Critik der reinen Vernunft (1781)/1. Abschnitt. Von dem Raume

« Erster Theil. Transscendentale Ästhetik Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
2. Abschnitt. Von der Zeit »
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Der
Transscendentalen Aesthetik
Erster Abschnitt.
Von dem Raume.
Vermittelst des äusseren Sinnes, (einer Eigenschaft unsres Gemüths) stellen wir uns Gegenstände als ausser uns, und diese insgesamt im Raume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Größe und Verhältniß gegen einander bestimmt, oder bestimmbar. Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüth sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschauet, giebt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Obiect, allein es ist doch eine bestimmte| Form, unter der die Anschauung ihres innern Zustandes allein möglich ist, so, daß alles, was zu den innern Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird. Aeusserlich kan die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder sind sie solche, die nur an der Form der Anschauung allein haften, und mithin an der subiectiven Beschaffenheit unseres Gemüths, ohne welche die Prädicate gar keinem Dinge beygeleget werden können? Um uns hierüber zu belehren, wollen wir zuerst den Raum betrachten.

 1) der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äusseren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas ausser mich bezogen werden, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich sie als ausser einander, mithin nicht blos verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen. Demnach kan die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äussern Erscheinung durch Erfahrung erborgt seyn, sondern diese äussere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich.

|  2) Der Raum ist eine nothwendige Vorstellung, a priori, die allen äusseren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kan sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sey, ob man sich gleich ganz wohl denken kan, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die nothwendiger Weise äusseren Erscheinungen zum Grunde liegt.

 3) Auf diese Nothwendigkeit a priori gründet sich die apodictische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze, und die Möglichkeit ihrer Constructionen a priori. Wäre nemlich diese Vorstellung des Raums ein a posteriori erworbener Begriff, der aus der allgemeinen äusseren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die ersten Grundsätze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmungen seyn. Sie hätten also alle Zufälligkeit der Wahrnehmung, und es wäre eben nicht nothwendig, daß zwischen zween Puncten nur eine gerade Linie sey, sondern die Erfahrung würde es so iederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur comparative Allgemeinheit, nemlich durch Induction. Man würde also nur sagen können, so viel zur Zeit noch bemerkt worden, ist kein Raum gefunden worden, der mehr als drey Abmessungen hätte.

 4) Der Raum ist kein discursiver, oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge| überhaupt, sondern eine reine Anschauung. Denn erstlich kan man sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Räumen redet, so verstehet man darunter nur Theile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese Theile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raume gleichsam als dessen Bestandtheile, (daraus seine Zusammensetzung möglich sey) vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich einig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Räumen überhaupt beruht lediglich auf Einschränkungen. Hieraus folgt, daß in Ansehung seiner eine Anschauung a priori, (die nicht empirisch ist) allen Begriffen von denselben zum Grunde liege. So werden auch alle geometrische Grundsätze, z. E. daß in einem Triangel zwey Seiten zusammen größer seyn, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, sondern aus der Anschauung und zwar a priori mit apodictischer Gewißheit abgeleitet.

 5) Der Raum wird als eine unendliche Größe gegeben vorgestellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der so wohl in dem Fusse, als einer Elle gemein ist,) kan in Ansehung der Grösse nichts bestimmen. Wäre es nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung, so würde kein Begriff von Verhältnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben bey sich führen.


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Schlüsse aus obigen Begriffen.

 a) Der Raum stellet gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhältniß auf einander vor, d. i. keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen subiectiven Bedingungen der Anschauung abstrahirte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Daseyn der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut werden.

 b) Der Raum ist nichts anders, als nur die Form aller Erscheinungen äusserer Sinne, d. i. die subiective Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äussere Anschauung möglich ist. Weil nun die Receptivität des Subiects, von Gegenständen afficirt zu werden, nothwendiger Weise vor allen Anschauungen dieser Obiecte vorhergeht, so läßt sich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin a priori im Gemüthe gegeben seyn könne, und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle Gegenstände bestimmt werden müssen, Principien der Verhältnisse derselben vor aller Erfahrung enthalten könne.

 Wir können demnach nur aus dem Standpuncte eines Menschen vom Raum von ausgedehnten Wesen etc. reden. Gehen wir von der subiectiven Bedingung ab, unter welcher wir allein äussere Anschauung bekommen können, so wie wir nemlich von den Gegenständen afficirt werden mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Raume gar nichts.| Dieses Prädicat wird den Dingen nur in so fern beygelegt, als sie uns erscheinen, d. i. Gegenstände der Sinnlichkeit sind. Die beständige Form dieser Receptivität, welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine nothwendige Bedingung aller Verhältnisse, darinnen Gegenstände als ausser uns, angeschauet werden, und, wenn man von diesen Gegenständen abstrahirt, eine reine Anschauung, welche den Namen Raum führet. Weil wir die besonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Möglichkeit der Sachen, sondern nur ihrer Erscheinungen machen können, so können wir wol sagen, daß der Raum alle Dinge befasse, die uns äusserlich erscheinen mögen, aber nicht alle Dinge an sich selbst, sie mögen nun angeschaut werden oder nicht, oder auch von welchem Subiect man wolle. Denn wir können von den Anschauungen anderer denkenden Wesen gar nicht urtheilen, ob sie an die nemlichen Bedingungen gebunden seyn, welche unsere Anschauung einschränken, und vor uns allgemein gültig seyn. Wenn wir die Einschränkung eines Urtheils zum Begriff des Subiects hinzufügen, so gilt das Urtheil alsdenn unbedingt. Der Satz: Alle Dinge sind neben einander im Raum, gilt nur unter der Einschränkung, wenn diese Dinge als Gegenstände unserer sinnlichen Anschauung genommen werden. Füge ich hier die Bedingung zum Begriffe, und sage: Alle Dinge, als äussere Erscheinungen, sind neben einander im Raum, so gilt diese Regel allgemein und ohne Einschränkung. Unsere Erörterungen lehren demnach| die Realität (d. i. die obiective Gültigkeit) des Raumes in Ansehung alles dessen, was äusserlich als Gegenstand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealität des Raums in Ansehung der Dinge, wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden, d. i. ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaupten also die empirische Realität des Raumes (in Ansehung aller möglichen äusseren Erfahrung) ob zwar zugleich die transscendentale Idealität desselben, d. i. daß er Nichts sey, so bald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zum Grunde liegt, annehmen.
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 Es giebt aber auch ausser dem Raum keine andere subiective und auf etwas äusseres bezogene Vorstellung, die a priori obiectiv heissen könte. Daher diese subiective Bedingung aller äusseren Erscheinungen mit keiner andern kan verglichen werden. Der Wohlgeschmack eines Weines gehört nicht zu den obiectiven Bestimmungen des Weines, mithin eines Obiects so gar als Erscheinung betrachtet, sondern zu der besondern Beschaffenheit des Sinnes an dem Subiecte, was ihn genießt. Die Farben sind nicht Beschaffenheiten der Körper, deren Anschauung sie anhängen, sondern auch nur Modificationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Lichte auf gewisse Weise afficirt wird. Dagegen gehört der Raum, als Bedingung äusserer Obiecte, nothwendiger Weise zur Erscheinung oder Anschauung derselben. Geschmack und Farben sind gar nicht nothwendige| Bedingungen, unter welchen die Gegenstände allein vor uns Obiecte der Sinne werden können. Sie sind nur als zufällig beygefügte Wirkungen der besondern Organisation mit der Erscheinung verbunden. Daher sind sie auch keine Vorstellungen a priori, sondern auf Empfindung, der Wohlgeschmack aber so gar auf Gefühl (der Lust und Unlust) als einer Würkung der Empfindung gegründet. Auch kan niemand a priori weder eine Vorstellung einer Farbe, noch irgend eines Geschmacks haben: der Raum aber betrift nur die reine Form der Anschauung, schließt also gar keine Empfindung (nichts empirisches) in sich, und alle Arten und Bestimmungen des Raumes können und müssen so gar a priori vorgestellt werden können, wenn Begriffe der Gestalten so wol, als Verhältnisse entstehen sollen. Durch denselben ist es allein möglich, daß Dinge vor uns äussere Gegenstände seyn.
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 Die Absicht dieser Anmerkung geht nur dahin, zu verhüten: daß man die behauptete Idealität des Raumes nicht durch bey weitem unzulängliche Beyspiele zu erläutern sich einfallen lasse, da nemlich etwa Farben, Geschmack etc. mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern blos als Veränderungen unseres Subiects, die so gar bey verschiedenen Menschen verschieden seyn können, betrachtet werden. Denn in diesem Falle gilt das, was ursprünglich selbst nur Erscheinung ist, z. B. eine Rose, im empirischen Verstande vor ein Ding an sich selbst, welches| doch iedem Auge in Ansehung der Farbe anders erscheinen kan. Dagegen ist der transscendentale Begriff der Erscheinungen im Raume eine critische Erinnerung, daß überhaupt nichts, was im Raume angeschaut wird, eine Sache an sich, noch daß der Raum eine Form der Dinge sey, die ihnen etwa an sich selbst eigen wäre, sondern daß uns die Gegenstände an sich gar nicht bekant seyn, und, was wir äussere Gegenstände nennen, nichts anders als blosse Vorstellungen unserer Sinnlichkeit seyn, deren Form der Raum ist, deren wahres Correlatum aber, d. i. das Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkant wird, noch erkant werden kan, nach welchem aber auch in der Erfahrung niemals gefragt wird.


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