und das just um deßwillen, weil er der ärgste Schurke war.

Es ward dem neuen Schulmeister sein Besoldungsstand vorgelesen, – und da vernahmen wir denn, daß der Mann, dem die Bildung der Jugend des Dorfes anvertraut ist, für allen Schweiß und für alle Mühe mit einem Jahrgehalt von – fünfzig Reichsthalern bezahlt wird. – „Nimmt mich nun nicht mehr Wunder, sagte Atabu, daß nur ganz unbrauchbare Leute eure Schuldienste suchen; – ein Mann von Kopf und Herz fände eine solche Besoldung tief unter seiner Würde. Bei uns sind die Nachtwächter [113] und Abdeker besser belohnt, als bei euch die Schulmeister.“ „Es scheint, bemerkte Elafu, indem er sich zu seinem treuherzigen Nachbarn wandte, der Herr Präsident will sein liebes Bäschen verhungern lassen, weil er sie einem Mann angehängt hat, der ihr das Brod nur kärglich zuschneiden wird.“ – „Hat sich wohl, erwiederte dieser, fünfzig Reichsthaler ist für einen Schulmeister immer noch genug.“ „Schöne Begriffe vom Werte eines Schulmeisters, versezte der Philosoph; wem vertraut man mehr an als ihm?“ – „Wem? fiel der Nachbar ein. Warten Sie nur erst ein par Augenblicke. Wir werden sogleich einen neuen Hirten wählen, und der genießt aus unsrer Gemeindekasse an Geld und Früchten ein jährliches Einkommen, von wenigstens hundert Thalern. Aber sehen Sie, diesem Mann vertrauen wir den ganzen Sommer hindurch unser Vieh an, und er muß vom frühen Morgen bis in die späte Nacht rennen und laufen, während der Schulmeister das ganze Jahr keinen Fus müde macht. Herr! bei [114] uns heißt es, wie die Arbeit, so der Lohn!“ – „Mag nicht warten, sagte Elafu; spann an Kutscher, und eile, daß wir über die Markung dieses Dorfes kommen, wo man das wichtigste Amt einem unwissenden Bedienten überträgt, weil er niederträchtig genug ist, sich von einem vornehmen Wollüstling mit Hörnern krönen zu lassen, und wo man dem Hirten mehr Besoldung giebt als dem Schulmeister, – und wo dem Bauren an seinen Stieren und Kälbern mehr gelegen ist, als an seinen Kindern.“

Wir schüttelten den Staub von unsern Füsen, und sasen ein.


XIII.

„Haben wir nicht ein sonderbares Schicksal auf diesem Planeten! sagte Atabu; wo wir nur den Fus hinsezen, stosen wir an einem neuen Monumente der Unvernunft an, daß uns überall die Galle empor steigt, und Unwille und Aerger das Herz erschüttern.“ Aber der lezte Auftritt da, mit der Schulmeisterwahl, fuhr Elafu fort, war doch gar [115] zu empörend. Welch’ ein kleines Fünklein Licht darf in das Dunkel der Vernunft des rohen Menschen fallen, um ihm die Säze klar und handgreiflich darzustellen, – daß von der Erziehung gewöhnlich unser ganzer Geistes- und Herzenswert abhängt, – daß folglich äuserst viel an dem Mann gelegen ist, der das Erziehungsgeschäft, oder wenigstens einen grosen Teil desselbigen besorgt, – daß das gröste moralische Verderben einem Dorfe drohe, in dem dieß Geschäfte einem Mann aufgetragen wird, der ihm nicht gewachsen ist, – und daß man endlich diesen Mann so belohnen muß, daß man berechtigt ist, grose Kraft und grose Anstrengung von ihm zu fordern. Aber in den Köpfen dieser Leute ist es dichte, stockfinstre Nacht! – Doch wär’ es Lästerung der Menschheit auf der Erde, wenn wir von diesem einzelnen Falle deinen Schluß aufs Ganze machen wollten. Gewiß war das hier weiter nichts als ein Streich des Präsidenten, der sich von der Vertrauten seiner geheimen Freuden, gern los gemacht hätte. Glüklicher weise fiel er gerade [116] auf den rechten Ort: Denn anderswo würden die Leute unmöglich so dumm gewesen seyn, sich aus Höflichkeit und aus Mitleiden, mit dem, in der Verlegenheit schwizenden Chef der Klerisey, sich einen so elenden Schuft von Schulmeister aufdringen zu lassen. Aber der Herr Chef muß auch ein Hauptschuft seyn, weil er keinen Anstand nimmt, Dummheit, und Barbarey, und Roheit in einem Dorfe zu verewigen, damit nur seine Schande gedekt werde. – Gehen wir, fuhr er fort, in die nächste, beste Dorfschule; gieb acht, Atabu! unsre Erwartungen werden einmal befriedigt.“ – „Wahrscheinlich, erwiederte Atabu, wie im Gesellschaftshause des Adels zu Ypsilon.“

Wir kamen durch zwey – drey – Dörfer, ohne die Beobachtung, die Elafu in Vorschlag gebracht hatte, machen zu können. In dem einen war die Schulstunde schon vorüber, in dem andern waren gerade Ferien und im dritten wurden wir versichert, daß den ganzen Sommer über der Unterricht eingestellt sey, weil man bei der Menge von ländlichen [117] Geschäften, die Hände der Kinder nicht entbehren könne. Erst am folgenden Tage erhielten wir Gelegenheit, unsre Neugierde befriedigen zu können.

Wir traten in die Schulstube eines sehr artig gebauten Dorfes, in dem alles den höchsten Wohlstand zu verkündigen schien. Aber gerade diese Schulstube stach abscheulich mit den übrigen Zeichen des Ueberflusses und des guten Nahrungsstandes ab, – ein finstres, dumpfes Loch, in das man einige Treppen hinabsteigen mußte, wie in einen Keller, und so niedrig, daß wir beyde sizend, an der Decke anstiesen. Die Fenster waren teils zerbrochen, teils mit ewigem Schmuz überwachsen; auf und unter den Tischen, die gerade nicht besezt waren, lagen allerhand Hausgeräte und gedörrte Pflanzen umher; und unter der Bank war ein Gitter angebracht, hinter dem Enten, Gänse, Hüner, und junge Schweine hausten. Der Schulmeister, ein Greis, der’s kaum mehr vermochte, sich aus der Stelle zu bewegen, sas auf einem erhabnen Stuhl, in der Eke des Zimmers. In der einen Hand [118] hielt er ein Buch, und in der andern einen Stock. Hinter ihm war das Bild eines Esels, mit Oelfarbe auf ein Brett gemahlt, aufgehängt. Zu seinen Füsen sasen die Kinder an zween Tischen, und jedes derselben flüsterte vor sich in das Buch, so daß dieß Flüstern der Kinder, das Schlurken der Gänse und Enten, das Glucken der Hüner, das Grunzen der Schweine, in den lieblichsten Akorden zusammen tönte. Der Anblik dieser Kinder war abscheulich, wegen der eckelhaften Unreinlichkeit, die sie samt und sonders überzog. Gesichte, Hände, Füse, Kleider, Bücher – alles war mit Schmuz bedekt, und ein tödtender Gestank breitete sich von ihnen über die ganze Stube aus.

Wir seufzten laut beim Anblike dieser traurigen Scene. Wir dünkten uns nicht in einem Schulzimmer, sondern in einem Gefängniß oder in einem Zuchthause zu seyn. Denn es schien absichtlich alles zusammengehäuft, was die Gesundheit der Kinder zerstören den Sinn für Ordnung und Reinlichkeit ersticken, und ihre geistigen und körperlichen Kräfte [119] lähmen mußte. Den Fehlern, die gewöhnlich unwissende Aeltern in der häuslichen Erziehung machten, ward hier durch die öffentliche Erziehung die Krone aufgesezt.

Noch mehr erstaunten wir aber, als uns der Schulmeister, in einem sehr prätensionsvollen Tone, mit seinen pädagogischen Grundsäzen bekannt machte[4].

„Ein ziemlich ungesundes Zimmer!“ – sagte Elafu, indem er sich mit dem Schnuptuche den Schweiß von der Stirne wischte.

Schulmeister. O im Sommer geht es wohl noch an; aber im Winter oder bei feuchter Witterung zerspringen uns beinahe die Köpfe, da lauft den ganzen Tag das Wasser die Wände herunter; sehen Sie nur, wie grün sie sind.

Elafu. Aber warum weist man dem Zimmer keinen gesundern Plaz im Hause an. Das liese sich vielleicht doch thun?

Schulm. Nicht wohl! Hier über der Schulstube ist zwar eine geräumige, luftige Tenne, die man aber zur Aufbewahrung des Futters bedarf. Denn hier in diesem [120] feuchten Loch gieng das Futter alles zu Grunde.

Atabu. Schön! Damit das Futter nicht zu Grunde geht, läßt man die Kinder verfaulen. – Beinahe das nämliche Histörchen, wie das gestrige, da man den Hirten für eine wichtigere Person ansah’ als den Schulmeister.

Schulm. Je nun, das ist immer so gewesen, und wird auch so bleiben. Wir verharren hier zu Lande gern beim Alten.

Atabu. (In der Sprache des Vaterlands.) Das untrüglichste Merkmal der Kopflosigkeit und der Barbarey!

Elafu. Aber dieser Stock hier? – Zu welcher Absicht führen sie ihn?

Schulm. Eine sonderbare Frage! – Zum Zuschlagen, wenn die Jungens mutwillig sind und nicht lernen wollen.

Elafu. Und durch dieses Mittel erreichen Sie Ihren Zweck?

Schulm. Leider nicht allemal! Und doch gäb ich dieß Instrument nicht um allein in der Welt: Denn ohne Schläge kommt [121] man unter unsrer verdorbnen Jugend platterdings nicht aus.

Atabu. Ich halte dafür, daß die Schuld immer mehr am Erzieher als an den Kindern liegt, wenn er viel zuschlagen muß. Ich behaupte, daß ein weiser Erzieher, dem funfzig Kinder anvertraut sind, manchmal mehrere Monate lang nicht in die traurige Notwendigkeit kommt, den Stock zu gebrauchen.

Schulm. (mit lautem Lachen.) Weit gefehlt, Herr Philosoph! weit gefehlt! Ich bin durch die Praxis ein Meister geworden, und – keine Stunde geht dahin, wo ich nicht meinen Backel schwinge.

Atabu. Haben Sie aber auch schon die Wahrheit beherzigt, daß es eine der schwersten Künsten des Erziehers ist, zur rechten Zeit und auf die rechte Weise zuzuschlagen, – und daß unzwekmässig angebrachte Schläge, unzähligemal mehr schaden, als die gänzliche Unterlassung derselben?

Schulm. Ich bin nun vierzig Jahre Schulmeister, und habe viel erlebt, – und [122] viel erfahren, – und, wie gesagt, durch die Praxis die Meisterschaft erlangt.

Elafu. Zu was Ende liesen Sie hier diesen Esel abmahlen? Ich dächte es wäre beim Unterricht in der Naturgeschichte weit besser, den Kindern, wo es seyn kann, die lebendigen Thiere, als die Bilder derselben, zu zeigen.

Schulm. Naturgeschichte? – Was wollen Sie hiermit sagen?

Elafu. (lächelnd.) Sie geben den Kindern Unterricht in der Erkenntniß der Natur und der Geschöpfe, und zeigen ihnen die Thiere in Bildern, wie z. B. diesen Esel?

Schulm. Nichts weniger! dieser Esel ist zu einer gewissen Art von Strafe da. Wenn ein Kind faul oder unwissend ist, so wird ihm, zur Beschimpfung, das Bild umgehängt.

Elafu. Und das thut seine Wirkung?

Schulm. Wie ’s kommt. Manches Kind fürchtet die Schande mehr als den Schmerz, und da kommt man denn mit dem Esel; manches fürchtet den Schmerz mehr [123] als die Schande, und da kommt man mit dem Stock.

Atabu. Es scheint, daß Naturkunde in Ihrer Schule nicht gelehrt wird?

Schulm. Wozu Naturkunde? Wir lehren blos lesen, schreiben, und Religion. Weltliche Wissenschaften verschließen das Herz den Wirkungen der Gnade. Auch muß man den Bauren nicht zu gescheut machen. Ein kluger Bauer ist für Gott und für die Welt ein verdorbener Mann[5].

Elafu. (in der Sprache des Vaterlandes.) Abscheulich!

Atabu. Ich dächte der Bauer könnte ohne Anstand klug und gut zugleich seyn. Zwischen Verstandesbildung und Herzensveredlung läßt ein schwesterlich Band sich knüpfen.

Schulm. Die Herren machen’s hier einmal nicht anders. Wir bleiben gern beim Alten.

Ja Ja! – sagte Elafu, indem er nach der Thüre grif – da thut ihr wol daran! Jahet doch der Esel in eures Müllers [124] Stall auch nicht anders, als sein UrUrgrosvater in der Arche Noäh!“ –


XIV.

Wir sezten uns wieder ein, und fuhren voll bittern Unwillens immer weiter, bis uns die Dämmerung und die Bemerkungen unsres Kutschers über die Müdigkeit seiner Pferdte, an die Nachtherberge erinnerten. Wir traten in dem Gasthofe des nächsten Dorfes ab.

Kaum hatten wir uns auf unserm Zimmer ein wenig umgesehen, als ein äuserst sonderbar gekleideter Kerl, – denn sein Rok war aus Fleken von allen nur möglichen Farben zusammengesezt – an der Schenke vorüber ritt, und den Bewohnern des Dorfes verkündigte, daß nach Verfluß einer Stunde, sich ein groser Künstler in allerhand Leibesübungen auf dem Gemeindehaus sehen lassen, und zugleich eine Komödie gespielt werden würde, deren ärmlichen Innhalt er mit wenigen Worten erzählte.

[125] „Also kann man in eurer Provinz auch Schauspiele auf dem Lande sehen?“ – sagte Elafu dem Gastwirte, der uns den unverständlichen Dialekt des Ausrufers in bessres Deutsch übersezt hatte. – „Wahrlich kein gutes Zeichen, fuhr er fort; – und wo nehmen denn die Leute die Zeit her, das Schauspiel zu besuchen, da sie eben im Felde und im Hause mit den meisten Geschäften überladen sind?“

„Hm – erwiederte der Gastwirt, – die Arbeit ist nun so ziemlich vorüber, – und denn geht man eben nicht blos um des Schauspiels willen hin: das ist eigentlich nur Nebensache, womit man neugierige Leute herbeizulocken sucht. Die Hauptsache ist die Kunst des Arztes, in dessen Dienst die Schauspieler stehen. Das ist gar ein geschickter Mann, der alle äuserliche und innerliche Krankheiten heilet, Brüche schneidet, Zähne ausreißt, den Star sticht – und das alles um eine Kleinigkeit, die man den Aerzten in der Stadt wol zehnfach geben müßte.“

[126] „Aber, versezte Atabu, wenn dieser Arzt der geschickte Mann wäre, für den ihr ihn haltet, so – dächte ich – würde der Ruf seiner Kunst seine Praxis schon weit genug ausdehnen, ohne daß er nötig hätte, durch eine armselige Dorfkomödie, die Leute um seine Bude zu versammlen. Das dünkt mich in der That verdächtig!“

„Nichts weniger – sagte der Wirt. Lesen Sie hier erst diesen Zettel, und da werden Sie sehen, was der Mann alles versteht, und wie berühmt er ist, und welch’ schöne Proben er schon abgelegt hat.“

Elafu nahm ihm den Zettel aus der Hand, und dieser erhub unsern Verdacht, daß dieser Arzt ein unwissender Quaksalber und Betrüger sey, zur zweifellosesten Gewißheit. In welchem Posaunenton sich der Mann ankündigte! Er stamme von einem der ersten Aerzte Deutschlands her; habe grose Reisen gegen alle vier Winde gemacht; habe die schmeichelhaftesten Zeugniße von Kaisern, Königen und Fürsten, heile alle innerliche Krankheiten durch eine Universaltinktur, [127] die ein Eigentum seiner Familie sey; er breche die Zähne aus ohne Schmerz, und heile überhaupt jeden Schaden, wenn es anders der Wille der Gottheit sey, daß er geheilt werde.“

„Ist das nicht ein Betrüger ohne seines Gleichen – zürnete Elafu – der solche Rodomandaten schneidet, und sich eine so grose Wichtigkeit giebt, und mit Dingen prahlt, die widersprechend und unmöglich sind? – Was uns doch nicht auf unsrer Wandrung auf der Erde, für Leute begegnen!“ –

„Aber unter allen, die uns bis izt begegnet sind, versezte Atabu, ist dieser da gerade der gescheuteste. Er kennt seine Nation und sein Zeitalter; er weiß daß hienieden alle Thorheiten, besonders die, die ein wenig schimmern, Beyfall und Unterstüzung finden, und ist listig genug, diese Schwachheit seiner Zeitgenossen zur Füllung seiner Börse zu nüzen. Träte ein solcher Kerl, mit einer solchen Ankündigung, in unsern Dörfern auf dem Uranus auf, der nächste [128] beste Beamte nähme ihn beim Kopf und führte ihn ins Zuchthaus. Allein, da auf der Erde die Unvernunft noch mehr Rechte zu haben scheint als die Vernunft, so ist es kein Wunder, daß sich der Betrug in das Gewand der erstern hüllt, und die gutmütigen, kurzsichtigen Narren, weidlich um ihre Thaler prellt.“ –

Wir giengen hin, um auch Zeugen des Spektakuls zu seyn, das gegeben werden sollte. Eine große Menge Menschen war vor dem Gemeindehaus versammlet. Die gnädige Ortsherrschaft. Der Prediger und der Beamte mit ihren Familien, sasen zunächst am Theater. Wir beyde stellten uns dicht hinter diesen glänzenden Theil des Parterrs, und harrten, so wie jedermann, der Dinge, die da kommen sollten. Das Schauspiel war so erbärmlich, daß wir’s nicht der Mühe wert halten, nur ein Wort darüber zu verlieren. Indeß fand es bei den Zuschauern nicht geringen Beifall, und wurde von denjenigen, die es wußten, wie man sich in den Schauspielhäusern der Stadt zu gebehrden [129] pflegt, an einigen Stellen beklatscht, besonders alsdann wenn Hanswurst irgend einen derben Trumpf über verschiedne geheime Angelegenheiten des menschlichen Lebens, fallen ließ. Uns beiden aber behagten diese Trümpfe so wenig, daß wir, wegen des unwiderstehlichen Reizes zum Erbrechen, der uns unter dem Herzgrübchen grubelte, beynahe in die Notwendigkeit kamen, uns in der Bude des medizinischen Wunderthäters zu erkundigen, ob er nicht mit magenstärkenden Tropfen versehen sey?

Ganz unerwartet erschien dieser grose Tausendkünstler in eigner hoher Person, auf dem Theater, in einem sehr bunten, kostbar scheinenden Anzuge, und mit der Gebehrde der kühnsten Unverschämtheit. „Er spielt in der That seine Rolle gut, sagte Elafu; der Mann kennt sein Publikum. Dieß Flittergold und dieser Pomp bezaubern die Augen der Narren, daß sie die Blösen nicht sehen, die nebenzu hindurchblicken. Genau so muß man hinstehen, – so muß man sich brüsten, – wenn man sich beim Pöbel geltend machen will!“ –

[130] Er fieng an zu deklamirem. Erst brachte er all’ das wieder in Erinnerung, was die Leute im Dorfe von seinem hohen Werte schon in der gedrukten Ankündigung gelesen hatten. Nur nahm er hier grösre Umwege, und trug noch hellere Farben ins Gemälde. Höher kann man die Unverschämtheit nicht treiben, als sie von diesem Manne getrieben ward. Wir trauten unsern eignen Ohren nicht, und sahen mit einem mal das, was wir für die äuserste Gränze dreisten Stolzes gehalten hatten, von diesem Deklamator überschreiten. Mit diesem stinkenden Selbstlobe stach das dumme Räsonnement über menschliche Krankheiten und ihre Ursachen, das unmittelbar darauf folgte, widrig genug ab, und vollendete unsre Ueberzeugung, daß er nicht einmal die ersten Elemente der Arzneikunde verstehe, und nichts weniger und nichts mehr sey, als ein frecher Betrüger, dem das Brandmahl vor die Stirne gehörte. Die Leute in dem Dorfe waren aber der entgegengesezten Meinung, denn sie bestürmten das Theater mit dem wildesten Ungestümm, und kauften den [131] Quaksalber in Zeit von einer Stunde gänzlich aus, so daß sehr viele sich gefallen lassen mußten, die Befriedigung ihrer Lüsternheit, nach seiner allesheilenden Wundertinktur, bis auf den folgenden Tag auszusezen.

Elafu, der nie im Stande ist, zu schweigen, wenn er Vernunft und Recht verhöhnen sieht, vermocht’ es auch dießmal nicht. „Hab’ doch – sagte er, dem gnädigen Herrn, der vor ihm sas, gerade am Ohr vorüber, – hab’ doch in meinem Leben keinen grösern Betrüger gesehen, als diesen Medikaster hier. Erst schwäzt er den Leuten das Geld aus dem Beutel, und dann giebt er ihnen noch oben drein Gift dafür!“ – „Sie haben recht, erwiederte der gnädige Herr, indem er sich gegen ihn umwandte; – es ist unbegreiflich, wie dumm die Leute sind, und wie arg sie sich von ihm prellen lassen. – Aber, fuhr der Philosoph fort, unbegreiflicher als diese Dummheit, ist mir der Leichtsinn oder die Sorglosigkeit des Stats, der einem solchen Schurken erlaubt, seine Bude aufzuschlagen, durch seine [132] ungesitteten Spiele den Charakter des Volks zu verberben, und durch seine Purganzen seine Gesundheit zu zerrütten. Nein; wär’ ich Gutsherr, den ersten Quaksalber, der mir käme, transportirte ich geraden Wegs ins Zuchthaus.“ – „Das finden Sie unbegreiflich? – fragte der Baron befremdend; – nichts weniger als das! Meinen Sie, der Kerl erhalte die Erlaubniß, auf meinem Gute zu quaksalbern, nur um ein par Groschen?“ – „Also bezahlt er Ihnen, fuhr Elafu fort, die Erlaubniß Ihre Untertanen zu plündern, und sie noch dazu zu vergiften?“ – „Ey – erwiederte der Baron mit der grösten Gleichgültigkeit, – so arg ist es wol noch nicht, – seine Purganzen stoßen keinem meiner Bauren den Boden aus. Nicht wahr, meine Herren!“ – in dem er sich gegen den Pfarrer und Amtmann wandte, die beyde seinen erbärmlichen Wiz aus vollem Halse belachen halfen.

Wir kehrten voll Aerger, über das Spektakul, das wir gesehen hatten, in unsre Herberge zurücke. Am meisten fanden wir uns [133] dadurch aufgebracht, daß auch hier, die von uns schon oft gemachte, Bemerkung bestätigt ward, daß auf diesem Planeten, die meisten Thorheiten und Sottisen, von den Häuptern des Volkes nicht blos geduldet; sondern so gar auf eine positive Weise geschaffen, und unterstüzt werden. Unruhig schliefen wir in einem Dorfe, dessen Besizer dem Giftmischer ums Geld die Erlaubniß giebt, seine Unterthanen zu bestehlen, und zu tödten, – und machten uns des folgenden Tages, ehe noch die Sonne aufgegangen war, aus dem Staube.


XV.

Wir kamen noch Vormittags in einem schönen, angenehmen Städtchen an, in dem alles die Zeichen des Reichtums und der Verschwendung an sich trug, und die meisten Häuser Palläste zu seyn schienen. In und auser der Stadt zogen mehrere prachtvolle Tempel unsre Aufmerksamkeit auf sich, und längst dem Marktplaze, stand ein in einem edlen Style erbautes Schloß, in dem der Fürst, der umher liegenden Gegend, einer der ersten [134] Priester des Landes, den sie Bischoff nennen, residiret. Es gefiel uns in diesem schönen Städtchen, und wir dankten unsern Kutscher ab.

„Das priesterliche Regiment, bemerkte Elafu, scheint doch ein gutes, sanftes Regiment zu seyn, so sonderbar es uns auch vorkommt. Freylich scheint den Priestern keine andre Herrschaft zu gebühren, als die, die sie durch den überzeugenden Vortrag der Wahrheit über die Köpfe und Herzen der Menschen ausüben. Doch kann man ihnen auch diese Art von Regiment mit vollem Beyfall lassen, wenn es nur im Innern ihrer Verwaltung so aussieht, wie das Aeussre dieses Städtchens und dieser Gegend erwarten läßt.“

„Weiß nicht, sagte Atabu, das Priesterregiment will mir nicht recht in den Kopf. Wenigstens würd’ es mit dem Berufe der Priester auf unserm Planeten, nichts weniger als vereinbar seyn. Entweder wäre so ein politisches Amphibion ein schlechter Priester, oder ein schlechter Regent. Auch schikte es [135] sich gar übel, in der einen Hand die Palme des Friedens, und in der andern das Schwerdt der Rache zu tragen. Doch wollen wir nicht voreilig urteilen; – wollen wir erst ein wenig spekuliren!“

Wir hatten kaum den Fus auf die Strase gesezt, als wir eine grose Menge Menschen, gliederweise, zum Thore hereinziehen sahen. Sie trugen zum Theil lange Stangen, an denen bunte Fahnen flatterten, oder auch das Bild eines gekreuzigten angeheftet war. Die ganze Menge plapperte ein lautes, uns unverständliches Gebet. Einige Priester begleiteten sie, und alles verriet uns eine religiöse Feyer. Höchst auffallend war uns aber dabei die Gedankenlosigkeit und der Leichtsinn, womit sehr viele von der Menge, diese Art von Gottesdienst verrichteten. Einige sahen, während sich ihr Mund mechanisch bewegte, auf die Zuschauer umher, andre lachten, und andre erlaubten sich so gar mutwillige Nekereien gegen ihre Begleiter. Die Prozession zog in einen der schönsten Tempel der Stadt, wo sie ihre Andacht vor einem Seitenaltare verrichtete, [136] von den Priestern gesegnet und mit geweihtem Wasser besprüzt wurde, und sich dann in die Gasthöfe der Stadt zerstreute.

Wir hatten in diesem Städchen einen Studenten zum Lehnlakay gemietet, der ein armer Schluker, aber ein offner Kopf, und ein sehr unterhaltender Gesellschafter war. „Nun wie, – sagte er – hat Ihnen das Spiel gefallen?“ - „Wir können gar nicht darüber urteilen, bemerkte Atabu, so lange wir die Absicht desselben nicht kennen.“ – „Und die will ich Ihnen erklären!“ – sagte der Musensohn, und fuhr folgendermaßen fort.

„Die Kirche, worinn die Leute von der Prozession gebetet haben, gehört den Kapuzinern.“ –

„Geduld! – sagte Elafu; – was sind das für Leute, Kapuziner?“

Kapuziner? - fuhr der Lehnlakay fort; – das sind Leute, die zur Ehre Gottes und zur Erbauung einfältiger Glaubensbrüder[6], ihr Fleisch kreuzigen, sich des Beyschlafes enthalten, eine rauhe härene Kutte, auf dem blosen Leibe tragen, und sich mehrere [137] strengen, auf die Abtödtung sinnlicher Lüste abzwekenden Gesezen unterwerfen, die ihnen ein gewisser Schwärmer vor Jahrhunderten schon in den fernen Wüsten des Morgenlandes gegeben hat.“

Elafu. Und all’ das geschieht zu Gottes Ehre? Ich sehe aber in der That nicht, wie Gott durch die Hinwegwerfung seiner Wohlthaten geehrt werden solle? – Sonderbare Begriffe!

Atabu. Dichte Finsterniß in der Stadt dieses deutschen Bischoffs!

Lehnlakay. Ich glaube nicht an die Heiligkeit der Kapuziner. Denn nach meinen Grundsäzen ist der heiligste derjenige, der für das Wohl des Ganzen am thätigsten ist, und am rechtschaffensten handelt. Aber dieß sind die Grundsäze des grosen Haufens nicht. Das Volk bleibt in seinen Urtheilen meistens nur an der Oberfläche der Dinge hangen, und findet folglich, sehr natürlich, in einem Mann, der freywillig auf diejenigen Freuden Verzicht thut, worein es das höchste Vergnügen sezt, z. B. auf den Genuß der [138] Weiber, einen ächten Sohn der Gottheit: Deßhalb hält auch das Volk die Kapuziner für die heiligsten und frommsten Männer, ja gar für Wunderthäter, und nimmt in all’ seinen geistlichen und leiblichen Nöthen seine Zuflucht zu ihnen.

Elafu. Für Wunderthäter? – was heißt das?

Lehnlakai. Das Volk glaubt, daß die Gottheit auf diese ihre Lieblinge, einen Teil ihrer unumschränkten Macht ausgegossen habe, übermenschliche Wirkungen hervorzubringen, und – auch gegen die ewigen Geseze der Natur – Teufel auszutreiben, Kranke zu heilen, Behexte zu entzaubern, unfruchtbare Weiber fruchtbar zu machen, u. d. gl.

Elafu. Gott, welche Vorurteile!

Atabu. Ich glaube keine Wunder; aber der lezte Punkt, nämlich die Befruchtung der Unfruchtbaren, dünkt’ mich ohne die Wundergabe möglich zu seyn.

Lehnlakai. Wirklich haben sie auch in Ansehung dieses Punktes schon die Proben abgelegt; mit den andern will es ihnen aber immer [139] nicht so völlig glücken. Indeß hat diese Wundergabe auch die fremden Wallfahrtsleute herbeigezogen, die Sie heute gesehen haben. – Ein Mädchen, die schon Jahre lang von einem bösen Geiste besessen zu seyn wähnte, wandte sich in ihrer Not an einen von diesen frommen Vätern. Dieser führte sie zum Bilde der Mutter Gottes, das in ihrer Kirche aufgestellt ist, fieng an den Dämon zu beschwören, flehte das Bild um Hülfe und Mitwirkung an, und siehe! – der Teufel fuhr in der leibhaftigen Gestalt einer Rauchschwalbe von dem Mädchen aus. Das Gerücht von dieser Wunderthat lief auf den Flügeln des Windes weit im Lande umher. Der dumme Pöbel – und wir haben Pöbel auf den Schlössern so wohl, als in Hütten – ströhmt nun seitdem haufenweise zu dem Mirakelbild, jedermann hofft von ihm Hülfe in seinen Nöten, und jedermann sucht durch eine milde Gabe sich der erflehten Hülfe zu versichern. Das kleine Häuflein der Aufgeklärten aber steht auf der Seite, und beweint oder verflucht diese Macht der Finsterniß, diesen [140] Sieg des Aberglaubens, und diesen Triumf des Betrugs.

Elafu. Hat wol Ursache zu weinen und zu zürnen, das kleine Häuflein der Kinder des Lichtes! Das ist nun vollends die Krone auf all’ den Unsinn, und auf all’ die Schurken-Streiche, die uns bisher aufgestosen sind. Hab’ mich darüber geärgert, als ich einen banqueruten Fürsten seine Untertanen durchs Lotto ausplündern sah; – aber hier seh’ ich dieß schändliche Handwerk gar von Priestern treiben; – seh’ wie sie den Mantel der Gottseligkeit umhängen, um desto mehr zu scheinen vor der Welt; – seh’, wie sie den Verstand ihrer Zuhörer vorsäzlich verkrüppeln, und ihnen die albernsten Verurteile in den Kopf sezen, nur damit sie ihr ehrloses Handwerk, desto sichrer treiben können. – Sind mir schöne Lehrer der Wahrheit! – schöne Muster der Tugend! O heilige Religion, wozu must du dich nicht mißbrauchen lassen! –

Atabu. Aber ein lustiger Streich war es doch, mit der Rauchschwalbe. Ein Dummkopf [141] ist dieser Pater Hexenmeister warlich nicht gewesen. Er handelte als ein freier Kenner des Menschen, der, wenn seine Einbildungskraft krank ist, oft nicht sichrer geheilt werden kann, als dadurch, daß man der in derselben herrschenden Täuschung, eine neue Täuschung entgegensezt.

Lehnlakai. Die Entzauberung war wirklich geglükt. Das Mädchen glaubte, die Rauchschwalbe, die der schlaue Priester aus seinem Busen hervorflattern ließ, sey aus ihrem Halse herausgeflogen, und durch diesen glüklichen Wahn ward sie rein. Sie ist nun ganz gesund, verheirathet und glüklich.

Atabu. Um des Mädchens willen hätt’ man die Posse immer spielen können, da kein andrer Weg zu ihrer Heilung übrig war, als der Weg des Betrugs. Aber daß nun die Priester diesen Betrug der Welt als Wahrheit aufzubinden sich erfrechen; daß sie wegen eines Narren, tausende machen, – daß sie so gar durch die Religion, die nach ihrer wahren Absicht, den Verstand bilden und das Herz veredlen soll, den erstern verfinstern und [142] das leztre verschlimmern, – das ist unverantwortlich! –

Elafu. Aber warum läßt man denn, ums Himmels willen! diese Betrüger ihre Streiche so ungeahndet spielen! – warum zieht man ihnen den Dekel nicht vom Topfe? – Hier fällt die Schuld doch wieder, wie beynahe all’ euren terrestrischen Thorheiten, auf diejenigen Herren zurük, die das Ruder des States in Händen haben.

Lehnlakai. Lieber Freund! die Erfüllung Ihres gerechten Wunsches läßt sich unter uns lange noch nicht erwarten. Denn einmal flimmert das Lichtlein der Aufklärung in unserm Lande noch so klein, daß seine Strahlen nur in sehr wenige Köpfe beginnende Dämmerung bringen. Und bei denen, die am Ruder sizen, ist nicht einmal diese Dämmerung bemerkbar. Da denkt ein jeder nur an seinen Beutel und an seinen Magen, und zieht die Ruhe der Anstrengung vor, die mit dem Forschen nach Wahrheit verbunden ist, und glaubt alles, fest und treulich, es mag so dumm seyn als es [143] will, wenn er nur gegen jene zween Punkte, und etwa noch gegen einen gewissen dritten, nicht anstößt. – Alsdenn, wenn auch gleich hie und da ein Mann von Kopf im Stillen im Lande der Finsterniß schleicht, der auch Mut und Rechtschaffenheit genug hätte, das Ideal des Aberglaubens anzutasten – was würd’s nüzen? Er würde plözlich zurükgeworfen, und in den Staub getretten, und das Unwesen gienge seinen Gang nach wie vor. Denn unsre Klerisey, meine Herren! ist eine ungeheure Kette, in der man kein Glied berühren kann, ohne das Ganze zu erschüttern; – eine furchtbare Verbrüderung, wo alle Genossen des Bundes für einen, und einer für alle stehen, und wo alles auf den Zweck hinwinkt, Finsterniß und Sklaverey unter dem Monde zu erhalten, und durch die Uebermacht über den Verstand der Menschen, den ärgsten, moralischen Despotismus über sie auszuüben.

Elafu. Nun verhalten sich die Dinge auf der Erde so, so wünsch ich euch Glük zu eurer Philosophie, zu eurer Kultur, und zu eurer Aufklärung! –

[144]
XVI.

Unser Lehnlakai machte uns überhaupt eine traurige Schilderung von dem politischen, religiösen, und literarischen Zustande dieses kleinen geistlichen States; wir tragen um so weniger Bedenken, von seiner Schildrung treuen Bericht zu erstatten, da sie für unsern grosen und guten Kalfa nicht anders als unterhaltend, und vielleicht auch – sit venia verba – lehrreich seyn kann.

„Unser Fürst, sagte er, ist ein guter, edler Mann, und hat keinen einzigen Fehler als den – daß er Fürst ist: Denn er hat alle Tugenden, die einen Privatmann liebenswürdig machen, hingegen keine von jenen, die im Gemälde des grosen Fürsten als die Hauptzüge hervorleuchten, – nämlich Kenntniß des Menschen, Selbstständigkeit, Festigkeit, Klugheit, und weise Strenge gegen den Verbrecher. Sein sanftes, gutes, menschenfreundliches Herz traut Niemanden etwas Böses zu, sondern hofft von jedermann das Beste; – seine strenge Gewissenhaftigkeit, drückt seine Hand, so oft er [145] sie aufhebt, um zu strafen, wieder nieder, weil er jedesmal befürchtet, eine Ungerechtigkeit zu begehen; – und seine Kurzsichtigkeit und Zuversicht zu allen Menschen, läßt Heuchlern und Betrügern weiten Raum ihn zu hintergehen, und seine Güte zu mißbrauchen. Er bestättigt durch sein Beispiel eine alte Bemerkung, die man in unserm Lande oft schon gemacht hat, daß nämlich Schwäche auf dem Throne, für den bessern Teil der Bürger des Stats weit drükender sey, als Härte und Strenge.“

Religiosität ist der Hauptzug im Charakter unsres Fürsten, ein feiner, reizender, vielversprechender Zug, dem aber nur aufgeklärte Grundsäze seine wahre Schönheit erteilen: denn ohne diese, kann er unter gewissen Umständen, noch weit häßlicher und abscheulicher werden, als selbst die dreisteste, entschiedenste Irreligiosität. Es wäre Lästerung, wenn ich den religiösen Sinn unsres guten Fürsten so tief herabwürdigen wollte; indeß ist er aber doch mehr Schwärmerei als reine, deutliche Ueberzeugung, und nicht sowohl, [146] als die natürliche, glückliche Anlage seines Herzens, die Quelle seiner Tugenden. Denn wäre seine Frömmigkeit das Resultat aufgeklärter Erkenntniß, so würde er z. B. gewiß nicht alle Diener der Religion ohne Unterschied, und ganz ohne Rücksicht auf ihren persönlichen Wert so tief verehren, und nicht einem jeden aus dieser Klasse, Hand und Herz öffnen, fest überzeugt, daß es die Männer mit Mänteln und Krägen samt und sonders gut mit der Menschheit meynen, und nie eine Absicht verfolgen können, die Eigennuz oder Trug ausgebohren haben.“

„Diese Schwäche leitet seinen Blik in der Wahl seiner Diener und Freunde ausschliesend auf den geistlichen Stand, und dieser herrscht nun seit seiner Thronbesteigung unumschränkt, im Kabinet, in der Kammer, und in den Gerichtshöfen, und diese Allgewalt der Klerisey, ist der Grund, daß wir alle, obgleich vom tugendhaftesten und wohlmeinendsten Fürsten beherrscht, mit Leib und Seele unserm Untergange immer näher kommen. Herrschte ein andrer Geist unter unsrer [147] Priesterschaft; ein Geist, dem gerade entgegengesezt, der sie izt charakterisirt, nun so möchten wir immer besser berathen seyn, und wären vielleicht glücklich; aber nie können wir dieß werden, so lange das Interesse der ersten Diener des States in den meisten Fällen, dem Interesse der Untertanen zuwider ist, und sie, bald durch finstre Grundsäze, bald durch Trug geleitet, den Vortheil ihrer Klasse immer zum ersten, und allzu oft nur zum einzigen Zielpunkt ihrer ganzen Thätigkeit machen.“

„Ein schlauer Priester, von sehr viel Kopf und Weltklugheit, äuserst intrikant und in der Verfolgung seiner Plane unermüdet, hat sich gleich beim Regierungsantritt unsres Fürsten, in den unumschränkten Besiz seines Zutrauens geschwungen, und sich auch bis auf den heutigen Tag darinn erhalten. Denn er weiß die Schwächen des milden Bischofs so gut zu nüzen, und die Larve der Frömmigkeit so täuschend anzuziehen, daß ihm seine Achtung schlechterdings nicht entgehen konnte. Dieser Mann ist nun eigentlich unser [148] Fürst, und regiert den Stat so unumschränkt, wie der erste Despot des Orients den Seinigen, während der Fürst Messen hört, Bilder anbetet, Almosen austeilt, und sich der falschen Hoffnung freut, daß seine Untertanen alle zufrieden und glücklich seyen. Natürlich wendet der schlaue Minister alles an, die Religiosität des Herrn in diesem Geleise zu erhalten, und sie immer weiter darinn fortzuführen: Denn dadurch sezt er sich von Tag zu Tag fester in seinem Standpunkte, und dehnt den Kreis seiner Wirksamkeit immer weiter aus.“

„Unsre Geistlichkeit hat kein höheres Interesse, als die Unterdrückung der menschlichen Vernunft, und die Hemmung ihrer Fortschritte in fernere und lichtvollere Zonen: denn mit der Ausbildung dieser Kraft unsrer Seele, muß ihr Ansehen, und mit diesem auch ihre Macht notwendig erschüttert werden, und endlich gar zusammenstürzen, weil beyde auf Vorurteilen beruhen, die die Proben der gebildeten Vernunft nicht aushalten. Da die meisten Glieder dieser Klasse diese [149] Gefahr fühlen, so fixirt sich unter ihnen, je mehr die Vernunft in ihrer Entwicklung fortschreitet, ein gewisser Gemeingeist, der alle auf den einen Punkt hintreibt, die Macht der Finsterniß in ihren Angeln zu erhalten. Wird ihnen irgendwo Herrschaft und Gewalt eingeräumt, so wenden sie all ihre Kräfte und alle Hülfsmittel die ihnen zu Gebote stehen, an, gute und freye Köpfe mutlos zu machen, oder gar zu unterdrücken, und die Fesseln der Unwissenheit und der Vorurteile immer mehr zu befestigen. Und zu all’ diesen Bemerkungen ist mein eignes Vaterland, leider! der beste Beleg.“

„Seit kurzem ist es diesen Söhnen der Finsterniß gelungen, mehr als zuvor auch die weltlichen Fürsten in ihr Interesse zu ziehen. Es rumorte nämlich in vielen Gegenden Deutschlands ein gewisser, schwindlender, äuserst inkonsequenter Revolutionsgeist, der alle bürgerlichen und sittlichen Bande zu zerreissen, und alle Altäre und Thronen umzustürzen drohte.“ „Da haben wir’s – riefen nun die Priester an [150] allen Orten und in alle Ohren – da haben wir die Folgen unsrer Aufklärung, und der Ausbildung der stolzen Vernunft.“ – Hie und da erwiederte man freylich dieß Geschrey, nach Verdienst, mit Spott und Lachen, oder nahm sich auch die Mühe, diesen Schreyern zu beweisen, daß man die gute Sache der Fürsten nicht ärger lästern könne, als wenn man ihren Untergang für eine Folge der Ausbildung der Vernunft erkläre. Aber an den meisten Orten sah’ man nicht so weit, und that zu den vielen vorher gegangenen alten Sottisen noch die neue hinzu, daß man mit den Priestern behauptete: Aufklärung ist die gefährlichste Feindinn unsrer Thronen!“

„Nie hat die Vernunft in unserm kleinen State einen härtern Druk erlitten, als seitdem dieser fatale Revolutionsgeist in Deutschland zu spucken angefangen hat. Der schlaue Minister hatte zwar zuvor schon ein jedes Lichtlein, das sein schalkhaft Aug entdeckte, Wasser gesprüzt, um es auszulöschen; aber nun begnügte er sich damit nicht mehr, sondern [151] trug es mit seinen stets rüstigen Genossen darauf an, diese Lichtlein gar zu zernichten. Niemand dürfte es wagen, nur ein beyläufig Wort über die Rechte der Vernunft und des Gewissens fallen zu lassen; denn er wußte sein Interesse dem Fürsten so ganz als Sache der Religion darzustellen, daß dieser mit dem Thun und Lassen des heuchlerischen Ministers nie zufriedner war, als gerade in dieser Periode des höchsten Sieges der Unvernunft.“

„Sie werden es kaum glauben, meine Philosophen! da sie aus einem Lande herzukommen scheinen, worinn Aufklärung und Philosophie triumphiren, daß auf unsrer Universität gerade die hellsehendsten Lehrer zur Ruhe gesezt, und an ihrer Stelle lichtscheue, unwissende, und träge Mönche aufgestellt worden sind; – daß man keine Wissenschaft, selbst nicht einmal Matematik, die doch so wenig Bezug auf Religion hat, als mein Zahnstocher auf das Wohl von Europa, über solche Lehrbücher vortragen darf, die von Verfassern aus andern Religionspartheien [152] geschrieben worden sind; daß kein Zögling aufgenommen wird, der nicht erst eine gewisse Reihe unsinniger Säze, auf denen das System der Hierarchie beruht, beschworen hat; – daß den Lehrern der ausdrükliche Befehl erteilt ist, die Einwürfe freyer Denker gegen die autorisirte Theorie in ihren Vorträgen mit Stillschweigen zu übergehen; – daß Aesthetik und alle Literatur verbotene Wissenschaften sind, die nicht gelehrt werden dürfen; – daß kein Zögling des Instituts ein Buch lesen darf, wo er nicht von dem ersten Lehrer der Theologie ausdrükliche schriftliche Erlaubniß dazu erhalten hat. Ja nicht blos auf unsrer Universität liegt dieser Despotismus unsrer geistlichen Sultane; sondern er reckt seine eiserne Hand auch über die Privatbeschäftigungen lesender und denkender Bürger; über den Buchhandel, über die Volksschüler, und über das Gebiet des häuslichen Erziehers aus, und strebt und wirket unermüdet, durch die Unterjochung der Vernunft, sich im Besize seiner Vorteile zu erhalten.

[153] „Wir haben nun genug gehört, erwiederte Elafu; Schweigen Sie, und machen Sie unsern Unwillen über die Schwäche Ihres Fürsten, und über die Arglist seiner treulosen Diener nicht noch mehr aufbrausen. Hätte nie geglaubt, daß sich der trugvollste Eigennuz, wenn ihm auch die gröste Gewalt eingeräumt würde, bis auf diesen Grad von Unvernunft und Ungerechtigkeit verirren könnte.“

„Ein neuer Beweis, sezte Atabu hinzu, für zwo bekannte Bemerkungen, an die man auch zuweilen auf dem Uranus erinnert wird, nämlich: ein sehr guter Privatmann ist oft ein sehr schlechter Fürst, und – Stolz und Haß im Priesterroke, sind drückender und unversöhnlicher, als Stolz und Haß unter einer Krone.“


XVII.

In dem nämlichen Gasthofe, in dem wir Herberge genommen hatten, hielt sich ein junger Rechtsgelehrter aus einem Landstädtchen auf, der in die Residenz gekommen war, [154] um die durch den Tod seines Vaters ledig gewordene Beamtung in seinem Geburtsorte zu suchen. Wir speisten an einem Abend auf seinem Zimmer, und wurden hier, wo wir nicht von den Spionen des Hofes, oder von den Speichellekern der Klerisey belauscht waren, so vertraut, daß uns der junge Mensch sehr treuherzig mit dem Erfolg seiner bisherigen Bemühungen in seiner Bedienstigungsangelegenheit bekannt machte, und uns manche Neuigkeit eröfnete, wodurch unser ganzes Erstaunen rege ward. Als er uns erzählt hatte, wie schwer es ihm werde, seine Absicht zu erreichen, weil wol zwanzig Kompetenten neben ihm um die Stelle seines Vaters buhlen, so sagte ihm Atabu:

„In unserm Lande ist es gerade umgekehrt. Da muß der Stat nicht selten die Subjekte zu seinem Dienste mit groser Mühe aufsuchen. Denn bei uns, fuhr er fort, hält man den Dienst des States für eine Bürde, die nur Leute von ungewöhnlicher Kraft, zu tragen vermögen.“

[155] Rechtsgel. Und bei uns ist dieser Dienst eine Art von Sklaverey. Demungeachtet aber dringt sich jedermann hinzu, die Fesseln, die hier aus geboten werden, anzunehmen: Denn diese Fesseln sind aus Gold geschmiedet, und blenden durch ihren Glanz, ob sie gleich schwerer sind, als die eisernen.

Elafu. Es müssen also doch Vorteile mit dem Dienste des States verbunden seyn, die die lästige Seite desselben, entweder in der That überwiegen, oder wenigstens zu überwiegen scheinen.

Rechtsgel. Diese Vorteile sind in unserm State so gros, daß man die Lage eines öffentlichen Beamten gerade für die glücklichste achtet: Denn mit seinem Berufe ist die gröste Ehre, und wo nicht das beträchtlichste, doch das sicherste Einkommen verbunden. Er herrscht in seinem Wirkungskraise meistens eben so despotisch, als wenn er unumschränkter Oberherr seiner Untergebenen wäre. Er ist von allen Lasten befreyt, die auf den übrigen Bürgern des States liegen, und will er ungerecht und untreu seyn, so liegt ein weiter [156] Raum zur Befriedigung seines Eingennuzes vor ihm, und er kanns lange treiben, ohne gestört zu werden: Denn der Beamte erhält seinen Untergebenen gegen über, beinahe immer Recht, sollte auch sein Unrecht noch so einleuchtend, noch so schreyend seyn. Folglich ist es sehr natürlich, daß ein Vater seinen Sohn nicht besser berathen zu können glaubt, als wenn er ihn dem Dienste des States widmet. Denn er sichert dadurch sein Fortkommen und sein bürgerliches Ansehen weit fester, als wenn er ihn einem Handwerker, oder einem Künstler, oder einem Kaufmann übergäbe.

Elafu. Werden aber unter diesen Umständen Handwerker, Künste, und Handlung nicht in Verfall gerathen? Denn derjenige Stand, der durch den Glanz eines andern so sehr verdunkelt wird, muß schlechterdings an Kraft und Würde verlieren.

Rechtsgel. Allerdings! die Handlung ist bei uns zur Krämerey herabgesunken; die Künste liegen ganz zu Boden; die meisten Produkte derselben, lassen wir aus dem Auslande kommen, ja wir schiken ihm wol gar [157] die rohen Materialien dazu hinaus. Aber selbst auch derjenige Stand, der sich dem Dienste des States gewidmet hat, kommt seinem Verfall immer näher, denn bey der unverhältnißmäsig grosen Menge dienstsuchender Leute, bleiben sehr viele unversorgt, verzehren ihr väterliches Erbe im Müssiggang, ringen dann mit bittrer Armut, und verlieren dadurch alle Kraft, die sie in den Stand sezen sollte, dem State nüzlich zu seyn.

Atabu. Da dürfte es Ihnen aber wol schwer werden, Ihr Ziel zu erreichen?

Rechtsgel. Wie gesagt, zwanzig Nebenbuhler stellen sich mir in den Weg, und darunter Leute, deren Ansprüche teils durch die grauen Hare, teils durch ihre Brauchbarkeit, wenigstens immer so gewichtig sind, als die meinigen.

Atabu. Zu welchen Ansprüchen können graue Hare berechtigen? – Ich dachte bisher immer, daß schlechterdings nichts als Brauchbarkeit in dem leren Fache, Rechtschaffenheit und Patriotismus, dem Bürger die Würdigkeit zum Dienste des States erteilen.

[158] Lehnlakai. Weit gefehlt, Herr Philosoph! Sind Sie denn noch so sehr Fremdling auf der Erde. Daß Sie nicht wissen sollten, daß die Wagschale des Zufalls, die des Verdienstes auf unserm Planeten, bei weitem in die Höhe schnellt? – Wir wollten noch die Gerechtigkeit unsrer Obern preisen, wenn sie nur die grauen Hare streng zur Bedingung der Versorgungen machten: denn es ist doch billig, daß man bei ziemlicher Gleichheit des Verdienstes, den alten Kandidaten vor dem jungen berathe. Aber, du lieber Gott! – Geld, Geld – meine Herren! regiert die Welt!

Elafu. Ich sehe im Ernst nicht, wie das Geld mit der Anstellung eines Dieners des Stats zusammenhängt?

Lehnlakai. Wollen wir deutsch von der Farbe sprechen! – Sie müssen wissen, meine Herren! daß bei uns alle vakanten Dienste des States im Aufstrich verkauft werden. Wer dem Minister die höchste Summe anbeut, erlangt den Preis. Das wird Ihnen der Herr Kandidat hier, wenn er anders offenherzig seyn will, am besten sagen können.

[159] Elafu. Ums Himmels willen, was sagen Sie uns? – Sie kaufen die Sklavenketten um Geld, und der Stat bietet die Pflicht, für das Wohl der Bürger zu sorgen, im Aufstrich feil. – Unbegreiflich!

Atabu. In der That unbegreiflich!

Rechtsgel. Ich habe für die Stelle meines Vaters dreitausend Thaler geboten, und tausend Thaler kostete es mich, bis ich nur den Weg fand, auf dem ich mein Aufgebot schlagen konnte.

Atabu. Wenn aber nun ein Dummkopf und ein Schurke diesen nämlichen Weg einschlägt, und bietet tausend Thaler mehr als Sie?

Rechtsgel. Dann fall ich durch.

Elafu. Und dieser niederträchtige, abscheuliche Handel wird in dem State eines gütigen Fürsten getrieben, der es mit seinen Untertanen wie ein Vater meynen soll?

Rechtsgel. Unser Fürst weiß von alle dem nichts. Die ungeheuren Summen, die jährlich für Dienste hingegeben werden, verschlingt alle der erste Minister, und unterstüzt seine Parthey, oder bezahlt seine Mätressen damit.

[160] Atabu. Aber warum kommt nicht ein Biedermann, und deckt den Stachel des Blutigels vor dem Throne auf?

Rechtsgel. Das wäre ganz vergeblich. Denn eher wollt’ ich die Erde aus ihrer Bahn rücken, als unsern Fürsten überzeugen, daß ein Priester etwas Böses thue.

Atabu. Aeuserst traurig! – Und was läßt sich erwarten von den Dienern des States, die durch Bestechungen in die Aemter eingeschlichen sind?

Lehnlakai. Das lehrt uns die Erfahrung. All’ unsre Beamten, einige sehr wenige ausgenommen, sehen den Eintritte in den Dienst des States als Berechtigung zu Betrug und Schelmerey an. Ein jeder erlaubt sich alle Mittel, seiner Börse die Summen, die er für seine Beförderung hingegeben hat, zu ersezen. Er betrügt den Landesherrn und die Untertanen, und sezt seine Streiche, die bei ihm zur Fertigkeit werden, auch dann noch fort, wenn er die Scharte, die er auf dem Wege zur Versorgung erhielt, längst ausgewezet hat. Es bestrebt sich auch Niemand [161] mehr unter uns, sich durch diejenigen Kenntniße und Fertigkeiten auszuzeichnen, die zum Dienste des States erforderlich sind: Denn ist man reich, so wird man doch angestellt, man mag noch so unfähig seyn; ist man aber arm, so bleibt man bei aller Brauchbarkeit ewig sizen. – Und Anhänglichkeit an den Stat, Rechtschaffenheit, Bürgerliebe, Treue, Patriotismus – sind durch den Dinsthandel längst über unsre Gränzen verbannt.

Elafu. Ein groser Schurke ist dieser Minister eures Fürsten; aber, mit Ihrer Erlaubniß, Herr Kandidat! jeder, der ihm Geld für eine Beamtung beut, ist es nicht minder.

Rechtsgel. Sie urteilen zu hart. Denn schlag ich dieß Mittel nicht ein, so bleib’ ich ewig unbedienstet; bringe mein Leben unnüz für den Stat hin, und all’ meine bisherigen Bemühungen brauchbar zu werden, sind vergeblich.

Elafu. Sie betrügen sich, mein Herr! Sollte denn nur derjenige dem State nüzlich seyn können, der ihm unmittelbar dient? [162] Nichtsweniger. Der arme Bauer, der unter Druck und Verachtung die Erde baut, ist eine wichtigere Person für die Gesellschaft, als der Beamte, der in wollüstiger Trägheit sein Leben hinschlummert. Und dann, wer einen Dienst kauft, kauft ihn gewiß nie, um sich einen Raum für seine Thätigkeit zu öffnen, sondern immer nur, um sich Ehre und Einkommen zu verschaffen. Er macht ganz allein sich, nicht aber das Wohl des Ganzen zu seinem Zwecke. – Prüfen Sie sich; Vielleicht finden Sie mein unbefangenes Urteil an Ihnen selbst bestättigt?

Rechtsgel. Je nun, kauf ich den Dienst nicht, so kauft’ ihn ein andrer?

Elafu. Ein saubrer Grundsaz! Ich darf also ein Verbrechen begehen, wenn es, im Fall ich es unterlassen hätte, doch von einem andern begangen worden seyn würde. Können Sie Ihr Gewissen mit dieser Ausflucht beruhigen, wahrlich! so möcht’ ich mit Ihnen nicht unter einem Dache wohnen.

Der bestürzte junge Mann biß sich in die Nägel; – unser Lehnlakai, zu arm, als [163] daß er sich je nur eine Thorschreibersstelle kaufen könnte, lachte ihm triumphirend ins Gesicht; – Atabu war bedrükt und seufzte; – und Elafu strampfte, nach seiner Weise, voll Grimmes, mit den Füsen auf die Erde.


XVIII.

Wir speisten am folgenden Abend am Gesellschaftstische. Unser junger Rechtsgelehrte hatte am Morgen des Tages seine Wünsche gekrönt gesehen, und war bereits mit dem Dekret auf die gesuchte Stelle in sein Vaterort zurück gereist. An Atabu’s Seite sas ein Mann von mittlern Jahren, ganz in sich gekehrt, und mit allen Merkmalen eines grosen innerlichen Grames bezeichnet. Ein beträchtlicher Unfall schien diesem unserm Tischgenossen, der sonst immer guter Laune und sehr redselig war, verstimmt zu haben. Atabu nahm sich die Freyheit, ihm sein Befremden über diese auffallende Veränderung seines Benehmens zu erklären. Er flüsterte ihm einige Flüche über den Minister [164] und seine Kreaturen ins Ohr, und sagte ihm, daß er gehofft habe, auf einer vakanten Beamtung Brod zu finden, daß ihm aber durch einen jungen Laffen, vermittelst einer ungeheuren Summe, die dieser in den unausfüllbaren Schlund jenes Schufts geworfen, der Rang abgelaufen worden sey. „Ich kann – ich darf mich nicht erklären, fuhr er fort, denn man begnügt sich bey uns nicht blos damit, die Leute zu hudeln; man nöthigt sie noch obendrein, ihren Grimm in sich zu fressen, daß sie bersten.“

Der harmvolle Mann hatte kaum ausgeredet, als ein Polizeydiener mit einigen bewaffneten Leuten ins Zimmer trat, und ihm stillschweigend einen offnen Brief überreichte. Zitternd ergrif er ihn, blickte hinein, und lies ihn plözlich wieder fallen. „So wär’ ich also auch noch Arrestant?“ – war das einzige, was wir ihn sprechen hörten. „Ohne Umstände!“ erwiederte der Polizeydiener kaltblütig und trocken. Mit einem tiefen Seufzer stand der bestürzte Mann vom Stuhle auf, und folgte den Häschern nach.

[165] Dieser unerwartete Auftritt war der ganzen Gesellschaft ein Räthsel. Der Gastgeber allein äuserte eine Vermutung, die einigen Schein hatte, und dann auch, leider! durch den Erfolg bestätigt wurde. „Dieser Mann, sagte er, ringt und kämpft schon lange, um endlich auch einmal ein Aemtchen zu erringen. Er kam um deßwillen wieder in die Residenz, und fiel, wie es ihm bisher immer gieng, auch dießmal durch. Er ist ein Mann von groser Geschiklichkeit und Uebung in Geschäften, und fühlt seinen Wert und die Ungerechtigkeit seines Schicksals. Wahrscheinlich ist dießmal dieß Gefühl zu stark und zu schmerzhaft geworden, als daß er vermocht hätte, es zu verbeissen. Vielleicht hat er irgend ein dorniges Wort über den Minister gesagt oder geschrieben, und ward dieß vertraten, – nun dann ist dieser unerwartete Auftritt kein Rätsel mehr.“

Dieser Handel, der uns so sehr befremdet, und durch die Vermutung des Gastwirts unsre Aufmerksamkeit noch mehr gespannt hatte, erzählten wir am folgenden Morgen dem Lehnlakai, [166] und erklärten ihm, wie sehr er uns verbinden würde, wenn er im Stande wäre, uns die Aussicht auf den Grund der Sache zu eröffnen. Auch er fand die Vermutung des Gastwirts sehr wahrscheinlich. „Bei uns, sprach er, kann man keine zehn Schritte vor oder hinter sich gehen, ohne auf einen Spionen des Hofes zu stosen, und diese Leute wissen sich auf eine so täuschende Weise zu verbergen, daß man beynahe nirgends vor ihren Nachstellungen und Verräthereyen sicher ist. Ich wollte tausend gegen eins wetten, Ihr Tischgesellschafter ist in ihre Schlinge gefallen. Das Detail des Handels werd’ ich nun aber leicht auskundschaften: Der Polizeydiener, der ihn in Verhaft genommen hat, ist mein Freund, und hat nichts, was er vor mir verbärge.“

Der Lehnlakai gieng, und kam nach einer halben Stunde wieder. „Was wir vermutet haben, ist genau so eingetroffen. Der unglükliche Gefangene suchte die nämliche Beamtung, nach der auch der junge Herr geangelt hat, den Sie vorgestern auf seinem Zimmer sprachen. Er glaubte, diesmal werd’ es [167] ihm nicht fehlen, weil ihm bey der vorlezten Vakatur, die feyerlichste Versicherung erteilt worden war, daß er bei der nächsten unfehlbar beratet werden sollte. Aber der besagte junge Mann hub ihn durch eine ungeheure Summe aus dem Sattel, und ein fader Kanzleytrost war alles, was er, zur Erfüllung des geleisteten Versprechens erhielt. Je zuversichtlicher seine Hoffnung war, je mehr fand er sich durch die Vereitlung desselben entrüstet. Er schrieb einen ziemlich bittern Brief an seine Braut aufs Land hinnaus, und sagte ihr darinn die unläugbaren Wahrheiten: daß in unserm State Talent und Verdienst lächerliche Vorzüge seyen, – daß man keinen grösern Wert erlangen könne, als den, den Reichthümer, zu Bestechungen angewandt, ertheilen, – daß der Fürst von seinen Leuten abscheulich hintergangen werde, – und daß der Teufel den Minister und alle Spiesgesellen holen soll! Er war so unvorsichtig, diesen Erguß seines Unwillens, der ordinären Post zu übergeben. Hier ward der Brief erbrochen, dem Minister eingehändiget, – und damit [168] das ganze bürgerliche Glük des Mannes zerstört. Die mildeste Strafe für das Verbrechen, mit seiner Braut von der Brust gesprochen zu haben, ist diese: daß der arme Mann, wenn sich der Minister erst durch eine empfindliche Züchtigung an ihm gerochen hat, in seinem Leben nie zum Dienste des States angestellt werden, und also in Armut und Elend umkommen wird.

Aber, sagte Elafu, wer ist der ehrlose Verräter, der sich unterstand, einen Brief, den man der Treue des Stats anvertraut hatte, zu erbrechen?

„Verräter? – erwiederte der Lehnlakay; – nein, das geschah’ aus Pflicht, und auf ausdrücklichen Befehl des States: denn Sie müssen wissen, daß, seit dem der izige Minister das Ruder in Händen hat, eine eigne Deputation auf der Post der Residenz niedergesezt worden ist, welche alle Briefe erbricht, die einlaufen, und aufgegeben werden. Dadurch werden die meisten Geheimniße der Untertanen, und eines Teils des Auslandes bekannt, und sind sie so beschaffen, daß der [169] Minister Gefahr befürchtet oder sich beleidigt sieht, so ergreift er ohne weiteres seine Masregeln, Uebrigens wird dieß Geschäfte in der höchsten Stille betrieben, und die Leute, die dabei angestellt sind, wissen die Briefe, die unverfänglichen Innhalts sind, so täuschend wieder in ihre Falten zu legen, daß man bei dem Empfang derselben, wenn man nicht vorher von der Sache unterrichtet ist, nichts weniger vermutet, als daß ein Verräter schon seine Nase darein gestosen habe. – Und nun, meine Herren! wie gefällt Ihnen das?“

„Bei Gott! – zürnte Elafu, indem er wie rasend im Zimmer umher stürmte, – das höchste, das äuserste, das Meisterstück des Despotismus! So weit hätt’ ich doch nicht geglaubt, daß dieß Ungeheuer sich erfrechen dürfte, seine Krallen auszustrecken! – Welche Beleidigung für den Bürger! Doch hier ist nicht mehr von Bürgern, hier ist nur von Sklaven die Rede! Aber auch der Sklav hat seine Rechte, die heilig und unverlezlich sind. – Und ist das nicht der schändlichste Betrug, die niederträchtigste Treulosigkeit? Uebergeb’ [170] ich meine Briefe unter der Bedingung, daß sie unerbrochen an ihre Behörde geliefert werden sollen? – Und diese Bedingung bricht der Stat auf die leichtfertigste Weise; spielt so schnöde mit den feyerlichsten Verträgen, und zerreißt so unverschämt die Bande der Pflicht, die ihm eben so ehrwürdig und heilig seyn sollen, als dem Bürger.“

„Da ist ’s freylich weit gekommen, fuhr Atabu fort, wo sich der Stat so abscheulich an den Rechten des Bürgers vergreift. Und wie thöricht und sinnlos noch obendrein! darf sich der Minister vor dem Geheimniß der Briefe fürchten, wenn er gerecht und vernünftig handelt? Erklärt er nicht durch diese schändliche Art von Verräterey sein böses Gewissen, oder wenigstens seine bösen Absichten? – Wahrheit und Gerechtigkeit dürfen kein Geheimniß fürchten:“

„Plözlich – sagte Elafu – plözlich reisen wir ab! Ich zittere, daß ich so lange in einer Stadt geblieben bin, worinn dem Bürger solche Schlingen gelegt sind. Eiligst – zum Lehnlakai – bestellen Sie Pferde. Hier übernachten wir nicht mehr.

[171] In der Dämmerung fuhren wir zum Thore hinaus. Wir fühlten das Wohl des Lebens und der Freiheit nicht mehr, bis wir die Gränzen dieses so despotisch beherrschten Landes zurückgelegt hatten. Der Anblick der Ketten, lehrte uns den Wert der Freyheit fühlen! und wir waren unerschöpflich an Lobsprüchen, auf die Milde und Gerechtigkeit unsres grosen Kalefa, dem das Recht des Bürgers das höchste Heiligthum, und sein Glück – das lezte Ziel ist.


XIX.

Am andern Tage kamen wir in einem kleinen Städchen an, dessen Innwohner Untertanen eines sehr mächtigen, und sehr weisen deutschen Fürsten sind. Ein dumpfes Geschrey, das uns, als wir uns den Thoren näherten, entgegen schallte, lies uns ein neues Abenteuer erwarten. Das Geschrey ward immer wilder und lauter. Endlich vernahmen wir manchmal, aus dem brausenden Gebrülle ein deutliches Wort, das uns blutige Auftritte vermuten ließ. Bald hies es: „schlagt [172] den Beamten tod!“ Bald „stürzt die Rathsherren aus dem Fenster!“ – bald „gebt Feuer unter sie!“ – Atabu fieng an zu zittern und zu erbleichen, und machte seinem Kollegen den Vorschlag, entweder gerade zu wieder umzukehren, oder ausser den Mauren des Städtchens vorüber zu fahren. „Du Hasenfus – erwiederte ihm aber Elafu; meynst du, sie werden uns fressen? – Wär’ es doch unverzeihlich, wenn diese Gelegenheit, den Deutschen auf einer neuen Seite zu beobachten, vorbeyschleichen liesen.“ – „Aber unsre Neugier mit unsrer Haut zu bezahlen?“ – „So weit wird’s wohl nicht kommen, versezte Elafu und hies den Kutscher zufahren.“

Eine unübersehbare Menge Menschen, Männer und Weiber, Greise und Kinder, Mädchen und Jünglinge, Bewaffnete und Unbewaffnete, standen dicht auf einander gedrängt vor dem Rathhause. Einige machten sich eben das Geschäfte, ein Plakat, das an die Thüre desselben angeheftet war, abzureisen; – andre tanzten mutwillig um ein groses Feuer, [173] das auf dem Plaz angeschürt war, und den Geruch von verbranntem Pappier verbreitete; – und die übrigen brüllten unaufhörlich durch einander: Wir nehmen keine andre Religion an – wir wollen hin, wo unsre Väter auch hingekommen sind – weg mit dem neu modischen Katechismus – laßt uns beim alten bleiben – schlagt die Kezer tod!!!

„Da geht es toll zu, sagte Elafu seinem Amtsgenossen. Ein schönes Pröbchen deutscher[7] Toleranz. Welch’ größre Ungerechtigkeit läßt sich denken, als den Leuten mit einem mal eine neue Religion aufdringen zu wollen! – Sie haben recht, die braven Bürger! Sie sollen kein Gesez annehmen, das über ihre Ueberzeugungen gebietet.“

Plözlich ward der ganze tobende Haufen stille. Ohne daß wir es bemerkt hatten, war ein Trupp berittener Soldaten zum andern Thore der Stadt herein gekommen, der auf der einen Seite des Marktplazes uns gegen über, stille hielt. Sie hatten alle die blosen Schwerdter in der Hand, und schienen zum Angriff bereit. Der Anführer der Soldaten [174] redete den aufrührischen Haufen mit erschütterndem Ernst an. „Ich bringe euch, sprach er, den Befehl von unserm gnädigsten Fürsten, daß ihr alle plözlich die Waffen niederlegt, und euch auf der Stelle ruhig nach Hause begebet, und da erwartet, was in der Katechismussache weiter verhandelt werden wird. Werdet ihr nicht plözlich gehorchen, so habe ich Befehl zum Angriff, und ich werde euch behandeln, wie es Rebellen verdienen. Also wer untersteht sich, unserm Fürsten und mir, seinem Bevollmächtigten, Troz zu bieten?“

Diese Worte wirkten wie ein Wetterstreich. Es stand nicht zwo Minuten an, und der ganze Markt war ler von Menschen. Aber komisch war der Anblick dieser plözlichen furchtsamen Feigheit nach einem so frechen Troze. Jeder eilte so gut er konnte; und einige warfen so gar auf ihrem schleunigen Rückzuge, um nicht erkannt zu werden, die Heugabeln, die Knotenstöcke, die Hacken, und die Aexte, womit sie sich bewaffnet hatten, in den längst der Strase hinfliesenden Strom.

[175] Wir beyde blieben unter dem Rathhause stehen. Der Befehlshaber der Exekutionstruppe sprengte rasch auf uns los, worüber Held Atabu beynahe vor Schreken unmächtig niedersank. „Seyd ihr die einzigen, fuhr er uns an, die den herrschaftlichen Befehl verachten? Plözlich nach Hause, oder –“–“ Wir sind Fremde, erwiederte Elafu, und diesen Augenblik erst angekommen!“ – Auf das ward der trozige Mann augenblicklich sehr freundlich, und bat uns mit der schmeichelhaftesten Artigkeit, daß wir uns in einen Gasthof begeben möchten, weil es ihm sehr leid seyn würde, wenn wir unverschuldeter Weise Unannehmlichkeiten erfahren müßten.

So komisch der Ausgang dieses Auftritts war, so lies er in uns doch einiges Misbehagen zurück, weil wir noch immer in der Meynung stunden, daß man dem Volk mit Gewalt seine väterliche Religion abdringen, und ihm das Joch einer Gottesverehrung aufbürden wolle, die es für irrig hält. Wir wurden aber bald, durch den nämlichen Offizier, der die Ruhe wieder hergestellt hatte, aus unserm Wahne gerissen.

[176] Wir speisten in seiner Gesellschaft zu Mittag. Elafu ließ ein par derbe Worte über Intoleranz und Gewissenzwang fallen, und bemerkte im Vorbeygehen, daß er, so sehr er auch jeden gewaltsamen Widerstand des Bürgers gegen die Verordnungen des States verabscheue, doch gestehen müsse, daß der Bürger manchmal genötigt werde, zu revoltiren.

„Sie werden, erwiederte der Offizier, die gute und gerechte Sache des Stats in dem gegenwärtigen Fall, mit der höchsten Deutlichkeit einsehen, so bald ich Ihnen das Faktum wahr und plan erzähle. – Das Lehrbuch der Religion, das bisher in unsern Volksschulen eingeführt gewesen ist, hatte, so wol in Ansehung des Innhalts, als auch der Unordnung desselben, sehr viele Mängel und Unvollkommenheiten. Es wurde schon vor mehr als 150 Jahren verfertigt, in einem Zeitpunkte, in dem man viele Hülfsmittel zur Erklärung unsrer Religionsquellen noch nicht hatte, die wir izt haben, und überhaupt in allen Arten von Kenntnissen [177] weit hinter uns zurückstand. Je weiter wir unterdessen an Geistesbildung fortgeschritten sind, je unbrauchbarer wurde uns dieses Buch; je einleuchtender wurden seine Unvollkommenheiten, und je stärker fühlte man das Bedürfniß eines neuen, das unserm jezigen Kulturzustande angemeßner wäre. Dieses alte Lehrbuch erhielt noch eine Mengen roher Begriffe unter dem Volke im Aesehen, die unsre Priester längst mit bessern vertauscht haben, und die das Volk auf dem Wege sittlicher Veredlung nicht nur nicht unterstüzten, sondern vielmehr hinderten. Unser Fürst, der sich nicht blos die Sorge für das äuserliche Wohl der Bürger seines States zur Pflicht macht, sondern auch eben so unermüdet auf die Bildung ihres Geistes und Herzens bedacht ist; sah’ die Gebrechen dieses Lehrbuches ein, und machte seinen Theologen den Auftrag, einen neuen, dem Zeitbedürfniße angemeßenen Landeskatechismus zu schreiben. Es war hier von nichts weniger als von der Einführung einer neuen Religion die Rede, wie diese Brausköpfe, [178] die nicht zu unterscheiden wissen, träumten. Nein! man wollte blos die aberglaubigen, finstern, und unmoralischen Ueberbleibseln barbarischer Zeitalter aus dem autorisirten System und aus den Köpfen ausmerzen, die Religion auf ihren wahren Zweck zurükführen, und eine leichtere und fruchtbarere Metode im Vortrage derselben, in Gang bringen. Unsre Theologen leisteten auch in der That, was ihnen aufgetragen war, aufs treflichste, und lieferten einen Katechismus, auf den unser Land stolz zu seyn berechtigt ist. – Das Volk ist mit allen neuen Einrichtungen unzufrieden, besonders wenn sie Religion und Gottesdienst betreffen, und nichts ist schwerer, als die Zweifel, mit denen es sich gegen dieselben schleppt, überzeugend zu widerlegen. Dieß wußte man an unserm Hofe sehr wohl. Man gieng daher bei der Einführung des neuen Lehrbuches mit der höchsten Vorsicht und Klugheit zu Werke, und erreichte auch wirklich das gewünschte Ziel so glücklich, daß die Sache im ganzen Lande ohne beträchtliche Schwürigkeiten [179] zu Stande kam. Nur die Bürger dieses unbedeutenden, obscuren Städtchens weigerten sich, der landesherrlichen Verordnung sich zu unterwerfen, und in ihren finstern Köpfen ein helles Licht anzünden zu lassen. Man schlug zuerst gelinde Wege ein, und suchte ihnen begreiflich zu machen, wie man nichts weniger, als sie in ihren Ueberzeugungen stören wolle, sondern sie nur aufzuhellen, und zu berichtigen suche. Aber diese gelindern Mittel thaten die gehoffte Wirkung nicht. Je dummer und roher diese Leute waren, je schwerer war es, ihren Starrsinn zu beugen. Man versuchte also ein strengeres Mittel, und sprach von Widersezlichkeit und Ungehorsam gegen landesherrliche Befehle. Dadurch verdarb man aber vollends gar alles. Der hartnäkige Haufe veranstaltete eine Verschwörung, und erschien vor dem fürstlichen Kommissarius mit der bestimmten Erklärung: er bleibe beim Alten, koste es auch Gut und Blut! – Und nun sagen Sie mir, meine Herren! ob Sie diesen tollen Schwindelköpfen noch einen [180] Augenblik Recht zu geben, im Stande sind?“

„Gesegnet, fiel hier Elafu ein, gesegnet sey mir dieser edle Fürst, dieser Vater seines Volkes – der Licht und Wahrheit über die Bürger seines States auszugiesen, ihre Köpfe durch reine Erkenntniß aufzuhellen, und ihre Herzen durch richtige religiöse Grundsäze für die Tugend zu erwärmen sucht! – Gesegnet sey er mir! – und könnt’ ich ihn auf der Stelle um Verzeihung bitten, daß ich ihn einen Augenblik verkannt, und verführt durch die Stimme des rasenden Pöbels, einen der abscheulichsten Tyranneyen fähig gehalten habe! – Wir sahen bisher auf eurem Planeten so viel Uebermacht des Aberglaubens, der Finsterniß, und des Trugs, über Vernunft, Licht, und Wahrheit, daß wir auf nichts weniger, als auf eine so angenehme Erscheinung vorbereitet waren.“

„Aber, bemerkte der Offizier, – sehen Sie da, wie Licht und Wahrheit auf unsrer Erde ringen muß, um die Finsterniß und die Unvernunft zu besiegen?“

[181] „Wol! – versezte Elafu. – Dieser Pöbel verhält sich genau wie ein Kind, das voll Eigensinnes stampft und heult, weil man ihm die Tollbeere, die es zu essen angefangen hat, mit Gewalt aus den Händen reißt. Lassen Sie sich dieß Stampfen und Heulen nicht irren; geben Sie ihm auch wol, wenn es Noth thut, ein par tüchtige Streiche mit der Rute über den Rücken. Der Eigensinn wird sich legen, und über eine Weile wird es Ihnen selbst für Ihre gut gemeinte und weise Vorsorge danken.“ –


XX.

Am folgenden Tage langten wir in einem andern kleinen Städtchen an, das ganz artig gebaut, und durch ein niedliches Schloß sehr zu seinem Vorteile ausgezeichnet war. Auf unsre Erkundigung erfuhren wir, daß das Städtchen die Residenz eines deutschen Fürsten sey, dessen Reich sich in der Gegend ungefehr eine Meile in die Länge, und etwa eben so weit in die Breite ausdehnen mochte. Wir beschloßen, einen Tag in diesem angenehmen Städtchen zu verweilen.

[182] Gleich am ersten Abend wurden wir mit einem jungen Manne bekannt, der sich dem priesterlichen Berufe gewidmet, aber bisher noch keinen eignen Altar gefunden hatte. Er verrieth viel Kopf und Kenntniße, und war sehr zuvorkommend, uns mit den Merkwürdigkeiten seiner kleinen Vaterstadt, und mit dem Zustande des dasigen Hofes bekannt zu machen. Dieser unbedeutende Fürstenhof ist, wie Kalefa so gleich sehen wird, das ächte Gegenbild, eines nach Glanz und Ansehen strebenden Menschen, der die Mittel zu beiden nicht besizt, und deßhalb bei seiner Armseligkeit und Verdienstlosigkeit, den blosen Schein der Gröse anzieht, wodurch er gewöhnlich für seine Person höchst lächerlich, für diejenigen aber, die von ihm abhängen, höchst drückend wird.

Vor 60 Jahren war der Vater des iztregierenden Fürsten noch ein Edelmann. Die glückliche Lage und die beträchtlichen Einkünfte seines Rittergutes machten ihn unter seiner Klasse weit hervorragen. Er ward von den Fürsten geehrt, von dem Adel [183] beneidet, und vom Volke geliebt. Als Edelmann konnte er mit seinen Einkünften glänzen, ohne die Untertanen zu drücken. Er war reich, und sie waren glücklich. – Der Vater des izigen Fürsten vermählte sich mit einem Mädchen aus einem reichsgräflichen Hause, die es sich zur Bedingung machte, daß der Herr Bräutigam sich in die höhere Klasse von Adel erheben lassen müsse, aus der sie zu ihm herab gestiegen war. Dies geschah! der Herr Gemahl, der vorhin ein groser Edelmann gewesen war, wurde nun mit einem mal ein kleiner Graf, denn zum gräflichen State reichten die Einkünfte nicht zu, und die eitle Gattinn hatte ein zu geringes Vermögen beygebracht, als daß man mit demselben die Lücken, die die Gutseinkünfte offen liesen, hätte ausfüllen können. Indeß spielte man den Grafen, so gut es seyn konnte. Die Zahl der Domestiken und der Pferde wurde vermehrt; man schuf den Schloßgarten in einen Park um, die Livreen und Equipagen wurden prächtiger; der Beamte erhielt den Charakter eines Kanzleidirektors; [184] der Schulmeister erschien, so bald er den Backel aus der Hand gelegt hatte, als geheimer Sekretair auf dem Schlosse, und die Baurenbuben mußten den Tag über vor dem Schloßthor in ihren weisen Zwilchröken, auf die man papierne Umschläge genäht hatte, Schildwache stehen. So gieng es ungefehr den vierten Theil eines Jahrhunderts hindurch fort. Die baren Geldsummen, die die Vorältern des regierenden Grafen zurück gelegt hatten, waren allmälich verschwunden, die Schulden hatten überhand genommen, und schon fieng man an, sich nach neuen Erwerbsquellen umzusehen, als eine plözliche Veränderung am Hofe, eine neue Epoche in der Geschichte dieses kleinen States machte.

Der regierende Herr hatte das Unglück auf der Jagd den Hals zu brechen, und sein einziger Sohn folgte ihm in der Regierung nach. Einige Zeit vor dem Tode des Vaters hatte eine sonderbare Epidemie, die man das Standeserhöhungsfieber nennen könnte, die meisten Edelleute [185] in der Nachbarschaft ergriffen, und unzufrieden mit dem Grade der Ehre, auf den die Geburt sie gestellt hatte, angelten und buhlten sie um Grafendiplome, und waren auch meistens so glücklich, gegen Erlegung der bestimmten Taxe, ihre Absicht zu erreichen. Nun war der Held unsrer Erzählung, dessen Vater bisher nur ein kleiner Graf gewesen war, mit einem mal ein Groser, und ragte über seine Standesgenossen in der Nachbarschaft eben so weit hervor, als seine Vorältern einst, da sie noch Edelleute waren, über ihre Standesgenossen hervor geragt hatten. Indeß war es dem jungen Grafen äuserst mißfällig, sich von seinen Nachbarn eingeholt zu sehen. Denn er wollte schlechterdings um ein Stufe höher stehen, als sie. Er kam daher auf den ungeheuren Einfall, sich in den Fürstenstand erheben zu lassen. Zwar fehlte es nicht an biedern Leuten, die ihm so einleuchtend als möglich bewiesen, daß diese Erhöhung nicht so wol zur Vergröserung als vielmehr zur Verkleinerung seiner Ehre, und zum Unglücke seiner Untertanen ausschlagen müßte. Allein [186] er wollte schlechterdings schimmern. Das Oberhaupt des deutschen Reiches starb, und der Stellvertreter desselben war gutwillig genug, den ehrgeizigen Grafen auf die Stufe des Ranges zu erheben, nach der er so lüstern hingeschielet hatte.

Nun erfolgten mit einem male grose Veränderungen. Es wurde ein neues Flügelgebäude an das Schloß angesezt, und über die Thüre desselben geschrieben, daß das der Prinzenbau sey. Das Amthaus wurden erweitert, und hies nun die Regierung. Man machte eine ungeheure Vermehrung des Dienstpersonals. Zu den Geschäften, welche vorhin ein einziger Beamte mit gröster Bequemlichkeit besorgt hatte, stellte man nun zwey Räthe und einen Präsidenten an; und dem Jäger, der vorhin das Forstwesen mit Muse verwaltete, ward ein Oberjägermeister von Adel, ein Jagdsekretair, und ein Forstkassier beigesezt. Der Pfarrer des Orts erhielt die Titel eines Konsistorialraths, Generalsuperintendenten, und Oberhofpredigers; und der Schulmeister ward als Herr Rektor salutirt. [187] Die Bauernpursche, die zuvor in weisen Zwilchröken Schildwache gestanden waren, wurden in eigentliche Soldaten umgeschaffen, und ein Heer von 20 Mann errichtet, das beynahe von eben so viel Offizieren befehliget ward. Am Hofe wimmelte es von Schreibern, Bedienten, Laufern, Stallknechten, Speichellekern, männlichen und weiblichen Müssiggängern, und – der dumme Pöbel stand und gaffte den lächerlichen Prunk mir aufgesperrten Augen an.

Bald ward es aber bemerkbar, wie sehr der Fürst seine Unterthanen und sich selber täuschte. Denn diese Menge von Dienstleuten, dieser Pracht an Gebäuden, Gärten, Equipagen; diese glänzenden Feste, Jagden, Reisen, und Besuche – erforderten einen so grosen Aufwand, daß die gewöhnlichen Gutseinkünfte, kaum zur Bestreitung des dritten Teils der Ausgaben zureichten. Das übrige ward teils durch harte Auflagen von den Untertanen erpreßt, teils durch unwirtliche Ausmerglung der Domainen, teils durch Schulden herbeygebracht. Man schrieb eine Kopfsteuer [188] aus, man legte ein Lotto an, man führte das Stempelpapier ein, man verordnete für die unschuldigsten Freyheiten des Untertanen Taxgelder, man verpachtete das Recht, die Uebertretter der Statsgeseze um Geld zu strafen, an Unternehmer; man errichtete neue Zölle, man verödete die Waldungen, man warf die Pupillen- und Stiftungsgelder in die herrschaftlichen Kassen, man verkaufte die Hofgüter an Untertanen, – man sezte alle Triebwerke in Bewegung, um Geld aufzubringen; und so sehr man auch den Untertanen schröpfte, so ward doch in Zeit von 15 Jahren, eine so ungeheure Schuldenlast zusammen gehäuft, daß der armselige Pranger selbst einsah’, daß ein neuer Ton eingeführt werden müßte, sollt’ er anders nicht samt seinen Unterthanen vollends gar zu Grunde gehen.

Nun strebte man nicht mehr darnach, auf fürstliche Weise zu glänzen, sondern man begnügte sich damit, daß man blos den Schein fürstlicher Gröse anzog, und durch verstellten Pracht, kurzsichtige Beobachter täuschte. Die [189] Knaben in unsern Lehrinstituten auf dem Uranus machen sich zuweilen in ihren Feyerstunden das Vergnügen, den Hof des grosen Kalefa nachzuahmen, in dem sie Könige, Höflinge, und Feldherren aus ihrer Mitte wählen. Sie verfertigen dann für den König eine Krone, aus Flittergold; der Regenmantel stellt den Purpur, und der Backel des Pädagogen den Scepter vor. Jeder erhält eine andre Stelle, und jeder spielt seine Rolle so, wie er sie deine Höflinge, Kalefa! auf der Residenz spielen sieht. Das sind Kindereyen, über die wir lachen. Aber die nämlichen Kinderstreiche macht der Held unsrer Erzählung, seitdem das grose Deficit in der Generalkasse offenbar geworden ist, – und noch mancher andre kleine Fürst in Deutschland macht sich neben ihn.

Die meisten überflüssigen Leute am Hofe und in den Kollegien, das heißt beynahe alle, wurden abgedankt, und viele von ihnen, die weder eigne Mittel hatten, sich zu erhalten, noch so glücklich waren, in andre Dienste angestellt zu werden, ergrifen den Bettelstab, [190] und durchzogen das Land. Der älteste unter der fürstlichen Dienerschaft, der unter dem Grosvater als Amtmann gelebt, unter dem Vater als Kanzleydirektor gearbeitet, und seit der fürstlichen Periode als Regierungspräsident geglänzt hatte, blieb von dem grosen Personal der Kanzlei allein übrig, und war nun wieder, wie vor Zeiten, der einzige Mann, von dem die ganze Administration des States abhieng. Es gab nun keine Kollegien mehr, und ein Mann versah alles, was vorhin unter sechs und mehrern verteilt war. Demungeachtet behielt man den Styl, der unter der vorigen Verfassung entstanden war, getreulich bei, und der rechtschaffne und thätige Mann, um den sich izt alles drehte, sprach in seinen Rescripten in einer Stunde als Chef der Regierung, als Direktor der Finanzen, als Präsident des Konsistoriums, und als erster Richter am Hofgerichte, ob gleich keines von all’ diesen Dikasterien existirte. – Kommen Fremde an den Hof, so schüttelt dieser vielköpfige Mann plözlich den Staub der Akten von sich ab, vertauscht den [191] Schlafrok mit dem neuesten Modegewand, und erscheint als Hofmarschall in den Vorzimmern seines gnädigsten Souvrains. Während die Fremde das Glük der Audienz bei seiner Durchlaucht geniesen, schleicht sich der Herr Hofmarschall unversehens aus dem Audienzsale hinweg, ergreift im Zimmer der Bedienten, Stok, Hut, Degen, und Uniform, und kommandirt als Hauptmann die 6 Mann Landmiliz, die unterdessen im Schloßhofe zur Wachtparade aufmarschirt sind. Bei der Tafel spielt er wieder die vorige Rolle; der Pfarrer erscheint als Oberhofprediger, und die Weiber dieser beyden Herren umgeben die Person der Fürstinn als Dames d’autour. – Wird eine Jagdparthie beliebt, so fliegt der Herr Hofmarschall plözlich ins Amthaus zurücke, und unversehens hält er zu Pferdt im Hofe in der grünen Uniform mit dem Hirschfänger und Hüfthorn; und der Kammerdiener hinterbringt es Serenissimo, daß der Herr Oberjägermeister schon zu höchst Dero Befehlen bereit stehe.

Wir hatten uns die Freyheit genommen, [192] seiner hochfürstlichen Durchlaucht unsre Aufwartung zu machen, und wurden in der That, ganz ohne Rücksicht auf Titel und Ahnenprobe, mit der grösten Herablassung behandelt, und zur Tafel gezogen. Da wir schon durch unsern Freund von der armseligen Nachahmungssucht dieses Hofes unterrichtet waren, so fiel es uns freylich äuserst hart, das Lachen zu unterdrücken, wenn vom fürstlichen Hofgericht, oder vom Departement der auswärtigen Angelegenheiten die Rede war, oder wenn wir den nämlichen Mann in so verschiedenen Gestalten figuriren sahen. Indeß ist man diesen Ton hier so gewohnt, daß es keinem Menschen mehr auffällt, wenn man den Boten mit dem Knotenstocke einen Kurier, den Schulzen, der eine Markungsangelegenheit mit den angränzenden berichtigt, einen Charge d’affaires, und die Sentenz des Beamten über einen unbedeutenden Felddiebstahl, ein – Urteil des Kriminal-Gerichts nennen hört.

Eine der einträglichsten Finanzoperationen des hiesigen Hofes, die man auf dem [193] Uranus nicht kennt, und die man sich immer gefallen lassen kann, da nur Thoren und Gecken auf eine freywillige Weise, darunter leiden, ist der Verkauf der Titel. – In Deutschland wird der Mann höchst selten nach seinem wahren Werte beurteilt, sondern beynahe immer nur nach den äuserlichen Zeichen von Reichthum und Ehre, die er an sich trägt. Wir haben selbst bisher diese Erfahrung sehr häufig gemacht. In allen Gesellschaften, in die wir noch eingeführt worden sind, war es immer die erste Frage: welche Aemter wir im Dienste seiner uranischen Majestät begleiten? und auf welcher Stufe der Ehre, wir in unserm Vaterlande stehen? – Noch nie aber ist es jemand eingefallen, zu untersuchen, ob wir Leute von Talent und Rechtschaffenheit seyen? Darüber, folglich gerade über das, was den Wert des Menschen einzig bestimmt, ist man in diesem Lande unbegreiflich gleichgültig.

Bei dieser schiefen Richtung des Blickes, in Bestimmung der Würdigkeit und der Ehre des Menschen, muß nothwendig ein allgemeineres [194] Streben nach dem Besize jener äussern Zeichen des Vorzugs entstehen, die nur der Stat erteilen kann, oder der Fürst, der ihn repräsentirt. Ein jeder drängt und kämpft so weit oben, als es möglich ist, anzukommen, und alle bemühen sich, über ihre Nebenbuhler einen Vorsprung zu thun, oder ihnen den Rang abzulaufen. Alles ist voller Thätigkeit, überall unaufhörliches Rennen und Treiben, überall bald lautes Schreyen, bald tükisches Angeln, nach den Zeichen der Vortrefflichkeit, – nach Rang, Ehre, und Würden.

Da es nun unmöglich war, alle Bürger des States, die um die Oberstellen in der Reihe ihrer Genossen buhlten, wirklich in dieselben zu versezen; so kam ein gewisser guter Kopf unter den Fürsten Deutschlands, oder ihren Rathgebern auf den herrlichen Einfall, diesen zurückgesezten Ringern, wenigstens die Namen der ersten Statsbedienten zu geben, wenn sie gleich weder die Geschäfte derselben zu besorgen, noch ihre Besoldungen einzuziehen hatten. Dieser Gedanke fand Beyfall, und ward sehr schnell durch ganz [195] Deutschland nachgeahmt. Denn nun konnte man die Zeichen der Ehre austeilen, wie man wollte, und ward nicht mehr, weder durch die Zahl der Aemter, noch durch die Lücken der Besoldungskasse beschränkt. Im Anfang bedienten sich die Fürsten dieser neuen Erfindung blos zur Belohnung des Verdienstes, oder auch zur Stillung der durch Mishandlung aufgebrachten Unschuld; bald aber warfen die Finanzminister ihre forschenden Blicke, denen selten etwas entgeht, auch auf sie hin, und baten diese Titel für ehrgeizige Narren feil; – und diese kommen nun haufenweise hinzu, und bieten ihre Summen um die Erhöhung ihres Ranges dar. Da kommt der Dorfschulze und kauft sich den Titel eines Amtmanns; – der Jäger erscheint als reisiger Förster und verläßt die Bude als Oberforstmeister; – der Landbeamte produzirt sich seinen Bauren als Justizrath, und der Professor klopft den Staub der Schule aus dem Schlafrok, und tritt vor seinen Studenten als hochfürstlicher Hofrath auf.

[196] Kein deutscher Hof treibt diesen Handel so stark, als der hiesige, denn keiner giebt diese Waare so wolfeil, als eben er. Die Niedrigkeit des Preises vermehrt den Absaz, denn es kommen Leute von allen vier Winden, und holen pappierne Briefe für ihr Geld; – und da macht man einen dann um 100 Thaler zum geheimen Rathe; um 50 Thlr. zum Regierungsrathe, um 25 zum Hofrathe, und um den Spottpreis von 10 Thalern erhält man das Patent als hochfürstlicher Kammerrath. Freilich sieht man in der Gegend dieses Hofes allenthalben die Folgen dieses niedrigen Preises der Titel: Denn überall klingt einem das Wort Rath in die Ohren, – und als Elafu einen Zollbedienten, der uns augenscheinlich zu betrügen suchte, ein wenig rauh anfuhr, so erhub sich dieser mit einem Anstand voll Majestät von seiner Zollbank, schlug sich mit geballter Faust vor die Brust, und fragte den Philosophen mit einem drohenden Blike: „Wissen Sie wol, mein Herr! daß Sie mit einem hochfürstlichen Kammerrathe sprechen?“ [197] Und nun, groser und weiser Kalefa! – was sagst Du zu dem Tone dieses kleinen Hofes, – zu dieser Titelsucht und zu diesem Titelkommerçe, – und endlich zu dem hochfürstl. Kammerrathe auf der Zollbank –?–


XXI.[8]

Von dieser kleinen fürstlichen Residenz aus, nahmen wir unsern Weg durch angenehme, fruchtbare Thäler, längst einem starken Strome, in eine grose deutsche Stadt, deren Verfassung republikanisch ist. Unsre Erwartung war sehr gespannt, den Deutschen da zu beobachten, wo er seine Regenten durch freye Wahl aus seiner eignen Mitte nimmt, und nicht von den Launen eines Fürsten, oder von den Tücken eines argen Ministers gegängelt wird.

Wir fanden in dieser grosen, freyen Stadt sehr splendide Gebäude, kühne Brücken, und prachtvolle öffentliche Denkmäler. Doch schien uns dieser Glanz nicht Erzeugniß des gegenwärtigen Zeitalters, sondern Ueberbleibsel einer glücklichen Vorzeit. Denn [198] beynahe allem, was den Stempel der Neuheit trug, war zugleich das Gepräge der Armseligkeit und der Sparsamkeit ausgedrückt; hingegen alles Alte zeichnete sich durch Reichthum, Pracht und Geschmak aus. Auch schien die Bevölkerung der Stadt ihrer Gröse gar nicht angemessen. Denn wir mußten oft 200 Schritte weit gehen, bis wir nur jemand auffanden, der uns den Weg zeigen konnte. Ja einmal sahen wir uns in dieser Verlegenheit gar genötigt, die Menschen in den Häusern aufzusuchen, und da pochten wir an mehrern ohne gehört zu werden, zum Beweise, daß sie gar nicht bewohnt waren.

Der Bürger, bey dem wir Herberge genommen hatten, war brennend für die Verfassung seiner Vaterstadt eingenommen. Statt uns die treue und plane Schilderung von derselben zu geben, die wir verlangten, fieng er an, ins Gelage hinein zu deklamiren, – jede Konstitution, die sich auf Alleinherrschaft gründet, für Tyranney auszuschreien, – und entscheidend zu behaupten, daß nur in Republiken die Rechte des Menschen [199] geltend seyen, und daß nur in ihnen wahrer Bürgersinn und ächter Patriotismus gedeihen könne.

Elafu nahm sich die vergebliche Mühe, dem patriotischen Bürger, die seichten und mangelhaften Stellen seines Raisonnements aufzudecken. Er suchte ihm zu beweisen, daß es bei einer Regierungsart nicht so wol auf ihre Form, als vielmehr auf die Weisheit und Rechtschaffenheit ihrer Verwalter ankomme; – daß man von keiner Verfassung an sich sagen könne, daß sie die beste sey; – und daß dieses Prädikat nur derjenigen zukomme, die am besten verwaltet werde. Man sehe nicht selten, fuhr der Philosoph fort, einen monarchischen Stat, in dem weit mehr Freyheit und Genuß der Menschenrechte herrsche, als in dem nächst an ihm liegenden Demokratischen; – auch leide der republikanische Bürger, in dessen Vaterland die gesezgebende und vollziehende Macht einem Korps eingeräumt sind, weit mehr Gefahr, vom Despotismus unterdrückt zu werden, als der Bürger des monarchischen States, [200] in dem diese Gewalten getrennt worden. – Allein die Beredsamkeit des Philosophen vermochte nichts über den Patriotismus des Bürgers. Er fuhr immer fort, sich auf die Erfahrung zu berufen, und gegen dieses Zeugniß, sagte er, vermögen alle unsre Spekulationen nichts.

„Kann doch recht haben, der ehrliche Schildbürger, sagte Atabu – Wollen ein wenig umher gehen, und beobachten, und sehen wie viel an seinen gut gemeinten Träumen Wahres ist.

Wir giengen geraden Weges dem Rathhause zu; denn auf diesem Standpunkte glaubten wir unsre Beobachtungen am schnellsten und am sichersten machen zu können. Wir trafen hier eben in der Stunde ein, in der sich die Häupter der Republik versammleten, um sich über das Wohl und Weh ihrer Mitbürger zu beratschlagen. Der Anblick der Repräsentanten eines Volkes, das keine höhere Macht über sich erkennt, dünkte uns eine Weile interessant und ehrwürdig, in dem wir nämlich voraussezten, [201] daß die Wahl dieser Volksvertretter, blos durch ihre anerkannte Weisheit und Rechtschaffenheit bestimmt werde. Hierinn irrten wir uns aber sehr. Einer von den Thürhütern wies uns zu rechte, indem er uns sagte: Unsre Verfassung ist aristokratisch, und die Verwaltung des States ist ausschliesend in den Händen gewisser Familien, folglich ist der erste Zug im Charakter des wahlfähigen Mannes, eine adeliche Geburt.“

Wir ärgerten uns ob der Täuschung, aus der wir uns mit einem male herausgerissen sahen. „Ist das eure Verfassung, sagte Elafu, so entweihet nicht länger den heiligen Namen einer Republik! Euer Stat ist nach eurem eignen Geständniße nichts weniger als das, wofür ihr ihn ausgebt. Ihr seyd nicht Bürger; nein! ihr seyd Untertanen einer gewissen Anzahl kleiner Erbkönige, und folglich in einer viel drükendern Lage, als diejenigen, die nur einem einzigen Oberherrn unterworfen sind. – Und doch nennt ihr euch Republikaner? Ihr Thoren! wer lehrt euch die Sprache so mißbrauchen?

[202] „Bravo! Bravo! – fiel einer der Thürhüter ein; – Sie stimmen auch in unsern Ton! Sie gehören auch unter den grosen Haufen seufzender Patrioten! Warten Sie nur wenige Augenblicke. Heute noch wird der Volksgeist über den Aristokratismus triumphiren, und dem vielköpfigen Ungeheuer mit einem glühenden Pfahle die Augen ausstosen. Gehen Sie hier in dieses Zimmer, und stellen Sie sich hinter diese Glasthüre. Aber hüten Sie sich, daß Sie im Rathssale nicht bemerkt werden. In einer halben Stunde werden die Sprecher der Bürgerschaft auftretten, und den Perüken sagen, was für ein Unterschied zwischen Republik und Tyranney ist.“

Voll Erwartung der Dinge die da kommen sollten, harrten wir in dem kleinen Zimmer, das uns der dienstwillige Thürhüter geöffnet hatte. Wir entfalteten die Vorhänge an der Glasthüre ein wenig, und sahen hier unmittelbar neben uns den Versammlungssal der Oligarchen, und sie auf samtnen Polstern in demselben umher sizen. Es [203] herrschte grose Stille in dem Sale. Einige wenige steckten die Köpfe in einander, und flüsterten sich uns unverständliche Worte in die Ohren. Plözlich lief ein Diener mitten durch den Sal, – wir hörten eine Stimme: „Laßt uns alles wagen für unsre Rechte, und nicht ein Har breit dem Bürgerpacke aus dem Wege gehen.“ – Eine hohe Porte uns gegen über öfnete sich, – und wol zwanzig Männer in schwarzen Kleidern traten herein. Die Thüre gieng wieder zu, einer von den schwarzen Männern stellte sich in die Mitte des Sals, und fieng an zu sprechen:

„Heute, sprach er, ist es das neunte mal, daß wir hier im Namen der gesammten Bürgerschaft erscheinen, und um Lindrung unsrer Klagen, und Abstellung der eingerissen Mißbräuche bitten. Man hat uns bisher mit leren Tröstungen geäfft, und unsrer lezten Deputation hat man gar mit Arrest und Zuchthausstrafe gedroht. Daß wir aber solche Drohungen – wie sie es verdienen – mit Verachtung ansehen, beweist [204] unsre heutige abermalige Gegenwart. Und zwar erscheinen wir heute nicht mehr mit der Gebehrde der Bittenden; – wir verlangen auch nicht mehr Gnade und Gunst; – nein! nur erscheinen mit der Geberde der in Staub getrettnen, und sich wieder erhebenden Unschuld, und fordern mit all’ der Freymüthigkeit, die aus dem Bewußtseyn der guten Sache entspringt, – Gerechtigkeit. Wird uns keine entscheidende, unsern gerechten Wünschen angemessene Antwort gegeben, so reisen – denn wir sind keine Aufrührer, wir suchen unser Recht auf dem durch die Geseze bestimmten Wege – so reisen diese zween unsrer Mitbürger heute noch von hier ab, um das Oberhaupt der Nation um Hülfe für die Bedrängten anzuflehen. Wir nehmen es nicht an, wenn der Rath sich in sein altes Schuzwehr, in die Bedenkzeit - wirft. Unsre Sache wird nun schon seit drey Jahren unaufhörlich ventilirt, und Sie müssen endlich doch [205] so weit ins Reine gekommen seyn, daß Sie wissen, was Sie thun können und wollen. Nur noch eine bestimmte Aufzählung unsrer Klagen wollen wir geben, und dann verlieren wir kein Wort weiter. Also:

Wir verlangen vom Magistrat, daß er uns Rechnung über die Anwendung der Einkünfte des States ablege. Diesem Einkünfte sind ein gemeinschaftliches Gut aller Bürger, und jeder ist berechtiget, zu wissen, wie das Gut verwaltet wird, dessen Theilhaber er ist.

Wir verlangen eine ächte und zuverläsige Darstellung der Gründe, um derentwillen der Stat in eine so tiefe Schuldenlast gesunken ist, daß die Einkünfte nicht mehr reichen die Zinsen zu tilgen, und daß der Verwaltungsausschuß sich genöthigt sah, zu den gewaltsamen Mitteln einer extraordinären Kopfsteuer, und des Verkaufs einträglicher Statsgüter seine Zuflucht zu nehmen.

[206] Wir verlangen die plözliche Aufhebung der Kriegssteuer, die wir noch immer bezahlen müssen, ob gleich das deutsche Reich, seit mehr als zwanzig Jahren, das Glück des Friedens genießt.

Wir verlangen vom Magistrate, daß er das widersinnische und despotische Gesez, von der Entehrung eines Patriziers durch die Heirath einer Bürgerstochter, so gleich abschaffe; – auch der gesammten Bürgerschaft eine Versichrungsakte zustelle, worinn von Seiten der Rathsglieder ausdrüklich anerkannt werde, daß sie sich nicht für Eigenthümer, sondern nur für Verwalter des Stats ansehen.

Wir verlangen, daß die Patrizier ferner nicht mehr von den Lasten des Stats exemirt, sondern vielmehr gehalten seyn sollen, sie nach Verhältniß ihres Vermögens, eben so wol als jeder andre Bürger, zu tragen.

Endlich verlangen wir noch, daß der durch seine schreyenden Ungerechtigkeiten und Bestechungen gebrandmarkte Bürgermeister [207] Tz. aus dem Rathe geworfen; – daß diejenigen Aemter des States, die seit unerdenklichen Zeiten von bürgerlichen Personen verwaltet, neuerlich aber diesen von dem Adel abgedrungen worden sind, den erstern wieder eingeräumt; – und daß endlich diejenigen Stipendien, welche von gut gesinnten Menschen, für arme Studenten der Thelogie gestiftet, nun aber, ganz ihrer Absicht zuwider, an reiche Edelleute, die die Rechte studieren, abgegeben werden, – dem Zwek der Stiftung gemäs, angewandt – werden sollen.

Dieß sind unsre Beschwerden, – dieß unsre Wünsche! Ein Wort aus dem Munde des Raths, kann mit einem male Ruhe und Eintracht in unserm Vaterlande herstellen, und durch die Erfüllung unsrer gerechten Forderungen, den Stat, der am Abgrunde des Verderbens hinwankt, retten. Dieser Augenblik ist entscheidend. Erklärt euch!“

[208] Kaum war diese, mit so viel Würde und Selbstgefühl, und in einem so dreisten, auf die gute Sache trozenden Ton, abgelegte Rede geendigt, als der Sprecher des Raths das Wort ergrif, und den Bürgern im Namen seines Korps rund und frey erklärte, daß dieses nicht einen Zoll breit von seinen Rechten, die ihm teils durch ausdrückliche Geseze, teils durch die Observanz verbürgt seyen, abweichen werde, und das Urteil des höchsten Richters über ihre gegenwärtigen Irrungen erwarten wolle. Die Deputirten traten ab, und gleich am Thore des Rathhauses sasen die beiden Reisefertigen in den Wagen, um die Gerechtigkeit, die sie bisher nicht erlangen konnten, am Throne des ersten Fürsten der Nation, zu suchen.

Wir speißten, als dieß Schauspiel vorüber war, in einer grosen Gesellschaft zu Mittag. Die kühne Erklärung der Bürgerschaft, und ihr entscheidender Schritt, zur Ausgleichung ihres Zerwürfnißes mit dem Magistrate, machte allgemeines Aufsehen, und war allenthalben der Gegenstand einsamer [209] Spekulationen, und öffentlicher Gespräche. Beynahe die ganze Tischgesellschaft, mit der wir speisten, stimmte in den demokratischen Ton, und alles spottete, lachte, schimpfte, fluchte, und deräsonnirte über Aristokraten-Despotism und Aristokraten-Hudelei, und wir, und insbesondre Elafu, sympathisirten in der reinsten Harmonie, mit der freymütigen Politikastern, die uns umgaben. Ein junger Patrizier sas zwischen uns beyden Philosophen unerkannt mitten inne. Er hatte lange stille geschwiegen, und seinen Grimm verbissen. Endlich wagte ers doch ein Wörtchen zur Verteidigung seiner Kaste zu sprechen, und sich zugleich als ein Glied derselben anzukünden. „Die Bürgerschaft, sagte er, wird ihren Schritt noch bereuen. Denn wir haben uns bisher nie etwas erlaubt, auser es sey unsern Rechten gemäs gewesen, und diese Rechte sind uns von Kaiser und Reich bestättigt und garantirt, oder durch die Observanz geheiliget. – Mögen die tollen Schwindelköpfe unternehmen, was sie wollen; sie werden nicht einen Augenblick unsre Ruhe stöhren.“

[210] Elafu, gedrungen durch seine Ueberzeugung, und durch sein, beim Anblicke jeder Ungerechtigkeit, so heftig entflammtes Herz, nahm es über sich die Sache des Bürgerstandes gegen den nasenweisen Buben zu verfechten. Seine Verteidigung fiel aber so derb aus, er deklamirte so feurig, und faßte seinen Gegner mit einem so durchdringenden Blick, daß dieser feige und mutlos vor ihm starrte, und Elafu’s zerschmetternde Hiebe auf Oligarchie und Tyrannei alle auf den Rücken eines wehrlosen zu fallen schienen. – „Von Rechten – donnerte er ihn an – von Rechten erfrecht ihr euch zu sprechen? – wer, ums Himmels willen! wer konnte euch ein Recht geben, die Einkünfte des Stats zu vergeuden, Schulden auf Schulden zu häufen, die Bürger als Sklaven zu tyrannisiren, zur Zeit des Friedens Kriegssteuer zu fordern, dem Bürgerstande seine Privilegien zu rauben, und der Armut das Almosen zu entwenden, um den Sack des unersättlichen Schlemmers damit zu füllen? – Schlagt ihr euch nicht selbst auf den Mund, in dem ihr behauptet, [211] ihr seyd zu Ungerechtigkeiten und Schelmereien privilegirt? – Und wie? gesezt auch, ihr habt in den Zeiten der Finsterniß ein Privilegium erschlichen, das die Zeitumstände und Zeitbedürfniße zweckwidrig, oder für den grösten Theil der Bürger, drükend machen, sollte die Stimme der Wahrheit nicht im Stande seyn, ein solches Privilegium mit vollem Recht über den Haufen zu werfen? Oder sind etwa die Geseze der rohern Vorwelt unverlezbare Heiligthümer für die gebildetere Nachwelt, und muß alles was die Kindheit that, dem Alter ehrwürdig seyn? – Nehmet die Brille eures Eigennuzes hinweg, und seht mit eignen Augen; ihr könnt euch bei einer so grosen Klarheit des Gegenstandes unmöglich täuschen!“ – Die ganze Gesellschaft klatschte Beyfall, und der gedemütigte Aristokrat schlich sich zum Tempel hinaus.

Wo, groser Kalefa! – wo ist eine einleuchtendere Lobrede auf die monarchische Verfassung, als diese verdorbene Aristokratie? – wo ein überzeugenderer Beweis, des Grundsazes, daß jede Verfassung schlecht ist, [212] wenn sie schlecht verwaltet wird – als hier? Wir priesen aufs neue unsern Stern, der uns hingeführt hat, daß wir unter deinem sanften und milden Scepter wohnen, und begann voll hoher Wonne, den stolzen Gesang eines edlen deutschen Mannes:

O Freyheit! Silberton dem Ohre;
Licht dem Verstand, und hoher Flug zu denken!
Dem Herzen gros Gefühl!
O Freyheit! Freyheit! nicht der Demokrat allein
Weiß wer du bist!
Der guten Könige glükliche Sohn,
Der weiß es auch!


XXII.

Die Zeit, die uns Kalefa zu unsrer Wandrung auf der Erde eingeräumt hatte, war nun beynahe verflossen. Wir wollten sie noch, wo möglich, zur Beobachtung irgend eines interessanten Gegenstandes nüzen, wenigstens um unsre Amtsgenossen, die nach unsrer Zurückkunft die Erde bereisen werden, [213] darauf vorzubereiten. Dieser Gegenstand bot sich uns auch dar: denn nicht weit von der grosen Stadt, in der der aristokratische Despotismus so gewaltig hauset, ist eine der höhern Lehranstalten des Landes, die man in Deutschland Universitäten nennt, in einem kleinen Städtchen angelegt. Wir reisten dahin, nicht ohne Hoffnung, daß dieß vielleicht der Ort seyn dürfte, der uns mit dieser grosen und mächtigen Nation, mit der wir bisher nichts weniger als zufrieden waren, aussöhnen würde.

Als wir ungefähr die Hälfte des Weges zurück gelegt hatten, brach an unserm Wagen ein Rad, und dieser Umstand nötigte uns, auf ein Stündchen in der nächsten Dorfschenke abzutretten. Wie bebten wir zurücke, als wir die Thüre des Zimmers öfneten! – In einer finstern, schwarzen Stube, sas ein Haufe junger Leute an einer langen Tafel umher. Grose Humpen, und viele volle und und lere Gläser standen auf dem Tische, und auf der Mitte desselben lag ein bloses Schwerdt. Die Jünglinge [214] sahen alle äuserst roh und wild aus, die Hare waren zerzaust, die Hüte lagen im Moraste auf der Erde, und alle schienen betrunken. Die meisten schnaubten mit Hülfe eines auf dem Uranus unbekannten Instruments Rauch und Dampf aus Mund und Nase, und eine dichte Wolke bedeckte ihre Häupter. Sie begannen einen brüllenden Gesang, ohne Einklang und Harmonie, und sofen dazu so gewaltig, wie – wir in unserm Leben nie haben saufen gesehen.

Es war uns bang: denn wir befürchteten nichts weniger, als daß unser Unfall uns in die Höle einer Räuberbande geführt habe, die nach genugsamem Rasen beym vollen Becher, nicht ermangeln dürfte, über uns arme Philosophen herzufallen. Glücklicher Weise ward unser Wagen bälder fahrbar gemacht, als wir erwartet hatten. Wir eilten über Hals und Kopf ins Freye, und priesen unser Glück, unbestohlen und unverwundet, aus dem scheußlichen Abgrund einer Räuberhöle hervor gegangen zu seyn.

Wir erzählten dem Kutscher unser [215] Abenteuer, der uns aber nicht bemitleidete, sondern uns, über unser eingebildetes Schrecken, weidlich auslachte. „Diese fürchterlichen Eisenfresser sagte er, die Ihnen diese Bangigkeit in den Leib gejagt haben, sind friedliche, gute Leut, die keinem Menschen etwas zu Leide thun, wenn man sie nur ungehindert toben und schwärmen läßt. – Sie sind Studenten auf unsrer Universität!“ –

Wie wir ob dieser unerwarteten Erklärung staunten! – „Studenten, – sagten wir, einer dem andern, die Köpfe gewaltig schüttelnd, – Schüler der Weisheit, – Söhne der Musen – erscheinen in solchen Gestalten auf der Erde, daß man sie für Mörder und Strasenräuber halten könnte! – Wozu den Lieblingen des Apolls diese martialischen Gesichter – diese schrecklichen Schwerdter – diese vollen Humpen – dieses gräßliche Gebrülle! – Wie ganz anders erscheinen in den Schulen unsres Planetens die künftigen Richter, Gesezgeber und Lehrer der Nation? – Da werden wir wieder [216] schönen Stof zu neuen Reflexionen finden!“ –

„Nicht halb so arg, ihr Herren! sagte der Kutscher. Wissen Sie nicht, daß die Jugend schlechterdings ausgetobt haben muß. Die wildesten Studenten werden gemeiniglich in den Geschäften die besten Leute: Denn diese kennen die Welt, und sprechen aus eigner Erfahrung. Aus einer Schlafmüze wird nie ein Federnhut!“

Wir giengen gleich nach dem Anbruche des folgenden Tages, begleitet von einem sehr dienstwilligen Studenten, der sich an uns angeschloßen hatte, in den Unterrichtssälen umher. Es war uns äuserst auffallend. Die Lehrmethode auf der Erde, derjenigen, die in den höhern Lehranstalten des Uranus eingeführt ist, beynahe gerade zu entgegen gesezt zu finden. Bey uns sind alle Lehrer unsrer Akademien darinn überein, daß diejenige Metode die zwekmäßigste und die nüzlichste sey, die die Sele des Zöglings in die gröste Thätigkeit versezt, seine Aufmerksamkeit in einer steten Spannung [217] erhält, und ihn unverrückt an den Pfad hinheftet, den der Lehrer mit ihm wandelt. Dadurch gewinnt der Unterricht das höchste Interesse, der Zögling wird mit der Wahrheit am schnellsten vertraut, seine Selenkräfte werden am besten geübt und er schreitet jeden Tag auf der Bahn der Bildung eine Strecke weiter fort. – Die akademischen Lehrer auf der Erde scheinen aber gerade das Gegenteil zu bezielen: Denn ihre Metode sezet die Denkkraft des Schülers entweder in gar keine, oder nur in eine sehr geringe Thätigkeit, und erweckt für den behandelten Gegenstand äuserst wenig Interesse. Aller Unterricht wird nämlich hier in Reden oder Vorlesungen erteilt, an denen der Schüler keinen andern Anteil nimmt, als den des Zuhörens. Besizt der Lehrer die Gabe der Beredsamkeit, so wird er zwar seine Zuhörer eine Zeitlang an seinen Gegenstand fesseln; aber nicht dadurch, daß er ihnen denselben in seinem ganzen vollen Lichte zeigt, sondern, durch die Künste der Ueberredung, die die Gegenstände nur einseitig [218] darstellen, und in der Wahl der Mittel zu ihrem Zwecke keinen Unterschied zwischen Schein und Wahrheit machen: folglich gewinnt hier der Verstand des Schülers wenig oder nichts, und ist in beständiger Gefahr, durch falsche Ideen, oder schiefe Grundsäze getäuscht zu werden. Hat aber die Natur dem Lehrer diese Gabe der Beredsamkeit versagt, so ist er samt dem Schüler noch um sehr vieles schlimmer daran. Er wird Ursache haben, sich über den Mangel des Beyfalls und über die Menge lerer Räume in seinem Hörsale abzuhärmen; dieser aber wird erst Mißbehagen und Eckel empfinden, – dann im Frieden einschlummern, – endlich gar zu Hause bleiben, – und überhaupt keine Linie über die Stufen von Einsicht und Weisheit hinaus schreiten, die er zuvor schon erreicht hatte.

Atabu nahm sich die Freyheit, die Unbequemlichkeit dieser Metode, einem der Lehrer des Instituts gegen über, bemerkbar zu machen. Der sonderbare Mann gab dem Philosophen vollkommen recht, und endete [219] seine Beyfallsbezeugung mit den Worten eines alten Dichters:

Video meliora praboque, deteriora sequar!

War das – weiser Kalefa! war das nicht albern? Denn beweist ein solches Geständniß nicht den tiefsten intellektuellen und moralischen Verfall? und schließt es nicht eine bestimmte Erklärung in sich, daß man entschlossen sey, den Ruf des Bessern immerhin zu verschmähen?

Es mögen unserthalben gelehrte, gründliche Männer auf diesem Institute angestellt seyn, – was wir gar nicht zu bezweifeln gemeint sind; – aber unser fataler Stern, spielte uns hier wieder, wie immer, seit dem unsre Füse die Erde berührt hatten, so verwünscht mit, daß uns in den Hörsälen dieser Akademie ein toller Streich um den andern aufsties. Ein Lehrer der Theologie führte eine ganze Stunde lang einen sehr umständlichen Beweiß für den Saz: daß der Glaube an Christum auch den Kindern im Mutterleibe zugeschrieben werden [220] müsse; – und ein Amtsgenosse von ihm schimpfte ganz abscheulich über die losen Kezer, die in dem verdammungswürdigen Wahn stehen, daß man in einer Reilgionspartey Gott eben so gefällig seyn könne, als in einer andern. – Ein dicker, fetter Rechtsgelehrter stieg schnaubend auf den Lehrstuhl, und demonstrirte seinen gähnenden Schülern, daß etwas in der Moral wahr und im positiven Recht falsch – und umgekehrt, im positiven Recht wahr, und in der Moral falsch seyn könne. – Unmittelbar nach ihm erschien ein junger Arzt, der sein kleines Publikum glaubend zu machen suchte, daß kein besser Mittel zur Erhaltung der Gesundheit sey, als wenn man. sich im Winter alle Morgen, mit dem Aufgang der Sonne, eine halbem Stunde, nackend, im Schnee wälze. – Der Lehrer der Geschichte unterhielt uns mit einer sehr umständlichen Erzählung von dem, was sich in jenem fernen Zeitalter, aus dem keine Urkunden übrig geblieben sind, auf der Erde zugetragen haben mochte. – Der Philosoph [221] endete eine weitläufige Untersuchung, die er mehrere Stunden hindurch fortgeführt hatte, mit dem Resultat: daß man eigentlich nicht sagen können ob der Siz der Sele in der Zürbeldrüse, oder im Magenschlund, oder in der Nasenspize sey; – und der Professor der Erziehungswissenschaften, bewies, daß man Knaben und Mädchen, noch vor ihrem zwölften Lebensjahre, über die Erzeugung und Geburt der Menschen und Thiere, eben so umständlich und genau belehren müsse, als wenn man aus den erstern lauter Geburtshelfer, und aus den leztern lauter Hebammen machen wollte.

Wir hatten mehr als genug gehört, und begaben uns mißmutig auf unser Zimmer. Hier ward uns das Vergnügen zu Teil, mit einem jungen Mann von seltnem Genie und vortrefflicher Bildung bekannt zu werden, der uns für unsre getäuschte Hoffnungen, in Hinsicht auf die Akademie, hinreichend entschädigte. Wir sprachen sehr viel mit ihm, über den sittlichen und literarischen [222] Zustand seines Vaterlandes, und konnten die Stärke und Kühnheit nicht genug bewundern, womit sich dieser ausgezeichnete Kopf, von den Vorurteilen seiner Landsleute und Zeitgenossen los gemacht hatte.

Dieser talentvolle, gefällige Mann, kam des andern Tages früh auf unser Zimmer, und lud uns zu einer – wie er sich ausdrükte – akademischen Komödie ein, die, es uns nicht reuen würde, mit angesehen zu haben. Der akademische Senat, sagte er, schafft heute einen Doktor der Heilkunde, das heißt, er erteilt einem unsrer Zögling die Erlaubniß, das Gewerbe eines Arztes zu treiben. Seine Würdigkeit ein Zunftgenosse seiner Lehrer zu werden, muß er dadurch an den Tag legen, daß er eine Schrift, von den Krankheiten des Magens, gegen die Einwürfe, die darwider gemacht werden, verteidiget. Da können Sie sich nun, wenn Sie wollen, selbst in den Streit mischen, oder falls Sie den Frieden lieben, blose Zuschauer bei demselben seyn.“

[223] „Eine äuserst paradoxe Art von Fähigkeitsprobe für einen Arzt! – sagte Elafu. – Denn wer ein guter Streiter ist, ist um deßwillen noch kein guter Praktiker am Krankenbette.“

„Allerdings! erwiederte unser Freund. Aber man muß die Sitten eines Volkes mit Rücksicht auf seinen ganzen Charakter beurteilen, und dann schwindet manches Paradoxon in die Reihe der begreiflichsten Alletagssache herab, und mancher häßlich scheinende Zug, verliert seine Mißgestalt. Wir Deutschen waren von jeher ein kriegerisches Volk. Kampf und Streit war die Krone all’ unsrer Unternehmungen, und unsre Väter kannten keinen höhern Genuß, als Triumph und Sieg. Ist also ein Wunder, wenn die Zweykämpfe vom Ritterstande auch in den Stand der Gelehrten, – vom Schlachtfelde in die Schulen, übergegangen sind? – Gewiß, nichts ist natürlicher!“

Wir giengen, an der Seite unsres Freundes, ehe der literarische Zweikampf begann, in einem bedeckten Gange, längst dem [224] Universitätsgebäude, auf und ab. Vor und hinter uns machten sich mehrere akademische Jünglinge die nämliche Bewegung. Unter diesen zeichneten sich einige durch einen sehr nachläßigen Anzug, durch zerstreute Hare, durch einen stieren, wilden Blik, und durch ein unanständiges, regelloses Benehmen aus. „Wer sind diese Herren da – fragte Elafu unsern Freund – mit den abgekrempten Hüten, mit den zerzausten Haren, und mit den verlumpten Hosen?“ „Das sind Genie’s – antwortete dieser – das heißt, Leute, die sich über alle Armseligkeiten der Konvention hinwegsezen, und vor lauter Helle auf ihrem Wege, all’ die kleinen Schattenpunkte übersehen, an denen andre sich ärgern. Sie sind nur für das Wahre, Grose, und Edle empfänglich, und wandlen so treulich auf dem Pfade der Natur, daß Sie kein Bedenken tragen, auf den Ruf des Bedürfnißes, in die Rocktasche ihres Nachbarn zu pissen, oder sich am hellen Mittage vor der Thüre eures Hauses ihrer Nothdurft zu entladen.“ – Wir lachten herzlich ob diesen lichtvollen [225] treuen Söhnen der Natur, und zogen uns, so oft wir an einem derselben vorüber giengen, wol weislich auf die Seite, um nicht die Versichrung unsres Freundes, in Ansehung der Rocktasche, an uns selbst realisirt zu sehen.

Der Kämpfer machte seine Sache erbärmlich, und doch – wer sollt’ es erwarten? – trug er den Sieg davon. Seine Gegner faßten einzelne Säze aus der vorliegenden Schrift auf, und erhuben ihre Zweifel dagegen, die bald ernstlich, bald verstellt schienen. Aber beynahe all’ diese Zweifel ließ der zitternde Aeskulap unbeantwortet. Er durfte nur ein par unverständliche Worte hermurmelen, so gaben ihm seine Gegner gewonnen, und zogen sich zurück. Der ganze Handel schien uns eine blose Spiegelfechterei, ohne Zusammenhang und ohne Zweck.

Unser Freund half uns aus dem Traume. „Sie haben längst schon bemerkt, sagte er, daß man in unserm Vaterlande mit Geld alles ausrichten kann. Bey uns ist [226] kein Strom so breit, über den man nicht mit diesem wunderthätigen Erze eine Brüke zu bauen – kein Berg so hoch, den man nicht vermittelst desselben, abzutragen vermöchte. Dieser junge Mann, der heute den Doktorsgrad erhalten hat, ward von seinen Aeltern zum Arzte bestimmt. Er hat seit sechs Jahren hier gelebt, um zu studieren, aber bei seinem gänzlichen Mangel an Talent, und bei seiner wüsten Lebensart, nicht einmal die ersten Elemente seiner Wissenschaft aufgefaßt. Nun war die Zeit da, daß er nach Hause kommen, und als ausübender Arzt in seiner Vaterstadt angestellt werden sollte. Er befand sich also in der traurigen Notwendigkeit, Doktor zu werden, und seine Ansprüche auf diese Würde durch eine öffentliche Probe seiner Gelehrsamkeit, geltend zu machen. Zuerst mußte die Dissertation geschrieben seyn, die beym Kampfe zu Grunde lag. Eine Dissertation zu schreiben, war aber für den armen Doktoranten eine eben so schwere Aufgabe, als die Komposition eines Konzerts – für [227] einen Taubgebohrnen. Er wandte sich also, einen reichlich mit Dukaten gespikten Beutel in der Hand, an einen unsrer Lehrer, und dieser schrieb dann, das in der That schöne, Spezimen, von den Krankheiten des Magens, und legte es dem jungen Arzte in den Schos, um die Welt glauben zu machen, daß dieß wol gestalte Kindlein aus seinem uterus hervor gegangen sey.“ –

„Pfui des ehrlosen Betrügers – des schurkischen Geizhalses von Professor!“ – rief Elafu bei diesen Worten.

„Nun aber – fuhr unser Freund fort – mußte das Produkt auch verteidigt seyn. Auch da fand sich für den armen Sünder bald Rath. Er wählte einige seiner Freunde zu Opponenten, und verschaffte sich durch Bestechungen die Einwürfe, die ein jeder von ihnen, gegen seine Dissertation in Bereitschaft hatte. Diese Einwürfe legte er dem Verfasser des Schriftchens vor, der ihnen die Auflösungen gegen über schrieb, und mit diesen verächtlichen, trügerischen Waffen erschien nun unser Held [228] auf dem Kampfplaze. obgleich die ganzem Universität seine Untauglichkeit kennt, und jedermann die Schelmenstreiche weiß, durch die er den Doktorhut zu erschleichen gesucht hat, so ward er ihm doch zu Teil, und die Fakultät gab ihm Brief und Siegel für die Freiheit, durch die Unbekanntschaft mit seinem Berufe, seine Mitbürger zu morden.“

„Abscheulich! – fuhr Elafu auf; – mag man doch bei euch hinkommen, wo man will, so sieht man überall Eigennuz, Betrug, und Schelmerey despotisch herrschen, und selbst da, wo man sie am wenigsten suchen sollte; hier, mitten in einer Schule der Weisheit, haben sie ihren Thron aufgeschlagen. – Wie will der Betrüger, der dem Dummkopfe von Arzt, das Polster so leichtsinnig unterhob, seine That verantworten? – wie kann er sich seiner Dukaten freuen, da ihn unmöglich das Bewußtseyn verlassen wird, daß alle Jahr wenigstens zehn Menschen weniger aufgeopfert würden, wenn sein lokrer Günstling, aus der Zunft der Aerzte zurük gestosen worden [229] wäre? – Und noch obendrein kennet die ganze Universität den Betrug – und schweigt dazu – und duldet ihn? – In der That abscheulich“ –


XXIII.

„Und – unterbrach ihn unser Freund – troz all’ der Thorheiten, Inkonsequenzien, Albernheiten, Betrügereien, Schelmenstreiche, und Despoten hudeleien, die Ihnen in unserm lieben Vaterlande die Galle so oft gerüttelt haben, – ist die Zeit doch weit näher, als Sie, geleitet durch Ihre traurigen Beobachtungen, vielleicht glauben, in der Vernunft und Wahrheit auch bei uns die Unvernunft und den Wahn besiegen, und Tugend und Patriotismus das Laster, den Sklavensinn, und den Eigennuz in den Kot tretten werden. Denn die Flecken, die Sie in unsrer politischen, literarischen, und moralischen Verfassung bemerkt haben, sind nur noch einzelne Ueberbleibsel vom Geiste der Barbaren, die glüklicher Weise über unsre Gränzen verbannt ist, und auch diese Ueberbleibsel [230] werden wir allmälich vollends gar ausmerzen.“

Wir Deutschen haben seit 50 Jahren eine ungeheure Strecke auf dem Wege der Kultur zurüke gelegt. Unsre Geistes-Produkte vor dieser Periode waren beynahe durchgehends schwache Versuche eines Knaben, der seine Kraft mit der Stärke eines Riesen mißt. Aber nun haben wir das Mannesalter erreicht, und stehen kühn jeder Nation der Erde zur Seite. Man besorgt hie und da, daß wir mit schnellen Schritten dem Greisen-Alter entgegen eilen, in dem sich die Kräfte verlieren, kindische Schwäche zurückkehrt, und Geist und Körper allmälich ob ihren Geschäften erliegen. Ich halte aber diese Besorgniß noch immer für ungegründet, so lange die Zahl groser, edler, verdienstvoller Männer mehr zu, als abnimmt, und mancher unter unsern Jünglingen das Haupt mit der Kraft unsrer gepriesensten Väter erhebt.“

„Sie sind vielleicht eingenommen gegen uns, weil ein äuserst fataler Zufall [231] Sie immer nur in die Kraise der Narren und der Schufte geführt hat. Aber seyen Sie billig, und gestehen Sie es zu, daß eine so kurze Zeit als die war, in der Sie unter uns lebten, und eine so kleine Reihe von Beobachtungen, noch bei weitem keinen Totalblick über eine ganze Nation, und über ein ganzes Zeitalter geben könne. Ueberlassen Sie diesen Ihren Amtsgenossen, die nach Ihnen kommen; und sagen Sie Ihren Mitbürgern auf dem Uranus, daß Sie auf der Erde viel Gecken und viel Schelmen gesehen haben, daß aber selten ein Land lauter Unkraut hervorbringe, ohne auch dazwischen manchmal eine schöne Blume, oder eine saftvolle Pflanze ans Licht zu schieben: Denn bey all’ den Sottisen, Inkonsequenzien, und Schelmenstreichen, an denen sich Ihr Auge geärgert hat, haben wir doch auch in unserm Vaterlande – Fürsten, die keine höhere Wonne kennen, als das Bewußtseyn, daß ihr Volk durch sie glücklich werde, – Minister, die Tag und Nacht für das Wohl des Landes arbeiten, und in [232] der wachsenden Zufriedenheit der Bürger, den höchsten Lohn ihrer Thätigkeit finden; – Priester, die nach Wahrheit forschen. und Wahrheit predigen, – die durch ihren Unterricht Aufklärung, und durch ihr Beyspiel, Tugend verbreiten, – Schriftsteller, die all’ die kleinen Künste der grosen Autorenwelt verachten, und die Befördrung reiner und fruchtbarer Erkenntniß der Wahrheit zum einzigen Zielpunkte ihrer Bemühungen machen; – Männer, deren Lebenszwek es ist, ohne Rücksicht auf Ehre und Gewinn, das Wohl des Ganzen auf seiner Bahn immer weiter zu rüken, und alles in ihrem Wirkungskreise, um sie her, zu beglücken; – Weiber, die ihre größte Ehre darein sezen, treue Gattinnen, zärtliche Mütter, und weise Wirtinnen zu seyn; – und sehr müßt’ ich mich täuschen, wenn die Behauptung irrig wäre, daß die Zahl dieser Edlen in unserm Vaterlande, von Tag zu Tage zunehme.“

„Lassen Sie sich dieß aber nicht abhalten, Ihre Brüder zu bitten, daß sie, wenn [233] sie auf der Erde auftretten; eben so mutig, kühn, und derb, wie Sie, auf die Thorheiten losgeiseln, die ihnen begegnen, – und eben so laut der Sottisen und Tollhausstreiche lachen, die ihnen aufstosen. Nur sollen sie in ihren Urteilen nicht unbillig seyn, damit sie nicht durch allgemeines Absprechen, oder durch einen zu rauhen Ton, den, neben der aufgestoßnen Sottise, in der Erde regsamen, aber noch schwachen Keim der Wahrheit und der Vernunft – zernichten.“

„Es bereitet sich in unserm Vaterlande allmälich alles zu einer grosen Revolution; und wer weiß, ob die Begebenheiten nicht sehr nahe sind, die den durchdringenden Stos zur unvermeidlichen Katastrophe geben. – Denn die Maße unsrer Einsichten überfließt ihr Behältniß, und mit tausend, durch Religion, Geseze, und Zeit geheiligten Vorurteilen[9], stehen die Resultate unsres Forschens in schnurgeradem Widerspruch. Und ist diese Revolution vorüber – o, dann Heil unsern Enkeln! – dann werden Licht und Wahrheit auf den Thronen herrschen, die Fürsten [234] werden in der einen Hand die Fakel der Aufklärung, und in der andern die Palme des Friedens tragen; das Volk aber wird durch Kraft, Thätigkeit, und Tugend das höchste Mas von Glükseligkeit erlangen, deßen es fähig ist. – Noch ist die Zeit der Gährung; aber die Zeit der Entwiklung ist nahe!“ –

Wir hörten diesen liebenswürdigen, patriotischen Schwärmer mit grosem Vergnügen an, und freuten uns der Zuversicht, mit der er dem über seiner Nation aufbrechenden Lichte entgegen sah. Wir erklärten ihm unser Wolgefallen an den schönen, moralischen Zügen, die seinem Räsonnement zu Grunde lagen, und schieden mit den Worten von ihm: daß die Veredlung eines Volkes nie plözliche Wirkung einer schnellen Revolution, sondern immer nur das Werk sukzessiver, schrittweiser Entwiklung sey. Die vielen Proben von Unvernunft, fuhren wir fort, von Unterdrükung, und von moralischem Verfall, die wir unter seinem Volke bemerkt haben, lehren uns, daß es einer solchen Katastrofe sehr bedürfe; – und daß wir die Erde mit dem herzlichen [235] Wunsche verlassen: daß der grose Regente, des Alls, die Epoche bald herbey führen wolle, in der die Barbarey, die Dummheit, die Sottise, und die Bosheit in den Staub getretten, – wahre Philosophie, reine Religion, und unbefleckte Tugend aber, auf den Thron erhoben werden.“

Wir gaben unserm Freunde den Abschiedskuß, stiegen in den Kahn, und machten die Segel flott.


ENDE.

[237]

Innhalt.
Seite
I. Die ersten Blicke auf die Erde. 13
II. Die Vaterlandsverteidiger. 18
III. Die Losungsworte des Zeitalters. 24
IV. Ein deutscher Schriftsteller. 28
V. Die Gottesverehrung der Exoteriker. 39
VI. Aufschlüsse über Gottesdienst und Religion. 48
VII. Aufklärung. 64
VIII. Die Ortodoxie im Schlafroke. 67
IX. Das Lotto. 77
X. Ein Beispiel deutscher Preßfreyheit. 85
XI. Der Mißverstand. 93
XII. Die Schulmeisterwahl. 107

[238]

Seite
XIII. Wir bleiben gern beim Alten. 114
XIV. Der privilegirte Mörder. 124
XV. Betrug und Aberglauben. 133
XVI. Das Priesterregiment. 144
XVII. Der Diensthandel. 153
XVIII. Das Meisterstück des Despotismus. 163
XIX. Heftige Konvulsion des angetasteten Aberglaubens. 171
XX. Ueberall erborgter Schimmer. 181
XXI. Die Republikaner. 197
XXII. Eine Schule der Weisheit. 212
XXIII. Blicke in die Zukunft, und fromme Wünsche. 229

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nachdrüklilichen
  2. Vorlage: Demonstrastrationen
  3. Vorlage: aufgerich-
  4. Vorlage: wachte
  5. Vorlage: Mannn
  6. Vorlage: Glaubensbrüber
  7. Vorlage: deutcher
  8. Vorlage: XX.
  9. Vorlage: Vourteilen