ADB:Almendingen, Ludwig Harscher von

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Artikel „Almendingen, Ludwig Harscher von“ von Heinrich Göppert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 351–352, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Almendingen,_Ludwig_Harscher_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:09 Uhr UTC)
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Almendingen: Ludwig Harscher von A., verdienter deutscher Jurist, auch durch seine Lebensschicksale merkwürdig. Geb. 25. März 1766 in Paris, wo sein Vater hessen-darmstädtischer Gesandter war, † 16. Jan. 1827. Er brachte seit 1771 seine Jugend in großer Dürftigkeit auf einem kleinen Gute seines Vaters in Lauenstein in Hannover zu; seine Ausbildung erwarb er sich größtentheils durch Selbststudium und trat frühzeitig als belletristischer Schriftsteller auf. Erst 1789 konnte er auf Kosten eines Wohlthäters die Universität Göttingen beziehen und studirte dort die Rechte bis 1792, worauf er einige Zeit als Gouverneur eines vornehmen jungen Holländers in Amsterdam lebte. 1794 als Professor nach Herborn berufen, wurde er dort bald nassau-oranischer Hofrath, erster Professor der Rechte, Archivar und Syndicus der Universität und erlangte eine ausgebreitete Consulenten-Praxis, vertauschte aber die akademische Stellung 1803 mit dem Posten eines Raths im nassauischen Gesammtoberappellationsgericht in Hadamar. In der Rheinbundszeit trat er in herzoglich nassauische Dienste und wurde 1811 Vicedirector des Hofgerichts in Wiesbaden und Geheim-Referendar im herzoglichen Staatsministerium. Auch auf litterarischem Gebiete hatte er sich namhafte Verdienste erworben und eine angesehene Stellung erlangt. In der Civilproceßlehre gehörte er mit Gönner und Grolmann zu den ersten Vertretern der Richtung, welche im Gegensatz zu der Weise des 18. Jahrhunderts den Grundgedanken des Systems nachforschte und dieselben zur Belebung und Erklärung des todten Materials zu verwerthen suchte. Ebenso hatte er mit Feuerbach und Grolmann Antheil an der damaligen Reformation des Criminalrechts; er gab mit ihnen zusammen die „Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft“ heraus, und es ist bezeichnend, daß Feuerbach sein epochemachendes Lehrbuch des Criminalrechts ihm und Grolmann widmete. Es ist endlich zu rühmen, daß, als in den Rheinbundsstaaten die Einführung des Code Napoléon betrieben wurde, A. einer der Wenigen war, welche die außerordentliche Bedeutung dieses Schritts für das gesammte Staats- und Volksleben klar erkannten. Schien ihm derselbe überhaupt höchst bedenklich, so war er noch mehr überzeugt, daß es weder angehe, das fremde Gesetzbuch in seiner Totalität ohne seine, wie er es bezeichnete, „organischen Umgebungen“ aufzunehmen, noch auch möglich sei, diese letztern sofort zu schaffen. Seine dadurch bestimmte besondere Meinung über die Modalitäten der anscheinend selbst unvermeidlichen Reception verfocht er sowol durch Schriften, wie als nassauischer Commissar bei einer, übrigens resultatlos verlaufenen Conferenz, welche die nassauische, hessen-darmstädtische und großherzoglich frankfurtische Regierung 1809 über die Ausführung der beabsichtigten Annahme des Code veranstalteten. Auf dieser Conferenz entzweite er sich mit Grolmann, der als hessischer Commissar fungirte, und auch litterarisch wurde er wegen der fraglichen Ansichten vielfach von Gönner und manchen andern angegriffen. Zugleich erregte eine gewisse Ueberhebung und Betriebsamkeit, die übrigens zum Theil vielleicht mehr seinem Verleger als ihm selbst zur Last zu legen, in den wissenschaftlichen Kreisen heftigen Anstoß und brachte ihn in eine Art von litterarischer Vervehmung. Eine 1814 erschienene Schrift: „Politische Ansichten über Deutschlands Vergangenheit und Zukunft“ Bd. I. verbesserte seine Stellung nicht; er vertheidigte darin unter Entwickelung mancher liberalisirenden Anschauungen die kleinern Rheinbundsstaaten vom engherzig particularistischen Standpunkte. Namentlich zog ihm sein [352] Vorschlag, für jeden deutschen Staat ein besonderes Gesetzbuch zu verfassen, eine scharfe Entgegnung Savigny’s zu (Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Bd. III. S. 30). Inzwischen war er im nassauischen Dienst in angesehener Thätigkeit verblieben, seit 1816 als Vicepräsident des neuen Hofgerichts in Dillenburg und als Staatsrath. Sehr unglücklich wurde aber für ihn ein Aufenthalt in Berlin im J. 1820 in Veranlassung eines vor den preußischen Gerichten schwebenden Processes zwischen Gliedern des herzoglich anhaltischen Hauses, bei welchem er die eine Partei vertrat. Er brachte sich durch gewisse Unvorsichtigkeiten in den damals landläufigen Verdacht der Demagogie und gerieth zugleich durch die Heftigkeit seiner zum Theil gedruckten Proceßschriften in eine Criminaluntersuchung bei dem Berliner Kammergericht wegen „frechen unehrerbietigen Tadels der Landesgesetze und Anordnungen im Staat“. Die nassauische Regierung vollzog zwar den gegen ihn erkannten einjährigen Festungsarrest nicht, pensionirte ihn aber unter Ertheilung eines Verweises. So völlig schiffbrüchig, brachte er die letzten Jahre seines Lebens in vergeblichen Versuchen zu, seine Rehabilitation zu erringen; er fand für seine Schriften keinen Verleger oder stieß auf Censurhindernisse. Er starb in Dillenburg.

W. v. d. Nahmer in Zeitgenossen, 3. Reihe, Bd. I., Heft 5–6, S. 77 ff.